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Nimbus, die dunkle Wolke, ist eine Erscheinung aus Schwung, Pracht, Weite, und doch gehört sie dem Formlosen, Ungreifbaren. Sie entfaltet Wirkung, sie bestimmt die Atmosphäre, zugleich entzieht sie sich, bleibt unbeherrschbar. Mit festem Griff und Subtilität, Witz und Zärtlichkeit unternimmt Marion Poschmann in ihren neuen Gedichten den Versuch, Nähe und Ferne zusammenzudenken und die maßlosen Kräfte der äußeren Gegenwart in einen Raum der Innigkeit zu verwandeln. Aber wo ist innen? Die Erforschung Sibiriens vor Beginn der Industrialisierung, flüchtige Begegnungen mit Tieren, die Nuanciertheit…mehr

Produktbeschreibung
Nimbus, die dunkle Wolke, ist eine Erscheinung aus Schwung, Pracht, Weite, und doch gehört sie dem Formlosen, Ungreifbaren. Sie entfaltet Wirkung, sie bestimmt die Atmosphäre, zugleich entzieht sie sich, bleibt unbeherrschbar. Mit festem Griff und Subtilität, Witz und Zärtlichkeit unternimmt Marion Poschmann in ihren neuen Gedichten den Versuch, Nähe und Ferne zusammenzudenken und die maßlosen Kräfte der äußeren Gegenwart in einen Raum der Innigkeit zu verwandeln. Aber wo ist innen? Die Erforschung Sibiriens vor Beginn der Industrialisierung, flüchtige Begegnungen mit Tieren, die Nuanciertheit eines Farbtons oder die Verletzlichkeit von Eismassen spiegeln ebenso wie die kleinen magischen Praktiken des Alltags die Einzigartigkeit der globalen Veränderung.
Nimbus ist eine Feier des Sublimen und des Schönen, mitreißend und formbewusst, unverwechselbar im Ton, lustvoll und philosophisch.
Autorenporträt
Marion Poschmann wurde in Essen geboren und lebt heute in Berlin. Für ihre Lyrik und Prosa wurde sie mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Bremer Literaturpreis 2021 für ihren Lyrikband Nimbus und im selben Jahr mit dem WORTMELDUNGEN-Literaturpreis. Zuletzt erhielt sie 2023 den Joseph-Breitbach-Preis für ihr Gesamtwerk.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.03.2020

Doppelte Dichtungslust

Zwei große deutsche Lyrikerinnen beschreiten ganz verschiedene Wege, aber die Resultate sind gleichermaßen faszinierend: Zur neuen Poesie von Marion Poschmann und Nadja Küchenmeister.

Man soll Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. So könnte auch die Maxime lauten, wenn man Marion Poschmanns Gedichtband "Nimbus" neben Nadja Küchenmeisters "Im Glasberg" legt. Aber wie jeder weiß, ist das Äquivalenzgebot Humbug, da erst die Praktik des Vergleichens Unterschiede und Gemeinsamkeiten erkennen lässt. Wie sehen also die markantesten Eigenschaften der beiden Bücher aus? "Farnfraktal" heißt ein Gedichttitel von Marion Poschmann, der sie umgehend als poetische Enzyklopädistin ausweist. Das so benannte Gedicht stammt aus dem Zyklus "Baum der Erkenntnis", der ebenso auf Adams und Evas Sündenfall wie auf die verzweigten Ordnungssysteme von Enzyklopädien anspielt.

"Farnfraktal" fungiert - wie die Gedichte "Nimbus", "Kurgankultur" oder "Nymphaion" - als ein Lemma, das den Lesern eine Wissenskonstellation vor Augen stellt. Farne kennt jeder. Fraktale sind mathematische Mengen, die sich in verkleinerter Form selbst enthalten. Das Bild eines Farnfraktals setzt sich aus Miniaturfarnen zusammen. Für Wissenskristallisationen dieser Art hat Marion Poschmann ein bewundernswertes Gespür. Mit ihnen setzen ihre Gedicht ein, um eine plötzliche Wahrnehmung folgen zu lassen: "Farnfraktal - wie Flügel gegen sinkendes Abendlicht." Vogelgleich schwingt sich der Farn auf und löst seinerseits eine Reaktion aus: "Und wir, wir wichen schüchtern den Schritt zurück / ins Dunkle, wo die Farnspiralen / ausharrten, dicht in sich eingewunden, / genügsam, lautlos." Die Szene mag realistisch wirken, sie ist als Fraktalbild jedoch hochgradig artifiziell. Poschmanns Simulakren wirken, als habe sich die Realität in der Imagination verdoppelt und als hätten sich die Grenzen zwischen beiden verwischt.

Dieses Bildraffinement verstärkt sich durch die merkwürdige Verdopplung der Ersten Person Plural ("wir, wir"). Von jetzt an - und das ist großartig gearbeitet - organisiert die Zwillingsform (Geminatio) die Verse, die in die Frage münden: "War ich denn jemals so - / so eingerollt in mich, völlig eingehegt / in Wald, der an mich grenzte, Wald, der / Gegenfarn bildete, größer, stiller." Die drei Gemini ("Wir, wir", "so, so", Wald, Wald) setzen das Verdopplungsspiel zusammen mit dem Farn und seinem Gegenfarn fort. Geht es noch feinsinniger? Ja! Das Faszinierende an Fraktalen ist, dass ihre bildliche Darstellung auf der Wiederholung des Immergleichen beruht, während sie mathematisch auf asymmetrischen, in sich gebrochenen Zahlenreihen. Durch Fraktale geht ein Riss.

Und ein solcher zerreißt auch Poschmanns Bildwelten. Marion Poschmann ist die Lyrikerin der ins Unbestimmte weisenden Leerstelle. Darin liegt die enge Verwandtschaft ihrer Poesie mit der asiatischen Kunst. Daher stellen auch die Gedichte in "Nimbus" detailliert gearbeitete Unschärfen vor Augen. Die "Dichtung, als Betrachtungskunst" ist für Poschmann ein "Medium bildbezogener Erkenntnis".

Diese bildbezogene Erkenntnis faltet "Nimbus" fächerartig in neun Typologien aus. Der enzyklopädische Bildraum erstreckt sich von den Schneelandschaften Sibiriens über graugrüne Facetten des japanischen Seladons bis zur ruhmreichen Nimbus-Wolke aus. Poschmanns Gestalten sind vergänglich und vorläufig, da sie erst im Verschwimmen, Tauen und Auflösen ihre zarte Schönheit offenbaren.

Diese Ästhetik des Vergänglichen rückt Nadja Küchenmeisters neuen Gedichtband für einen Augenblick erstaunlich nah an Poschmanns "Nimbus". Obwohl "Im Glasberg" sonst ganz andere lyrische Wege geht. Küchenmeister hat ihre Gedichte nicht ausgefächert, sondern gerahmt: "helle mitte" heißt der erste Zyklus, "dunkle mitte" der letzte. Der Band setzt "Im Glasberg" ein, einem Handlungsort des grimmschen Märchens "Die sieben Raben". Das letzte Gedicht legt fest: "es beginnt wo es endet". Und zwar, so könnte man mit den Brüdern Grimm sagen: in der Familie. Der erste Zyklus inszeniert eine Rückkehr in das Haus der eigenen Kindheit: "ich rauke mich heran ans wuhletal", so die Formel für Küchenmeisters Darstellung dieser befremdlichen Heimkehr nach Wuhle.

Zu den eigenen "Wurzeln" führt auch der zweite Zyklus, in dem klar wird, dass das heimgekehrte erwachsene Kind nun allein im Haus lebt, während die Eltern abwesend sind. Der dritte Zyklus ("man zittert / und das zittern hält an") zieht in Form eines beeindruckenden Langgedichts in den "mittelfellraum" ein. Naheliegend, dass an diesem Ort der Grund für die Abwesenheit der Eltern liegt.

All dies entwirft Nadja Küchenmeister im geradezu dokumentarischen Duktus. Diese Schreibweise ist für sie nicht neu. Aber in ihren beiden Bänden zuvor bildeten die realistischen Sequenzen einen Generalbass, der durch ergreifende Epiphanien, irritierende Verkehrungen und subtile Surrealismen gebrochen wurde. Jetzt sind diese Raumerweiterungen auf ein Minimum beschränkt. Nur gelegentlich blitzen sie noch auf: "die sonne ist der mond / mein auge ein stern unter sternen", heißt es. Oder "ich bin die beste schwimmerin / siebzehn Bahnen durch dein Auge". Während man bei Poschmann nie weiß, wo das Imaginäre aufhört und das Reale beginnt, richtet Küchenmeister eine identifizierbare Wirklichkeit ein.

Dazu akkumuliert Küchenmeister zum Beispiel im Zuge eines Fensterblicks einzelne Elemente: "s-bahn, u-bahn, gleise, wurzeln / im geflecht, das maisfeld, den baumbewachsenen hügel / hell im licht." Wissen der Kindheit und erlebter Augenblick überlagern sich schließlich: "im sommer rollt die sonne, eine goldene / münze, in die wuhle, im winter werfen schlitten kinder / aus der bahn." Aber poschmannsche Faltungen von Realem in Imaginäres erlaubt sich Küchenmeister nicht. Ergreifend wirkt vielmehr, wie akribisch die Gedichte die eigenen Wurzeln zu ertasten suchen, zumal die gefundenen Inventarien jetzt auf das fortschreitende Altern und die Abwesenheit der Eltern verweisen: "vogelfedern, zarte zweige / der tagesspiegel von letzter woche und deine / zähne auf dem unterteller, neben der kartoffeln / altern die gewürze . . . die schublade ist rausgezogen / wonach hast du gesucht." Gesichtete Materialen eines vergehenden Lebens lassen die (ver-)letzten Zügen einer neuen Beziehung aufblühen: "ich zähle deine hemden, socken / unterhosen, entwirre die kabel unter dem tisch, schwarze / wurzeln, die keinen anfang und kein ende haben."

In diese Konstellation bettet Küchenmeister nicht zuletzt auch die Beziehung eines Paares ein, deren Begegnungen die Fremdheit nicht abstreifen können: "du / sitzt im zug, der aus der gegenrichtung / an mir vorbeifährt, ein streifen zug im fenster / ich." So behutsam, so schlicht, so willentlich begrenzt auf ein sparsames Material schwerer Zeichen, hat Nadja Küchenmeister zuvor nicht gedichtet.

Kann man aufgrund der Unterschiede ein Urteil über die ästhetische Qualität treffen? Das größere semiologische Abenteuer bieten Marion Poschmanns Unbestimmtheitsfiguren. Und das ist nur möglich aufgrund ihrer atemraubend feinen Faktur. Aber das ist nicht alles, was gute Gedichte ausmacht. Die beiden Bände sprechen zwei völlig unterschiedliche Stimmungs- und Denklagen an und setzen ihre Poetik in bewundernswerter Konsequenz um. Für die Lyrik der Gegenwart kann es kaum Besseres geben als solch eklatante Unterschiede.

CHRISTIAN METZ

Marion Poschmann: "Nimbus". Gedichte.

Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 115 S., geb., 22,- [Euro].

Nadja Küchenmeister: "Im Glasberg". Gedichte.

Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2020.

112 S., geb., 20,- [Euro].

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»... bei Marion Poschmann mischen sich begriffliche Erkenntnis und starke Bildlichkeit bis in die Details. ... [Sie] bewegt sich traumwandlerisch sicher in der Kultur- und der Wissenschaftsgeschichte.« Hubert Winkels Süddeutsche Zeitung 20200629