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Nicolaus Sombart (1923-2008), der in Berlin einen berühmten Salon unterhielt, war eine Reizfigur der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Als Soziologe deutete er die deutsche Sozial- und Kulturgeschichte als eine "chronique scandaleuse" der Geschlechterverhältnisse. Als Literat verstand er sich als einen Chronisten der "großen Welt", als einen der wenigen seiner Profession, der Zugang zu ihren Umgangs- und Verhaltensformen und erotischen Geheimnissen besaß. Der Anhänger des Utopisten Saint-Simon betrachtete sein Leben als ein unausgesetztes Experiment. Sein Bestreben war die…mehr

Produktbeschreibung
Nicolaus Sombart (1923-2008), der in Berlin einen berühmten Salon unterhielt, war eine Reizfigur der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Als Soziologe deutete er die deutsche Sozial- und Kulturgeschichte als eine "chronique scandaleuse" der Geschlechterverhältnisse. Als Literat verstand er sich als einen Chronisten der "großen Welt", als einen der wenigen seiner Profession, der Zugang zu ihren Umgangs- und Verhaltensformen und erotischen Geheimnissen besaß. Der Anhänger des Utopisten Saint-Simon betrachtete sein Leben als ein unausgesetztes Experiment. Sein Bestreben war die Selbststilisierung der Person durch eine Verbindung von großbürgerlichem Habitus, dandyhafter Exzentrik und exhibitionistischer Geste, ein Unterfangen, das seine Wirkung in der heutigen medial geprägten Welt nicht verfehlte. Mit seiner facettenreichen Biographie dieser schillernden Figur der Berliner Society fügt der Kultursoziologe Günter Erbe seinen Untersuchungen der mondänen Welt ein weiteres erhellendesKapitel hinzu. Er stützt sich dabei auf den umfangreichen Nachlass Nicolaus Sombarts.
Autorenporträt
Günter Erbe ist Soziologe, Historiker, Professor em. für Politische Wissenschaften an der Universität Zielona Góra, Polen und als freier Wissenschaftler und Buchautor tätig.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der hier rezensierende Kulturwissenschaftler Thomas Macho liest Günter Erbes Biografie des Berliner Salonintellektuellen Nicolaus Sombart mit sehr gemischten Gefühlen. Erbe stelle durchaus all das klar, was Sombart in seinen eigenen Memorien verschwiegen habe, betont Mach, etwa die Nähe des Vaters, des Soziologen Werner Sombart, zu den Nazis, und die Verehrung der Mutter für Mussolini. Dennoch wird Macho mit Nicolaus Sombart nicht warm, der bis in die neunziger Jahre in West-Berliner Intellektuellenkreisen kultisch verehrt wurde. Macho ist Sombarts Habitus und Denken unangenehm, seine "Gesten der Verachtung" gegenüber Adorno, Taubes, Sartre oder Celan, seine Geringschätzung von Frauen, der ausgestellte Libertinismus, das reaktionäre Denken. Dass Erbe auf Distanz bleibt, bemerkt Macho gleichwohl.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2023

Nach den Dienstboten
Aber vor der Zukunft des Mannes: Nicolaus Sombart in Neuausgaben und einer Biographie

Pünktlich zum heutigen hundertsten Geburtstag von Nicolaus Sombart liegen eine sorgfältig recherchierte Biographie und schöne Neuausgaben der ersten drei Bände seiner Memoiren vor: "Jugend in Berlin", "Heidelberger Reminiszenzen" und "Pariser Lehrjahre" (Elfenbein Verlag, herausgegeben von Carolin Fischer und mit Vorworten von Tilman Krause, Claudia Schmölders und Reinhard Blomert). Günter Erbe folgt in seiner Biographie den Erinnerungen Sombarts, aber auch anderen Quellen, von der unveröffentlichten Dissertation bis zu Briefen und Dokumenten aus der langen Tätigkeit Sombarts im Europarat. Im Mittelpunkt steht freilich der Habitus Sombarts, den der Untertitel als Utopist, Libertin, Dandy charakterisiert.

Geprägt wurde dieser Habitus von Kindheit und Jugend in der Villa im Berliner Grunewald, von den bewunderten Eltern, der väterlichen Bibliothek und dem mütterlichen Salon. Auch das Dienstpersonal habe zur geschützten Atmosphäre beigetragen: "Selbstverständlich gehörten zu einem solchen Haus auch Dienstboten, eine Mamsell, das Zimmermädchen, ein Hausmeisterehepaar und eine französische Gouvernante", schreibt Sombart gleich auf den ersten Seiten von "Jugend in Berlin", und er setzt fort: "Wenn man mich fragte, welches der entscheidende Indikator für die Kulturschwelle ist, die wir übertreten haben, so würde ich nicht zögern zu sagen, dass es das Verschwinden der Dienstboten ist."

Die NS-Diktatur wird in Sombarts Schilderung seiner Jugend weitgehend ausgeklammert. Erwähnt wird, dass der Vater eine Totenmaske Ferdinand Lassalles wie eine Reliquie gehütet habe, nicht aber die Wendung des Soziologen und Ökonomen, der den Begriff des Kapitalismus geprägt hat, zum nationalkonservativen Lager; weitgehend verschwiegen werden auch Werner Sombarts über "Die Juden und das Wirtschaftsleben" (1911), "Händler und Helden" (1913) oder "Deutscher Sozialismus" (1934), mit einem Vorwort, das sich explizit zur "Hitlerregierung" bekennt.

Günter Erbe kommentiert - ausführlicher als Nicolaus Sombart selbst - diese Verstrickungen. Er hält nicht nur fest, dass Werner und Corina Sombart "leidenschaftliche Anhänger Mussolinis" waren, sondern auch, dass Werner Sombart mit dem Buch zum deutschen Sozialismus den "vergeblichen Versuch" unternommen habe, "sich der NSDAP als Theoretiker anzuempfehlen". Darin ähnelte er dem Staatsrechtler Carl Schmitt, der im Haus und Salon Sombarts verkehrte und als wichtiger Mentor des Sohns fungierte. Mit den Werken Schmitts hat sich Nicolaus Sombart mehrfach auseinandergesetzt. Im Jahr 1991, sechs Jahre nach Schmitts Tod, publizierte er - wohl auch beeinflusst von Klaus Theweleits "Männerphantasien" (1977/78) - seine Studie über "Die deutschen Männer und ihre Feinde. Carl Schmitt, ein deutsches Schicksal zwischen Männerbund und Matriarchatsmythos".

Die Lektüre der Biographie und der Memoiren erzeugt ambivalente Empfindungen. Man hat es bei Sombart mit einer Persönlichkeit zu tun, deren Anziehungskraft irgendwie aus der Zeit gefallen scheint: ein Großbürger, ein Bildungsbürger, stets in Berührung mit prominenten Intellektuellen, die zugleich oft genug mit Gesten der Verachtung erwähnt werden: Adorno, Jacob Taubes, Odo Marquard, aber auch Jean-Paul Sartre oder die aus Rumänien stammenden Autoren in Paris - Émile Cioran, Paul Celan oder Gregor von Rezzori -, denen Sombart, gerade als Sohn einer rumänischen Mutter, "Tricks" und "Lügengeschichten" vorwirft und sie mit Geigern vergleicht, die auf den Pariser Café-Terrassen "virtuos und exotisch ihre Heimatweisen fiedeln".

Faszination und Abwertung, mitunter im selben Atemzug, kennzeichnen auch Sombarts Darstellungen von Frauen: Auf der einen Seite werden sie als "Königinnen" gefeiert, deren Emanzipation - unter Bezug auf Charles Fourier und dessen Utopie einer "neuen Liebeswelt" - die "Zukunft des Mannes" bilde, auf der anderen Seite werden sie, etwa in den Schilderungen von Bordellbesuchen (im "Journal intime" der Rückkehr nach Berlin 1982/83 von 2003), häufig lieblos porträtiert.

Wenig erfahren wir aus den Memoiren Sombarts über seine langjährige Tätigkeit als Leiter der Kulturabteilung des Europarats in Straßburg. Die Entwürfe einer postkolonialen Kulturpolitik, etwa in einem Artikel für die "Frankfurter Hefte" aus dem Jahr 1963, kommentiert Günter Erbe so: "Der abendländischen Konzeption der 'Einen Welt' eines technisch unifizierten Planeten stehe der Anspruch auf die Bewahrung der kulturellen Eigenart gegenüber." Gehörte die Monarchie auch zu diesen "kulturellen Eigenarten"? Zwanzig Jahre später lässt Sombart zur Feier seines sechzigsten Geburtstags in Berlin zwei Schauspieler auftreten, die als Wilhelm II. und Fourier kostümiert sind; sieben Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer publiziert er schließlich eine Monographie über den letzten deutschen Kaiser, mit dem Untertitel "Sündenbock und Herr der Mitte". Sombart als "Utopist, Libertin, Dandy"? Gegen seine eigenen Charakterisierungen bemerkt Günter Erbe - Experte für die Geschichte des Dandyismus in der Moderne -, der Dandy sei eher dem asketischen Typus zuzurechnen.

Vielleicht sollte man Nicolaus Sombart als einen Berliner Salonièr würdigen und erinnern, auch wenn er selbst mehrfach betonte, dass die großen Salons, nicht zuletzt der Salon seiner Mutter, stets von Frauen geführt wurden. Doch an solche Widersprüche ist man nach Lektüre der Biographie und der Memoiren längst gewöhnt. THOMAS MACHO

Günter Erbe: "Nicolaus Sombart". Utopist, Libertin, Dandy.

Böhlau Verlag, Wien 2023. 319 S., Abb., geb., 45,- Euro.

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