»Die Zukunft«, sagt die weiße Juristin und aktive Gegnerin der Apartheid Vera Stark zu ihrem Mann Ben, »besteht darin, die Vergangenheit rückgängig zu machen.« Sie meint es politisch und weiß, es gilt auch für ihr Leben. Sie zieht die Konsequenzen, trennt sich von ihrem Mann, verkauft das ihr durch die Scheidung zugefallene Haus und geht den dornigen Weg der Politik allein weiter.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.1995Blutige Hemden, vereinzelte Socken
Was bei Nadine Gordimer alles auf der Wäscheleine hängt / Von Hannes Stein
Bislang hat Südafrika die Unheilspropheten enttäuscht. Die Katastrophe, die von ihnen vorausgesagt worden war, ist bis auf weiteres vertagt, die molekularen Bürgerkriege nach dem Ende der Apartheid haben sich nicht zu einem universalen ethnischen Gemetzel ausgeweitet. Frei nach Carl Schmitt könnte man behaupten: Es ist den Südafrikanern gelungen, die Entscheidungsschlacht in einer ewigen Diskussion ewig zu suspendieren. Ein Wunder. Nein, eine große historische Leistung, die nicht zuletzt dem ANC und Nelson Mandela angerechnet werden muß.
Nadine Gordimers jüngster Roman "Niemand, der mit mir geht" spielt im Jahr vor den ersten demokratischen Wahlen, als noch keineswegs geklärt war, ob sich in Südafrika der liberale common sense durchsetzen würde oder die Bereitschaft, für die Volksgemeinschaft Blutopfer zu bringen. Folgerichtig wird die erste Hälfte des Buches von der vertrauten Hintergrundmelodie politischer Katastrophen begleitet: Illegale schwarze Siedler besetzen das Land eines burischen Farmers. Dieser läßt sich gar nicht erst auf juristische Vermittlungsversuche ein, sondern schießt seine unerwünschten Nachbarn brutal zusammen. Die Rache läßt nicht lange auf sich warten. Radikale schwarze Nationalisten greifen mit Maschinenpistolen und Handgranaten einen mondänen Golfclub an, in dem soeben eine Weinprobe stattfindet.
In der zweiten Hälfte des Romans werden die politischen zunehmend von den privaten Katastrophen übertönt. Ein sechzehnjähriges Schulmädchen läßt sich von einem verheirateten Mann schwängern und muß auf Geheiß ihrer Familie abtreiben. Die Heldin des Romans fällt zusammen mit ihrem Mitarbeiter einem bewaffneten Raubüberfall zum Opfer, und er stirbt an den Spätfolgen. Das ist die frohe Botschaft dieses Buches: Wir schaffen es auch ohne Politik, einander kaputtzumachen.
Ohne Politik? Falsch. Nach dem Ende des Ausnahmezustands hört der politische Diskurs nicht etwa auf, er fängt überhaupt erst an: Nadine Gordimer beschreibt, wie der ANC sich aus einer "Bewegung" zu einer ganz normalen Partei mausert. Sie schildert, wie an die Stelle der hochfliegenden Visionen das zähe Feilschen um Kompromisse tritt, wie öffentliches Rollenspiel plötzlich wichtiger wird als revolutionärer Kampfgeist und wie legalistisches Stückwerk die große Utopie ablöst. Langweilig ist das nicht. Und wäre das Wort "Normalisierung" nicht allzuoft mißbraucht worden, so könnte man sagen, daß dieses Buch genau davon handelt.
Die Autorin erzählt von zwei miteinander befreundeten älteren Ehepaaren: einem schwarzen und einem weißen. Im Zentrum des Geschehens steht die Anwältin Vera Stark, eine verdiente Streiterin gegen die Apartheid. Um sie herum gruppieren sich etliche Männer (ein erster und ein zweiter Ehemann, zeitweilig auch ein heimlicher Geliebter) sowie eine erwachsene Tochter, ein erwachsener Sohn und ein Enkel.
Parallel dazu schildert Nadine Gordimer die Heimkehr von Sibongile ("Sally") und Didymus ("Didy") Maqoma sowie ihrer schönen Tochter Mpho. Es ist eine alte Geschichte, doch ist sie immer neu: Die Exilanten, die Untergetauchten, die Gehetzten kehren heim in die Fremde. Das Land, das sie einst verlassen mußten, gibt es nicht mehr. Nach dem Exil beginnt das Exil.
Die beiden Ehepaare sind grundverschieden und einander doch sehr ähnlich. So geben in beiden Familien die Frauen den Ton an: Vera Stark ist aktiver und näher an der gesellschaftlichen Realität als ihr Mann, der nacheinander als Bildhauer, als Akademiker und als Geschäftsmann scheitert. Und Sibongile Maqoma macht nach ihrer Rückkehr eine steile politische Karriere, während ihr Didy zum alten Eisen geworfen wird. Zudem entpuppt er sich als zwielichtige Gestalt: Didymus Maqoma führte Verhöre in Lagern durch, in denen der ANC südafrikanische Spione und andere Gegner festhielt und foltern ließ. Als Sibongile davon erfährt, will sie nicht mehr mit ihm schlafen. Gleichzeitig bricht auch bei den Starks die große Ehekrise aus: Der gemeinsame Kampf gegen die Apartheid ist kein Kitt mehr, und die Widersprüche brechen offen aus.
Am Anfang des Romans steht Veras Begegnung mit ihrem zweiten Ehemann; am Ende steht die Trennung. Zwischen diesen beiden festen Pfosten hängen - wie an einer Wäscheleine - Episoden, die nur locker miteinander verbunden sind. Schmutzige Unterwäsche, politische Transparente, vereinzelte Socken und blutbefleckte Hemden zeugen davon, daß das Leben in Südafrika auch ohne lutte finale lebendig weitergeht, ebenso wie das Sterben.
Man tut Nadine Gordimer gewiß kein Unrecht, wenn man behauptet, daß ihr Roman von der Ästhetik der Soap Opera regiert wird. Es wird aufgeblendet, und es wird abgeblendet. Lange Dialoge unterbrechen den Gang der Handlung oder treiben ihn voran. Schicksalsstränge verknoten sich wie Bettlaken an der Leine, wenn der Wind sie ineinanderbläst, und lösen sich durch einen zweiten Windstoß wieder auf. All das kann Nadine Gordimer sehr gut. Klug konstruiert ist etwa, daß jener junge Mitarbeiter von Vera Stark, der romantisch von den Kriminellen schwärmt, mit denen er als politischer Häftling im Gefängnis saß, später selbst ein Opfer von Gangstern wird. Klug konstruiert ist auch, daß Vera Stark am Schluß als Pächterin bei einem jener illegalen Siedler wohnt, den sie zuvor im Kampf um Land unterstützt hatte.
Vielleicht ist all dies zu klug konstruiert; Die Soap Opera will und will nicht aufhören. Bettwäsche und politische Transparente, noch ein Schicksalsknäuel und noch ein historischer Windstoß. Ja, denkt man beim Lesen unwillkürlich, das ist professionell gemacht, streckenweise sogar gut und gar nicht uninteressant. Aber warum ist die Sprache so glanzlos? Warum findet sich auf den etwa dreihundert Seiten dieses Romans nicht eine Metapher, die im Haarsieb des Gedächtnisses hängenbleibt? Und vor allem: Warum gibt es in dieser Prosa weder ein ironisches Lächeln noch ein sarkastisches Grinsen; warum kein wehmütiges Gelächter darüber, daß der Ausnahmezustand nun vorüber ist und die Normalität beginnt?
Soap Operas können etwas so Schönes sein. Bei diesem Roman werden wir wohl auf die Verfilmung warten müssen.
Nadine Gordimer: "Niemand, der mit mir geht". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Kuhn. Berlin Verlag, Berlin 1995. 304 S., geb., 39,80 DM.
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Was bei Nadine Gordimer alles auf der Wäscheleine hängt / Von Hannes Stein
Bislang hat Südafrika die Unheilspropheten enttäuscht. Die Katastrophe, die von ihnen vorausgesagt worden war, ist bis auf weiteres vertagt, die molekularen Bürgerkriege nach dem Ende der Apartheid haben sich nicht zu einem universalen ethnischen Gemetzel ausgeweitet. Frei nach Carl Schmitt könnte man behaupten: Es ist den Südafrikanern gelungen, die Entscheidungsschlacht in einer ewigen Diskussion ewig zu suspendieren. Ein Wunder. Nein, eine große historische Leistung, die nicht zuletzt dem ANC und Nelson Mandela angerechnet werden muß.
Nadine Gordimers jüngster Roman "Niemand, der mit mir geht" spielt im Jahr vor den ersten demokratischen Wahlen, als noch keineswegs geklärt war, ob sich in Südafrika der liberale common sense durchsetzen würde oder die Bereitschaft, für die Volksgemeinschaft Blutopfer zu bringen. Folgerichtig wird die erste Hälfte des Buches von der vertrauten Hintergrundmelodie politischer Katastrophen begleitet: Illegale schwarze Siedler besetzen das Land eines burischen Farmers. Dieser läßt sich gar nicht erst auf juristische Vermittlungsversuche ein, sondern schießt seine unerwünschten Nachbarn brutal zusammen. Die Rache läßt nicht lange auf sich warten. Radikale schwarze Nationalisten greifen mit Maschinenpistolen und Handgranaten einen mondänen Golfclub an, in dem soeben eine Weinprobe stattfindet.
In der zweiten Hälfte des Romans werden die politischen zunehmend von den privaten Katastrophen übertönt. Ein sechzehnjähriges Schulmädchen läßt sich von einem verheirateten Mann schwängern und muß auf Geheiß ihrer Familie abtreiben. Die Heldin des Romans fällt zusammen mit ihrem Mitarbeiter einem bewaffneten Raubüberfall zum Opfer, und er stirbt an den Spätfolgen. Das ist die frohe Botschaft dieses Buches: Wir schaffen es auch ohne Politik, einander kaputtzumachen.
Ohne Politik? Falsch. Nach dem Ende des Ausnahmezustands hört der politische Diskurs nicht etwa auf, er fängt überhaupt erst an: Nadine Gordimer beschreibt, wie der ANC sich aus einer "Bewegung" zu einer ganz normalen Partei mausert. Sie schildert, wie an die Stelle der hochfliegenden Visionen das zähe Feilschen um Kompromisse tritt, wie öffentliches Rollenspiel plötzlich wichtiger wird als revolutionärer Kampfgeist und wie legalistisches Stückwerk die große Utopie ablöst. Langweilig ist das nicht. Und wäre das Wort "Normalisierung" nicht allzuoft mißbraucht worden, so könnte man sagen, daß dieses Buch genau davon handelt.
Die Autorin erzählt von zwei miteinander befreundeten älteren Ehepaaren: einem schwarzen und einem weißen. Im Zentrum des Geschehens steht die Anwältin Vera Stark, eine verdiente Streiterin gegen die Apartheid. Um sie herum gruppieren sich etliche Männer (ein erster und ein zweiter Ehemann, zeitweilig auch ein heimlicher Geliebter) sowie eine erwachsene Tochter, ein erwachsener Sohn und ein Enkel.
Parallel dazu schildert Nadine Gordimer die Heimkehr von Sibongile ("Sally") und Didymus ("Didy") Maqoma sowie ihrer schönen Tochter Mpho. Es ist eine alte Geschichte, doch ist sie immer neu: Die Exilanten, die Untergetauchten, die Gehetzten kehren heim in die Fremde. Das Land, das sie einst verlassen mußten, gibt es nicht mehr. Nach dem Exil beginnt das Exil.
Die beiden Ehepaare sind grundverschieden und einander doch sehr ähnlich. So geben in beiden Familien die Frauen den Ton an: Vera Stark ist aktiver und näher an der gesellschaftlichen Realität als ihr Mann, der nacheinander als Bildhauer, als Akademiker und als Geschäftsmann scheitert. Und Sibongile Maqoma macht nach ihrer Rückkehr eine steile politische Karriere, während ihr Didy zum alten Eisen geworfen wird. Zudem entpuppt er sich als zwielichtige Gestalt: Didymus Maqoma führte Verhöre in Lagern durch, in denen der ANC südafrikanische Spione und andere Gegner festhielt und foltern ließ. Als Sibongile davon erfährt, will sie nicht mehr mit ihm schlafen. Gleichzeitig bricht auch bei den Starks die große Ehekrise aus: Der gemeinsame Kampf gegen die Apartheid ist kein Kitt mehr, und die Widersprüche brechen offen aus.
Am Anfang des Romans steht Veras Begegnung mit ihrem zweiten Ehemann; am Ende steht die Trennung. Zwischen diesen beiden festen Pfosten hängen - wie an einer Wäscheleine - Episoden, die nur locker miteinander verbunden sind. Schmutzige Unterwäsche, politische Transparente, vereinzelte Socken und blutbefleckte Hemden zeugen davon, daß das Leben in Südafrika auch ohne lutte finale lebendig weitergeht, ebenso wie das Sterben.
Man tut Nadine Gordimer gewiß kein Unrecht, wenn man behauptet, daß ihr Roman von der Ästhetik der Soap Opera regiert wird. Es wird aufgeblendet, und es wird abgeblendet. Lange Dialoge unterbrechen den Gang der Handlung oder treiben ihn voran. Schicksalsstränge verknoten sich wie Bettlaken an der Leine, wenn der Wind sie ineinanderbläst, und lösen sich durch einen zweiten Windstoß wieder auf. All das kann Nadine Gordimer sehr gut. Klug konstruiert ist etwa, daß jener junge Mitarbeiter von Vera Stark, der romantisch von den Kriminellen schwärmt, mit denen er als politischer Häftling im Gefängnis saß, später selbst ein Opfer von Gangstern wird. Klug konstruiert ist auch, daß Vera Stark am Schluß als Pächterin bei einem jener illegalen Siedler wohnt, den sie zuvor im Kampf um Land unterstützt hatte.
Vielleicht ist all dies zu klug konstruiert; Die Soap Opera will und will nicht aufhören. Bettwäsche und politische Transparente, noch ein Schicksalsknäuel und noch ein historischer Windstoß. Ja, denkt man beim Lesen unwillkürlich, das ist professionell gemacht, streckenweise sogar gut und gar nicht uninteressant. Aber warum ist die Sprache so glanzlos? Warum findet sich auf den etwa dreihundert Seiten dieses Romans nicht eine Metapher, die im Haarsieb des Gedächtnisses hängenbleibt? Und vor allem: Warum gibt es in dieser Prosa weder ein ironisches Lächeln noch ein sarkastisches Grinsen; warum kein wehmütiges Gelächter darüber, daß der Ausnahmezustand nun vorüber ist und die Normalität beginnt?
Soap Operas können etwas so Schönes sein. Bei diesem Roman werden wir wohl auf die Verfilmung warten müssen.
Nadine Gordimer: "Niemand, der mit mir geht". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Friederike Kuhn. Berlin Verlag, Berlin 1995. 304 S., geb., 39,80 DM.
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