»Das Erbe kann erst dann angetreten werden, wenn die Alleinerbin meinen letzten Willen erfüllt hat: Frau Nora Weilheim soll die Urne mit meinen sterblichen Überresten von Paris über Wien an einen von mir zu bestimmenden Ort in Österreich transportieren, wo meine Asche ihre letzte Ruhe finden wird.
Ein Teil der Reise soll ausschließlich zu Fuß erfolgen, und zwar unter notarieller Aufsicht. Die…mehr»Das Erbe kann erst dann angetreten werden, wenn die Alleinerbin meinen letzten Willen erfüllt hat: Frau Nora Weilheim soll die Urne mit meinen sterblichen Überresten von Paris über Wien an einen von mir zu bestimmenden Ort in Österreich transportieren, wo meine Asche ihre letzte Ruhe finden wird. Ein Teil der Reise soll ausschließlich zu Fuß erfolgen, und zwar unter notarieller Aufsicht. Die Etappenziele werden von Maître Charles Didier jeweils am Vortag telefonisch oder per Mail durchgegeben.«
Eins der ersten Gefühle, das Nora überfällt, ist Wut. Wut auf ihren Vater, der sie mit geradezu erpresserischen Methoden nötigt, seinen letzten Willen zu erfüllen. Eine tagelange Wanderung mit ungewissem Ziel widerstrebt ihr zutiefst – und dann noch mit einem solchen Weggefährten! Denn Bernhard, ein junger Notariatsgehilfe aus Wien, der sie zwecks „Aufsicht“ begleiten soll, ist charakterlich so ziemlich das genaue Gegenteil von ihr…
Ein sehr unterhaltsamer Reisebericht war dies! Der Reiz lag für mich vor allem in den ständigen Reibereien zwischen Nora und Bernhard. Zwei Menschen, grundverschieden und ständig durch die Eigenarten des jeweils anderen genervt, die gezwungen sind, sich gemeinsam durchzuschlagen – das liefert viel Stoff für Konflikte, lässt aber auch reichlich Einblicke in die Psyche der beiden zu. Ich fragte mich ständig, woraus bestimmte Handlungsweisen und/oder Ansichten entstanden sein konnten. Manches war offensichtlich, anderes kam erst so nach und nach zu Tage.
Eine Wanderung, zumal über eine lange Strecke, bringt immer auch mit sich, dass man über sich selbst nachdenkt. Die Situation ist geradezu ideal, denn es ist kein Alltag da, der einen beschäftigt und den Geist fesselt, manchmal geschieht über Stunden hinweg nichts weiter, als dass man einen Fuß vor den anderen setzt. Kein Wunder, dass sich da die Gedanken ebenfalls „auf den Weg“ machen. Das alles kommt hier sehr schön rüber!
Der Stil des Autors gefällt mir sehr, er lässt sich leicht lesen und bringt immer wieder humorvolle Einlagen. So bleibt man gerne dran!
Was mich persönlich nervte, war der für mein Empfinden sehr schwülstige Ton in den Nachrichten von Noras Vater. Ist einfach nicht mein Ding, andere Leser stört das vermutlich weniger. Noras Vater hatte im Leben einige Dinge versäumt, einiges blieb ungesagt. Dass er dies noch ins Reine bringen wollte, kann ich verstehen. Aber die Art und Weise, wie er es tat, empfand ich manchmal als eine Zumutung für Nora.
Worüber ich außerdem rätselte, war, wieso Nora (und Bernhard) so lange nicht klar wurde, was mir schon längst deutlich vor Augen stand.
Fazit: Schöne und unterhaltsame Geschichte mit Witz und Tiefgang. Teilweise aber für mich recht vorhersehbar.
»So läuft das, wenn man länger geht: Gedanken kommen und gehen in einem gewissen Rhythmus, und es fällt leicht, sie einfach wieder ziehen zu lassen.«