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"Nie mehr schlafen" ist ein großes Buch über menschliche Eitelkeit: Auf einer Expedition in Norwegen werden dem ehrgeizigen Geologen Alfred Issendorf die Grenzen menschlichen Tuns aufgezeigt. In einem verzweifelten Akt der Selbstüberschätzung beschwört er eine Katastrophe herauf.

Produktbeschreibung
"Nie mehr schlafen" ist ein großes Buch über menschliche Eitelkeit: Auf einer Expedition in Norwegen werden dem ehrgeizigen Geologen Alfred Issendorf die Grenzen menschlichen Tuns aufgezeigt. In einem verzweifelten Akt der Selbstüberschätzung beschwört er eine Katastrophe herauf.
Autorenporträt
Willem Frederik Hermans, geboren 1921 in Amsterdam, Studium der Physischen Geographie, Promotion auf diesem Gebiet und Lehre bis 1973 als ordentlicher Professor an der Universität Groningen. Während des Zweiten Weltkriegs begann Hermans zu schreiben, Veröffentlichung neben Romanen auch Gedichte, Dramen, Erzählungen und Essays. Zahlreiche Literaturpreise, die er jedoch zumeist ablehnte. Seine Werke sind in den Niederlanden Schullektüre. Der Autor verstarb 1995 in Utrecht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2002

Manschetten aus Meteorit
Willem Frederik Hermans' Höllenfahrt / Von Wolfgang Schneider

Hier ist der größte Schriftsteller der Niederlande", soll Willem Frederik Hermans ausgerufen haben, als er, jung und unbekannt, das Büro eines - und erst viel später seines - Verlegers betrat. Das klingt unbescheiden, aber man mochte dem selbstbewußten Mann nur zustimmen, als vor einem Jahr die "Dunkelkammer des Damokles" erstmals in deutscher Übersetzung erschien. Mit dem an Kafka und Céline geschulten Roman, der die schwarze Romantik des neunzehnten und die kaltherzige, lakonische Thriller-Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts grandios verbindet, gelang Hermans schon 1958 der Durchbruch in die Meisterklasse, wenn auch unbemerkt von deutschen Lesern. Während viele berühmte Werke jenes Jahrzehnts in literaturhistorische Ferne gerückt sind, liest sich das Buch des holländischen Existentialisten heute noch so phänomenal wie damals.

Jetzt folgt, wiederum in der vorzüglichen Übersetzung von Waltraud Hüsmert, die pessimistische Romankomödie "Nie mehr schlafen" von 1966, die Geschichte einer gründlich mißglückten Expedition, ein Text von präziser realistischer Konkretion, der zugleich als philosophische Parabel zu lesen ist, als "Endspiel" am Nordkap. Der junge holländische Geologe Alfred Issendorf möchte eine triumphale Dissertation vorlegen und die Theorie seines Doktorvaters beweisen, nach der gewisse Geländeformen der Finnmark aus Meteoriteneinschlägen resultieren. Hinter solchem Ehrgeiz ist ein Familientrauma wirksam: Als Alfred sieben Jahre alt war, verunglückte sein Vater, ein Biologe, tödlich in einer Schlucht; ein paar Tage nach dem Forschungsunfall wurde noch die Ernennung zum Professor zugestellt. Alfred, früh auf Ruhm und Ehre verpflichtet, soll das Mißgeschick gewissermaßen "rächen", als wäre es eine narzißtische Kränkung der Familie gewesen.

Seine Expedition ist jedoch von Anfang an mit Vorzeichen des Scheiterns markiert. In Oslo muß er noch bei Professor Nummedal vorsprechen, einer ebenso weltberühmten wie uralten Kapazität der Geologie, bewaffnet mit einer "Lupe von der Größe einer Bratpfanne", stets hämische Scherze und entmutigende Weisheiten auf den Lippen. Anstatt dem Doktoranden die versprochenen Luftaufnahmen auszuhändigen, ohne die sein Vorhaben kaum gelingen kann, gibt er ihm mit hartnäckiger Freundlichkeit eine Einführung in Oslo und Umgebung und spottet vor allem über die Niederlande: keine Gletscher, keine Gebirge, ein "Ländchen aus Schlamm und Lehm". Wo solle denn da die Vertrautheit mit den großen Fragen der Geologie herkommen?

Hermans war selber Dozent der Geologie, bis er 1973 die Universität Groningen wegen Intrigen verließ und nach Paris ins "Exil" ging. Seine eigenen Expeditionserfahrungen kommen dem Roman zugute, wenn die Torturen eines endlosen Marsches in feindseliger Landschaft beschrieben werden. Mit dem norwegischen Freund Arne stolpert und stürzt Alfred über die öde Hochebene, durch Schnee, Morast und Gesteinsfelder, bei drei Grad über Null stets bis auf die Haut durchnäßt vom Dauerregen oder von gescheiterten Versuchen, Gewässer halbwegs trocken zu überqueren. Eine Höllenfolter sind die Schwärme von Mücken und Stechfliegen: "Die Mücken setzen sich auf mein Gesicht, in die Augen. Mein keuchender Mund saugt sie ein, ich spüre sie auf der Zunge, am Zäpfchen." Und immer den Rucksack mit Gesteinsproben dabei, für den Alfred einen heroischen Vergleich findet, der zugleich seinen Familienauftrag grotesk zum Ausdruck bringt: "Äneas ging mit seinem Vater auf dem Rücken von Troja bis nach Rom."

Dann wieder gibt sich Alfred, im Delirium der Erschöpfung, Phantasmen des Erfolges hin: Wenn er nur die Luftaufnahmen hätte, ein Blick würde genügen, um Meteoriteneinschläge zu entdecken. Als sich zeigt, daß einer der norwegischen Begleiter, den er schon länger als Rivalen empfunden hat, über die Aufnahmen verfügt, ist Alfreds Panik groß: "Mir kommt der Gedanke, daß ich das Opfer einer abscheulichen Verschwörung bin." Opfer der Rache Nummedals, der nie vergessen hat, daß ihm Alfreds Doktorvater einst zu widersprechen wagte. So weicht die anfängliche Grandiosität in einer Umgebung ohne menschliches Maß schließlich dem Bewußtsein völliger Nichtigkeit. Der Irrlauf endet in einer Tragödie. Nicht mit der großen Entdeckung, sondern mit einer Todesnachricht kehrt Alfred zurück.

Hermans' erzählerische Kameratechnik arbeitet mit Naheinstellungen, die den Leser die Orientierungslosigkeit im unwirtlichen Gelände nachfühlen lassen. Die Ich-Perspektive und das streng durchgehaltene Präsens schaffen ein protokollierendes Bewußtsein, das den Plagen der Expedition immer akut ausgesetzt ist, ohne die mildernden Umstände des Imperfekts, das Strapazen zu Anekdoten werden läßt. Auch wenn mit sicherer Dramaturgie immer wieder Dialogpassagen eingeschaltet werden - im Grunde ist "Nie mehr schlafen" ein zutiefst monologisches Buch.

Schon die Menschen der Megalithkultur, sinniert Alfred einmal, haben sich über Generationen abgerackert, um ohne Flaschenzüge und Räder fünftausend Kilo schwere Steine zusammenzutragen, im Bewußtsein, daß die Menschheit eine Aufgabe hat - die Errichtung eines Hünengrabs. Alfred möchte zumindest ein unbekanntes Mineral finden, das nach ihm als "Issendorfit" benannt würde. Zugleich quält ihn der Gedanke an die Vergänglichkeit allen Ruhms. Ein "Haß auf Lehrbücher" überkommt ihn von Zeit zu Zeit. Dort werden im selbstverständlichsten Ton Erkenntnisse ausgebreitet, aber nirgendwo ist von der Mühe und Verzweiflung die Rede, die den klugen Einsichten vorausgegangen sind.

Dennoch bieten die Naturwissenschaften die einzige Gewißheit. Zum Flötespielen ist ein Luftstrom von hundertzwanzig Stundenkilometern nötig. "Das ist Orkangeschwindigkeit", weiß Alfred, der einmal Flötist werden wollte, bevor er sich für die Geologie entschied. Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen. Aber was ist mit solchen Klarheiten gewonnen? "Wir fühlen, daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind", schreibt Wittgenstein am Ende des "Tractatus", den Hermans ins Niederländische übersetzt hat. Für die unmöglichen Fragen ist die Mythenbildung zuständig - womit Hermans keine erhabenen Epen, sondern die individuellen, um die Lebensprobleme herum entworfenen Weltbilder des einzelnen meint, jene privaten Fiktionen und Sinngebungsversuche, die nur schwer vermittelbar sind: jeder Mensch in seiner eigenen Dunkelkammer. Schon im Alltag führt das zu Kollisionen. Eingekapselt in ihre "Mythen", reden alle munter aneinander vorbei, oft ohne es zu merken.

"Nie mehr schlafen" ist ein großes Buch über die Vergeblichkeit, ein philosophischer Roman ohne die Schwächen, die dieser Mischform oft anhaften: das belletristisch entschärfte Räsonieren, den räsonierend entschärften Stil. Hermans schreibt plastisch und schnörkellos, suggestiv und poetisch. Große Muster schimmern durch: Alfred ist ein Don Quijote der Geologie, seine Irrwanderung durch eine mondartige, jenseitige Welt mag an Dantes Höllenfahrt erinnern. Doch die Schrecken und Strapazen haben immer wieder ihre höchst lachhafte Seite. Wissenschaftlich resigniert, wird Alfred auf dem Rückweg noch Zeuge einer Lichterscheinung, über die er einige Tage später wie zum Hohn in der Zeitung lesen kann: "Experten halten es nicht für ausgeschlossen, daß dort ein Meteorit eingeschlagen ist." Und damit nicht genug. Auf der letzten Seite bekommt der Forscher von seiner stolzen Mutter ein Paar Manschettenknöpfe geschenkt, verziert mit den Hälften eines Steins, dessen Gewicht keinen Zweifel läßt: "Hier sitze ich, in jeder Hand einen Manschettenknopf, an jedem Manschettenknopf einen halben Meteoriten." Wenn das kein schöner Schlußsatz ist.

Willem Frederik Hermans: "Nie mehr schlafen". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Waltraud Hüsmert. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2002. 319 S., geb., 20,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.12.2002

Gelb wie Messing die Sonne
Expedition in die Sinnlosigkeit: Der Roman „Nie mehr schlafen” von Willem Frederik Hermans
Der legendäre Buchmessenschwerpunkt Niederlande/Belgien im Jahre 1993 hat Autoren wie Cees Nooteboom oder Harry Mulisch, die auch zuvor schon ins Deutsche übersetzt waren, hierzulande den entscheidenden Aufmerksamkeitsschub beschert. Einer der wichtigsten Protagonisten der niederländischen Nachkriegsliteratur aber konnte damals von der neuen Aufmerksamkeit nicht profitieren: Willem Frederik Hermans, 1921 geboren in Amsterdam, 1995 gestorben in Utrecht. Zwar waren einige seine Bücher seit den sechziger Jahren übersetzt worden, aber erst vor einem Jahr erschien bei uns der Roman, der für die Nooteboom wie Mulisch als eines der Hauptwerke der niederländischen Nachkriegsliteratur gilt: „Die Dunkelkammer des Damokles” (1958).
Die ebenso überraschten wie respektvollen Reaktionen bestätigten nicht nur Nootebooms Einschätzung, die niederländische Literatur des 20. Jahrhunderts sei ohne Hermans undenkbar. Sie betonten auch den europäischen Rang dieses labyrinthischen Romans. Hermans selbst hat sich durchaus nicht als „einheimisch” empfunden, im Gegenteil: 1973 ging er sogar ins Pariser „Exil”. In dem nun in einer Neuübersetzung erschienenen Roman „Nie mehr schlafen” aus dem Jahre 1966 legt er einer der Figuren Sätze in den Mund, die seine Skepsis gegenüber aller niederländischen Selbstzufriedenheit demonstrieren: „Wenn sich ein ganzes Volk jahrelang darauf spezialisiert, auf einem Stück Land zu leben, das eigentlich den Fischen gehört (...), dann muss so ein Volk auf die Dauer einer besonderen Philosophie anhängen, die nichts Menschliches mehr hat! Eine Philosophie, die ausschließlich auf Selbsterhaltung basiert. Eine Weltanschaung, die nur auf eines zielt: sich über Wasser zu halten! Wie kann eine solche Philosophie Allgemeingültigkeit haben? Wo bleiben da die großen Fragen?”
Geologe in verworfener Erde
Das konsensorientierte „Poldermodell”, das Hermans hier attackiert, ist erst vor ein paar Monaten durch die Schüsse auf den „Populisten” Pim Fortuyn endgültig erschüttert worden; Hermans hätte dieses Attentat unter die in diesen Jahren sich häufenden Belege für das „sadistische Universum” angesehen, als das er die Welt nicht erst seit seinem gleichnamigen Essayband aus dem Jahr 1964 begriff.
W. F. Hermans hat Ludwig Wittgenstein ins Niederländische übersetzt und mehrere Essays über ihn geschrieben. In „Nie mehr schlafen” zitiert er ihn: „Ja, Wittgenstein hat gesagt: Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung. Nicht ,wie‘ die Welt ist, ist das Mystische, sondern ,dass‘ sie ist.” Wie aber passt diese Absage an die „niederländische” Sinnlichkeit zusammen mit dem Anspruch, nicht einen (wenn auch noch so narrativen) Essay zu schreiben, sondern einen Roman?
„Nie mehr schlafen” ist ein Roman, der ebensosehr in der Tradition mythologischer Weltwanderungsgeschichten steht wie in der von „vermessenen” Forschungsreisen, eine grandiose Parabel, die indes vollkommen „irdisch” bleibt. Denn sie profitiert von der naturwissenschaftlichen Kompetenz ihres Verfassers, der von 1958 bis 1973 Hochschullehrer für Physische Geographie war, und der Akribie, mit der er die Dinge beschreibt, mit denen sein Held konfrontiert wird.
Dieser Held ist der junge niederländische Geologe Alfred Issendorf, der sich auf eine Expedition in die polarnahe Finnmark begibt. Zusammen mit drei norwegischen Kommilitonen sucht er eine Bestätigung für die geophysikalische Hypothese, bestimmte Erdverwerfungen, Bodenvertiefungen und Wasserlöcher seien Folge eines Meteoriteneinschlags. Issendorf will damit nicht nur den Grundstein für eine international respektierte Gelehrtenexistenz legen. Er folgt zugleich dem Wunsch seiner Mutter, er möge auf die ersehnte Flötistenausbildung verzichten und stellvertretend jene wissenschaftliche Karriere vollenden, die seinem Vater versagt blieb, der auf einer botanischen Exkursion tödlich verunglückt ist.
Doch schon die Gelehrten, die den jungen Geologen auf die Reise schicken, sind „blind”, und auf eine obskure Weise bleiben ihm die Luftaufnahmen versagt, ohne die seine Erkundungen von vornherein unsinnig sind. Die Landschaft, in die die vier Männer vordringen, erweist sich als menschenfeindlich, und wie Hermans in der Exposition seines Romans eine erfahrungsgesättigte Satire auf den Wissenschaftsbetrieb schreibt, so liefert er im Hauptteil seines cross-country race suggestive Landschaftsbeschreibungen: „Wir sind nun von Bergen umschlossen. Ich komme mir vor wie auf dem Boden einer Schale, die einen Deckel aus schwarzen Wolken hat. Der Deckel ist ein wenig verrutscht, und durch den Spalt scheint gelb wie Messing die Sonne.”
Aber nicht um einen Spott auf den Forschungsdilettantismus ist es Hermans zu tun, sondern um eine elementare erkenntnistheoretische Skepsis. Nicht um Topographie geht es ihm, sondern um die Lokalisierung des Menschentieres in einem sinnlosen Kosmos. Dass sein Existentialimus nicht zu raunender Programm-Musik wird, hat damit zu tun, dass Hermans die Erzählung perspektivisch an ein Individuum bindet, das die Welt nicht versteht, aber sagen kann, wie und was es leidet, und das an seiner Selbsterkenntnis ebenso zweifelt wie der Autor an der Vollendbarkeit seines Romans.
Der Held „teilt” seinen Autismus mit den anderen – in Gesprächen über den abwesenden Gott und die abweisende Natur, also über das „sadistische Universum”, das Hermans essayistisch reflektiert hat. Höhnisch entsprechen den physischen Strapazen mentale Exzesse, und so trägt „Nie mehr schlafen” die Züge eines „wilden” Romans, der alle treuherzigen Gattungskonventionen hinter sich lässt. Sarkastisch bezieht sich der Titel auf die Mückenschwärme – und auf die Schnarchgeräusche des Zeltnachbarn –, die ein Einschlafen verhindern, mithin auf die grotesken Unzulänglichkeiten, unter denen hier „Forschung” betrieben wird. Als Alfred Issendorf auf die Leiche eines Kommilitonen stößt, dessen Unfall er mitverschuldet hat, sagt er: „Sonst ist sein Gesicht genauso, wie ich es gesehen habe, als er schlief: unbegreiflich alt und müde, zerfurcht wie Eichenrinde. Aber das hier ist kein Schlafen. Es ist: Nie mehr schlafen.”
Die empirische Genauigkeit, mit der wissenschaftliche Ergebnisse angestrebt werden sollten, verwandelt sich in die vivisektorische Genauigkeit, mit der groteskes und tragisches Scheitern registriert wird: „Ich bin nun in der Situation, in der ich nur noch das tun kann, was ich eigentlich für das Falsche halte. Ich habe die falsche Richtung eingeschlagen, doch zum Umkehren ist es zu spät. Aufs falsche Pferd gesetzt, doch das Rennen ist schon halb gelaufen.” Er erkennt, nur sein Tod kann im Einklang sein mit dem, was er weiß: „Weil mein Leben es nie sein kann.”
Manschetten und Meteoriten
„Nie mehr schlafen” – was für ein Arsenal von Sinnlosigkeitsmetaphern, und doch auch, als Roman, welch ästhetischer Triumph über das Absurde! Ein Roman aus feinen und feinsten Korrespondenzen und Motivketten, etwa der des Spiegels und der Kugel. Letztere scheint fast schalkhaft geknüpft: die Erdkugel, „getroffen” von Meteoritenkugeln; der Kosmos „ein gigantisches Gehirn (...) und die Erde nichts als ein Gehirntumor in dieser Masse”; schließlich das „Geschenk des Himmels”, das Alfred Issendorf nach seiner Rückkehr von der Mutter überreicht bekommt, angefertigt aus einem kleinen Meteoritenstein, den der Vater seinem Sohn nicht mehr hatte schenken können. Und so sitzt am Schluss des Romans der Held da: „in jeder Hand einen Manschettenknopf, an jedem Manschettenknopf einen halben Meteoriten. Zusammen ein ganzer. Nur ohne jeden Beweis für die Hypothese, die ich beweisen wollte.”
Die Leistung von Waltraud Hüsmert, die bereits „Die Dunkelkammer des Damokles” übersetzt hat und sich jetzt wieder mit einer Vielzahl sprachlicher Register konfrontiert sah, verdient hohen Respekt.
HERMANN WALLMANN
WILLEM FREDERIK HERMANS: Nie mehr schlafen. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 2002. 319 Seiten, 20 Euro.
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