Endlich liegt mit Nietzsche und die Metapher auch in deutscher Übersetzung das erste Buch der großen französischen Nietzsche-Expertin Sarah Kofman vor. Hervorgegangen aus ihrer Dissertation, betreut von Gilles Deleuze, rekonstruiert diese Arbeit den stilistischen und philosophischen Gehalt, welchen die Metapher in Nietzsches Denken beansprucht.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2015Die unerbittliche Leserin
Neue Übersetzungen und eine Biographie beleuchten das Werk der französischen Philosophin Sarah Kofman
Die französische Philosophin Sarah Kofman hat in ihrem umfangreichen Werk immer wieder das Problem autobiographischen Schreibens behandelt - anhand der Lektüre von Autoren wie Nietzsche, Freud oder E.T.A. Hoffmann -, ohne es für sich selbst schreibend zu lösen. Mit Freud teilte sie die Auffassung, die biographische Wahrheit sei weder zu haben noch besonders wünschenswert. Die eigene Erfahrung ihrer langjährigen Therapie bei dem Psychoanalytiker Serge Viderman, über die sie sich nur sporadisch und fragmentarisch äußerte, untermauerte eine kritische Haltung gegenüber der Biographie als Form, die unter Pariser Intellektuellen weit verbreitet war. Der Soziologe Pierre Bourdieu brachte sie in einem Artikel aus den frühen achtziger Jahren auf den Punkt, indem er von der "biographischen Illusion" sprach.
Nach mehreren Anläufen publizierte Kofman 1994 im Alter von sechzig Jahren schließlich aber ein knapp hundertseitiges Buch über ihre Kindheit im Paris der deutschen Besatzungszeit, das nur zwei Straßennamen im Titel trägt: Rue Ordener, Rue Labat. Die beiden Adressen im 18. Pariser Arrondissement verweisen auf den grundlegenden Zwiespalt der Philosophin, die als Tochter von polnischen Juden nach der Deportation und dem Tod des Vaters von einer Französin versteckt und gerettet wurde. In nüchternem Stil schildert dieser Text den Übergang aus der jüdisch-orthodoxen Familienwelt der Rue Ordener, in der die Speisegebote aufs strengste befolgt wurden, in die katholische Welt der Ersatzmutter in der Rue Labat, wo Kofman zunächst gegen ihren Willen Schweinefleisch essen muss, ihre Eltern und das Judentum aber bald vergisst.
Das Buch ist jedoch nicht nur beklemmender Bericht einer Überlebenden der Judenverfolgung über eine zerrissene Kindheit, sondern auch Reflexion über das eigene Schreiben der späteren Philosophin. Es beginnt mit dem Blick auf den auf ihrem Schreibtisch plazierten Füller des Vaters, den einzigen Erinnerungsgegenstand: "Vielleicht waren meine zahlreichen Bücher Umwege, die notwendig waren, um endlich ,das' erzählen zu können." Der Umstand, dass Sarah Kofman sich kurz nach dem Erscheinen dieses Buches das Leben nahm, hat viele Kommentatoren dazu geführt, das Wort "vielleicht" zu übersehen und ihr Werk ausschließlich in Bezug auf ihre traumatische Kindheit zu lesen.
Zwanzig Jahre nach Kofmans Tod legt Karoline Feyertag nun die erste Biographie vor. Der große Anspruch, dem die Autorin mit ihr genügen möchte - einerseits Versuch einer historischen Kontextualisierung und Interpretation der wichtigsten Schriften Kofmans, andererseits aber eine Auseinandersetzung mit dem Genre Biographie selbst -, war wohl kaum einzulösen. Zwar legt Feyertags Biographie den Akzent immer wieder auf interessante und wichtige Aspekte: So wird etwa die bedeutende Rolle der Ethnologin Dina Dreyfus, der ersten Frau von Claude Lévi-Strauss, für Kofmans Karriereanfänge und ihr eigenes Verständnis des philosophischen Unterrichts aufgezeigt; dasselbe gilt für die allerdings bekannten Distanzierungen der Philosophin von einem Projekt "weiblichen Schreibens" und anderen theoretischen Positionen des Feminismus.
Doch bleibt der Text, der sich vorwiegend auf Interviews mit Freunden, Weggefährten und Schülern Kofmans stützt, auf der rein rekonstruktiven Ebene in vielen Punkten lückenhaft: Weder über die Schwierigkeiten mit akademischen Institutionen wie der Sorbonne, wo sie erst wenige Jahre vor ihrem Tod eine Stelle als Professorin erhielt, noch über die Zusammenarbeit und Freundschaft mit Jacques Derrida, Philippe Lacoue-La-barthe und Jean-Luc Nancy erfährt man viel. Schablonenhaft muten die Werkinterpretationen an, etwa wenn Kofmans jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Nietzsche und Freud als Versuch begriffen wird, "ihre persönliche Vergangenheit als verfolgte Jüdin mit der allgemeinen Geschichte des 20. Jahrhunderts und der philosophischen Kritik an den humanistischen Idealen der Aufklärung in Einklang zu bringen".
Glücklicherweise liegen nun mit "Nietzsche und die Metapher" (1972) und "Camera obscura. Von der Ideologie" (1973) zwei zentrale frühe Bücher Sarah Kofmans erstmals auf Deutsch vor, die die singuläre Form der philosophischen Lektüre dieser Autorin besser vorführen als jeder Kommentar. Hier zeigt sich eindrücklich, in welchem Sinne sie jene genaue und "unerbittliche Leserin" war, als die Jacques Derrida sie in seinem Nachruf würdigte. Eine Genauigkeit, die sich in dem unbedingten Anspruch äußert, den Texten Nietzsches und Freuds in all ihren Widersprüchen gerecht zu werden. Zugleich demonstrieren diese beiden Bücher die Nähe und Distanz Kofmans zu anderen prominenten Lesern ihrer Zeit (neben Derrida auch zu Gilles Deleuze, der ihre Doktorarbeit betreute). Neu ist die zentrale Rolle, die der Metapher als Strategie und nicht als bloß rhetorischem Mittel im Werk Nietzsches zugemessen wird. Sie galt Kofman als der eigentliche Schlüssel zu einer neuen philosophischen Schreibweise, einer Form der Dekonstruktion, die in strenger Philologie gründet.
In diesem Sinne setzen diese beiden frühen Bücher den programmatischen Anfang für ihre späteren Texte; insbesondere "Camera obscura" als konziser metaphorologischer Versuch über die Voraussetzungen der zeittypischen Ideologiekritik.
ANDREAS MAYER.
Sarah Kofman: "Nietzsche und die Metapher".
Aus dem Französischen von Florian Scherübl. Wolff Verlag, Berlin 2015. 290 S., br., 19,90 [Euro].
Sarah Kofman: " Camera obscura". Von der Ideologie.
Aus dem Französischen von Marco Gutjahr. Turia + Kant Verlag, Wien, Berlin 2014. 162 S., br., 19,- [Euro].
Sarah Kofman: "Rue Ordener, Rue Labat". Autobiographisches Fragment.
Aus dem Französischen von Ursula Beitz. Diaphanes Verlag, Zürich,Berlin 2014. 96 S., br., 10,95 [Euro].
Karoline Feyertag: "Sarah Kofman".
Eine Biographie.
Turia + Kant Verlag, Wien, Berlin 2014. 336 S., br., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neue Übersetzungen und eine Biographie beleuchten das Werk der französischen Philosophin Sarah Kofman
Die französische Philosophin Sarah Kofman hat in ihrem umfangreichen Werk immer wieder das Problem autobiographischen Schreibens behandelt - anhand der Lektüre von Autoren wie Nietzsche, Freud oder E.T.A. Hoffmann -, ohne es für sich selbst schreibend zu lösen. Mit Freud teilte sie die Auffassung, die biographische Wahrheit sei weder zu haben noch besonders wünschenswert. Die eigene Erfahrung ihrer langjährigen Therapie bei dem Psychoanalytiker Serge Viderman, über die sie sich nur sporadisch und fragmentarisch äußerte, untermauerte eine kritische Haltung gegenüber der Biographie als Form, die unter Pariser Intellektuellen weit verbreitet war. Der Soziologe Pierre Bourdieu brachte sie in einem Artikel aus den frühen achtziger Jahren auf den Punkt, indem er von der "biographischen Illusion" sprach.
Nach mehreren Anläufen publizierte Kofman 1994 im Alter von sechzig Jahren schließlich aber ein knapp hundertseitiges Buch über ihre Kindheit im Paris der deutschen Besatzungszeit, das nur zwei Straßennamen im Titel trägt: Rue Ordener, Rue Labat. Die beiden Adressen im 18. Pariser Arrondissement verweisen auf den grundlegenden Zwiespalt der Philosophin, die als Tochter von polnischen Juden nach der Deportation und dem Tod des Vaters von einer Französin versteckt und gerettet wurde. In nüchternem Stil schildert dieser Text den Übergang aus der jüdisch-orthodoxen Familienwelt der Rue Ordener, in der die Speisegebote aufs strengste befolgt wurden, in die katholische Welt der Ersatzmutter in der Rue Labat, wo Kofman zunächst gegen ihren Willen Schweinefleisch essen muss, ihre Eltern und das Judentum aber bald vergisst.
Das Buch ist jedoch nicht nur beklemmender Bericht einer Überlebenden der Judenverfolgung über eine zerrissene Kindheit, sondern auch Reflexion über das eigene Schreiben der späteren Philosophin. Es beginnt mit dem Blick auf den auf ihrem Schreibtisch plazierten Füller des Vaters, den einzigen Erinnerungsgegenstand: "Vielleicht waren meine zahlreichen Bücher Umwege, die notwendig waren, um endlich ,das' erzählen zu können." Der Umstand, dass Sarah Kofman sich kurz nach dem Erscheinen dieses Buches das Leben nahm, hat viele Kommentatoren dazu geführt, das Wort "vielleicht" zu übersehen und ihr Werk ausschließlich in Bezug auf ihre traumatische Kindheit zu lesen.
Zwanzig Jahre nach Kofmans Tod legt Karoline Feyertag nun die erste Biographie vor. Der große Anspruch, dem die Autorin mit ihr genügen möchte - einerseits Versuch einer historischen Kontextualisierung und Interpretation der wichtigsten Schriften Kofmans, andererseits aber eine Auseinandersetzung mit dem Genre Biographie selbst -, war wohl kaum einzulösen. Zwar legt Feyertags Biographie den Akzent immer wieder auf interessante und wichtige Aspekte: So wird etwa die bedeutende Rolle der Ethnologin Dina Dreyfus, der ersten Frau von Claude Lévi-Strauss, für Kofmans Karriereanfänge und ihr eigenes Verständnis des philosophischen Unterrichts aufgezeigt; dasselbe gilt für die allerdings bekannten Distanzierungen der Philosophin von einem Projekt "weiblichen Schreibens" und anderen theoretischen Positionen des Feminismus.
Doch bleibt der Text, der sich vorwiegend auf Interviews mit Freunden, Weggefährten und Schülern Kofmans stützt, auf der rein rekonstruktiven Ebene in vielen Punkten lückenhaft: Weder über die Schwierigkeiten mit akademischen Institutionen wie der Sorbonne, wo sie erst wenige Jahre vor ihrem Tod eine Stelle als Professorin erhielt, noch über die Zusammenarbeit und Freundschaft mit Jacques Derrida, Philippe Lacoue-La-barthe und Jean-Luc Nancy erfährt man viel. Schablonenhaft muten die Werkinterpretationen an, etwa wenn Kofmans jahrzehntelange Auseinandersetzung mit Nietzsche und Freud als Versuch begriffen wird, "ihre persönliche Vergangenheit als verfolgte Jüdin mit der allgemeinen Geschichte des 20. Jahrhunderts und der philosophischen Kritik an den humanistischen Idealen der Aufklärung in Einklang zu bringen".
Glücklicherweise liegen nun mit "Nietzsche und die Metapher" (1972) und "Camera obscura. Von der Ideologie" (1973) zwei zentrale frühe Bücher Sarah Kofmans erstmals auf Deutsch vor, die die singuläre Form der philosophischen Lektüre dieser Autorin besser vorführen als jeder Kommentar. Hier zeigt sich eindrücklich, in welchem Sinne sie jene genaue und "unerbittliche Leserin" war, als die Jacques Derrida sie in seinem Nachruf würdigte. Eine Genauigkeit, die sich in dem unbedingten Anspruch äußert, den Texten Nietzsches und Freuds in all ihren Widersprüchen gerecht zu werden. Zugleich demonstrieren diese beiden Bücher die Nähe und Distanz Kofmans zu anderen prominenten Lesern ihrer Zeit (neben Derrida auch zu Gilles Deleuze, der ihre Doktorarbeit betreute). Neu ist die zentrale Rolle, die der Metapher als Strategie und nicht als bloß rhetorischem Mittel im Werk Nietzsches zugemessen wird. Sie galt Kofman als der eigentliche Schlüssel zu einer neuen philosophischen Schreibweise, einer Form der Dekonstruktion, die in strenger Philologie gründet.
In diesem Sinne setzen diese beiden frühen Bücher den programmatischen Anfang für ihre späteren Texte; insbesondere "Camera obscura" als konziser metaphorologischer Versuch über die Voraussetzungen der zeittypischen Ideologiekritik.
ANDREAS MAYER.
Sarah Kofman: "Nietzsche und die Metapher".
Aus dem Französischen von Florian Scherübl. Wolff Verlag, Berlin 2015. 290 S., br., 19,90 [Euro].
Sarah Kofman: " Camera obscura". Von der Ideologie.
Aus dem Französischen von Marco Gutjahr. Turia + Kant Verlag, Wien, Berlin 2014. 162 S., br., 19,- [Euro].
Sarah Kofman: "Rue Ordener, Rue Labat". Autobiographisches Fragment.
Aus dem Französischen von Ursula Beitz. Diaphanes Verlag, Zürich,Berlin 2014. 96 S., br., 10,95 [Euro].
Karoline Feyertag: "Sarah Kofman".
Eine Biographie.
Turia + Kant Verlag, Wien, Berlin 2014. 336 S., br., 32,- [Euro].
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