Produktdetails
  • Verlag: Brill Fink
  • 1998.
  • Seitenzahl: 341
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 476g
  • ISBN-13: 9783770532308
  • ISBN-10: 3770532309
  • Artikelnr.: 07125400
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Arthur C. Danto, geboren 1924 in Ann Arbor, Michigan, war Philosoph und Kunstkritiker. Danto lehrte seit 1951 bis zu seiner Emeritierung an der Columbia University in New York. Er ist am 25. Oktober 2013 im Alter von 89 Jahren gestorben.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.1999

Die Bedeutung des Angelsports für das Geistesleben
Jede Form der Philosophiegeschichtsschreibung hat ihren Haken: Arthur C. Danto will Friedrich Nietzsche für die analytische Philosophie einfangen

Arthur Dantos im Fink-Verlag erschienenes Buch "Nietzsche als Philosoph" ist die deutsche Übersetzung einer Monographie, der einige spätere Texte des Verfassers voran- und nachgestellt sind: zwei Vorworte (von denen das eine für die deutsche Übersetzung geschrieben wurde) und vier Abhandlungen, in denen Danto verschiedene Aspekte seiner Nietzsche-Deutung weiter ausführt. Diese Rahmung, in der Dantos Nietzsche-Monographie damit der deutschen Leserschaft präsentiert wird, hat ihren guten Grund: Sie ist bereits 1965 auf englisch erschienen. Nahezu fünfunddreißig Jahre sind selbst in der Philosophie, dieser merkwürdig ahistorischen Disziplin, eine lange Zeit. Erst recht gilt dies für die philosophische Diskussion über Nietzsche, die überhaupt erst seit den sechziger Jahren richtig in Gang, weil aus den ideologischen Gräben herausgekommen ist. Dafür aber war Dantos Buch ein entscheidender Anstoß - vergleichbar nur dem, den etwa gleichzeitig Gilles Deleuze der französischen Diskussion gegeben hat. (Während für die deutsche Diskussion kein vergleichbares Ereignis zu verzeichnen ist; hier wurde statt dessen die kritische Gesamtausgabe auf den Weg gebracht.)

Vergleichbar sind beide Bücher aber nicht nur in ihrer Bedeutung, sie sind es auch in ihrer Entscheidung, Nietzsche - wie es Dantos selbstbewußter Titel reklamiert - "als Philosophen", und nur als Philosophen, zu nehmen. (Deleuzes Titel lautete ganz ähnlich: "Nietzsche und die Philosophie".) Nietzsche als Philosoph - das heißt für Danto zunächst einmal nicht als "Antichrist", nicht als Ideologe, Weltanschauler, Lebensreformer, Prophet. Nietzsche als Philosophen zu nehmen, das heißt für Danto vor allem, ihn als jemanden zu nehmen, der zu den traditionellen Problemen der Philosophie, den Problemen der Erkenntnis, der Moral, der Psychologie, der Ontologie argumentativ Stellung nimmt. Danto will zeigen, aus welchem Grund Nietzsche "berechtigt ist, ein Philosoph genannt zu werden", um ihn dadurch "für meine Disziplin vor all den Poeten, Politikern, Kiffern und Photographen Princetons zu retten".

Läßt man den Provinzialismus dieser Formel beiseite (wie die Konkurrenz zwischen Schalke und Dortmund so elektrisiert auch die zwischen Columbia, wo Danto lehrte, und Princeton nur die Fans ihrer Liga), so zielt die von Danto anvisierte Rettung Nietzsches für die Philosophie darauf, ihn als "systematischen Denker" zu erweisen. Was das wiederum heißt, darüber konnte (und kann) es in Dantos Kreisen keinen Zweifel geben: Es heißt, "analytischer" Philosoph sein. Mehr noch: zu zeigen, "daß Nietzsche, den man ja so gerne als Vorläufer der irrationalistischen Strömung in der zeitgenössischen Philosophie versteht, sich in seinen eigenen Schriften zu den Hauptproblemen der Philosophie in einer Weise äußert, die fast gänzlich im Geiste des Logischen Positivismus gehalten ist".

In "kontinentalen" Philosophietraditionen erzogene Nietzsche-Leser, die bei einer solchen Behauptung zusammenzucken, mögen sich im Gedanken an die weit größere Zumutung beruhigen, die diese Behauptung - wir sind immer noch im Jahr 1965 - für einen analytisch trainierten Philosophen dargestellt haben muß. Denn daß Nietzsches Überlegungen sich wie ein Stück analytische Philosophie lesen lassen, das heißt in einfacher Umkehrung zugleich auch, daß sich die analytische Philosophie so fortschreiben läßt, daß sie zu diesen Überlegungen gelangt. Ja, es meint, daß die analytische Philosophie so fortgeschrieben werden sollte. Sie hat nichts dringender als ihren Nietzsche nötig.

An einer Stelle seines Buches berichtet Danto davon, wie Nietzsche im Sommer 1877 in der Schweiz auf Croom Robertson, den Herausgeber von "Mind", traf - nach Nietzsches damaligem Urteil die "beste englische Zeitschrift über Philosophie", nach Dantos Einschätzung "schon damals ein eigentümlich trockenes Periodikum mit streng logischer Ausrichtung". Nietzsche, völlig isoliert von der kontinentalen Schulphilosophie, knüpfte an diese Begegnung die allergrößte Erwartung; er hoffte tatsächlich, in "Mind" veröffentlichen zu können und damit eine Leserschaft zu gewinnen. Bekanntlich ist daraus nichts geworden. Aber - davon ist Danto überzeugt - nicht nur zum Schaden Nietzsches, sondern ebensosehr der regelmäßigen Leser von "Mind". Dantos Ehrgeiz zielt darauf, den seit jener Episode ausgebliebenen "direkten Einfluß" Nietzsches auf die analytische Philosophie endlich herzustellen und zu sichern. Dantos Buch soll nicht nur die Vorwegnahme weiter Teile der (damals) gegenwärtigen analytischen Philosophie durch Nietzsche demonstrieren, es soll selbst zur weiteren Entwicklung der analytischen Philosophie beitragen. Es ist ein Buch, dem es mindestens ebensosehr darum geht, die analytische Philosophie wie Nietzsche "zu retten".

Diese doppelte Rettung in einem vollzieht Danto durch seine Erläuterung dessen, was er Nietzsches "Nihilismus" nennt. Natürlich weiß Danto und macht dies deutlich, daß Nietzsche den Nihilismus im gewöhnlichen Sinn des Wortes kritisiert: als eine Haltung, gar Bewegung der Bestreitung jeden Wertes und jeden Sinns. Diese Kritik aber muß so verstanden werden, daß der gewöhnliche Nihilismus nur ein halbierter ist: Er vermag nämlich jeden bestehenden Wert und Sinn nur so zu bestreiten, daß er sie an der Idee eines (ganz) anderen Werts oder Sinns bemißt. Nietzsches Nihilismus dagegen ist konsequenter Nihilismus. Er treibt die Bestreitung bis zu dem Punkt voran, an dem sie in Bejahung umschlägt.

Um das zu verstehen, muß man sich nach Danto klarmachen, daß Nietzsche gar nicht "die gewöhnlichen Glaubenssätze der gewöhnlichen Menschen unter Beschuß genommen (hat), sondern die philosophischen Rechtfertigungen dieser Glaubenssätze durch Philosophen". Das ist der Gegenstand von Nietzsches Nihilismus: Er bestreitet nicht irgendwelche Werte oder irgendwelchen Sinn, sondern den philosophischen Versuch ihrer Verankerung in der Welt. "Nietzsches Polemik richtet sich gegen die Philosophen" - und zwar gegen alle Philosophie, die an mehr als Interpretationen glaubt, die darum rivalisieren, die "nützlichste" zu sein; gegen alle Philosophie also, die - sei es in Fragen der Erkenntnis oder der Moral - noch nicht "Perspektivismus" ist.

Dieser Einwand gegen die traditionelle Philosophie läßt sich mit den Mitteln der analytischen Philosophie formulieren, er richtet sich aber auch gegen die analytische Philosophie selbst: sofern auch sie noch, im Gewand von Empirismus und Szientismus, das alte philosophische Geschäft betreibt, "das menschliche Wissen auf dauerhaftem, erhofftermaßen unwandelbarem Grund neu zu errichten". An dessen Stelle sieht Danto Nietzsche in aller Unschuld das Bewußtsein setzen, "daß die Welt etwas von uns Gemachtes und immer wieder zu Machendes darstellt", das nur einem Kriterium unterliegt: daß es "funktioniert", daß es "nützt".

Das alles klingt fünfunddreißig Jahre später altvertraut; in einem der im Anhang abgedruckten Texte erwähnt Danto selbst Rortys Neopragmatismus und die Rezeption von Wittgensteins Spätphilosophie seit den sechziger Jahren als Spielarten einer Philosophie des "semantischen Nihilismus" (der er selbst keineswegs uneingeschränkt zustimmt). Nach der Lektüre von Dantos Nietzsche-Buch aber lesen sich diese Entwicklungen in der analytischen Philosophie in den letzten Jahrzehnten anders: Es könnte sich bei ihnen um Entwicklungen handeln, die von Nietzsche nicht mehr nur vorweggenommen, sondern durch ihn - wenn auch nicht direkt, sondern indirekt: eben durch Dantos Deutung - beeinflußt worden sind.

Gilt das umgekehrt auch für Nietzsche? Liest sich auch Nietzsche aus der Perspektive dieser Entwicklungen in der analytischen Philosophie anders? In seiner Monographie von 1965 erklärt Danto wiederholt seine Überzeugung, alles aus Nietzsche herausgeholt zu haben, was in ihm als Philosophen, in systematischer Rekonstruktion, drinsteckt. Alles weitere gehört zu dem, was uns als und an Philosophen nicht zu interessieren hat: zu Nietzsches "Rhetorik", seiner unnötig "entflammten Sprache", seinem "unverantwortlichen Stil". Hier, wo Nietzsche "als Schriftsteller" auftritt, ist er all das, wovor Dantos Rekonstruktion von Nietzsche als Philosoph ihn und uns retten soll: der Prophet des Übermenschen, der Zerstörer der Moral, der Ideologe der Macht.

Es gehört zum Interessantesten an Dantos späteren Aufsätzen über Nietzsche, wie er diese einfache Unterscheidung zwischen dem Philosophen und dem Schriftsteller hinter sich läßt. Nicht nur erscheint ihm später der Philosoph Nietzsche zweideutiger, sondern auch der Schriftsteller Nietzsche der Betrachtung würdig, ja nötig; vor allem Dantos eindringlicher Essay zur aphoristischen Form in Nietzsches "Genealogie der Moral" zeigt dies. In ihm findet sich das folgende bemerkenswerte Eingeständnis: "Die Genealogie der Moral als verfrühte analytische Philosophie behandeln, heißt, einen Köder verschluckt und noch nicht den Haken gespürt zu haben." Dieser Haken, den Nietzsche ins Fleisch der Philosophie gebohrt hat, besteht in nichts, was er gesagt hat, sondern darin, wie er es gesagt hat. Wie eine Philosophie aussehen müßte (und ob und in welchem Sinn sie noch "analytisch" heißen könnte), die diesen Widerhaken zu ihrem Dreh- und Angelpunkt zu machen vermöchte - das ist die offene Frage, mit der Dantos Nietzsche-Beschäftigung schließt. Sie zu beantworten hieße Dantos Programm zu vollenden: Nietzsche für die Philosophie "zu retten" - und damit die Philosophie so zu verändern, daß sie Nietzsche für sich retten kann. CHRISTOPH MENKE.

Arthur C. Danto: "Nietzsche als Philosoph". Aus dem Englischen von Burkhardt Wolf. Wilhelm Fink Verlag, München 1998. 341 S., br., 58,- DM.

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