Nirvana - Superstars des Grunge und Stimme einer ganzen Generation
»30 Jahre nach dem Tod Kurt Cobains begeistern die Songs von Nirvana noch immer Millionen von Menschen. Die Band hat zwar einen konkreten Zeitgeist verkörpert - ihre Musik aber ist zeitlos.«
Anfang der 1990er Jahre veränderte »Smells Like Teen Spirit« die Welt und machte drei langhaarige Jungs aus der Undergroundszene Seattles über Nacht zu Stars. Nirvana haben den Grunge zwar nicht erfunden, aber weltweit populär gemacht. Kurt Cobain, der charismatische Sänger und Gitarrist, wurde sofort zum Sprachrohr der Generation X erklärt. Isabella Caldart geht der anhaltenden Nirvana-Faszination auf den Grund, porträtiert die Band und gibt Einblick in ihr politisches Engagement.
»30 Jahre nach dem Tod Kurt Cobains begeistern die Songs von Nirvana noch immer Millionen von Menschen. Die Band hat zwar einen konkreten Zeitgeist verkörpert - ihre Musik aber ist zeitlos.«
Anfang der 1990er Jahre veränderte »Smells Like Teen Spirit« die Welt und machte drei langhaarige Jungs aus der Undergroundszene Seattles über Nacht zu Stars. Nirvana haben den Grunge zwar nicht erfunden, aber weltweit populär gemacht. Kurt Cobain, der charismatische Sänger und Gitarrist, wurde sofort zum Sprachrohr der Generation X erklärt. Isabella Caldart geht der anhaltenden Nirvana-Faszination auf den Grund, porträtiert die Band und gibt Einblick in ihr politisches Engagement.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Kai Spanke wirkt fast etwas entsetzt von dem, was Isabella Caldart in ihrem Buch als Perspektive auf die Band Nirvana anbietet: Als jemand, der nicht Fan der ersten Stunde gewesen sei, sondern die Band erst ein paar Jahre verspätet für sich entdeckt habe, meine Caldart, einen weniger verklärenden Blick zu haben als die in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren geborenen "weißen Männer", so Spanke - was er, wie zwischen den Zeilen deutlich wird, für anmaßend hält. Denn zur eigentlichen Musik von Nirvana habe die Autorin so gut wie nichts zu sagen, Spanke muss hier in der Beschreibung einzelner Songs tatsächlich Adjektive wie "rockig" lesen. Worum es dafür umso mehr geht: um Kurt Cobains Suchtverhalten und seine Magenprobleme, um seine Queerness, wen er vor seinem Selbstmord zuletzt anrief - für den Kritiker ist das "Boulevard-Illustrierten"-Niveau, "Betulichkeitsplattitüden" inklusive. Dass es um den für das dritte Nirvana-Album wichtigen Produzenten Steve Albini hingegen gar nicht geht, findet er, "vorsichtig formuliert, verwunderlich". Mit Nirvana als Musikphänomen habe dieses Buch nicht viel zu tun, vermittelt Spanke.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.07.2024Kurt im Mohnfeld
Isabella Caldart sinniert über Nirvana.
Gleich zu Beginn ihres Buchs über Nirvana hebt Isabella Caldart hervor, kein Fan der ersten Stunde gewesen zu sein. Sie habe die Band um die Jahrtausendwende für sich entdeckt, Pop sei seinerzeit nicht mehr so interessant gewesen, Rock dafür umso aufregender. Dieser Befund ist schon deswegen bemerkenswert, weil Rock, zumindest als chartstürmende Musik der Massen, wenig später erledigt war, während Pop und Hip-Hop den immer stärker darbenden Labels noch ordentlich Geld in die Kasse spülten. Jedenfalls gab es für Caldart Künstler wie Manu Chao und die Red Hot Chili Peppers, Alanis Morissette und Tracy Chapman auf der einen Seite - und auf der anderen einzig und allein Nirvana.
Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zum "Je ne sais quoi", und so bekennt die Autorin, Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic hätten sie auf eine Weise erreicht, die sie "kaum beschreiben kann". Der nächste, im ästhetischen Diskurs fest verankerte Topos wird direkt danach aufgerufen, wenn sich Caldart an eine Art Konversionserfahrung erinnert: "Ich weiß noch, wie ich mit 14 nach Unterrichtsende bei einer Schulfreundin zu Hause war, wir 'Smells Like Teen Spirit' aufdrehten, auf ihrer Matratze hoch- und runterhüpften und 'Here we are now!' mitschrien. Dieser Moment veränderte etwas in mir. Es war der Anfang einer großen Liebe."
Dennoch gelte es, einen "neutralen Blick" zu behalten, Verklärung komme nicht infrage, den Fehler hätten schon andere gemacht. Nämlich weiße Männer, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren geboren wurden. Caldart hingegen schreibe aus der Perspektive derjenigen, die die Band um ein paar Jahre verpasst hat. Das eröffne neue Erkenntnismöglichkeiten.
Was dann aber folgt, lässt an die oft herumgereichte und nicht abwegige Diagnose denken, seit Mitte der Neunzigerjahre sei eine Entwertung herausfordernder Texte über Musik zu verzeichnen. Weg von ästhetischer Analyse, hin zu Porträts über Helden der Kulturindustrie. So einer war am Ende auch der ehemalige Nonkonformist Kurt Cobain. Mit Sinn für Ironie oder, genauso gut möglich, aus Angst vor dem Mainstream-Vorwurf trug er auf einem Cover des "Rolling Stone" 1992 ein T-Shirt, dessen Beschriftung lautete: "Corporate Magazines Still Suck". Zu dieser Zeit ging man in vielen Redaktionen dazu über, den Star wichtiger zu nehmen als seinen künstlerischen Ausdruck.
Auch Caldart bewundert ihn, den Star. Sie gibt sich keine große Mühe darzulegen, was die Musik von Nirvana eigentlich kennzeichnet, Lieder sind bei ihr gern "rockig", "zurückgenommen" oder "punkig". Wie man einen Gitarrensound oder das Timbre einer Stimme beschreibt, wie man Songtexte auslegt und würdigt, das hat etwa Frank Schäfer in seinem kürzlich in der gleichen Reihe erschienenen Buch über AC/DC gezeigt. Caldart interessiert sich mehr für Mode und Skandale, kurz: für das Programm von Boulevardillustrierten. Natürlich ist Kurt Cobains queere Seite ein wichtiger Aspekt seiner Bühnenfigur; dass allerdings zum Beispiel nicht erörtert wird, welche Bedeutung der im Mai verstorbene Produzent Steve Albini für das dritte Nirvana-Album "In Utero" hatte, ist, vorsichtig formuliert, verwunderlich.
Stattdessen wird rekapituliert, was die Presse zur Heroinsucht von Kurt Cobain vermeldete, wie es wann um seine Magenprobleme stand, welches Schlafmittel er überdosiert zu sich nahm, wen er vor seinem Selbstmord 1994 anrief. Das Video zu "Heart-Shaped Box" sei das kreativste der Gruppe. Begründung: "Es zeigt ein Mädchen in Ku-Klux-Klan-Kluft, dessen weißes Outfit schwarz gefärbt wird, Kurt in einem Mohnfeld liegend sowie die Band im Krankenhaus." Aus dem Bassisten der Foo Fighters, Nate Mendel, wird deren Gitarrist, und als Garnitur gibt's Betulichkeitsplattitüden: "Aber kein Mensch ist frei von Fehlern und Widersprüchen, und auch Kurt ist da keine Ausnahme." Schließlich die Behauptung, Nirvana scheinen dieser Tage "präsenter denn je zu sein", denn wer "heute durch die Straßen läuft, wird viele Menschen mit Nirvana-T-Shirts erblicken". So etwas kann nur jemand vorbringen, der die Band um ein paar Jahre verpasst hat. KAI SPANKE
Isabella Caldart: "Nirvana".
Reclam Verlag, Ditzingen 2024. 100 S., Abb.,
br., 12,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
Isabella Caldart sinniert über Nirvana.
Gleich zu Beginn ihres Buchs über Nirvana hebt Isabella Caldart hervor, kein Fan der ersten Stunde gewesen zu sein. Sie habe die Band um die Jahrtausendwende für sich entdeckt, Pop sei seinerzeit nicht mehr so interessant gewesen, Rock dafür umso aufregender. Dieser Befund ist schon deswegen bemerkenswert, weil Rock, zumindest als chartstürmende Musik der Massen, wenig später erledigt war, während Pop und Hip-Hop den immer stärker darbenden Labels noch ordentlich Geld in die Kasse spülten. Jedenfalls gab es für Caldart Künstler wie Manu Chao und die Red Hot Chili Peppers, Alanis Morissette und Tracy Chapman auf der einen Seite - und auf der anderen einzig und allein Nirvana.
Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zum "Je ne sais quoi", und so bekennt die Autorin, Kurt Cobain, Dave Grohl und Krist Novoselic hätten sie auf eine Weise erreicht, die sie "kaum beschreiben kann". Der nächste, im ästhetischen Diskurs fest verankerte Topos wird direkt danach aufgerufen, wenn sich Caldart an eine Art Konversionserfahrung erinnert: "Ich weiß noch, wie ich mit 14 nach Unterrichtsende bei einer Schulfreundin zu Hause war, wir 'Smells Like Teen Spirit' aufdrehten, auf ihrer Matratze hoch- und runterhüpften und 'Here we are now!' mitschrien. Dieser Moment veränderte etwas in mir. Es war der Anfang einer großen Liebe."
Dennoch gelte es, einen "neutralen Blick" zu behalten, Verklärung komme nicht infrage, den Fehler hätten schon andere gemacht. Nämlich weiße Männer, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren geboren wurden. Caldart hingegen schreibe aus der Perspektive derjenigen, die die Band um ein paar Jahre verpasst hat. Das eröffne neue Erkenntnismöglichkeiten.
Was dann aber folgt, lässt an die oft herumgereichte und nicht abwegige Diagnose denken, seit Mitte der Neunzigerjahre sei eine Entwertung herausfordernder Texte über Musik zu verzeichnen. Weg von ästhetischer Analyse, hin zu Porträts über Helden der Kulturindustrie. So einer war am Ende auch der ehemalige Nonkonformist Kurt Cobain. Mit Sinn für Ironie oder, genauso gut möglich, aus Angst vor dem Mainstream-Vorwurf trug er auf einem Cover des "Rolling Stone" 1992 ein T-Shirt, dessen Beschriftung lautete: "Corporate Magazines Still Suck". Zu dieser Zeit ging man in vielen Redaktionen dazu über, den Star wichtiger zu nehmen als seinen künstlerischen Ausdruck.
Auch Caldart bewundert ihn, den Star. Sie gibt sich keine große Mühe darzulegen, was die Musik von Nirvana eigentlich kennzeichnet, Lieder sind bei ihr gern "rockig", "zurückgenommen" oder "punkig". Wie man einen Gitarrensound oder das Timbre einer Stimme beschreibt, wie man Songtexte auslegt und würdigt, das hat etwa Frank Schäfer in seinem kürzlich in der gleichen Reihe erschienenen Buch über AC/DC gezeigt. Caldart interessiert sich mehr für Mode und Skandale, kurz: für das Programm von Boulevardillustrierten. Natürlich ist Kurt Cobains queere Seite ein wichtiger Aspekt seiner Bühnenfigur; dass allerdings zum Beispiel nicht erörtert wird, welche Bedeutung der im Mai verstorbene Produzent Steve Albini für das dritte Nirvana-Album "In Utero" hatte, ist, vorsichtig formuliert, verwunderlich.
Stattdessen wird rekapituliert, was die Presse zur Heroinsucht von Kurt Cobain vermeldete, wie es wann um seine Magenprobleme stand, welches Schlafmittel er überdosiert zu sich nahm, wen er vor seinem Selbstmord 1994 anrief. Das Video zu "Heart-Shaped Box" sei das kreativste der Gruppe. Begründung: "Es zeigt ein Mädchen in Ku-Klux-Klan-Kluft, dessen weißes Outfit schwarz gefärbt wird, Kurt in einem Mohnfeld liegend sowie die Band im Krankenhaus." Aus dem Bassisten der Foo Fighters, Nate Mendel, wird deren Gitarrist, und als Garnitur gibt's Betulichkeitsplattitüden: "Aber kein Mensch ist frei von Fehlern und Widersprüchen, und auch Kurt ist da keine Ausnahme." Schließlich die Behauptung, Nirvana scheinen dieser Tage "präsenter denn je zu sein", denn wer "heute durch die Straßen läuft, wird viele Menschen mit Nirvana-T-Shirts erblicken". So etwas kann nur jemand vorbringen, der die Band um ein paar Jahre verpasst hat. KAI SPANKE
Isabella Caldart: "Nirvana".
Reclam Verlag, Ditzingen 2024. 100 S., Abb.,
br., 12,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.