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Im August 1900 liegt der gelähmte und für wahnsinnig erklärte Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Sterbezimmer in Weimar. Mit einer Überdosis Opium will er der makabren Komödie, die ihn zum Kultstar des Fin de Siecle macht, ein Ende bereiten. Doch statt in den Tod flüchtet sich sein Geist in einen letzten Traum. Darin trifft er, eingeliefert in ein Baseler Irrenhaus, neben einer Reihe vermeintlicher Freunde auch seinen einstigen Lieblingsschüler Ludwig von Scheffler. Dieser entführt ihn aus der Anstalt. Zusammen brechen sie nach Italien auf. Als der Philosoph wieder in sein Sterbezimmer…mehr

Produktbeschreibung
Im August 1900 liegt der gelähmte und für wahnsinnig erklärte Philosoph Friedrich Nietzsche in seinem Sterbezimmer in Weimar. Mit einer Überdosis Opium will er der makabren Komödie, die ihn zum Kultstar des Fin de Siecle macht, ein Ende bereiten. Doch statt in den Tod flüchtet sich sein Geist in einen letzten Traum. Darin trifft er, eingeliefert in ein Baseler Irrenhaus, neben einer Reihe vermeintlicher Freunde auch seinen einstigen Lieblingsschüler Ludwig von Scheffler. Dieser entführt ihn aus der Anstalt. Zusammen brechen sie nach Italien auf. Als der Philosoph wieder in sein Sterbezimmer zurückkehrt, muss er in einer Vision erleben, dass seine Schwester Elisabeth den eben an die Macht gelangten Adolf Hitler als den neuen Übermenschen preist.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2000

Mummenschanz auf Toteninsel
Also sprach Nietzsche: Joachim Köhler träumt Geistesgeschichte

Am 12. November 1887 sandte Friedrich Nietzsche seinem barmherzigen Freund, dem Basler Theologen Franz Overbeck, aus dem schönen Nizza eine trostlose Bilanz: "Dieses schreckliche Jahrzehnt, das ich hinter mir habe, hat mir reichlich zu kosten gegeben, was Alleinsein, Vereinsamung bis zu diesem Grade, bedeutet: die Vereinsamung und Schutzlosigkeit eines Leidenden, der kein Mittel hat sich auch nur zu wehren." Bei seiner anschließenden Klage, jedermann habe sich "mit irgend einer Absurdität" an ihm vergriffen, konnte der Philosoph noch nicht ahnen, welch obszöne Geschichte von Vereinnahmungen Person und Werk zeigen sollten. Joachim Köhlers Nietzsche-Roman ist in dieser Hinsicht ein zwiespältiges Unterfangen. Er bemächtigt sich Nietzsches und seiner Äußerungen bis hinein ins wörtliche Zitat mit der Absicht, ihn aus dieser Vereinnahmungsgeschichte symbolisch zu befreien.

Der Grundeinfall will, dass Nietzsche sich im Jahre 1900 aus seiner Krankheit und Gefangenschaft als Inventarstück des Archivs seiner Schwester hinwegträumt und die Ereignisse seit dem Zusammenbruch in Turin am 3. Januar 1889 noch einmal durchlebt. Dabei hat Joachim Köhler seinem Helden viele alte und einige neue Bekannte zugestellt. Neben der garstigen Schwester Elisabeth und dem alten Freund Overbeck und seiner Frau Ida den Nervenarzt Ludwig Wille, den angeblichen Lieblingsschüler Ludwig von Scheffler, den Musiker und Jünger Peter Gast, die Frauenrechtlerin Helene von Druskowitz und den Nietzscheaner Paul J. Möbius, den Verfasser der berüchtigten Abhandlung über den Schwachsinn des Weibes. Eine besondere Rolle spielen schließlich der Maler Arnold Böcklin und sein Bild "Die Toteninsel". Mit sicherer Hand verleiht Köhler den Personen eine karikaturistische Kennung. So erzeugt er den Eindruck, dass Nietzsche in den Basler und Weimarer Zirkeln keineswegs der Verrückteste gewesen ist.

Die Dialoge und Ereignisse des Romans beruhen, teils in Form wörtlicher Zitate, auf Schriften, Briefen und den Dokumenten zu Nietzsches Krankengeschichte, die Köhler mit großem Geschick und sprachlicher Sicherheit weitergesponnen hat. Das führt zwangsläufig zu einem Konversationston von grotesker Künstlichkeit, gelegentlich zu druckreif formuliertem baren Unsinn. Köhler treibt das in einer ironischen Stilhaltung auf die Spitze, um die Geschichte in der Tradition von Thomas Manns Montagetechnik als Komödie des Geisteslebens zu inszenieren. Zwar greift der Autor dabei auf alle bekannten Bizarrerien und Blasphemien des späten Nietzsche zu, und auch der Syphilis-Schauder wird nicht verschmäht, jedoch in deutlicher und kühler Distanz zur sensationsheischenden Kolportage.

"Wie Sie sich um Nietzsche die Köpfe zerbrechen, wie Sie ihm mit Ihrer Vernunft auf den Leib rücken, ihn auf den Seziertisch Ihrer Neugier zerren. Phänomenal. Und jetzt wird auch noch zu Mitleid mit ihm aufgerufen. Welch makabre Krönung, meine Herrschaften." Bei Köhler repräsentiert jede literarisch-historische Person ein Nietzsche-Bild. Der Philosoph erscheint als Übermensch, einzigartiger Geistesheld und überlegener Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft, der des Mitleids von Kleingeistern nicht bedarf, als eitler und größenwahnsinniger Spinner, als interessanter psychiatrischer Fall, als bedauernswerte Inkarnation tiefster Selbstzweifel oder als gutmütiger, weltfremder Einzelgänger. Schließlich mythologisch-psychologisch als weiblicher Charakter und einsam am Ufer sitzende Ariadne, die ewig vergeblich auf ihre Erlösung wartet. Als dunkler Spiegel der unvereinbaren Ansichten dient auf geistreiche Weise Böcklins Bild "Die Toteninsel" von 1880, das sich im Baseler Kunstmuseum befindet. Jede der handelnden Personen sieht es auf ihre Weise und stellt dem Leser damit die Befangenheiten vor Augen.

Köhlers ironischen Geschichtskonstruktionen ist dabei nichts heilig. Das Basel der Jahrhundertwende wird als Jahrmarkt kleinkarierter Interessen dargestellt, auf dem es nicht viel anders zugeht als im örtlichen Irrenhaus. Die gelehrte Welt erscheint in Gestalt erschlaffter grauer Herren, die unter Schlaflosigkeit und seelischer Verstimmung leiden und um ihre Reputation fürchten. Die Psychotherapie ist ein Zirkus grotesker Eitelkeit und sarkastischer Selbstspiegelung. Der Maler ist ein verkitschter Geck und Erotomane, der Weltverbesserer Möbius ein verklemmter Fanatiker und Dummschwätzer, und die neurotische Männerfeindin tut sich an älteren Herren mit Spitzbauch gütlich. Am Ende erweist sich das Dionysische als alberne Turnübung frustrierter und alkoholisierter bürgerlicher Individuen, wie überhaupt alle pseudoarchaischen und radikalen Vorstellungen des deutschen Griechentums bei Köhler der Lächerlichkeit verfallen. Eine auffällige Ausnahme bildet nur Jacob Burckhardt, dessen "Griechische Kulturgeschichte" (1899) das bürgerliche Griechenland grundsätzlicher in Frage stellte als Nietzsches "Geburt der Tragödie". Der noble Basler Kunsthistoriker bleibt dezent im Hintergrund.

So fügt sich dieser Interpretationsroman zu einem Panoptikum der Geisteswelt des späten neunzehnten Jahrhunderts, zu einem Irrgarten der Ansichten, in dem der Leser den Ariadne-Faden fest in der Hand behalten muss. Das Buch erscheint verdächtigerweise im Nietzsche-Jahr, aber es wäre verfehlt, daraus auf vornehmlich kommerzielle Absichten zu schließen. Dazu sind die Bezüge und Anspielungen dieses Gedankenspiels zu vertrackt. Zwar sind die Figuren aus Wachs, aber durch Köhlers Beleuchtungskunst aus dem Geist von Nietzsches "Fröhlicher Wissenschaft" (über die der Romancier 1977 promoviert hat) erwachen sie zu kunstvoller Präsenz. Natürlich vereinnahmt auch Köhler Nietzsche, aber auf eine so distanzierte und heiter-ironische Weise, dass Peinlichkeit selten aufkommt. Am Ende wünscht der Leser beinahe, Nietzsches Ende hätte sich so zugetragen, wie es hier beschrieben ist.

FRIEDMAR APEL

Joachim Köhler: "Nietzsches letzter Traum". Roman. Karl Blessing Verlag, München 2000. 320 S., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Immer wieder im Rückgriff auf Thomas Manns "intelligente Stellung zu Nietzsche" betrachtet Edo Reents diesen Roman, der ihm ausnehmend gut gefallen hat. Mit dem einfachen aber wirkungsvollen "Kniff", die ganze Erzählung als im Opiumtraum Nietzsches an ihm selbst vorbeiziehendes Leben darzustellen, hat er sich nicht auf biografische Historizität, dafür aber auf "ästhetische Wahrhaftigkeit"eingelassen, findet der Rezensent. Und was bei Thomas Mann als Tragödie des "Doktor Faustus" daherkommt, ist hier eine schrille Komödie geworden. Mit "grellen Szenen" vom "Weltgenie", der z.B. als "Dionysos-Imitator nackt vor seinen Turiner Zimmerwirten herumtanzt", inszeniert hier ein "stilistisch brillanter Erzähler" eine Interpretation von Leben und Werk, die vom "Verhängnis", wie der Philosoph sich selber sah, nicht mehr viel übrig lässt. Köhler hat als junger Mann über Nietzsche dissertiert, schreibt der Rezensent, und kenntnisreich alle Lebenszeugnisse und Briefe zu einem irren Text verwoben. Ein "bemerkenswert, sensationell amüsantes Buch" urteilt Edo Reents.

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