Jahrzehnte des Krieges in Afrika, auf dem Balkan, am Golf und im Nahen Osten, Krieg in der Ukraine, Krieg in Mexiko, Krieg in Afghanistan. Die USA haben sich weltweit zurückgezogen, das Vakuum füllen andere. Europa sollte sich dieser Realität stellen, um nicht immer wieder von ihr überrascht zu werden; dies aber nicht auf dem Weg zurück in die Machtspiele des 19. Jahrhunderts, sondern auf den Wegen des Völkerrechts und durch die Errichtung von und die Mitwirkung an Systemen gemeinsamer Sicherheit. Liegt aber nicht gerade das Völkerrecht am Boden? Wer glaubt noch an die UN-Charta? Christen glauben nicht an die Charta, sondern an Gott und die Macht der Nächstenliebe. Zu diesem Glauben aber gehört das Bekenntnis zu Menschenwürde und Menschenrecht und zur zivilisierenden Kraft des Völkerrechts. Die Gründe für dieses Bekenntnis werden in Hartwig von Schuberts zukunftsorientierter »Ethik politischer Gewalt« ausführlich erläutert.[Down with War. An Ethics of Political Force]Decades of war in Africa, the Balkans, the Gulf and the Middle East, war in Ukraine, war in Mexico, war in Afghanistan. The U.S. has withdrawn worldwide, and others are filling the vacuum. Europe should face up to this reality in order not to be surprised by it again and again; but this not on the way back to the power games of the 19th century, but on the way of international law and through the establishment of and participation in systems of common security. But isn't it precisely international law that is lying on the ground? Who still believes in the UN Charter? Christians do not believe in the Charter, but in God and the power of charity. But this faith includes a commitment to human dignity and human rights and to the civilizing power of international law. The reasons for this commitment are explained in detail in this »Ethics of Political Force«.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.06.2022Von der Urzeit bis Corona
Ein theologisches Plädoyer gegen Gewalt und Radikalpazifismus
Der Titel des Buches "Nieder mit dem Krieg" weckt die Erwartung eines pazifistischen Pamphlets. Doch weder ist das Werk pazifistisch, noch handelt es sich um ein Traktat. Dabei hat sich Hartwig von Schubert, der bis 2019 als evangelischer Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr wirkte, vor einigen Jahren im Verfassen einer Streitschrift geübt. Sein Büchlein "Pflugscharen und Schwerter" sorgte bei manchem protestantischen Kirchenvertreter für heftigen Protest, weil es kein unumwundener Appell für den Frieden war und vereinzelt sogar als gewaltbejahendes Manifest verstanden wurde. In solcher Kritik blitzten Reflexe auf, die an die stürmische Hochzeit einer christlich gestimmten Friedensbewegung zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses in den 1980er-Jahren erinnerten.
Vielleicht waren es auch solche heftigen Reaktionen, die von Schubert motivierten, nun mit einer umfangreichen "Ethik politischer Gewalt" nachzulegen, deren Manuskript weit vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine fertiggestellt wurde. Aber auch schon zuvor bestand für von Schubert ein wesentlicher Antrieb zu diesem Buch in der sorgenvollen Beobachtung einer neuen "Weltunordnung" mit ansteigender Gewaltkurve. Außerdem gleicht es dem Versuch, eine Summe von Erkenntnismosaiken zu einem Werk zu bündeln, das die jahrzehntelange Lehrtätigkeit des Autors im Zuge der Aus- und Fortbildung von Bundeswehroffizieren widerspiegelt. Förmliche Anerkennung dieser Gelehrsamkeit fand die Schrift (im Manuskript, wie er notiert, 1200 Seiten) als Habilitation im Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Hamburg. Dieser Rahmen deutet darauf hin, dass Hartwig von Schubert akademisch anspruchsvolle Kost auftischt.
Wie sehr es sich um eine universitäre Qualifikationsschrift handelt, belegt bereits die Einleitung, die mit mehr als einhundert eng bedruckten Seiten umfangreicher ist als manch politisches Sachbuch. Schon dieser weit ausgreifende Beginn lässt die Stärken und Schwächen der Studie erkennen. Ist sie einerseits durch Belesenheit und Kenntnisreichtum in den Bereichen Theologie, Philosophie sowie Politik- und Staatswissenschaft gekennzeichnet, so vermittelt sie andererseits den Eindruck eines überladenen Wissenscontainers. Das macht es nicht leicht, die Fäden argumentativer Stringenz zu erkennen.
Im ersten Kapitel lernen wir einiges über widersprüchliche Zivilisationsprozesse und eine ambivalente Modernisierung, die etliche Krisen beförderte und weiterhin befördert. Zeitlich reichen die Betrachtungen von biblischen Urzeiten bis in die Corona-Gegenwart. Dem schließen sich Überlegungen über das Verhältnis von Religion und Politik an, wobei sich von Schubert vor allem auf staatsbejahende Passagen im Römerbrief des Apostels Paulus stützt, auf die eine ausführliche staats- und rechtsphilosophische Rückschau folgt. Mit Immanuel Kant als Kronzeugen streicht Schubert den Zusammenhang zwischen äußerem und innerem Frieden ebenso wie zwischen legitimer und illegitimer Gewalt heraus, die auf dem Recht beruhe, Recht zu erzwingen. Dies alles mündet in theologisch-ethischen Betrachtungen zu politischer und militärischer Gewalt. Eine christliche Ethik des Politischen sei dabei "zwischen Feindesliebe und rechtserhaltender Gewalt" anzusiedeln. Hartwig von Schubert rät zur Begehung eines Mittelwegs: Einen Radikalpazifismus lehnt er ebenso ab wie Gewalt jenseits rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Normierungen.
Das heißt umgekehrt, dass sein Buch auch als Appell an die Kirche gelesen werden kann, sich politisch - aus einer Position "engagierter Distanz" heraus - einzumischen und an der Fundierung einer Ethik rechtserhaltender Gewalt mitzuwirken, die von Schubert im Konzert eines weltweiten Republikanismus auch als ein Mittel zur Abschaffung des Krieges versteht. Bei alldem ist nicht immer klar zu erkennen, wo er eine dezidiert weltlich-ethische, eine politische oder eine von seinem christlichen Glauben geleitete Haltung einnimmt. Den hohen Anspruch, dies alles schlüssig zusammenzuführen und zudem abstrakte Leitvorstellungen und konkrete historische oder gegenwärtige Konstellationen wechselseitig aufeinander zu beziehen, erfüllt er trotz seines respekteinflößenden enzyklopädischen Wissens nur in Ansätzen.
Angesichts der multiplen interdisziplinären Wissensbestände und der überbordenden Materialfülle ist es selbst für den geschulten Leser schwierig, den Überblick zu behalten. Gelegentlich beschleicht einen das Gefühl, dem Autor sei es auf seinem ethisch-politisch-christlichen Parforceritt ähnlich ergangen. Umso wichtiger ist es, dass er manche Orientierungshilfe bietet, etwa indem er Konzeption und Ergebnisse der Studie eingangs zusammenfasst oder Leitbegriffe und Kernsätze ebenso wie ihm besonders zentral erscheinende Passagen kursiv hervorhebt. Auch streut er immer wieder meinungs- und urteilsstarke Sätze in die Darstellung ein, die auch nach der von Kanzler Scholz postulierten Zeitwende ihre Berechtigung behalten - etwa: "Im Rahmen der Unterscheidung zwischen Despotismus und Republikanismus muss Deutschland u. a. in internationalen Gewaltkonflikten aktiver Stellung beziehen." So erfrischend der eine oder andere Kommentar wirkt, besitzt von Schuberts Werk in einer Zeit, da die Deutschen den Allensbacher Demoskopen zufolge mehrheitlich einen "wehrhaften Frieden" befürworten, weniger Provokationspotential als zuvor. Daran dürfte auch das "pastoraltheologische Finale" nichts ändern, mit dem der Autor sein Werk beschließt. Die Bezeichnung dieses Zieleinlaufs lässt in sympathischer Weise eine gewisse Selbstironie des Autors vermuten, weiß er doch um Charakter und Wirkung hingebungsvoller und epischer Predigten. ALEXANDER GALLUS
Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg. Eine Ethik politischer Gewalt.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2021. 574 S., 68,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein theologisches Plädoyer gegen Gewalt und Radikalpazifismus
Der Titel des Buches "Nieder mit dem Krieg" weckt die Erwartung eines pazifistischen Pamphlets. Doch weder ist das Werk pazifistisch, noch handelt es sich um ein Traktat. Dabei hat sich Hartwig von Schubert, der bis 2019 als evangelischer Militärdekan an der Führungsakademie der Bundeswehr wirkte, vor einigen Jahren im Verfassen einer Streitschrift geübt. Sein Büchlein "Pflugscharen und Schwerter" sorgte bei manchem protestantischen Kirchenvertreter für heftigen Protest, weil es kein unumwundener Appell für den Frieden war und vereinzelt sogar als gewaltbejahendes Manifest verstanden wurde. In solcher Kritik blitzten Reflexe auf, die an die stürmische Hochzeit einer christlich gestimmten Friedensbewegung zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses in den 1980er-Jahren erinnerten.
Vielleicht waren es auch solche heftigen Reaktionen, die von Schubert motivierten, nun mit einer umfangreichen "Ethik politischer Gewalt" nachzulegen, deren Manuskript weit vor dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine fertiggestellt wurde. Aber auch schon zuvor bestand für von Schubert ein wesentlicher Antrieb zu diesem Buch in der sorgenvollen Beobachtung einer neuen "Weltunordnung" mit ansteigender Gewaltkurve. Außerdem gleicht es dem Versuch, eine Summe von Erkenntnismosaiken zu einem Werk zu bündeln, das die jahrzehntelange Lehrtätigkeit des Autors im Zuge der Aus- und Fortbildung von Bundeswehroffizieren widerspiegelt. Förmliche Anerkennung dieser Gelehrsamkeit fand die Schrift (im Manuskript, wie er notiert, 1200 Seiten) als Habilitation im Fachbereich Evangelische Theologie an der Universität Hamburg. Dieser Rahmen deutet darauf hin, dass Hartwig von Schubert akademisch anspruchsvolle Kost auftischt.
Wie sehr es sich um eine universitäre Qualifikationsschrift handelt, belegt bereits die Einleitung, die mit mehr als einhundert eng bedruckten Seiten umfangreicher ist als manch politisches Sachbuch. Schon dieser weit ausgreifende Beginn lässt die Stärken und Schwächen der Studie erkennen. Ist sie einerseits durch Belesenheit und Kenntnisreichtum in den Bereichen Theologie, Philosophie sowie Politik- und Staatswissenschaft gekennzeichnet, so vermittelt sie andererseits den Eindruck eines überladenen Wissenscontainers. Das macht es nicht leicht, die Fäden argumentativer Stringenz zu erkennen.
Im ersten Kapitel lernen wir einiges über widersprüchliche Zivilisationsprozesse und eine ambivalente Modernisierung, die etliche Krisen beförderte und weiterhin befördert. Zeitlich reichen die Betrachtungen von biblischen Urzeiten bis in die Corona-Gegenwart. Dem schließen sich Überlegungen über das Verhältnis von Religion und Politik an, wobei sich von Schubert vor allem auf staatsbejahende Passagen im Römerbrief des Apostels Paulus stützt, auf die eine ausführliche staats- und rechtsphilosophische Rückschau folgt. Mit Immanuel Kant als Kronzeugen streicht Schubert den Zusammenhang zwischen äußerem und innerem Frieden ebenso wie zwischen legitimer und illegitimer Gewalt heraus, die auf dem Recht beruhe, Recht zu erzwingen. Dies alles mündet in theologisch-ethischen Betrachtungen zu politischer und militärischer Gewalt. Eine christliche Ethik des Politischen sei dabei "zwischen Feindesliebe und rechtserhaltender Gewalt" anzusiedeln. Hartwig von Schubert rät zur Begehung eines Mittelwegs: Einen Radikalpazifismus lehnt er ebenso ab wie Gewalt jenseits rechtsstaatlicher und völkerrechtlicher Normierungen.
Das heißt umgekehrt, dass sein Buch auch als Appell an die Kirche gelesen werden kann, sich politisch - aus einer Position "engagierter Distanz" heraus - einzumischen und an der Fundierung einer Ethik rechtserhaltender Gewalt mitzuwirken, die von Schubert im Konzert eines weltweiten Republikanismus auch als ein Mittel zur Abschaffung des Krieges versteht. Bei alldem ist nicht immer klar zu erkennen, wo er eine dezidiert weltlich-ethische, eine politische oder eine von seinem christlichen Glauben geleitete Haltung einnimmt. Den hohen Anspruch, dies alles schlüssig zusammenzuführen und zudem abstrakte Leitvorstellungen und konkrete historische oder gegenwärtige Konstellationen wechselseitig aufeinander zu beziehen, erfüllt er trotz seines respekteinflößenden enzyklopädischen Wissens nur in Ansätzen.
Angesichts der multiplen interdisziplinären Wissensbestände und der überbordenden Materialfülle ist es selbst für den geschulten Leser schwierig, den Überblick zu behalten. Gelegentlich beschleicht einen das Gefühl, dem Autor sei es auf seinem ethisch-politisch-christlichen Parforceritt ähnlich ergangen. Umso wichtiger ist es, dass er manche Orientierungshilfe bietet, etwa indem er Konzeption und Ergebnisse der Studie eingangs zusammenfasst oder Leitbegriffe und Kernsätze ebenso wie ihm besonders zentral erscheinende Passagen kursiv hervorhebt. Auch streut er immer wieder meinungs- und urteilsstarke Sätze in die Darstellung ein, die auch nach der von Kanzler Scholz postulierten Zeitwende ihre Berechtigung behalten - etwa: "Im Rahmen der Unterscheidung zwischen Despotismus und Republikanismus muss Deutschland u. a. in internationalen Gewaltkonflikten aktiver Stellung beziehen." So erfrischend der eine oder andere Kommentar wirkt, besitzt von Schuberts Werk in einer Zeit, da die Deutschen den Allensbacher Demoskopen zufolge mehrheitlich einen "wehrhaften Frieden" befürworten, weniger Provokationspotential als zuvor. Daran dürfte auch das "pastoraltheologische Finale" nichts ändern, mit dem der Autor sein Werk beschließt. Die Bezeichnung dieses Zieleinlaufs lässt in sympathischer Weise eine gewisse Selbstironie des Autors vermuten, weiß er doch um Charakter und Wirkung hingebungsvoller und epischer Predigten. ALEXANDER GALLUS
Hartwig von Schubert: Nieder mit dem Krieg. Eine Ethik politischer Gewalt.
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2021. 574 S., 68,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Alexander Gallus bekommt mit dem Buch des ehemaligen Militärdekans der Bundeswehr, Hartwig von Schubert, zum Glück kein Pamphlet des Pazifismus, sondern eine Ethik, die es in sich hat. Der zunehmenden Gewalt auf dem Planeten widmet Schubert laut Gallus dabei eine material- und wissensstrotzende akademische Arbeit, die den Leser leider häufig überfordert. Schon die über 100-seitige Einleitung ist für Gallus eine Herausforderung. Dass der Autor belesen ist in Theologie, Philosophie und Politikwissenschaft, liegt für Gallus auf der Hand, Schuberts Ritt durch die Zivilisationsgeschichte mit Blick auf das Verhältnis von Religion und Politik bleibt für den Rezensenten aber leider weitgehend enzyklopädisches Stückwerk. Vergangenheit und Gegenwart erhellenderweise aufeinander zu beziehen, gelingt dem Autor allzu selten, findet Gallus, und der Leser verliert häufig den Überblick.
© Perlentaucher Medien GmbH
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