'Felix ist im besten Mannesalter, als er nach einem Besuch beim Urologen erfährt, dass seine Spermien nichts taugen. Eine Katastrophe, findet nicht nur er, sondern auch Sonja, seine Frau. Schließlich wünschen sich beide ein Kind. Sehr. Schnell. Mutig und wunderbar komisch schildert Felix, wie er seinem gar nicht so ungewöhnlichen Leiden auf den Grund geht. Er erzählt von seltsamen Therapien (Zink!), fruchtbaren Orten (Prag!) und seinem besten Freund mit dem gleichen Problem (Jörg!). Überhaupt scheint sein halber Freundeskreis plötzlich aus Männern mit mangelhaften Hoden zu bestehen ...
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.09.2011Dieser unselige Kinderwunsch
Immer häufiger sind es die Männer, an denen die Fortpflanzung scheitert. Der Roman "Nichtschwimmer" ist eine Patientenakte über die Zerstörungskraft der reproduktiven Medizin.
Dieser erschreckende Roman ist stellenweise so witzig, dass man beim Lesen immer wieder laut lachen muss. Sein Autor nennt sich Felix Wegener. Ihm geht es um ein Thema, das ein anderer Schriftsteller, Michael Kleeberg, mit dem Schrecken des Kriegs verglich: das Leiden eines unfruchtbaren Paares unter den Prozeduren der künstlichen Befruchtung. Was in Kleebergs Roman "Das amerikanische Hospital" (F.A.Z. vom 28. August 2010) mit Suggestionen der Fatalität als Höllenfahrt beschrieben wird, erzählt Wegeners Buch "Nichtschwimmer" (Ullstein Verlag) mit einer an Max Goldt erinnernden Leichtigkeit, die freilich am Drama der ganzen Angelegenheit keinen Zweifel lässt. "Nichtschwimmer" heißt das Buch, weil die Spermien Wegeners nichts taugen, sie schwimmen nicht. Der Urologe erklärt ihm, er habe zu wenig Spermien in zu viel Flüssigkeit. Und von den wenigen, die vorhanden seien, besäßen die allermeisten Kopfdefekte. "Kopfdefekte! 93 Prozent! So etwas will man ja von seinen Spermien nicht hören. Ich dachte an Matschbirne, Hohlköpfe, intellektuellen Totalausfall. Ich stellte mir vor, wie in meinem Sperma einer den anderen nach dem Weg fragt, aber keiner kann ihn erklären." Der Mann, nicht die Frau ist unfruchtbar - eine Tendenz, die tatsächlich von Jahr zu Jahr zunimmt.
Felix Wegener ist ein Pseudonym, was sich beinahe von selbst versteht, gleicht sein Roman doch einer Patientenakte, der faktengetreuen Rekonstruktion eines körperlichen und seelischen Elends, in welches das Paar Stück für Stück hineingleitet, ohne dies zu Beginn der Behandlungszyklen auch nur im entferntesten abgesehen zu haben. Wenn das Buch einen politisch-institutionellen Vorwurf enthält, dann den der klinischen Bemäntelung jener existentiellen Not, in die man stürzen kann, sobald man seinem unerfüllten Kinderwunsch auf technologischem Weg auf die Sprünge helfen möchte: Warum habt ihr uns das nicht vorher gesagt?
Andererseits - und auch das macht die Lektüre von "Nichtschwimmer" so dräuend klar - ist es das Paar selbst, das nicht die Kraft zum Aufhören findet, nachdem der Prozess einmal in Gang gekommen ist. Jeder Nichterfolg ist Anreiz weiterzumachen. Für ihn bei der Abgabe immer neuer Samenproben, geschöpft im mit Pornos ausgestatteten Zimmer der klinisch hellen, von freundlichem Reproduktionsmedizinern geführten sogenannten Kinderwunschpraxis. Für sie beim beständigen Sich-Spritzen von Hormonen heimlich im Klo. Felix will den Überblick über das Verfahren gar nicht erst gewinnen, für das Sonja die Regie übernimmt - erst für die Insemination, dann, als diese fehlschlägt, für die Reagenzglasbefruchtung mit der Entnahme der Eizelle aus Sonjas Unterleib und dem "Transfer" in diesen zwei Tage später, jeweils unter Vollnarkose. Felix erstellt Listen - Listen mit Namen, wen er wann im Verwandten- und Bekanntenkreis über seine Hodenschwäche informieren will; Listen, welche der möglichen Ursachen für sein schlechtes Spermiogramm in Frage kommen: vom Handy in der Hosentasche übers Rauchen seines Vaters bis zu den Weichmachern der Plastikflaschen.
So zieht es die beiden in den Schlamassel hinein, bis die Hoffnung, doch noch schwanger zu werden, überlebenswichtig wird. Die Krankenkasse zahlt, da das Paar mittlerweile verheiratet ist, die Kosten - Tausende Euros - zur Hälfte. Schlafen tut man in diesen reproduktiven Zeiten naturgemäß schon lange nicht mehr miteinander. Jeder hat genug mit sich selbst zu tun, Felix mit seiner verletzten Männlichkeit, zu deren evolutionärer Trivialausgabe er steht: "Bislang hatte ich mit der Vorstellung gelebt, dass Männer, wenn sie alt werden, nicht nur sehr junge Frauen erobern können, sondern diese, wenn sie wollen, auch nach Belieben schwängern." Seitdem er weiß, dass aus dem erigierten Glied (also keine Impotenz stricte sensu) nur "heiße Luft" entweicht, ist es mit dieser energetischen Vorstellung vorbei.
Inmitten des Strudels ein leises Wort: "Sei einfach wieder so, wie du warst, bevor wir Kinder haben wollten. Bitte." Das sagt Sonja zu ihrem Mann, als sie es nicht mehr aushält. Aber es ist zu spät. Längst hat der immer wieder enttäuschte Kinderwunsch, an den man sich nun mit umso größerer Heftigkeit klammert, die Beziehung erodieren lassen. Alles Leichte ist ihr durch die technologischen Zielvorgaben abhandengekommen. Das Denken kreist um den durch die Hormonbehandlung aufgeschwemmten Körper, das Zusammenleben - bis dahin eine Wonne der Gewöhnlichkeit, wie sehr freute man sich an der bloßen Gegenwart des anderen in der gemeinsamen Wohnung! - wird zur erstickenden Last, zu einem apathischen Nebeneinander. Man erkennt sich selbst nicht wieder.
Er hält es in ihrer Nähe nur noch mit Mühe aus, kann ihr stimmungsmäßiges Dauertief und seine eigenen Schuldgefühle nicht mehr ertragen. Sie empfindet seine Lethargie wie einen physischen Angriff. Um zu begreifen, was es für den Dreiunddreißigjährigen bedeutet, zum ersten Mal in seinem vier Jahre währenden Arbeitsleben keine Lust mehr zu verspüren, früh nach Hause zu gehen, muss man für einen Moment ins wunderbar schlicht geschilderte Paradies der Vor-Kinderwunsch-Zeit eintauchen: "Besonders gerne war ich in den Vor-Kinderwunsch-Tagen früh daheim, wenn ich nichts weiter vorhatte. Ich wusste, dass dort Sonja auf mich wartete. Ich gab ihr einen Kuss, dann begrüßte ich stumm unsere Wohnung und machte es mir bequem. Ich saß gerne in dem neugepolsterten Ohrensessel von meiner Großmutter, las Zeitung oder telefonierte oder ging nochmals ins Internet, auf der Suche nach Fahrrädern. Das war nicht aufregend. Die Schönheit dieser Stunden bestand darin, dass sie nicht aufregend waren. Ohne Sonja um mich herum wäre mir vielleicht langweilig geworden. So aber konnte ich mit der größten Seelenruhe dasitzen, nichts tun oder fast nichts, und mich darüber freuen, dass wir nicht jeden Abend ins Theater oder Kino gehen mussten, um zusammen etwas zu erleben. Nie wäre Sonja auf die Idee gekommen, mir wie die Ehefrau aus dem Loriot-Film zuzurufen: ,Tu doch mal was!' Deshalb hatte ich auch keinen Grund, mir vorzunehmen, was der Mann im Loriot-Film sich am Ende zu tun vornimmt: ,Ich bringe sie um'." Kurz: Ich hatte alles, was ich zum Leben brauchte." Man glaubt es dem Autor sofort. Er hat wie nebenbei das Bild einer Liebe skizziert, die sich selbst zu zerstören droht, als sie anfängt, zu viel zu wollen.
Einen Tag nach der Eiverpflanzung "hatte Sonja einen Termin bei René, unserem Nachbarn, der Masseur ist. Er massierte ihr Becken, wie es hieß, ,empfängnisbereit'. Was er genau tat, wollte ich lieber nicht wissen." Dann der Erfolg: "Sie sind schwanger", erklärt die Ärztin. "Das Herzchen schlägt. Alles tipptopp. Herzlichen Glückwunsch." Das ist die Stelle im Buch, wo der Kinderwunsch, dieses zum Dämon gewordene Begriffsungetüm, seine Gewalt verliert. Das Leben kann nun langsam, ganz langsam wieder Gestalt gewinnen - selig wie damals vor der unseligen Kinderwunsch-Zeit, nur jetzt in der Kinderstube.
"Nichtschwimmer" ist ein gleichermaßen intimes wie hochpolitisches Buch über die Grenzen der reproduktiven Autonomie. So muss man es lesen - bevor man den Gang in die Kinderwunschpraxis antritt, der das Leben aus der Bahn werfen kann.
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Immer häufiger sind es die Männer, an denen die Fortpflanzung scheitert. Der Roman "Nichtschwimmer" ist eine Patientenakte über die Zerstörungskraft der reproduktiven Medizin.
Dieser erschreckende Roman ist stellenweise so witzig, dass man beim Lesen immer wieder laut lachen muss. Sein Autor nennt sich Felix Wegener. Ihm geht es um ein Thema, das ein anderer Schriftsteller, Michael Kleeberg, mit dem Schrecken des Kriegs verglich: das Leiden eines unfruchtbaren Paares unter den Prozeduren der künstlichen Befruchtung. Was in Kleebergs Roman "Das amerikanische Hospital" (F.A.Z. vom 28. August 2010) mit Suggestionen der Fatalität als Höllenfahrt beschrieben wird, erzählt Wegeners Buch "Nichtschwimmer" (Ullstein Verlag) mit einer an Max Goldt erinnernden Leichtigkeit, die freilich am Drama der ganzen Angelegenheit keinen Zweifel lässt. "Nichtschwimmer" heißt das Buch, weil die Spermien Wegeners nichts taugen, sie schwimmen nicht. Der Urologe erklärt ihm, er habe zu wenig Spermien in zu viel Flüssigkeit. Und von den wenigen, die vorhanden seien, besäßen die allermeisten Kopfdefekte. "Kopfdefekte! 93 Prozent! So etwas will man ja von seinen Spermien nicht hören. Ich dachte an Matschbirne, Hohlköpfe, intellektuellen Totalausfall. Ich stellte mir vor, wie in meinem Sperma einer den anderen nach dem Weg fragt, aber keiner kann ihn erklären." Der Mann, nicht die Frau ist unfruchtbar - eine Tendenz, die tatsächlich von Jahr zu Jahr zunimmt.
Felix Wegener ist ein Pseudonym, was sich beinahe von selbst versteht, gleicht sein Roman doch einer Patientenakte, der faktengetreuen Rekonstruktion eines körperlichen und seelischen Elends, in welches das Paar Stück für Stück hineingleitet, ohne dies zu Beginn der Behandlungszyklen auch nur im entferntesten abgesehen zu haben. Wenn das Buch einen politisch-institutionellen Vorwurf enthält, dann den der klinischen Bemäntelung jener existentiellen Not, in die man stürzen kann, sobald man seinem unerfüllten Kinderwunsch auf technologischem Weg auf die Sprünge helfen möchte: Warum habt ihr uns das nicht vorher gesagt?
Andererseits - und auch das macht die Lektüre von "Nichtschwimmer" so dräuend klar - ist es das Paar selbst, das nicht die Kraft zum Aufhören findet, nachdem der Prozess einmal in Gang gekommen ist. Jeder Nichterfolg ist Anreiz weiterzumachen. Für ihn bei der Abgabe immer neuer Samenproben, geschöpft im mit Pornos ausgestatteten Zimmer der klinisch hellen, von freundlichem Reproduktionsmedizinern geführten sogenannten Kinderwunschpraxis. Für sie beim beständigen Sich-Spritzen von Hormonen heimlich im Klo. Felix will den Überblick über das Verfahren gar nicht erst gewinnen, für das Sonja die Regie übernimmt - erst für die Insemination, dann, als diese fehlschlägt, für die Reagenzglasbefruchtung mit der Entnahme der Eizelle aus Sonjas Unterleib und dem "Transfer" in diesen zwei Tage später, jeweils unter Vollnarkose. Felix erstellt Listen - Listen mit Namen, wen er wann im Verwandten- und Bekanntenkreis über seine Hodenschwäche informieren will; Listen, welche der möglichen Ursachen für sein schlechtes Spermiogramm in Frage kommen: vom Handy in der Hosentasche übers Rauchen seines Vaters bis zu den Weichmachern der Plastikflaschen.
So zieht es die beiden in den Schlamassel hinein, bis die Hoffnung, doch noch schwanger zu werden, überlebenswichtig wird. Die Krankenkasse zahlt, da das Paar mittlerweile verheiratet ist, die Kosten - Tausende Euros - zur Hälfte. Schlafen tut man in diesen reproduktiven Zeiten naturgemäß schon lange nicht mehr miteinander. Jeder hat genug mit sich selbst zu tun, Felix mit seiner verletzten Männlichkeit, zu deren evolutionärer Trivialausgabe er steht: "Bislang hatte ich mit der Vorstellung gelebt, dass Männer, wenn sie alt werden, nicht nur sehr junge Frauen erobern können, sondern diese, wenn sie wollen, auch nach Belieben schwängern." Seitdem er weiß, dass aus dem erigierten Glied (also keine Impotenz stricte sensu) nur "heiße Luft" entweicht, ist es mit dieser energetischen Vorstellung vorbei.
Inmitten des Strudels ein leises Wort: "Sei einfach wieder so, wie du warst, bevor wir Kinder haben wollten. Bitte." Das sagt Sonja zu ihrem Mann, als sie es nicht mehr aushält. Aber es ist zu spät. Längst hat der immer wieder enttäuschte Kinderwunsch, an den man sich nun mit umso größerer Heftigkeit klammert, die Beziehung erodieren lassen. Alles Leichte ist ihr durch die technologischen Zielvorgaben abhandengekommen. Das Denken kreist um den durch die Hormonbehandlung aufgeschwemmten Körper, das Zusammenleben - bis dahin eine Wonne der Gewöhnlichkeit, wie sehr freute man sich an der bloßen Gegenwart des anderen in der gemeinsamen Wohnung! - wird zur erstickenden Last, zu einem apathischen Nebeneinander. Man erkennt sich selbst nicht wieder.
Er hält es in ihrer Nähe nur noch mit Mühe aus, kann ihr stimmungsmäßiges Dauertief und seine eigenen Schuldgefühle nicht mehr ertragen. Sie empfindet seine Lethargie wie einen physischen Angriff. Um zu begreifen, was es für den Dreiunddreißigjährigen bedeutet, zum ersten Mal in seinem vier Jahre währenden Arbeitsleben keine Lust mehr zu verspüren, früh nach Hause zu gehen, muss man für einen Moment ins wunderbar schlicht geschilderte Paradies der Vor-Kinderwunsch-Zeit eintauchen: "Besonders gerne war ich in den Vor-Kinderwunsch-Tagen früh daheim, wenn ich nichts weiter vorhatte. Ich wusste, dass dort Sonja auf mich wartete. Ich gab ihr einen Kuss, dann begrüßte ich stumm unsere Wohnung und machte es mir bequem. Ich saß gerne in dem neugepolsterten Ohrensessel von meiner Großmutter, las Zeitung oder telefonierte oder ging nochmals ins Internet, auf der Suche nach Fahrrädern. Das war nicht aufregend. Die Schönheit dieser Stunden bestand darin, dass sie nicht aufregend waren. Ohne Sonja um mich herum wäre mir vielleicht langweilig geworden. So aber konnte ich mit der größten Seelenruhe dasitzen, nichts tun oder fast nichts, und mich darüber freuen, dass wir nicht jeden Abend ins Theater oder Kino gehen mussten, um zusammen etwas zu erleben. Nie wäre Sonja auf die Idee gekommen, mir wie die Ehefrau aus dem Loriot-Film zuzurufen: ,Tu doch mal was!' Deshalb hatte ich auch keinen Grund, mir vorzunehmen, was der Mann im Loriot-Film sich am Ende zu tun vornimmt: ,Ich bringe sie um'." Kurz: Ich hatte alles, was ich zum Leben brauchte." Man glaubt es dem Autor sofort. Er hat wie nebenbei das Bild einer Liebe skizziert, die sich selbst zu zerstören droht, als sie anfängt, zu viel zu wollen.
Einen Tag nach der Eiverpflanzung "hatte Sonja einen Termin bei René, unserem Nachbarn, der Masseur ist. Er massierte ihr Becken, wie es hieß, ,empfängnisbereit'. Was er genau tat, wollte ich lieber nicht wissen." Dann der Erfolg: "Sie sind schwanger", erklärt die Ärztin. "Das Herzchen schlägt. Alles tipptopp. Herzlichen Glückwunsch." Das ist die Stelle im Buch, wo der Kinderwunsch, dieses zum Dämon gewordene Begriffsungetüm, seine Gewalt verliert. Das Leben kann nun langsam, ganz langsam wieder Gestalt gewinnen - selig wie damals vor der unseligen Kinderwunsch-Zeit, nur jetzt in der Kinderstube.
"Nichtschwimmer" ist ein gleichermaßen intimes wie hochpolitisches Buch über die Grenzen der reproduktiven Autonomie. So muss man es lesen - bevor man den Gang in die Kinderwunschpraxis antritt, der das Leben aus der Bahn werfen kann.
CHRISTIAN GEYER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main