129,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
  • Gebundenes Buch

In der angelsächsischen Welt herrschte lange Zeit das Urteil vor, Großbritannien habe es in den entscheidenden sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts versäumt, durch beherztes Eingreifen die Bismarcksche Reichsgründung zu verhindern, die der Welt im 20. Jahrhundert zwei Kriege beschert habe. Der Autor untersucht im vorliegenden Werk diese populäre Einschätzung umfassend und kritisch. Die die Darstellung leitenden Fragen lauten: Wie beurteilte das zeitgenössische Großbritannien den Vorgang der deutschen Reichsgründung? Wie beurteilte die englische Weltmacht die Existenz des jungen deutschen…mehr

Produktbeschreibung
In der angelsächsischen Welt herrschte lange Zeit das Urteil vor, Großbritannien habe es in den entscheidenden sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts versäumt, durch beherztes Eingreifen die Bismarcksche Reichsgründung zu verhindern, die der Welt im 20. Jahrhundert zwei Kriege beschert habe. Der Autor untersucht im vorliegenden Werk diese populäre Einschätzung umfassend und kritisch. Die die Darstellung leitenden Fragen lauten: Wie beurteilte das zeitgenössische Großbritannien den Vorgang der deutschen Reichsgründung? Wie beurteilte die englische Weltmacht die Existenz des jungen deutschen Nationalstaates in den ersten Jahren seit der Reichsgründung? War die in diesem Zusammenhang viel geschmähte Nichteinmischungspolitik der Briten ein Ergebnis von Schwäche und Dekadenz oder von politischem Kalkül und wohlberechneter Interessenpolitik? Die Monographie stellt Grundbegriffe, Grundzüge und Grundmuster englischer Weltpolitik im 19. Jahrhundert dar, fragt nach den Spezifika der "British Interests" im 19. Jahrhundert und vergleicht die unterschiedlichen politischen Kulturen Preußens und Großbritanniens in politischer und militärischer, in wirtschaftlicher und zivilisatorischer Hinsicht: Unter welchen Bedingungen vermochten der preußische Kontinentalstaat, der revisionistische Ziele verfolgte, und die englische Weltmacht, die am Status quo interessiert war, zu koexistieren, und wo war die Grenze ihrer Koexistenzfähigkeit?
Autorenporträt
Klaus Hildebrand, geboren 1941 in Bielefeld, ist emeritierter Professor für Mittelalterliche und Neuere Geschichte an der Universität Bonn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.1997

Mit Samthandschuhen
Klaus Hildebrand legt eine Studie zur britischen Weltpolitik vor

Klaus Hildebrand: No Intervention. Die Pax Britannica und Preußen 1865/66- 1869/70. Eine Untersuchung zur englischen Weltpolitik im 19. Jahrhundert. R. Oldenbourg Verlag, München 1997. 459 Seiten, 168,- Mark.

Das 19. Jahrhundert war das der Pax Britannica - kein Wunder, daß England diesen Status zu bewahren gedachte, Preußen hingegen und später Deutschland ihn zum eigenen Vorteil zu verändern suchten. Die Annahme, daß Großbritannien den Aufstieg Preußens und Deutschlands mit Mißtrauen beobachtete, wäre allerdings ein Fehlschluß. Im Gegenteil, in der vorliegenden Studie von Klaus Hildebrand, Professor für Geschichte an der Universität Bonn, wird Englands Politik der Nichteinmischung als Beleg gesehen, daß in London die Rolle Preußens und Deutschlands für die britischen Interessen eher mit nachlässigem Wohlwollen betrachtet wurde. Für die britische Außenpolitik war ein starkes Preußen ein willkommenes Gegengewicht zur kontinentalen Führungsmacht Frankreich und zum Rivalen Rußland. Den neureichen Vettern in Nordamerika maß London weltpolitisches Gewicht noch nicht zu.

Hildebrand zeigt, daß Großbritannien seine wirtschaftlichen und politischen Interessen auf dem Kontinent wahrte, ohne sich militärisch zu engagieren. Denn die Erfahrungen im Krim-Krieg mahnten zur Zurückhaltung beim "Deutschen Krieg" zwischen Preußen und Österreich 1866. Neutralität brachte Vorteile. Auch danach überwog in England die Auffassung, daß Einheit und Freiheit im sich bildenden deutschen Nationalstaat Hand in Hand gehen würden. Im Zuge der Luxemburger Krise 1867 fand laut Hildebrand "die englische Bereitschaft zur politischen Intervention ihre natürliche Grenze dort, wo dem Vermittler die Gefahr drohte, durch Schlichtungsversuche in eine militärische Auseinandersetzung auf dem Kontinent verwickelt zu werden". Auch im Zuge des belgisch-französischen Eisenbahnkonflikts 1869, der Europa abermals an den Rand des Krieges trieb, konnte England den Status quo stabilisieren. Zwar hielt Außenminister Clarendon es mittlerweile für geboten, die deutsche Einigung hinauszuschieben, aber im Zentrum des britischen Mißtrauens stand nach wie vor Frankreichs unstete Politik.

Londons Nichteinmischung war, wie Hildebrand glänzend herausarbeitet, allerdings nie ein Dogma. Als globale Seemacht, die ihr Reich in Asien, Afrika und Australien durch tatkräftige Intervention zusammenhielt, konnte London seine Interessen auf dem europäischen Kontinent durch kluge Zurückhaltung und lässiges Gewährenlassen wahren. Im Falle eines Interessenkonflikts hatte für England das asiatisch-imperiale, nicht das europäisch-nationale Interesse Vorrang, wie schon Hermann Oncken festgestellt hat. Daß England gegenüber Preußen-Deutschland zu hoffnungsvoll dachte und handelte, läßt Hildebrand nicht unerwähnt. Erst nach 1871 kamen in England zögerlich Bedenken gegenüber der traditionell gepflegten Idealvorstellung auf, wonach die innere Liberalisierung und Parlamentarisierung des geeinten Deutschlands zu äußerer Verläßlichkeit und Friedensfähigkeit führen werde.

Hildebrand, aus dessen Feder die magistrale Arbeit über die Außenpolitik Deutschlands von 1870 bis 1945 stammt, hat eine glänzende und überzeugende Studie vorgelegt. Sie zeigt auch, daß die Pax Americana des 20. Jahrhunderts ohne die Pax Britannica des 19. Jahrhunderts nicht zu denken ist. Parallelen im Selbstverständnis und Sendungsbewußtsein der beiden Mächte sind unübersehbar: sie verknüpften geschickt nationale Interessen mit übergreifenden Werten. Die Formel der Nichtintervention besagt lediglich, daß England seine Interessen auf dem alten Kontinent ohne militärische Mittel durchzusetzen suchte. Das war Machtpolitik mit Samthandschuhen.

Was Hildebrand für England zu Beginn der Reformregierung Gladstone Ende 1868 formuliert, klingt auch heute mit Blick auf Washington nicht fremd: "Sein wirtschaftlicher Vorsprung, sein imperialer Besitz, seine geostrategische Lage und seine potentielle Macht, die alle Staaten fürchteten, ermöglichten ihm in einer für die moderne Geschichte für geraume Zeit einzigartigen Konstellation, sich zeitweise vom internationalen Geschehen abzuwenden und auf die innere Politik zu konzentrieren."

Anhand ausgesuchter Fallstudien führt Hildebrand vor, wie die Schlüsselfragen britischer Europapolitik im 19. Jahrhundert nach Maßgabe von nationalen Interessen beantwortet wurden. Das zivilisatorische Vorbild der Angelsachsen, eingewoben in eine wertebewußte Machtpolitik, entkrampfte die europäischen Probleme von 1865 bis 1870. Es war auch eine relativ konfliktfreie Zeit englisch-preußischer Beziehungen. So gesehen ist dieser Band ein nachgeschobener brillanter Prolog zu seinem großen Werk zur deutschen Außenpolitik von 1870 bs 1945. CHRISTIAN HACKE

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr