Produktdetails
- Beck'sche Reihe
- Verlag: Beck
- Seitenzahl: 136
- Gewicht: 120g
- ISBN-13: 9783406331855
- Artikelnr.: 25586420
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.2011Übersichtlich ist nur die Exportbilanz
Zwei Bücher über Nigeria und einen politischen Hoffnungsträger seiner jüngsten Geschichte
Nach den unlängst durchgeführten Präsidentenwahlen in Nigeria, aus denen der aus dem christlich geprägten Süden des Landes stammende Goodluck Jonathan als Sieger hervorging, kam es sogleich zu gewalttätigen Protesten im muslimischen Norden des Landes. Kenner des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika hatten dies befürchtet. Gleichwohl stellten sie fest, dass der Gang zu den Urnen "ruhiger und transparenter" verlaufen sei als bei früheren Wahlen.
Auch der vor gut einer Dekade als Hoffnungsträger gefeierte Olusegun Obasanjo musste sich 2003 bei seiner Wiederwahl als Präsident sowie bei der Regelung seiner Nachfolge den Vorwurf der dreisten Fälschung und Manipulation gefallen lassen. Der in Cambridge lehrende Historiker John Iliffe, Autor zahlreicher grundlegender Werke zur Geschichte Afrikas, hat nun eine profunde Biographie Obasanjos vorgelegt, welche deutlich auf die Widersprüchlichkeiten und Fehlleistungen in dessen Karriere verweist, zugleich aber auch seine Meriten betont.
Obasanjo, der viele Staatsmänner in der westlichen Welt, darunter Helmut Schmidt, zu seinen Freunden zählt, gehört zu den schillerndsten und umstrittensten Politikern Afrikas. Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Berufssoldat führte in den späten siebziger Jahren ein Militärregime, um die Macht dann an eine zivile Regierung abzutreten. Er war später Mitbegründer von Transparency International, scharfer Kritiker des Apartheidsystems in Südafrika, arbeitete als Landwirt und Autor und saß unter dem Diktator Sani Abacha drei Jahre als politischer Gefangener im Gefängnis. Den Vorschusslorbeeren, die seine Rückkehr in die Politik begleiteten, wurde er jedoch nicht gerecht. Die Bekämpfung der Korruption misslang, Obasanjo gerierte sich zunehmend autokratisch.
Heinrich Bergstresser springt in seinem Buch noch wesentlich kritischer mit Obasanjo um, als Iliffe es tut. Schlau, charmant, autoritär, cholerisch und brutal, das sind die Etiketten, die er ihm anheftet. Der langjährige Afrika-Redakteur der Deutschen Welle und ausgewiesene Nigeriaexperte unternimmt das Wagnis, die komplexe Geschichte und Gegenwart des Landes auf weniger als dreihundert Seiten für ein allgemeines Publikum einzufangen. Er nähert sich seinem Gegenstand anhand von fünf großen Themenkomplexen, die jeweils historische Aspekte und jüngere Entwicklungen zusammenführen. Einen vergleichsweise breiten Raum in der Darstellung nimmt der Biafra-Krieg von 1967 bis 1970 ein, der weit über Nigeria hinaus Bedeutung erlangte und auch für Obasanjos Karriere eine wichtige Etappe markierte. Bergstresser skizziert die wesentlichen Ursachen und den Verlauf des Krieges, ohne große Sympathie für jene nigerianischen Politiker der südöstlichen Region, die die Abspaltung von Nigeria und einen unabhängigen Staat Biafra ausgerufen hatten.
Das immense Leid sei, argumentiert er, nicht zuletzt dadurch verlängert worden, dass es Biafras Politikern und Propagandaspezialisten auf sehr effiziente Weise gelang, den Krieg zu internationalisieren und etwa das Thema des drohenden Genozids an der Bevölkerung Biafras auf die Agenda der Weltöffentlichkeit zu setzen. Bilder von zum Skelett abgemagerten Kindern mit leblosen Augen - "Bilder, schlimmer als aus Bergen-Belsen", wie die Londoner Times befand - erschienen in zahlreichen europäischen und amerikanischen Medien.
Wole Soyinka verbrachte die Jahre des Krieges als politischer Häftling im Gefängnis. Der damals schon bekannte spätere Nobelpreisträger für Literatur galt der von Militärs geführten Bundesregierung als Unruhestifter und unbotmäßiger Kritiker, der ruhiggestellt werden müsste. Bergstresser geht ausführlich auf Leben und Werk Soyinkas und anderer Schriftsteller ein, von denen einige, etwa Chinua Achebe, ebenfalls Weltruhm erlangten.
Zahlreiche Künstler und Literaten wirken heute außerhalb Nigerias, vor allem in den Vereinigten Staaten und England. Die nigerianische Diaspora wächst kontinuierlich, zugleich findet aber auch, darauf verweist der Autor, "ein Brain Drain gut gebildeter nigerianischer Briten statt, die in der höchst profitablen IT-Branche, bei Banken, Versicherungen und multinationalen Öl- und Gaskonzernen in Nigeria Spitzenpositionen besetzen und Spitzengehälter kassieren".
Unter den von Bergstresser porträtierten Nigerianern genießt Ken Saro-Wiwa die uneingeschränkte Sympathie des Verfassers. Das Leben des Schriftstellers, Journalisten und politischen Aktivisten, im Übrigen ein enger Freund Obasanjos, endete auf dramatische Weise. Er wurde im November 1995 zusammen mit acht weiteren Mitstreitern nach einem Scheinprozess hingerichtet. Saro-Wiwa hatte in der Ogoni-Region eine Organisation gegründet, die mit Nachdruck die Sanierung der durch die Erdölförderung ökologisch geschädigten Gebiete sowie die Beteiligung der Bevölkerung an den Öleinnahmen forderte.
Die wirtschaftliche Entwicklung Nigerias wird seit Dekaden von der Ölindustrie bestimmt. Die Einnahmen aus dem Ölexport betragen gegenwärtig nahezu hundert Prozent der Gesamteinnahmen aus der Ausfuhr. Doch sei der Ressourcenreichtum, bilanziert Bergstresser, mehr Fluch als Segen. "Erdöl und Erdgas landen in den Industriestaaten und den neuen Wirtschaftszentren Asiens, während die Haushalte der Nigerianer des Nachts zumeist im Dunkeln bleiben." Lediglich eine kleine, oft korrupte Elite profitiert.
"Neue Unübersichtlichkeit" lautet der Titel des letzten Kapitels. In der Tat: Ein Streifzug durch das heutige Nigeria verweist auf höchst widersprüchliche Entwicklungen. So gehen die stark anwachsenden religiös geprägten Konflikte keineswegs im Gegensatz zwischen Christen und Muslimen auf. Die digitale Revolution hat durchaus zu einer Liberalisierung der Medien geführt. Und unter dem Markennamen "Nollywood" entstand binnen kurzem ein einzigartiges afrikanisches Geschäftsmodell, das sich zur weltweit drittgrößten Filmindustrie entwickelte. Leider endet das nicht durchweg eingängig geschriebene Buch recht abrupt. Als Einstieg in dieses Land der Extreme ist es gleichwohl zu empfehlen.
ANDREAS ECKERT
Heinrich Bergstresser: "Nigeria". Macht und Ohnmacht am Golf von Guinea.
Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 2010. 272 S., br., 24,90 [Euro].
John Iliffe: "Obasanjo, Nigeria and the World".
James Currey Verlag, Woodbridge/Suffolk 2011. 339 S., geb., 54,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher über Nigeria und einen politischen Hoffnungsträger seiner jüngsten Geschichte
Nach den unlängst durchgeführten Präsidentenwahlen in Nigeria, aus denen der aus dem christlich geprägten Süden des Landes stammende Goodluck Jonathan als Sieger hervorging, kam es sogleich zu gewalttätigen Protesten im muslimischen Norden des Landes. Kenner des bevölkerungsreichsten Landes in Afrika hatten dies befürchtet. Gleichwohl stellten sie fest, dass der Gang zu den Urnen "ruhiger und transparenter" verlaufen sei als bei früheren Wahlen.
Auch der vor gut einer Dekade als Hoffnungsträger gefeierte Olusegun Obasanjo musste sich 2003 bei seiner Wiederwahl als Präsident sowie bei der Regelung seiner Nachfolge den Vorwurf der dreisten Fälschung und Manipulation gefallen lassen. Der in Cambridge lehrende Historiker John Iliffe, Autor zahlreicher grundlegender Werke zur Geschichte Afrikas, hat nun eine profunde Biographie Obasanjos vorgelegt, welche deutlich auf die Widersprüchlichkeiten und Fehlleistungen in dessen Karriere verweist, zugleich aber auch seine Meriten betont.
Obasanjo, der viele Staatsmänner in der westlichen Welt, darunter Helmut Schmidt, zu seinen Freunden zählt, gehört zu den schillerndsten und umstrittensten Politikern Afrikas. Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Berufssoldat führte in den späten siebziger Jahren ein Militärregime, um die Macht dann an eine zivile Regierung abzutreten. Er war später Mitbegründer von Transparency International, scharfer Kritiker des Apartheidsystems in Südafrika, arbeitete als Landwirt und Autor und saß unter dem Diktator Sani Abacha drei Jahre als politischer Gefangener im Gefängnis. Den Vorschusslorbeeren, die seine Rückkehr in die Politik begleiteten, wurde er jedoch nicht gerecht. Die Bekämpfung der Korruption misslang, Obasanjo gerierte sich zunehmend autokratisch.
Heinrich Bergstresser springt in seinem Buch noch wesentlich kritischer mit Obasanjo um, als Iliffe es tut. Schlau, charmant, autoritär, cholerisch und brutal, das sind die Etiketten, die er ihm anheftet. Der langjährige Afrika-Redakteur der Deutschen Welle und ausgewiesene Nigeriaexperte unternimmt das Wagnis, die komplexe Geschichte und Gegenwart des Landes auf weniger als dreihundert Seiten für ein allgemeines Publikum einzufangen. Er nähert sich seinem Gegenstand anhand von fünf großen Themenkomplexen, die jeweils historische Aspekte und jüngere Entwicklungen zusammenführen. Einen vergleichsweise breiten Raum in der Darstellung nimmt der Biafra-Krieg von 1967 bis 1970 ein, der weit über Nigeria hinaus Bedeutung erlangte und auch für Obasanjos Karriere eine wichtige Etappe markierte. Bergstresser skizziert die wesentlichen Ursachen und den Verlauf des Krieges, ohne große Sympathie für jene nigerianischen Politiker der südöstlichen Region, die die Abspaltung von Nigeria und einen unabhängigen Staat Biafra ausgerufen hatten.
Das immense Leid sei, argumentiert er, nicht zuletzt dadurch verlängert worden, dass es Biafras Politikern und Propagandaspezialisten auf sehr effiziente Weise gelang, den Krieg zu internationalisieren und etwa das Thema des drohenden Genozids an der Bevölkerung Biafras auf die Agenda der Weltöffentlichkeit zu setzen. Bilder von zum Skelett abgemagerten Kindern mit leblosen Augen - "Bilder, schlimmer als aus Bergen-Belsen", wie die Londoner Times befand - erschienen in zahlreichen europäischen und amerikanischen Medien.
Wole Soyinka verbrachte die Jahre des Krieges als politischer Häftling im Gefängnis. Der damals schon bekannte spätere Nobelpreisträger für Literatur galt der von Militärs geführten Bundesregierung als Unruhestifter und unbotmäßiger Kritiker, der ruhiggestellt werden müsste. Bergstresser geht ausführlich auf Leben und Werk Soyinkas und anderer Schriftsteller ein, von denen einige, etwa Chinua Achebe, ebenfalls Weltruhm erlangten.
Zahlreiche Künstler und Literaten wirken heute außerhalb Nigerias, vor allem in den Vereinigten Staaten und England. Die nigerianische Diaspora wächst kontinuierlich, zugleich findet aber auch, darauf verweist der Autor, "ein Brain Drain gut gebildeter nigerianischer Briten statt, die in der höchst profitablen IT-Branche, bei Banken, Versicherungen und multinationalen Öl- und Gaskonzernen in Nigeria Spitzenpositionen besetzen und Spitzengehälter kassieren".
Unter den von Bergstresser porträtierten Nigerianern genießt Ken Saro-Wiwa die uneingeschränkte Sympathie des Verfassers. Das Leben des Schriftstellers, Journalisten und politischen Aktivisten, im Übrigen ein enger Freund Obasanjos, endete auf dramatische Weise. Er wurde im November 1995 zusammen mit acht weiteren Mitstreitern nach einem Scheinprozess hingerichtet. Saro-Wiwa hatte in der Ogoni-Region eine Organisation gegründet, die mit Nachdruck die Sanierung der durch die Erdölförderung ökologisch geschädigten Gebiete sowie die Beteiligung der Bevölkerung an den Öleinnahmen forderte.
Die wirtschaftliche Entwicklung Nigerias wird seit Dekaden von der Ölindustrie bestimmt. Die Einnahmen aus dem Ölexport betragen gegenwärtig nahezu hundert Prozent der Gesamteinnahmen aus der Ausfuhr. Doch sei der Ressourcenreichtum, bilanziert Bergstresser, mehr Fluch als Segen. "Erdöl und Erdgas landen in den Industriestaaten und den neuen Wirtschaftszentren Asiens, während die Haushalte der Nigerianer des Nachts zumeist im Dunkeln bleiben." Lediglich eine kleine, oft korrupte Elite profitiert.
"Neue Unübersichtlichkeit" lautet der Titel des letzten Kapitels. In der Tat: Ein Streifzug durch das heutige Nigeria verweist auf höchst widersprüchliche Entwicklungen. So gehen die stark anwachsenden religiös geprägten Konflikte keineswegs im Gegensatz zwischen Christen und Muslimen auf. Die digitale Revolution hat durchaus zu einer Liberalisierung der Medien geführt. Und unter dem Markennamen "Nollywood" entstand binnen kurzem ein einzigartiges afrikanisches Geschäftsmodell, das sich zur weltweit drittgrößten Filmindustrie entwickelte. Leider endet das nicht durchweg eingängig geschriebene Buch recht abrupt. Als Einstieg in dieses Land der Extreme ist es gleichwohl zu empfehlen.
ANDREAS ECKERT
Heinrich Bergstresser: "Nigeria". Macht und Ohnmacht am Golf von Guinea.
Brandes & Apsel, Frankfurt a.M. 2010. 272 S., br., 24,90 [Euro].
John Iliffe: "Obasanjo, Nigeria and the World".
James Currey Verlag, Woodbridge/Suffolk 2011. 339 S., geb., 54,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main