Marktplatzangebote
49 Angebote ab € 0,25 €
  • Gebundenes Buch

Der Roman, den Präsident Barack Obama empfiehlt:
“When I asked [President Obama] if he was reading anything good, he said...‘Netherland by Joseph O’Neill.’”
David Leonhardt, The New York Times Magazine, May 3, 2009

Produktbeschreibung
Der Roman, den Präsident Barack Obama empfiehlt:
“When I asked [President Obama] if he was reading anything good, he said...‘Netherland by Joseph O’Neill.’”
David Leonhardt, The New York Times Magazine, May 3, 2009
Autorenporträt
Joseph O'Neill wurde 1964 als Sohn eines Iren und einer Türkin in Cork geboren und wuchs in Holland auf. Er studierte Jura in Cambridge und arbeitete als Anwalt in London. Später folgte er seiner Frau, einer Vogue-Redakteurin, nach New York, wo er heute mit seiner Familie lebt.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Als "ebenso zeitgenössisch wie poetisch" feiert Rezensent Ijoma Mangold diesen Roman, der in der Welt nach dem 11. September in einer "postnationalen Weltgesellschaft" spielt und Mangold zufolge von den Herausforderungen erzählt, "Halt zu finden in einer Welt, die immer in Bewegung ist". Joseph O?Neill bringe zwei unterschiedliche Milieus zusammen, die jeweils auf ihre eigene Weise frei von ihrer Herkunft den Strömen des Geldes und der Wohlstandsverteilung folgten: Broker und Migranten. Besonders der "tiefsinnige und vielschichtige" Protagonist - ein holländischer Analyst in New York, dessen Ehe nach den Anschlägen zerbricht - hat es dem Rezensenten angetan, der nach dem Scheitern seiner Ehe Bekanntschaft mit einem Cricketfanatiker aus Trinidad schließt. Dieser Chuck hält, wie man liest, den Sport der britischen Upperclass für ideal, um den Clash of Civilisations zu entschärfen. Und in der Zusammenführung der beiden Milieus vermesse dieser Autor geschickt zwei Perspektiven auf Postkolonialismus und Globalisierung. Wer außerdem die "manisch-depressive Stimmung" der Jahre nach dem 11. September verstehen wolle, dem legt Mangold diesen klugen und eindringlichen Roman ebenfalls sehr ans Herz.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2009

Wer in New York Stabilität sucht, geht am besten ins Hotel

Joseph O'Neills "Niederland" ist einer der meistbeachteten Romane dieses Frühjahrs. Er spielt im Chelsea Hotel, wo auch der Autor mit seiner Familie lebt.

NEW YORK, im März

Ein junger Mann mit Pudelmütze sitzt vor einem Fenster auf der Heizung und blickt auf die 23. Straße. Vor der Holzbank, die unter einem Gemälde von Philip Taaffe steht, wartet eine korpulente Frau mit Koffer und beobachtet einen Touristen, der die in der Lobby des Chelsea Hotel ausgestellten Kunstwerke fotografiert. Pfeifen der alten Heizkörper, Straßenlärm. Die phantasmagorische, irgendwie diffuse Welt jenseits der schweren Glastür. Larry Rivers' Assemblage "Dutch Masters", daneben ein Aquarell von David Remfry. Zwei Frauen, die sich am Empfang unterhalten, während aus dem Aufzug ein anderer Mann mit Pudelmütze tritt und sich mit seinem Laptop in einen der Sessel setzt.

"Das Hin und Her von Menschen in der Lobby hatte etwas Anästhesierendes", so Hans van den Broek, der Erzähler von "Niederland", Joseph O'Neills gerade in Deutschland erschienenem Roman (F.A.Z. vom 7. März). Hans hat Frau und Sohn gerade nach England begleitet, wo sich die beiden sicherer fühlen als in New York. Nach seiner Rückkehr hat er das verstörende Gefühl, dass in diesen ersten Monaten seit den Terroranschlägen des 11. September nicht nur über der Stadt, sondern auch über seiner Ehe "die letzte Dämmerung" angebrochen ist. Hans arbeitet als Equities-Analyst einer Handelsbank, doch der berufliche Erfolg hilft ihm nicht über das Elend hinweg, in das ihn die Trennung von seiner Familie stürzt. Wenn er sich abends in der Lobby des Chelsea in einen Sessel fallen lässt, ist er auf der Suche nach Mitleid und Trost.

Als O'Neill mit seinen drei Söhnen das Chelsea betritt, die Lobby durchquert und die Kinder vor sich in den Fahrstuhl schiebt, ist New York in ein mildes urbanes Abendlicht getaucht. "Ein Hotel ist natürlich ein Ort des Übergangs, des Flüchtigen und Instabilen", sagt O'Neill, dessen Roman nicht nur den Zeitgeist des von der Katastrophe verdunkelten Augenblicks bewahrt, sondern auch dem Hotel ein Denkmal setzt, das der Schriftsteller zum Ausgangspunkt der Erkundungen macht, die sein in den Grundfesten erschütterter Erzähler unternimmt. "Aber für Hans, den die Mannigfaltigkeit der Bewohner an das Aquarium erinnert, das er als Kind besessen hatte, wird das Chelsea paradoxerweise zu einem Ort der Stabilität."

Mark Twain und O. Henry haben hier gewohnt, in Zimmer 831 des 1883 erbauten Appartementhauses, in dem 1905 das Chelsea Hotel eröffnete, arbeitete Thomas Wolfe an seinen letzten Romanen. Düstere, mit den Bildern ehemaliger oder jetziger Gäste behängte Flure; die Treppe, die "kraft der tiefen, rechteckigen Leere in ihrer Mitte den Effekt hatte", wie es in "Niederland" heißt, "im Herzen des Gebäudes einen Abgrund zu schaffen". Burroughs' "Naked Lunch" und Kerouacs "On the Road" sind der Legende nach hier entstanden, Arthur C. Clarke schrieb im Chelsea, das bis heute vor allem von Langzeitmietern bewohnt wird, seine Weltraumodyssee "2001". Bob Dylan und Leonard Cohen, Andy Warhol, Robert Mapplethorpe, Patti Smith und Madonna: die Liste der Künstler, die dem Hotel zu seinem berühmten Namen verhalfen, erzählen amerikanische Kulturgeschichte.

Durch die unteren Etagen zieht der säuerliche Geruch ungemachter Betten. "Die Vergangenheit und die Tradition des Hotels interessieren mich allerdings nur wenig", sagt O'Neill, der seit 1998 dort wohnt. "Was mich fasziniert, ist die sehr reale Existenz der Menschen, die hier heute leben, die Gemeinschaft und Freundschaft mit Leuten, von denen die meisten ganz ähnliche Prioritäten haben wie ich." Da ist die etwa achtzigjährige Person unbestimmbaren Geschlechts, die einen Revolver trägt und "jedem, der auf unserer Etage Ärger mache", Zunder geben werde. Da ist der mit einem Engelskostüm bekleidete Mann, der eines Tages auf der Suche nach seiner entlaufenen Katze vor Hans' Appartement steht, "die Familie mit drei kleinen Jungen", wie es in "Niederland" heißt, "die mit Dreirädern, Bällen und Bobbycars durch die Flure tobten". Ein Ball springt gegen die Wand, einer der beiden Jungen, die vor der offenen Tür spielen, läuft ihm hinterher und schießt ihn zu seinem jüngeren Bruder zurück. "Warten Sie einen Augenblick, ich bin in der Küche", ruft Joseph O'Neill auf den Flur hinaus. Er kommt an die Tür, ein Handtuch in der Hand: "Sie sind nicht der Mann vom Pizzadienst."

Joseph O'Neill ist 44 Jahre alt. Er ist der Autor der Romane "This is the Life" und "The Breezes", von "Blood-Dark Track", der im Jahr 2000 erschienenen Familiengeschichte über seine in den Zeitläuften verstrickten Großväter. Sieben Jahre schrieb er an "Niederland". O'Neill ist nicht sehr groß, er hat die sportliche, etwas aggressive Präsenz eines Athleten. Er trägt offene Turnschuhe; im Gang neben der Tür des Appartements, das er mit seiner Frau, der "Vogue"-Redakteurin Sally Singer, und den drei Kindern bewohnt, liegen mehrere Skateboards. "Meine Söhne sind alle hier im Chelsea aufgewachsen", erzählt O'Neill, "das Hotel ist unser Zuhause. Aber wenn ich in Detroit leben würde, hätte ich den Roman vermutlich dort spielen lassen. Ich schreibe realistische Romane und mache mir bei der Arbeit die Umstände zunutze, mit denen ich vertraut bin. Sie helfen mir, das Bild auszufüllen."

"Niederland" ist einer der schönsten New-York-Romane der letzten Jahre, ein elegischer, vom kontrollierten Pathos seiner stillen, lyrischen Sprache berauschter Monolog, in dem der aus Den Haag stammende Hans van den Broek von der Begegnung mit dem verschlagenen Geschäftsmann Chuck Ramkissoon erzählt, der Hans in seinen Traum von der Errichtung eines Cricketstadions einspinnt. "Niederland" erzählt die von Erinnerungen an Fitzgeralds "Großen Gatsby" belebte Geschichte eines American Dreamers, doch das Buch ist nicht der neue "große amerikanische Roman" (F.A.Z. vom 7. März). "Die Vorstellung, dass ein Roman Teil einer nationalen Literatur sei, geht auf das neunzehnte Jahrhundert zurück", sagt O'Neill, "aber die Welt, in der wir heute leben, definiert sich zunehmend nicht mehr über nationale Grenzen."

O'Neill hat einen irischen Vaters und eine türkische Mutter: In "Dark-Blood Track" - der eine Großvater war aktives Mitglied der IRA, der andere ein weltläufiger, 1942 unter Spionageverdacht verhafteter Hotelier aus Mersin - erwähnt er die Migration seiner Familie nach Südafrika, Moçambique und Syrien, von der Türkei nach Iran, bevor sie sich 1970 in Den Haag niederließ, wo der 1964 in Cork geborene O'Neill größtenteils aufwuchs. "Ich habe neben meinem irischen inzwischen zwar auch einen amerikanischen Pass", sagt O'Neill, der nach seinem Jurastudium in Cambridge mehrere Jahre als Wirtschaftsanwalt in London lebte. "Aber ich glaube, dass unsere globalisierte Welt zunehmend eine Art postnationale Kultur hervorbringt. Den Protagonisten von ,Niederland' sehe ich als Teil dieser Kultur."

"Kann ich noch etwas mehr Knoblauch haben?" O'Neill packt Pizza aus, er greift zum Telefon und bittet den Mann am Empfang, den ältesten Sohn zum Essen hochzuschicken. Aus einem der anderen Zimmer kommt eine Katze angelaufen. "Meine angeborene Begabung ist vermutlich eher das Komische", sagt O'Neill, "und wenn ich gezwungen wäre, einen Roman in einem halben Jahr zu schreiben, käme sicherlich etwas Humoristisches dabei heraus." Auch die beiden Romane, die er in seinen Zwanzigern geschrieben habe, seien im Wesentlichen humoristische oder tragikomische Werke.

In "This is the Life", seinem 1991 erschienenen Debüt, erzählt er von einem jungen, im Phlegma erfolglos dahintreibenden Anwalt, der eines Tages den überraschenden Anruf eines bewunderten Kollegen erhält, der ihn um Hilfe bittet. "The Breezes", O'Neills 1995 veröffentlichter zweiter Roman, handelt von einer von Pech und Unglück verfolgten Familie, von dem nicht sonderlich plausibel erzählten Versuch eines Sohns, dem Sog eines blutdunklen Schicksals zu entkommen. Auch in diesen Romanen verwendet O'Neill ein erzählendes Ich: Doch anders als in seinem von einer mitunter fast existentiellen Ernsthaftigkeit erfüllten dritten Buch fehlt es den früheren Erzählerstimmen an Dringlichkeit und Autorität.

"Wenn man einmal die richtige Stimme gefunden hat", sagt O'Neill, während sein jüngster Sohn von seinem Schoß rutscht und in das Zimmer läuft, in dem das Schlagzeug steht, "hat man alle möglichen erzählerischen Freiheiten. Man will dann nur noch in Gesellschaft dieser Stimme sein und entdeckt die Bedeutung dessen, was man schreibt, gewissermaßen erst während der Arbeit daran." Es habe Jahre gebraucht, bevor er die Stadt New York, die sich mit dem 11. September und seit Beginn des Irak-Kriegs ständig veränderte, überhaupt wieder "aus einer halbwegs stabilen Perspektive" wahrnehmen konnte. Aus dem Hinterzimmer Trommeln und Geschrei. "Und während der ersten drei oder vier Jahre der Arbeit an ,Niederland' sind natürlich zwei meiner Söhne zur Welt gekommen", sagt O'Neill, "und mein Ältester war noch ein Baby, was die Arbeit ebenfalls verlangsamt hat." Er lehnt sich entspannt in den Stuhl zurück, lauscht dem Spiel seiner Kinder. Er beißt in die Pizza, die inzwischen kalt geworden ist, und sagt kauend: "Freitagabend ist Pizzazeit."

THOMAS DAVID

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2009

Geschichten der Globalisierung
Joseph O’Neills „Niederland”: Ein 9/11-Roman, der kein 9/11-Roman ist
Das „Pastis” ist für die Gastronomie das, was der Realismus für die Literatur ist. Alles hat eine Bedeutung hier. Jeder Gegenstand verweist auf sich und zugleich auf seine Geschichte. In dem New Yorker Lokal sieht es aus wie in einer französischen Brasserie aus den vierziger Jahren, die wiederum an ein ungefähres 1870 erinnert, mit all dem Messing, dem schweren Holz, den matten Lampen. Wirklichkeit, das ist die Botschaft, Wirklichkeit ist möglich, wenn wir nur daran glauben.
Joseph O’Neill hatte das Lokal vorgeschlagen für unser Interview. Es ist später Vormittag, es ist noch ruhig, und O’Neill hat sich ein Bier bestellt. Natürlich weiß er, dass das 19. Jahrhundert lange vorbei ist. Aber es gibt eben die bürgerliche Bedeutungsmaschine des literarischen Realismus, die Balzac-Flaubert-Schule, die besonders in der amerikanischen Literatur weiterlebt, als Beschwörung, als Erinnerung an die Macht der Sprache und der Schriftsteller, als Notwehr gegen die Gegenwart. Zadie Smith hat das neulich in der New York Review of Books in einem langen Essay beklagt – und Joseph O’Neills von der New Yorker Kritik gefeierten New-York-Roman „Niederland” (Joseph O’Neill: Niederland. Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Reinbek 2009. 314 Seiten, 19,90 Euro) als Beispiel benutzt.
Was aber hat Zadie Smith an diesem dichten, verwobenen, reichen Roman so gereizt, dass sie gleich grundsätzlich werden musste? Und ist das, was Zadie Smith kritisierte, womöglich ein Grund für seinen überraschenden Erfolg?
Joseph O’Neill ist zu gut gelaunt, um sich über diese Frage ernsthaft Gedanken zu machen. Es ist eine Geschichte aus dem 21. Jahrhundert, die er in seinem Roman erzählt – aber vorgetragen mit dem fast altmodischen Glauben an sprachliche Virtuosität und die Macht von Metaphern.
Ein fremdes New York
Vordergründig geht es um den holländischen Börsenanalysten Hans van den Broek, der mit Frau und Sohn in New York lebt, bis sie der 11. September aus ihrem Loft ins Chelsea Hotel vertreibt und sich zeigt, dass die Ehe schon länger in der Schieflage war. Frau und Sohn ziehen zurück nach London, Hans pendelt hin und her und spielt am Wochenende mit seinem neuen Freund Chuck Ramkissoon auf den verdorrten Wiesen von Staten Island Cricket.
Es war vor allem dieser Cricket-Aspekt, der die New Yorker Kritik verzauberte: Ein neues, ein unbekanntes, ein anderes New York eröffnete O’Neill ihnen hier – ein „Netherland”, so heißt der Roman im Original, eine Schattenwelt, in die sie der leicht passive, sympathische holländische Hans wie zu einer Entdeckungsreise in ein fremdes Land mitnahm. Nach Curry riecht es hier, die Menschen kommen aus Trinidad, Hans ist der einzige Weiße in diesem postkolonialen Zivilisationsspiel, so baut O’Neill Cricket in seinem Roman auf. Tatsächlich bestätigte er die New Yorker damit vor allem in ihrem Glauben, dass sich ihre Stadt immer wieder neu erfinden lässt – eine Stimmung, die im letzten Jahr weit über New York hinaus reichte.
„Niederland” kam genau zur richtigen Zeit, es tauchte unerwartet und überraschend auf in diesem Sommer der Hoffnung 2008, als immer noch viele zweifelten, dass das Land reif sein könnte für einen schwarzen Präsidenten. Wenn tatsächlich ein Echo von F. Scott Fitzgeralds „Gatsby” diesen Roman durchzieht, wie die amerikanische Kritik immer wieder beglückt feststellte, dann ist das insofern richtig, als Hans’ Freund Chuck Ramkissoon eine widersprüchlich schillernde, faszinierende Figur ist, die dem amerikanischen Glauben an die Macht des Einzelnen huldigt – im Gegensatz zu dem anderen Selfmade-Man des letzten Jahres, Barack Obama, allerdings tot in einem Graben landet.
Sieben Jahre hat Joseph O’Neill an „Niederland” gearbeitet, ziemlich genau also die Zeit zwischen dem 11. September und der Wahl Obamas. Etwas Entscheidendes hat sich in dieser Zeit verändert, eine kulturelle Verschiebung, die O’Neill aufspürt und die die politische Veränderung erst ermöglichte. „Die Amerikaner sind heute bereit, sich auch komplexere Geschichten über ihr Land anzuhören”, sagt O’Neill – und vielleicht ist es tatsächlich die größte Leistung dieses 9/11-Romans, dass er kein 9/11-Roman ist, sondern eine fast essayistische Erzählung davon, wie sich der Blick auf die Welt durch dieses Ereignis verändert hat. Die Türme fielen und machten Raum für eine andere Realität. „Die Zukunft des Romans liegt für mich darin”, sagt O’Neill, „den Geschichten Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die aus der Globalisierung geboren sind.”
Er hat sehr dunkle Augen und schwarze Haare, und um die Geschichte seines Romans zu verstehen, muss man seine eigene Geschichte kennen. „Ich war in einer Sackgasse”, sagt O’Neill und schaut aus dem Fenster, „ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn das Buch kein Erfolg gewesen wäre. Wahrscheinlich hätte ich wieder als Rechtsanwalt arbeiten müssen.”
O’Neill ist 44 Jahre alt. 1998 kam er aus London nach New York, wo er immer noch mit seiner Frau und den drei Söhnen lebt. Er wurde in Irland geboren und wuchs in Holland auf, sein Vater ist Ire, seine Mutter ist Türkin, er studierte in Cambridge, „ich war der erste O’Neill, der auf eine Universität ging”. Sein Vater arbeitete für eine Ölfirma, seine beiden Großväter saßen aus politischen Gründen im Gefängnis. Vor „Niederland” schrieb O’Neill zwei Romane und ein Buch über seine Familie mit dem Titel „Blood-Dark Track”. Es ist kein amerikanischer Schriftsteller, der hier den Amerikanern ihre Geschichte erzählt, und dass das so gut funktioniert, macht wohl sein Geheimnis aus, aber auch das dieses Landes.
O’Neill arbeitet in einer Erdgeschosswohnung im West Village, in der am Eingang ein Cricketschläger steht. Natürlich erzählt er nicht biographisch, und trotzdem ist es seine Biographie, die ihm diese Geschichte eröffnete. Er glaubt tatsächlich daran, mit Literatur eine Welt zu erschaffen, die wirklicher ist als die Wirklichkeit, er versucht bei aller Skepsis, den Romancier als Zeuge der Realität ins Recht zu setzen. Das Ergebnis ist weniger eine Abbildung dieser Welt – O’Neill erzählt so assoziativ und sprunghaft, so detailliert und dabei sprachlich veredelt, dass es scheint, als sei dieser Gedankenprozess, der auch der Erzählprozess ist, die eigentliche Hauptfigur.
Die postkoloniale Stimme
Das Buch wächst gleichzeitig in verschiedene Richtungen. O’Neill wandert manchmal von Absatz zu Absatz durch die Zeiten, er gleitet aus der Kindheit nach New York, nach London und ins Auto von Chuck, der Hans mitnimmt, um das Geld seiner illegalen Geschäfte einzutreiben. Er verliert sich in Beschreibungen, nur um mit einem Mal wie ernüchtert aufzutauchen. Es ist kein Sog, den der Roman erzeugt, es ist eine Fläche, über die O’Neill den Leser führt, eine Weite, in der es vor allem die Stimme von Chuck Ramkissoon ist, die seltsam vertraut ist, bei aller Fremdheit.
Zadie Smith, die sich mit Curry mindestens so gut auskennt wie Joseph O’Neill, hat gerade über diese Stimme geschrieben, über die Stimme in der postkolonialen Welt, in der wir leben: Sie begann in diesem zweiten Essay in der New York Review of Books bei George Bernard Shaws „Pygmalion”, bei Professor Higgins und seiner Schülerin Eliza – und endete bei Barack Obama. In gewisser Weise ist Obama der Anti-Higgins, er beherrscht den schwarzen Slang so gut wie den Akzent des Mittleren Westens. Shaw war 20. Jahrhundert. Es ist die Vielstimmigkeit innerhalb einer Person, die den Reichtum und die Realität des 21. Jahrhunderts ausmachen.
Smith und O’Neill sind sich darin sehr nah, nicht nur wegen ihrer postnationalen Biographien. Im Grunde war Smith’ Kritik an O’Neill eine aggressive Selbstbefragung – und als Selbstbefragung kann man auch O’Neills „Niederland” lesen. Es geht ihm um das Wesen des Westens, aber auch um die Zukunft des Romans. Zweifel an dieser Form durchziehen das Buch. Hans bringt dieser Zweifel an den Rand einer europäischen Lähmungsstarre. O’Neill dagegen schafft spielerisch und souverän den Ausbruch aus dieser Pose. Sein Roman ist europäisch und altmodisch, aber auch globalisiert und voller verwirrender, widersprüchlicher Energie.
Langsam füllt sich das „Pastis”. Ein paar Männer in Anzügen setzen sich in unsere Nähe. Es ist Zeit zu gehen. GEORG DIEZ
Der Autor Joseph O’Neill ganz eins mit dem Hauptmotiv seines Romans: Cricket Foto: Adam Nadel/Polaris/laif
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr