Opening on a scene of tawdry sensationalism, this novel shifts decisively to a world of black middle-class respectability, defined by intellectual values, professional ambition, and an acute consciousness of class and racial identity.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.03.2013Kopfüber in den Party-Pool
In „Nigger Heaven“ entwirft Carl van Vechten ein Panoptikum der „Harlem Renaissance“
Anatole Longfellow, auch Scarlett Creeper genannt, ist ein begnadeter Schlenderer, „ein Mann, der von den Frauen lebte“, wie es schon in der dritten Zeile von Carl van Vechtens Roman „Nigger Heaven“ heißt. Er trägt eine fuchsienfarbene Krawatte, und „die Schäfte seiner auf Hochglanz polierten braunen Stiefel waren aus taubenfarbenem Wildleder“. Jeden Nachmittag gegen fünf lässt sich Longfellow die Nägel maniküren. Kostenlos, seine Bewunderinnen kennen den Salon, und die Chefin betört er mit einem Lächeln und „einem Griff unter ihr fettes Kinn“.
Das Buch „Nigger Heaven“ aus dem Jahr 1926 ist eines der Schlüsselwerke der „Harlem Renaissance“, jener Zeit, in der Harlem en vogue war. Nicht nur der Gegenstand, das wilde, obszöne Leben im schwarzen Harlem war ein Skandal, sondern auch, dass dieses Buch von einem Weißen geschrieben worden war. Dabei konnte Carl van Vechten (1880 bis 1964), Romancier, Journalist und Fotograf, unter anderem für die New York Times , Vanity Fair und Crisis , als Kenner des Milieus gelten. Er war nicht nur ein weißer Gaffer im Nachtleben, sondern nahm selbst heftigen Anteil daran – und war bemüht, farbige Sänger, Fotografen und Literaten bekannt zu machen. Im Jahr 1920, vierzig Jahre alt, zog er mit seiner Frau, der russischen Tänzerin Fania Marinoff (er selbst war homosexuell, aber das störte offenbar nicht), und einer immer größer werdenden Entourage nächtens durch die Straßen New Yorks.
„The Splendid Drunken Twenties“, van Vechtens Tagebücher der Jahre von 1922 bis 1930, sind ein Sammelsurium diverser Exzesse: „I have quite a lovely old hangover“, heißt es am 12. April 1928 ungewöhnlich moderat, und es geht auch weitaus heftiger; am 28. Juni 1929 trifft er in der Pariser Rue de Lappe einen der „charming boys“, die er gerne fotografierte; auf Privat-Parties geht es „quite wild“ zu, Fania Marinoff und Kolleginnen entledigen sich ihrer Kleider.
Das klingt leichtfertig und lebensfroh, war aber auch von diversen Spannungen durchsetzt (Marinoff und van Vechten blieben dennoch ein halbes Jahrhundert verheiratet). Der zum leichten Leben passende Prolog mit Anatole Longfellow ist für „Nigger Heaven“ nur teilweise repräsentativ. Trotzdem wunderbar, wie van Vechten beschreibt, wie Ruby Silver, eine „goldbraune“ Käufliche, die ihre Freizeit genießt, sich an Anatole ranmacht, seine Dienste genießt und für fünfzehn Dollar mit ihm tanzen geht.
Doch in Harlem sind auch ernstere Leute unterwegs: etwa Mary Love, eine Bibliothekarin, die es, von ihren Freundinnen beklagt, fertig bringt, den Heiratsantrag von Petitjohn, dem ehrbaren Besitzer eines Nachtlokals, abzulehnen.
Das erste von zwei Großkapiteln des Buchs folgt Mary. Was bedeutet, dass die Probleme der Farbigen mit den Weißen, die außerhalb Harlems Unterdrücker bleiben, aber auch zwischen den Farbigen, etwas umständlich soziologisch über Gespräche abgehandelt werden. Wobei es auch hier Glanzpunkte gibt: Love etwa geht auch zu Plauder-Partys der spießigen schwarzen Bildungssociety. Als sie erzählt, dass sie, mit Duldung ihrer weißen Kolleginnen, in der Bibliothek eine Ausstellung mit afrikanischen Skulpturen eingerichtet hat, sind die Party-Gäste entsetzt. „Das sind doch Wilde!“ heißt es, „das ist ja widerlich“. Marys Einwand, dass das „unsere Vorfahren“ seien, hat keine Chance. Die Tochter der Gastgeberin, meint zuerst lässig arrogant „natürlich ..., jeder stammt von Wilden ab, wenn man weit genug zurück geht“, es sei daher „sinnlos, so etwas auszugraben“. Doch als Mary nicht nachgibt, schreit Hester schließlich: „afrikanische Skulpturen sind obszön!“
Differenziert und lustvoll satirisch arbeitet van Vechten die Verwerfungen innerhalb der farbigen Community heraus, macht deutlich, wie der Rassismus der Weißen hier seine Fortsetzung findet. Es wird nur genauer unterschieden: es geht um den Helligkeitsgrad der braunen Haut, der dunklere Nachbarn alt aussehen lässt. Eine spitze Bestandsaufnahme der Szene, die van Vechten viel Kritik eingetragen hat, obwohl klar bleibt, dass die Abwertung der Farbigen durch die Weißen der Ausgangspunkt des Problems ist.
Im zweiten Großkapitel verliert der Roman glücklicherweise wieder etwas an Theorielastigkeit. Er folgt Byron Kasson, einem jungen Schriftsteller, der sich auf einer Poolparty als ausgezeichneter Turmspringer entpuppt. Mary Love beobachtet ihn, und als sie ihn später trifft, ist die als „gefühlskalt“ Abgeschriebene hell entbrannt. Doch Byron ist komplexer angelegt als Mary, für Leser weniger berechenbar. Als er sich mit Mary, die ihn mit Besitzanspruch belegt, streitet, verfällt er der jungen, reichen, farbigen Skandal-Witwe Lasca, die sich, ohne Ansehen der Hautfarbe, Männer nimmt, sie drei Tage lang um den Verstand bringt, auspresst und dann wegwirft. „Wie Zahnpasta“, sagt sie.
Doch wie kam ausgerechnet der sehr weiß wirkende, große, massige Carl Van Vechten aus Cedar Springs, Iowa, zur Vorliebe fürs farbige Milieu? Es geht nicht nur um den Gegensatz. Er blieb, wie man in Bruce Kellners Biografie „Carl van Vechten and the Irreverent Decades“ nachlesen kann, auch der Sohn seines Vaters Charles van Vechten. Schon dieser Abkömmling einer alten holländischen Familie, die in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhundert eingewandert war, ließ in Mississippi eine Schule für Farbige einrichten, als das noch eine verrückte Reform-Idee war. Und als Harlem-Broadway-Revuen 1919 Aufmerksamkeit erregten, wollte Sohn Carl wissen, woher das kam, und sorgte dafür, dass er in „Go Harlem“, einem beliebten Song von Andy Razaf, verewigt wurde: „Go inspectin’ like Van Vechtin.“
Carl van Vechten, der später dank einer Erbschaft finanziell unabhängig war und Herausgeber der Gertrude-Stein-Werkausgabe wurde, sah wohl selber, dass sein „Nigger Heaven“ nicht makellos war. Geradezu skurril wirkt jedoch, wie er Byron Kasson von einem weißen Zeitschriftenredakteur abkanzeln lässt, der ihm rät, sich doch mal im Nachtleben umzutun, und dabei von einem weißen Autor erzählt, der „nur ein einziges Mal in Harlem“ gewesen sei, aber einen tollen „Text über einen Negerluden“ mitbrachte. Man braucht nicht viel Phantasie, um darin Van Vechtens Portrait von Anatole Longfellow zu erkennen.
Der Roman gewinnt noch einmal an Fahrt, als Longfellow gegen Ende wieder auftaucht. Byron hat sich ins Nachtleben gewagt, weil er Petitjohn, seinen Nachfolger bei Lasca, erschießen will. Longfellow kommt ihm zuvor.
HANS-PETER KUNISCH
Die Skandal-Witwe Lasca presst
Männer – ohne Ansehen der
Hautfarbe – aus „wie Zahnpasta“
Der Cotton Club in Harlem. Wenn der Romanautor und Fotograf Carl van Vechten recht hat, trägt man hier am besten fuchsienfarbene Krawatten und Stiefel mit Schäften aus taubengrauem Wildleder. Afrikanische Skulpturen aber sind in den besseren Kreisen der Harlem Renaissance gar nicht beliebt.
FOTO: GETTY IMAGES
Carl van Vechten: Nigger Heaven. Roman. Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann. Verlag Walde + Graf bei Metrolit. Berlin 2012. 271 S., 24,95 Euro.
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In „Nigger Heaven“ entwirft Carl van Vechten ein Panoptikum der „Harlem Renaissance“
Anatole Longfellow, auch Scarlett Creeper genannt, ist ein begnadeter Schlenderer, „ein Mann, der von den Frauen lebte“, wie es schon in der dritten Zeile von Carl van Vechtens Roman „Nigger Heaven“ heißt. Er trägt eine fuchsienfarbene Krawatte, und „die Schäfte seiner auf Hochglanz polierten braunen Stiefel waren aus taubenfarbenem Wildleder“. Jeden Nachmittag gegen fünf lässt sich Longfellow die Nägel maniküren. Kostenlos, seine Bewunderinnen kennen den Salon, und die Chefin betört er mit einem Lächeln und „einem Griff unter ihr fettes Kinn“.
Das Buch „Nigger Heaven“ aus dem Jahr 1926 ist eines der Schlüsselwerke der „Harlem Renaissance“, jener Zeit, in der Harlem en vogue war. Nicht nur der Gegenstand, das wilde, obszöne Leben im schwarzen Harlem war ein Skandal, sondern auch, dass dieses Buch von einem Weißen geschrieben worden war. Dabei konnte Carl van Vechten (1880 bis 1964), Romancier, Journalist und Fotograf, unter anderem für die New York Times , Vanity Fair und Crisis , als Kenner des Milieus gelten. Er war nicht nur ein weißer Gaffer im Nachtleben, sondern nahm selbst heftigen Anteil daran – und war bemüht, farbige Sänger, Fotografen und Literaten bekannt zu machen. Im Jahr 1920, vierzig Jahre alt, zog er mit seiner Frau, der russischen Tänzerin Fania Marinoff (er selbst war homosexuell, aber das störte offenbar nicht), und einer immer größer werdenden Entourage nächtens durch die Straßen New Yorks.
„The Splendid Drunken Twenties“, van Vechtens Tagebücher der Jahre von 1922 bis 1930, sind ein Sammelsurium diverser Exzesse: „I have quite a lovely old hangover“, heißt es am 12. April 1928 ungewöhnlich moderat, und es geht auch weitaus heftiger; am 28. Juni 1929 trifft er in der Pariser Rue de Lappe einen der „charming boys“, die er gerne fotografierte; auf Privat-Parties geht es „quite wild“ zu, Fania Marinoff und Kolleginnen entledigen sich ihrer Kleider.
Das klingt leichtfertig und lebensfroh, war aber auch von diversen Spannungen durchsetzt (Marinoff und van Vechten blieben dennoch ein halbes Jahrhundert verheiratet). Der zum leichten Leben passende Prolog mit Anatole Longfellow ist für „Nigger Heaven“ nur teilweise repräsentativ. Trotzdem wunderbar, wie van Vechten beschreibt, wie Ruby Silver, eine „goldbraune“ Käufliche, die ihre Freizeit genießt, sich an Anatole ranmacht, seine Dienste genießt und für fünfzehn Dollar mit ihm tanzen geht.
Doch in Harlem sind auch ernstere Leute unterwegs: etwa Mary Love, eine Bibliothekarin, die es, von ihren Freundinnen beklagt, fertig bringt, den Heiratsantrag von Petitjohn, dem ehrbaren Besitzer eines Nachtlokals, abzulehnen.
Das erste von zwei Großkapiteln des Buchs folgt Mary. Was bedeutet, dass die Probleme der Farbigen mit den Weißen, die außerhalb Harlems Unterdrücker bleiben, aber auch zwischen den Farbigen, etwas umständlich soziologisch über Gespräche abgehandelt werden. Wobei es auch hier Glanzpunkte gibt: Love etwa geht auch zu Plauder-Partys der spießigen schwarzen Bildungssociety. Als sie erzählt, dass sie, mit Duldung ihrer weißen Kolleginnen, in der Bibliothek eine Ausstellung mit afrikanischen Skulpturen eingerichtet hat, sind die Party-Gäste entsetzt. „Das sind doch Wilde!“ heißt es, „das ist ja widerlich“. Marys Einwand, dass das „unsere Vorfahren“ seien, hat keine Chance. Die Tochter der Gastgeberin, meint zuerst lässig arrogant „natürlich ..., jeder stammt von Wilden ab, wenn man weit genug zurück geht“, es sei daher „sinnlos, so etwas auszugraben“. Doch als Mary nicht nachgibt, schreit Hester schließlich: „afrikanische Skulpturen sind obszön!“
Differenziert und lustvoll satirisch arbeitet van Vechten die Verwerfungen innerhalb der farbigen Community heraus, macht deutlich, wie der Rassismus der Weißen hier seine Fortsetzung findet. Es wird nur genauer unterschieden: es geht um den Helligkeitsgrad der braunen Haut, der dunklere Nachbarn alt aussehen lässt. Eine spitze Bestandsaufnahme der Szene, die van Vechten viel Kritik eingetragen hat, obwohl klar bleibt, dass die Abwertung der Farbigen durch die Weißen der Ausgangspunkt des Problems ist.
Im zweiten Großkapitel verliert der Roman glücklicherweise wieder etwas an Theorielastigkeit. Er folgt Byron Kasson, einem jungen Schriftsteller, der sich auf einer Poolparty als ausgezeichneter Turmspringer entpuppt. Mary Love beobachtet ihn, und als sie ihn später trifft, ist die als „gefühlskalt“ Abgeschriebene hell entbrannt. Doch Byron ist komplexer angelegt als Mary, für Leser weniger berechenbar. Als er sich mit Mary, die ihn mit Besitzanspruch belegt, streitet, verfällt er der jungen, reichen, farbigen Skandal-Witwe Lasca, die sich, ohne Ansehen der Hautfarbe, Männer nimmt, sie drei Tage lang um den Verstand bringt, auspresst und dann wegwirft. „Wie Zahnpasta“, sagt sie.
Doch wie kam ausgerechnet der sehr weiß wirkende, große, massige Carl Van Vechten aus Cedar Springs, Iowa, zur Vorliebe fürs farbige Milieu? Es geht nicht nur um den Gegensatz. Er blieb, wie man in Bruce Kellners Biografie „Carl van Vechten and the Irreverent Decades“ nachlesen kann, auch der Sohn seines Vaters Charles van Vechten. Schon dieser Abkömmling einer alten holländischen Familie, die in den dreißiger Jahren des 17. Jahrhundert eingewandert war, ließ in Mississippi eine Schule für Farbige einrichten, als das noch eine verrückte Reform-Idee war. Und als Harlem-Broadway-Revuen 1919 Aufmerksamkeit erregten, wollte Sohn Carl wissen, woher das kam, und sorgte dafür, dass er in „Go Harlem“, einem beliebten Song von Andy Razaf, verewigt wurde: „Go inspectin’ like Van Vechtin.“
Carl van Vechten, der später dank einer Erbschaft finanziell unabhängig war und Herausgeber der Gertrude-Stein-Werkausgabe wurde, sah wohl selber, dass sein „Nigger Heaven“ nicht makellos war. Geradezu skurril wirkt jedoch, wie er Byron Kasson von einem weißen Zeitschriftenredakteur abkanzeln lässt, der ihm rät, sich doch mal im Nachtleben umzutun, und dabei von einem weißen Autor erzählt, der „nur ein einziges Mal in Harlem“ gewesen sei, aber einen tollen „Text über einen Negerluden“ mitbrachte. Man braucht nicht viel Phantasie, um darin Van Vechtens Portrait von Anatole Longfellow zu erkennen.
Der Roman gewinnt noch einmal an Fahrt, als Longfellow gegen Ende wieder auftaucht. Byron hat sich ins Nachtleben gewagt, weil er Petitjohn, seinen Nachfolger bei Lasca, erschießen will. Longfellow kommt ihm zuvor.
HANS-PETER KUNISCH
Die Skandal-Witwe Lasca presst
Männer – ohne Ansehen der
Hautfarbe – aus „wie Zahnpasta“
Der Cotton Club in Harlem. Wenn der Romanautor und Fotograf Carl van Vechten recht hat, trägt man hier am besten fuchsienfarbene Krawatten und Stiefel mit Schäften aus taubengrauem Wildleder. Afrikanische Skulpturen aber sind in den besseren Kreisen der Harlem Renaissance gar nicht beliebt.
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Carl van Vechten: Nigger Heaven. Roman. Aus dem Amerikanischen von Egbert Hörmann. Verlag Walde + Graf bei Metrolit. Berlin 2012. 271 S., 24,95 Euro.
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