Marktplatzangebote
7 Angebote ab € 4,98 €
  • Gebundenes Buch

1 Kundenbewertung

Im 23. Jahrhundert ist die Erde für die Raubgier der Märkte und Mächte zu klein geworden. So beginnt die Auswanderung der Starken auf Mond und Mars; auf Erden zurück bleibt nur die alte, schwache Menschheit. Schon zwei Jahrhunderte später erweist sich der Mars als so lebensfeindlich, dass die neuen Menschen zurückkehren und brutal die Macht auf der nun friedlichen Erde an sich reißen. Was wie eine düstere Science-Fiction-Vision klingt, ist ein grandioser Roman über die uralte Frage von Emigration und Heimkehr. Reinhard Jirgl, einer der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur in…mehr

Produktbeschreibung
Im 23. Jahrhundert ist die Erde für die Raubgier der Märkte und Mächte zu klein geworden. So beginnt die Auswanderung der Starken auf Mond und Mars; auf Erden zurück bleibt nur die alte, schwache Menschheit. Schon zwei Jahrhunderte später erweist sich der Mars als so lebensfeindlich, dass die neuen Menschen zurückkehren und brutal die Macht auf der nun friedlichen Erde an sich reißen. Was wie eine düstere Science-Fiction-Vision klingt, ist ein grandioser Roman über die uralte Frage von Emigration und Heimkehr. Reinhard Jirgl, einer der wichtigsten Autoren der Gegenwartsliteratur in Deutschland, erzählt in unvergesslichen Bildern von Gier und Gewalt, Unterdrückung und Krieg, Leben und Tod.
Autorenporträt
Reinhard Jirgl, geboren 1953 in Berlin, wo er auch heute lebt. Für sein Werk erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Alfred-Döblin-Preis, den Marburger Literaturpreis, den Joseph-Breitbach-Preis, den Stadtschreiber-Preis von Bergen und den Georg Büchner-Preis 2010. Bei Hanser erschienen zuletzt Abtrünnig (Roman aus der nervösen Zeit, 2006), Land und Beute (Aufsätze, 2008), Die Stille (Roman, 2009), Mutter Vater Roman (Neuausgabe, 2012), Nichts von euch auf Erden (Roman, 2013) und 2016 der Roman Oben das Feuer, unten der Berg.Mit Beginn des Jahres 2017 hat Reinhard Jirgl sich vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er verzichtet auf Lesungen sowie andere Auftritte, desgleichen auf jede Publikation seiner auch weiterhin entstehenden Manuskripte. Alle neu geschriebenen Texte verbleiben in Privatbesitz.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Einen Funken Sympathie findet man in Rezensent Hubert Winkels' Kritik zu Reinhard Jirgls Science-Fiction-Roman "Nichts von euch auf Erden". Das Spiel mit Literatur und Sprache hat zeitweise durchaus Witz, gibt er zu. Aber am Ende ist der Rezensent völlig erschöpft: Es gibt einfach zu viel von allem. Winkels beschwert sich über "seitenlange florale Orgasmusmetaphernwucherungen" und "futuristisch aufgepimpte geologische Fachsprachenstrapazen", mit dem opportunistischen Ich-Erzähler kann er nicht sympathisieren, und die Weltuntergangsstimmung, die Jirgl verbreitet, geht ihm auch ziemlich auf die Nerven. Die Welt ist schlecht, die Realität existiert nicht, dafür wird seitenlang gelispelt. So rettet man weder Welt noch Roman, fürchtet Winkels.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2013

Ich bin die Lüge in euren Ängsten

In Reinhard Jirgls kosmischer Phantasmagorie kulminieren alle Kriege der Geschichte. Es ist eine Abrechnung mit dem Menschengeschlecht und eine Liebeserklärung an das Paralleluniversum der Bibliothek.

Es wäre einfach, sich über dieses Buch lustig zu machen, über seine Exuberanz in stilistischer wie inhaltlicher Hinsicht, über das Titanische und Bürokratische des Zukunftsentwurfs sowie über das noch Titanischere und Bürokratischere der alles niederstreckenden Apokalypse, planvoll vorangetrieben nämlich von einer maliziösen intellektuellen Spezies: den sich selbst schreibenden Büchern, über die ultimative Steigerung menschlicher Grausamkeit bis hin zum massenhaften Verspeisen von lebendigen Kleinkindern in Mars-Restaurants ("Das-Ernährungsproblem, die-Überbevölkerung, die-Armut - alle =auf -1-Streich !gelöst"), über den schon ins Kitschige einer Antitheologie hinüberragenden Zentralsatz, der Todestrieb sei die höchstentwickelte Form der Liebe: "Denn !Dies ist das-Eigentliche, das dem-Menschen=von-Jeher überhaupt einen Sinn hat geben können."

Es wäre ein Befreiungsschlag, denn diesmal geht Reinhard Jirgl, der uns in seinen bisherigen, meist die deutsche Geschichte nachschmeckenden Büchern viel zugemutet hat, bis an die Grenze der Phantasie und der Lesbarkeit. Vielleicht wäre es unterbewusst sogar ein verständliches Revoltieren gegen den bereits im Titel anklingenden Schuldspruch des Jüngsten Jirglschen Gerichts, denn nicht weniger als eine Abrechnung mit der kosmischen Plage Mensch haben wir vor uns: "Äußerste Liebe des-Menschen ist Liebe zur Menschlosigkeit." Moralisch kann man das nicht nennen, denn es fehlt der Appell. Der Pessimismus, für den der Autor bekannt ist, hat sich weiter verdunkelt. Und doch wartet hinter der Schwärze ein neuer, menschenloser Tag: Moral also doch, aber ex negativo.

Weder mit Star-Wars-Retro-Chic noch mit futuristischem Technizismus hält sich Jirgl lange auf, so wissenschaftlich der im fünfundzwanzigsten Jahrhundert spielende Roman an vielen Stellen wirkt. Im Zentrum steht die Conditio humana, der Leib-Seele-Dualismus, der hier zu einem Endkampf stilisiert wird, in dem alle Kriege der Geschichte kulminieren und den zuletzt der Geist gewinnt. So hat dieses spekulative Eposmassiv voller Pathos und narrativer Virtuosität im Kern etwas Ungeschütztes, rührt verstörend in der Ursuppe der Existenz. Wer macht so etwas heute noch? Zudem mag die Lektüre Wochen dauern. Auch wenn der Autor erstmals einige Passagen in Normaldeutsch verfasst hat, so ist doch der größte Teil der fünfhundert Seiten in der typischen, affektive Obertöne der Sprache sichtbar machenden Jirgl-Orthographie verfasst, die nur entzifferbar ist, indem man die Worte innerlich laut vor sich hersagt. Nach zwei Seiten fühlt man sich durchgewalkt wie nach zwei Wochen Raumstation bei Wasser und Kunstbrot.

Wer jedoch diese Mühen scheut oder sich von einigen Entbergungen an der Kalauergrenze abschrecken lässt, dem entgeht eine der großartigsten Phantasmagorien der jüngeren deutschen Literatur, und zwar großartig nicht trotz, sondern wegen ihres Überwältigungscharakters und Detailreichtums: Einer der Genesis auf Augenhöhe entgegengeschriebenen Kosmos-Vision ist der hohe Stil mehr als angemessen. Und man dürfte lange suchen, bis man einen zweiten Autor von solcher Sprachgewalt findet. Das geben selbst jene - weniger werdenden - Verächter des Büchner-Preisträgers zu, denen Jirgls betörender Stil zu gestelzt, zu wenig modisch cool erscheint.

Schon der Prolog, eine donnernde Abrechnung mit des Menschen Gier und Angst, derer sich Savonarola nicht schämen müsste, lässt erahnen, dass im Folgenden die Beschreibung von Welten, Ideen und Umwälzungen wichtiger sein wird als die eigentliche Handlung, die dem Weg einer erwählten Hauptfigur folgt. Die im Vorwort angedeuteten Geschehnisse zwischen unserer Zeit und der des Romans werden in immer neuen Anläufen eingekreist: Die großen Energiekriege begannen im zweiundzwanzigsten Jahrhundert. Es folgten die Kolonisierung von Mond und Mars. Nach diesem Auszug der "Tat=Menschen" kam die erschöpfte Erde endlich zur Ruhe. Dafür verantwortlich war ein Unfall, denn anfangs hatte man problematische Subjekte zum Mond geschafft, um sie dort genetisch zu manipulieren. Das Pazifizierungsgen aber brach aus und sprang auf die Erde über, ließ eine höfliche und geldlose, aber gegängelte Gesellschaft entstehen, eine Art Meta-DDR. Der Preis für den neuen Frieden war die Erschlaffung aller Triebe, zumal des Sex- und des Expansionstriebs. Man lebte seither in isolierten Weltteilen, künstliche Himmel suggerierten einen ewigen Sommerabend. Die Verfassung der europäischen Regierung, "Haus der Sorge" genannt, klingt beinahe ideal fürsorglich: Die Obrigkeit beschränkt sich fernab aller Geschäftsinteressen auf territorialen und ökonomischen Schutz der Bürger, deren Freiheit als höchstes Gut gilt.

Man kann es Jirglschen Zynismus nennen, dass eben diese Verfassung nun als Grundübel des Erdenlebens ausgemacht wird. Hier spricht schon die überlegene und aggressive Mars-Population, die eine Rückkehr aus der Neuen Welt in Betracht zieht, weil das - in der Science-Fiction beliebte - "Terraforming" des roten Planeten wenig erfolgreich war. Eine erste Abordnung wird zur Erde entsandt: die Mission E.S.R.A., wobei man die überdeutliche Parallelisierung mit dem Buch Esra, das die Rückkehr der Juden aus dem babylonischen Exil thematisiert, problematisch finden darf. Denn kaum sind die Rückkehrer da, bricht ein Zerstörungswerk los, das eher an versklavende Überfälle der frühneuzeitlichen Europäer auf friedfertige Stämme in aller Welt erinnert. Die Imagosphäre wird zerstört und die Angst kehrt zurück. Deportationen und Zwangs-Gen-Umprogrammierungen stehen an. Das "Haus der Sorge" wird entmachtet und eine Diktatur errichtet. Von innen unterjocht die "Schuld-Industrie" die Bevölkerung, die bald Buße für das Unrecht aller Zeiten tun zu müssen glaubt (wieder so ein böses Jirgl-Zwinkern).

Das meiste davon erfahren wir aus der Perspektive des Ich-Erzählers, dem kurz vor der Volljährigkeit offenbart wird, dass er zur Herrenrasse der Marsianer gehört. Damit bietet sich ihm die Möglichkeit, unter Zurücklassung seiner Verlobten als Sachbearbeiter bei der Interplanetaren Wissenschaftskonferenz die Erde in Richtung Mars zu verlassen, nicht ahnend, wie - im Wortsinn - martialisch es dort zugeht. Eine Identifikationsfigur ist dieser Held nicht, denn schon auf dem Mond erfüllt er bereitwillig die zugedachte Funktion, Ströme von Zwangsarbeiter effizient den Arbeits- und Vernichtungslagern zuzuführen.

Und doch ist er ein Erwählter, denn ihm erscheint ein geheimnisvoller, offenbar allwissender Fremder, dessen Wesen sich erst in einer postmodern-selbstreflexiven Wendung am Ende des Romans erklärt. Man geht kaum zu weit, wenn man in der Hauptfigur, deren Wandlung wir begleiten, die Präfiguration des Nach- oder Antimenschen erkennt, ein Gegenstück zu Nietzsches Übermensch, denn nicht Bejahung, Wille und ewige Wiederkehr ist das Ziel, sondern Kälte, Willenlosigkeit und absolutes Verschwinden, aber das nicht als Strafe (göttlich) oder Sieg des Bösen (teuflisch), sondern als evolutionäre Erfüllung: "Ich, mein eigener Mechaniker, habe das Menschsein von mir abgeschraubt"; "mein Herz aus Kosmos-Eis"; "Ich bin die Bedeutungslosigkeit eurer Ehrungen -:- Bin die Lüge in euren Ängsten -:- Ich dekliniere eure Triebe"; "Ich bin der, dem man nur begegnet, wenn man schon verloren hat".

So bedenkenswert dieser Überbau sein mag, ist das Begeisternde doch die erzählerische und kreative Potenz des Autors. So minutiös und souverän werden die Stadtschaften und Bergwerke auf dem Mars, Scheinessen servierende Restaurants auf dem Mond oder seltsame Sitten auf der Erde imaginiert - darunter das paradoxerweise befriedende "Recht auf den einen Mord" oder das Ritual des "langen Fadens", das den Geschlechtsakt ersetzt hat -, dass der Leser sich in der Erinnerung des Gefühls kaum wird erwehren können, tatsächlich dort gewesen zu sein. Und eben das - die Suggestivmacht der Literatur - ist auch die entscheidende Waffe, mit der im Roman zuletzt die überlegene Zivilisation der Bücher, jenes Paralleluniversum der von Menschen in Brand gesteckten Bibliotheken, in einer Art Aufklärung höherer Ordnung ihre Schöpfer überwindet: "denn Bücher schreiben Schönebücher = ohne Menschen". Solange aber doch noch Menschen da sind, muss das als ultimative Liebeserklärung an die Kraft des Wortes gelten.

OLIVER JUNGEN.

Reinhard Jirgl: "Nichts von euch auf Erden". Roman.

Carl Hanser Verlag, München 2013. 512 S., geb., 27,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr
"Dieser Autor (ist) im gegenwärtigen Literaturbetrieb eine auf jeden Fall einsame Größe." Helmut Böttiger, Süddeutsche Zeitung, 8./9.06.13

"Die Jirgl'sche Grundsprache ist so mächtig, dass sich die gewaltigsten Szenen des Romans, schließlich die Apokalypse selbst, als Meer aus Wörtern vor dem Leser ausbreiten." Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau, 04.06.13

"Höher, weiter, schwärzer geht es nicht: Reinhard Jirgls Zukunftsroman ist ein ungeheuerliches Lese- und Endzeiterlebnis." Mathias Schnitzler, Berliner Zeitung, 01./02.06.13

"Grossartiger Zukunftsroman (...) Jirgls Roman entfaltet seine subversive Macht ganz ohne elektrische Schaltpläne. Allein durch die Kraft der Sprache und der Imagination." Nico Bleutge, Neue Zürcher Zeitung, 01.06.13

"Dies ist mit all seinen verschiedenen philosophischen, spielerischen, narrativen Ebenen ein hochkomplexer Roman, der etliche spekulative Interpretationsanreize bietet und Jirgls literarischen Kosmos virtuos neu vermisst: eine Vermischung von Hochkultur und Fantasy-Momenten, wie sie im Moment kein anderer so anspielungsreich konzipieren kann." Helmut Böttiger, Deutschlandradio Kultur, Radiofeuilleton, 18.03.13

"Ein in jeder Hinsicht gewaltiges Werk." Stefan Kister, Stuttgarter Zeitung, 23.03.13