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»Der Glücksfall eines schwebend leichten Romans von großer Tiefe.« Die Jury des Deutschen Buchpreises 2013
Markus Lee reist in die Normandie, um alte Brücken zu zeichnen, die bei der Landung der Alliierten im Sommer 1944 eine entscheidende Rolle spielten. Begleitet wird er von seinem Neffen Jesse, dessen bester Freund mit seiner Familie ein abgeschiedenes Strandhotel an der französischen Küste hütet. In der entrückten Atmosphäre des Hotels entwickelt sich der geplante Aufenthalt zu einer Lebenskrise und Auszeit, die nicht nur für Markus Lee zum Wendepunkt wird ... 'Nie mehr Nacht' ist eine…mehr

Produktbeschreibung
»Der Glücksfall eines schwebend leichten Romans von großer Tiefe.«
Die Jury des Deutschen Buchpreises 2013

Markus Lee reist in die Normandie, um alte Brücken zu zeichnen, die bei der Landung der Alliierten im Sommer 1944 eine entscheidende Rolle spielten. Begleitet wird er von seinem Neffen Jesse, dessen bester Freund mit seiner Familie ein abgeschiedenes Strandhotel an der französischen Küste hütet. In der entrückten Atmosphäre des Hotels entwickelt sich der geplante Aufenthalt zu einer Lebenskrise und Auszeit, die nicht nur für Markus Lee zum Wendepunkt wird ...
'Nie mehr Nacht' ist eine hinreißende Roadnovel, ein raffinierter Künstlerroman und die Geschichte einer Liebe, die den Leser auf den Spuren von Orpheus und Eurydike in die Unterwelt und wieder zurück ans Tageslicht führt.

Shortlist des Deutschen Buchpreises 2013
Autorenporträt
Bonné, MirkoMirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt in Hamburg. Neben Übersetzungen von u. a. Sherwood Anderson, Robert Creeley, E. E. Cummings, Emily Dickinson, John Keats und William Butler Yeats veröffentlichte er bislang fünf Romane und fünf Gedichtbände sowie Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde Mirko Bonné vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Ernst Willner-Preis (2002), dem Prix Relay du Roman d'Evasion (2008) und dem Marie Luise Kaschnitz-Preis (2010).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Florian Kessler eröffnet seine Rezension von Mirko Bonnés neuem Roman mit einem Geständnis: Nie zuvor habe er auch nur eine Seite des Autors gelesen, zu "penetrant wohltemperiert" klang ihm, was seine Kritikerkollegen über dessen Stil zu berichten wussten, zu einhellig war ihm der Applaus. Das war ein großer Fehler, meint er jetzt, "Nie mehr Nacht" hat ihn von seiner Skepsis kuriert. Bonné stupst einen zwar sehr sachte in die Geschichte, erklärt der Rezensent, er lullt einen ein, aber schließlich findet man sich mit dem eigentlich "grundverzweifelten Icherzähler" Markus Lee in einer existenziellen Notlage wieder, die man nicht hat kommen sehen, warnt Kessler. Lee verleugnet seine Trauer um die grade gestorbene Schwester, bis er sich in der Einsamkeit eines abrissbereiten Hotels in der Normandie selbst aufzulösen droht, fasst der Rezensent zusammen, der sich fortan als Fan versteht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2013

Vom Horizont der Erinnerung umschlossen
Mirko Bonnés neuer Roman "Nie mehr Nacht" nimmt das Motiv der Geschwisterliebe mit aller Konsequenz auf

Mirko Bonnés letzter Roman, "Wie wir verschwinden" (2009) spielte in Frankreich; der neue Roman "Nie mehr Nacht" hat zum wesentlichen Teil denselben Schauplatz. Und doch bleiben beide Bücher unverwechselbar. Im Roman von 2009 sind die mehrfachen Hinweise auf den "Mythos des Sisyphos" von Albert Camus ein wichtiges Indiz: Die Philosophie des Absurden wirft ihre Schlaglichter auf die Handlung. Eine absolute Verneinung der Welt schlägt um in die absolute Bejahung. Einen ähnlichen Entwurf finden wir im neuen Roman wieder. Aber Handlung und historische Hintergrundsituation liegen in beiden Romanen weit auseinander.

In "Nie mehr Nacht" sollen Kriegsereignisse im Sommer 1944, genauer die Landung alliierter Truppen und die Kämpfe in der Normandie, künstlerisch neu dokumentiert werden. Markus Lee, von dem schon Skizzen von Brücken in Hamburg, St. Petersburg, Rio de Janeiro und New York bekanntgeworden sind, wird von seinem Schulfreund Kevin beauftragt, für ein Großprojekt seines Magazins Skizzen von Brücken zu zeichnen, um die besonders erbittert gekämpft worden war. Mit dem Sohn seiner Schwester Ira, seinem Neffen Jesse, der vorerst noch ganz in Smartphone, Playstation und Computerspiele vernarrt ist, fährt er an die Atlantikküste. Sie nehmen Quartier im heruntergekommenen Hotel "L'Angleterre", das nur noch von der Familie des dänischen Vogelbeobachters Ove Juhl bewohnt und zugleich gewartet wird.

Ira, einst eine weltläufige Frau von ungewöhnlicher Bildung, hatte nach der Geburt ihres Sohnes, als dessen Vater sie einen nach England übersiedelten Israeli angab, zunehmend den Boden unter den Füßen verloren und war, vollgepumpt mit Medikamenten, allen Freunden und schließlich auch ihrer Familie "abhandengekommen". Sie stirbt, und der Verlust der Schwester bedrückt Markus so stark, dass er den Auftrag seines Freundes Kevin nur widerwillig annimmt und an der Atlantikküste in schwere Depressionen fällt. Rätselhaft für den Leser bleibt das Ausmaß seiner Selbstpreisgabe: Er lässt sein Studio in Hamburg vermieten, wirft seine persönlichen Dokumente in den Mülleimer, möchte "sich auflösen, verschwinden". Er scheint Iras Weg der Selbstauslöschung gehen zu wollen.

Bonnés Erzählstil vernetzt ständig die verschiedensten Zeit- und Geschehensebenen, so dass die konkrete Handlung von einem weiten Horizont der Erinnerungen umschlossen ist. Das führt manchmal auf Schauplätze, für die das Interesse des Lesers nachlässt, öffnet andererseits einen breiten kulturellen Resonanzraum, in dem Hinweise auf Sisleys Bilder von der Seine-Überschwemmung des Jahres 1876 und auf Bücher Prousts oder Hemingways wie selbstverständlich wirken. Markus' Lieblingsbuch ist Gottfried Kellers "Der grüne Heinrich", und nicht zufällig gab Bonné seinem Protagonisten den Nachnamen von Heinrich Lee. Lee, McCoy Lee, ist aber auch der Name des jungen Lastensegelfliegers der Royal Air Force, der im Sommer 1944 die Erstürmung der Pegasusbrücke in der Normandie miterlebte und dessen Buch Markus seinem Neffen zur Lektüre empfiehlt. Der Autor Bonné liebt offenbar den Reiz der spielerischen Verknüpfung.

Bei einer Fahrt nach Bayeux besucht Markus mit Jesse einen Laden für Computerspiele und entdeckt auf einer Bilderwand ein Foto, das zwei Frauen am Strand zeigt: Wange an Wange. Eine der Frauen sah aus wie Ira. Die Kassiererin glaubt, die Frau neben Ira zu kennen. Nun spannt der Erzähler den auf den Fortgang wartenden Leser ein wenig auf die Folter. Zunächst fährt Annik, die Sekretärin des Autohändlers und Hotelbesitzers namens Flaubert Markus zu einer Frau, die auf dem Foto neben Ira zu sehen war. Diese Frau aber erkennt neben sich nicht Ira, sondern eine in Cherbourg bei einer Fährgesellschaft arbeitende Frau. Auf ihre Fährte begibt sich Markus nun. Dieser Frau fällt im Roman eine Schlüsselrolle zu.

Lilith, auch kein anspielungsarmer Name, heißt diese Frau in Cherbourg. Aber zunächst muss noch von einer der bewegendsten Szenen diese Romans gesprochen werden. Die Sekretärin Annik fährt Markus zum deutschen Soldatenfriedhof von La Combe, auf dem ihr deutscher Großvater, der nur neunzehn Jahre alt wurde, begraben liegt. Die Platten der Hauptwege zwischen den Grasflächen bedecken die eigentlichen Gräber, so dass die Besucher über sie hinwegschreiten müssen. Die nüchterne Zahl von mehr als einundzwanzigtausend Begrabenen beschwört übergroß das Bild vom Schnitter Tod. Noch am Tage vor seinem Tod habe Manfred Kreher, so berichtet Annik, "taumelnd vor Freude" die Nachricht von der Geburt seiner Tochter empfangen.

Markus erhält einen Brief von Lilith, in dem sie sich als Elsässerin vorstellt und ihm gesteht, vieles über seine Suche nach der Gefährtin seiner Schwester erfahren zu haben. Die Abwrackung eines außer Dienst gestellten Fährschiffes, das zur Demontage von Cherbourg nach Bremerhaven überführt werde, stehe bevor; sie gehöre zum Begleitpersonal. Sie weiß vom Verkauf seines alten Mercedes an den Autohändler und macht ihm den Vorschlag, mit nach Deutschland zu fahren. Markus stimmt zu und findet sich in Cherbourg ein. Die Überfahrt nach Bremerhaven, mit einem Minimum an Besatzung, wird für ihn zu einer Rückkehr ins fast schon weggeworfene Leben. Lilith ist nicht Ira, aber sie ist ihr ähnlich, sie kann die geliebte Schwester ersetzen. Als das Schiff zum Abwracken in Bremerhaven übergeben wird, sind die Lebensgeister von Markus wieder erwacht: Lilith und er sind Liebende geworden.

Nach dem Muster des analytischen Dramas wie des Spannungsromans setzt Mirko Bonné die Auflösung an den Schluss, aber was schließlich alles enthüllt wird, sei hier im Einzelnen nicht verraten. Bonné hat den Mut, das alte literarische Motiv des Inzests, genauer der Geschwisterliebe, mit aller Konsequenz aufzunehmen. Obwohl keine absolute Gewissheit besteht, dass Markus wirklich Jesses Vater ist, wird die früh beginnende inzestuöse Beziehung nicht verschwiegen. "Nie mehr Nacht" ist der geglückte Versuch, ein wahrlich traditionsbeschwertes Motiv in die Gegenwart zu versetzen, und zwar in der Gestalt Iras mit all seiner tragischen Unerbittlichkeit. Mirko Bonné ist mit seinem neuen Roman ein Wagnis eingegangen, wie es zur Zeit nur wenige unserer Romanautoren auf sich nehmen.

WALTER HINCK

Mirko Bonné: "Nie mehr Nacht". Roman.

Schöffling Verlag, Frankfurt am Main 2013. 259 S., geb. 19,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2013

Die graue Frau und der Sonnenvogel
Mit seinem Roman „Nie mehr Nacht“ hat es Mirko Bonné auf die Shortlist zum
Deutschen Buchpreis geschafft – sein Held reist durch Katastrophenlandschaften auf ein Happy End zu
VON ULRICH BARON
Es gab nichts, was nachts anders war als am Tag. Allem fehlte nur die Farbe, sagten wir uns“, heißt es am Anfang im Zwiegespräch des Geschwisterpaars Ira und Markus Lee. Die beiden sind einander sehr nahe gewesen, zu nahe, wie angedeutet wird. Ira hat Fluchtversuche unternommen, in fremde Länder, in fremde Sprachen, hat ihre Depression mit Medikamenten bekämpft. Manchmal habe sie eine mausgraue Frau gesehen, die vor dem Haus auf und ab gegangen sei: „,Das Eigenleben verliert sich‘, sagte sie. ,Ich bin die Frau‘.“ Am Ende ist sie verloren gegangen – bei laufendem Motor in der Garage ihres Hauses, und nach Iras Selbstmord erscheint auch das Leben des Ich-Erzählers als langsamer Sturz in die Depression.
  So wie sich in Mirko Bonnés Roman „Wie wir verschwinden“ (2009) jener Wagen, in dem Albert Camus tödlich verunglückt, schon vor dem fatalen Aufprall in Fragmente aufzulösen scheint, hinterlässt nun in „Nie mehr Nacht“, der auf der Shortlist zum Deutschen Buchpreis steht, auch Markus Lee eine Spur von Dingen, die unmittelbar zuvor noch feste Bestandteile seines Lebens waren. Während er mit Iras 15-jährigem Sohn Jesse in die Normandie fährt, wo er für ein Kunstmagazin Brücken zeichnen soll, die bei der Invasion von 1944 heftig umkämpft waren, beginnt Lee mit dem großen Kehraus, lässt Zeltausrüstung und Bücher, Zeichengerät und selbst lieb gewordene Souvenirs zurück.
  Man kann „Nie mehr Nacht“, dessen Anspielungen vom antiken Orpheus-Mythos bis zum bürgerlichen Realismus, von der Romantik über den Impressionismus bis zum Grunge reichen, aber auch als „rasante Roadnovel“ lesen, wie es der Klappentext forsch suggeriert: als Geschichte eines trauernden Mannes, der mit einem enervierenden Teenager eine nette dänische Familie in einem tollen normannischen Küstenhotel besucht, sich ein wenig in die attraktive Mutter, deren reizenden kleine Tochter und einen täppischen Riesenschnauzer verliebt, seine Arbeit vernachlässigt, aber ein paar charmante Französinnen kennenlernt, von denen eine wie ein Ebenbild seiner toten Schwester aussieht. So gekonnt, wie Mirko Bonné es versteht, die rasantesten Szenen in Zeitlupe ablaufen zu lassen, so leichthändig jongliert er auch mit den möglichen Lesarten.
  Während Markus Lee über die Autobahn zwischen Hamburg und Bremen rast, denkt er an den Maler Philipp Otto Runge, „wie er von Elbe zu Weser wanderte und die Weite der Landschaft vielleicht mit der Weite in Pommern verglich, um für ein Gemälde über die Pracht der Schöpfung eine ganz eigene Weite erfinden zu können“. Er stellt sich Runge als einen Mann vor, der „angesichts dieser lärmerfüllten, grauen, das freie Land zerschneidenden Schneise“ wohl in Tränen ausgebrochen wäre.
  Für den Romantiker wäre diese Schneise, die doch transitorischen Zwecken dient, so unüberwindlich gewesen, wie es die normannischen Brücken für die zahllosen Soldaten waren, die beim Versuch, sie einzunehmen, fielen. Was als moderner Reiseroman anhebt, führt so bald ins Zentrum der Melancholie. Aber während Lee sich den weinenden Runge vorstellt, ist er schon an ihm vorbeigejagt. Man kann aus dieser Passage auf ein reflexives Nebengleis abschweifen oder sie bloß als retardierendes Moment empfinden, das die Geschwindigkeit der Reise anschaulich macht.
  Das simple, rasante Leben der Gegenwart konterkariert die Pracht und die Ehrwürdigkeit nicht nur der romantischen Kunstschöpfung. Jenseitsbilder wachsen aus Alltagssituationen hervor und werden dabei ironisiert. So versucht Lee vergeblich, Jesse daran zu hindern, seine Nirvana-CD aufzulegen. Während er als moderner Orpheus nicht mit der Lyra, sondern mit dem Rapidografen ins Schattenreich reist, dröhnen ihm Nirvana die Ohren voll und setzen mit ihrem CD-Titel der Ironie die Krone auf. Der lautet „Nevermind“, also: macht nichts. „Der Stumpfsinn hüllte mich ein“, kommentiert der Ich-Erzähler, und darauf läuft „Nie mehr Nacht“ hinaus – auf den Gegensatz zwischen dem Tiefsinn des Melancholikers und dem simplen Leben, das erst im Rückblick als glücklich und bedeutsam erscheint.
  Nicht zufällig erinnern das Hotel L’Angleterre und die Spuren der Zerstörungen von 1944, auf die Lee an seinem Zielort stoßen wird, an Schauplätze des von Bonné geschätzten Autors W. G. Sebald. Am anderen Ufer des Ärmelkanals führt „Nie mehr Nacht“ durch Katastrophenlandschaften, deren geografisches Pendant Sebald auf seiner „englischen Wallfahrt“ in „Die Ringe des Saturn“ beschrieben hat, doch Bonnés Erzählung entfaltet eine Dynamik, die es als möglich erscheinen lässt, aus dem Schwerefeld des Hundssterns zu entkommen.
  Wie mit jener grauen Frau hatte Ira sich auch mit einem grauen Zugvogel verglichen, und graue Zugvögel, tanzende Kraniche, werden Markus Lee von der kleinen Catinka Juhl vorgeführt. Im alten Ägypten galt der Graue Kranich (Grus grus) als Sonnenvogel, im antiken Griechenland war er dem Sonnengott Apollon zugeordnet. Stand sein Grau im Roman anfangs für die Nacht, so scheint es nun die Dämmerung eines neuen Tages zu verheißen.
  „Allen Ernstes hatte ich mir vorgenommen, das Vergangene gegenwärtig und das Tote lebendig werden zu lassen“, sinniert der Erzähler über seine Hybris nicht nur als Zeichner. Doch am Ende muss er die tote Ira sterben lassen, um ihrem lebendigen Ebenbild näherzukommen. Woher aber solch „unfassbarer Zufall“, woher all das weibliche Wohlwollen kommt, dem die Nachtschatten am Ende weichen müssen, wird nicht so recht klar. Besonders im dritten Teil hat der Zufall sehr viel zu tun, bis dann zwar nicht die verlorene Ira, aber doch ihr strahlendes Ebenbild die Schlussszene erleuchtet.
  Bonné hat seinen Protagonisten, wie Gottfried Keller seinen Heinrich Lee in der Endfassung des hier viel zitierten Romans „Der Grüne Heinrich“, zu einem Ich-Erzähler gemacht, der den Ereignissen zeitlich nahesteht. Aus der Außenperspektive oder aus einem weiteren Abstand heraus wäre die Vielschichtigkeit dieses Romans möglicherweise leichter zur Geltung gekommen. So aber scheint er bisweilen recht eingleisig auf ein Happy End zuzulaufen, bei dem die Familie Lee dank Iras Doppelgängerin wieder komplett ist und Tolstois Feststellung bestätigt, dass alle glücklichen Familien einander gleichen.
  So gesehen wäre das Ende beschämend banal angesichts jener langen Nacht, auf die es folgt. Doch so wie Mirko Bonné zuvor Zeichnung und Malerei, Romantik und Realismus als Mittel der Welterfassung durchgespielt hat, gestaltet er nun den Schluss als Collage kleinster, fast pointilistisch zusammengefügter Familienszenen in der Hamburger Kunsthalle. Dort fügt sie sich einer Impressionisten-Ausstellung kongenial ein. Am Ende löst sich die Geschichte so nicht in Wohlgefallen auf, sondern in der Betrachtung eines Bildes Alfred Sisleys von der Überschwemmung in Port-Marly. Was mit den Strichen eines Zeichners begann, der von den Farben des Tages Abschied nimmt, endet mit einem impressionistischen Bild, dessen erdige Töne sich im allgegenwärtigen Wasser spiegeln: „Weil so vieles versunken war, schien alles andere ans Licht gebracht und voller Wunder.“ Was dieses Wasser in seinen Tiefen birgt, bleibt verborgen, weil sich das Licht an der Oberfläche bricht. Anfangs herrscht scheinbar endlose Trauer, am Ende ein Augenblick des Glücks – und reflexiv vielfach gebrochen kommen darin Tiefe und Oberfläche zusammen.
Markus Lee fährt in die
Normandie, um dort die 1944
umkämpften Brücken zu zeichnen
Eines der sechs Bilder, die der Impressionist Alfred Sisley von der Überschwemmung in Port-Marly gemalt hat.
FOTO: OH
Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt in Hamburg. Neben Übersetzungen veröffentlichte er bislang vier Romane und fünf Gedichtbände sowie Aufsätze und Reisejournale. Für sein Werk wurde Mirko Bonné vielfach ausgezeichnet. FOTO: DPA
  
  
  
  
    
Mirko Bonné: Nie mehr Nacht. Schöffling & Co. Verlag, Frankfurt am Main 2013. 360 Seiten,
19,95 Euro, E-Book 15,99
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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»Nie mehr Nacht ist der Glücksfall eines schwebend leichten Romans von großer Tiefe.« Jury-Begründung zur Nominierung zum Deutschen Buchpreis 2013 (Shortlist)»Der Autor erweist sich als behutsamer, leiser Entdecker von verdrängter Schuld und vergessenen Opfern.« Ursula März / Deutschlandradio Kultur»Bonné ist mit seinem neuen Roman ein Wagnis eingegangen, wie es zur Zeit nur wenige unserer Romanautoren auf sich nehmen.« Walter Hinck / Frankfurter Allgemeine Zeitung»Geschickt vernetzt Bonné verschiedene Zeit-, Wirklichkeits- und Identitätsebenen zu einem spannungsreichen analytischen Drama. Ein gelungenes literarisches Wagnis!« Renée Zucker / rbb Quergelesen»Eine große Stärke des Romans liegt in den mit Bedacht gewählten und poetisch geschilderten Schauplätzen, an denen der Held seine Einsamkeit leben kann.« Ulrike Sarkány / NDR Kultur»Dieser Autor repräsentiert mitsamt seinen Arbeiten eine Literatur, von der man mehr haben möchte. Denn dieser Mirko Bonné ist ein geborener Erzähler.« Peter Henning / WDR 3 Gutenbergs Welt»Selten in letzter Zeit gab es ein derart ernsthaft konzentriertes Buch, selten eines, das den Leser so entschlossen mitnimmt in die Mitte seines Geheimnisses.« Jochen Jung / Der Tagesspiegel»Ein ganz großartiger Schriftsteller, der Assoziationsräume öffnet, die weit in die Literaturgeschichte hereinragen.«Maike Albath / Deutschlandfunk Büchermarkt