Ines Geipel unternimmt eine bedrückende Bestandsaufnahme. Wie hat das Doping sich entwickelt? Wer dopt wie und mit wessen Hilfe? Mit welchen weiteren Auswüchsen haben wir zu rechnen? Und welchen Preis werden wir dafür zahlen müssen?
Denn Doping ist längst nicht mehr nur ein Problem des Spitzensports, sondern inmitten der Gesellschaft angekommen - in den Fitnessstudios, Büros, an der Börse, in der Politik und an Schulen. Leistungssteigerung lautet das Gebot der Stunde. Der Traum vom optimierten Menschen in effizienten Zeiten geht um. Ines Geipel macht uns mit den Risiken und Nebenwirkungen vertraut - als dessen albtraumhaften Folgen.
Denn Doping ist längst nicht mehr nur ein Problem des Spitzensports, sondern inmitten der Gesellschaft angekommen - in den Fitnessstudios, Büros, an der Börse, in der Politik und an Schulen. Leistungssteigerung lautet das Gebot der Stunde. Der Traum vom optimierten Menschen in effizienten Zeiten geht um. Ines Geipel macht uns mit den Risiken und Nebenwirkungen vertraut - als dessen albtraumhaften Folgen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.2008Gen-Doping im Wohnzimmer
Eine Gesellschaft ohne Grenzen, eine Autorin ohne Illusionen: Ines Geipel stellt in ihrem Buch "No Limit" bohrende Fragen. Wer will Monsterathleten?
Von Winfried Hermann
Mit dem Titel des Buches präsentiert Ines Geipel zugleich ihre Kernthese zu Doping: Alles, was geht und was Leistungssteigerung verspricht, wird auch gemacht. Nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. Die Kennerin der Doping-Problematik und heutige Literaturprofessorin hat kein trockenes Sachbuch zum Doping im Sport vorgelegt, sie nimmt ihre Leserinnen und Leser erzählend und in Interviewform mit in die Realität des Dopings, der künstlichen Leistungssteigerung und der Manipulationsbereitschaft. Ein Spiel ohne Grenzen und mit hohem Risiko. Als ehemalige Leistungssportlerin, die in der DDR ohne ihr Wissen gedopt wurde und deshalb unlängst ihre Meistertitel dem Deutschen Leichtathletik-Verband zurückgegeben hat, weiß sie aus eigener Erfahrung, wie skrupellos Staaten, Funktionäre sowie Trainerinnen und Trainer sein können, wenn es im unbedingten Interesse des Systems ist zu gewinnen.
Ines Geipel weiß auch: Sportlerinnen und Sportler sind nicht nur Opfer. Sie sind anfällig für Versuchungen und suchen nach Möglichkeiten, mit künstlichen Mitteln mehr aus sich herauszuholen, letztlich um zu gewinnen. In modernen Gesellschaften hat sich eine Bereitschaft zu Manipulation und künstlicher Unterstützung breitgemacht. Die Grenzen der eigenen Natur werden ignoriert und übersprungen. Für "Schönheit", muskulöse Körperform und Leistungssteigerung ist nichts mehr tabu.
Im ersten Teil des Buches - "Die Metamorphose hat begonnen" - arbeitet die Autorin ihre (eigene) DDR-Doping-Geschichte auf und verfolgt deren Fortsetzung nach 1990. Ehemalige DDR-Trainerinnen und -Trainer konnten ungestört weiterarbeiten und ihr Doping-Know- how in viele Länder der Welt exportieren. Mit dem zweiten und dritten Teil stößt sie bis in die allerneuesten Entwicklungen des Gen-Dopings in Russland und China vor. Das ausführliche Interview mit dem früheren Chef der russischen Anti-Doping-Agentur lässt erahnen, wie fahrlässig Russland mit der Doping-Problematik umgeht.
Das Buch ist historisch und brandaktuell. Es endet mit den Erfahrungen und Erkenntnissen von Ines Geipels jüngster China-Reise im Vorfeld der Olympischen Spiele. Die Ankündigung der chinesischen Sportführung, "Wir werden die saubersten Spiele machen", wird grundlegend erschüttert. Geipel schildert schonungslos den "Kulissenumbau des chinesischen Sportsystems" und Kulissenaufbau im Vorfeld der Spiele, zur Täuschung der Weltöffentlichkeit. Sie formuliert scharf und analytisch. Die Sprache der Literatin ist ein Genuss, gerade auch dann, wenn die zu beschreibende Sache, das Dopen, eher ekelt: "Wenn die Muskeln einen Wunsch frei hätten."
Der Untertitel des rund 180-seitigen Buches signalisiert, dass Ines Geipel Fragen stellt. Viele Fragen, auch sehr grundsätzliche: Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft? Und meint dies im doppelten Sinne, wie viel Doping-Sport und wie viel Doping im Alltag der Nichtsportler(innen) ist verkraftbar, zulässig, verantwortbar? Welches Welt- und Menschenbild steht hinter der Praxis von Doping? Welches Denken und welche Kultur befördert den Gebrauch leistungssteigernder Mittel? Geipel macht deutlich, dass das Doping-Problem des Sports nicht allein ein Problem des Sports ist, sondern der modernen Hochleistungsgesellschaft insgesamt ist ("hormongesteuerter amerikanischer Alltag") - eine Gesellschaft, die schon lange nicht mehr die Grenzen der Natur des Menschen re-spektiert. Der Sport allein wird das Problem nicht lösen können. Ethische Fragen müssen an Medizin und Wissenschaft genauso wie an Verantwortliche in Politik und Sport gestellt werden.
Der zweite Teil des Buches wird den neuesten Entwicklungen der Genforschung und des Gen-Dopings gewidmet: "Der Mensch ist auf dem Weg zum neuen Menschen." Ines Geipel erklärt verständlich, wie die verschiedenen gentechnischen Eingriffe und Methoden funktionieren, und geht insbesondere dem vermeintlichen Wundermittel ("Wo ist Repoxygen?") nach, das im Springstein-Doping-Prozess aktenkundig wurde und offenbar die Doping-Szene faszinierte. Und immer wieder stellt die Autorin bohrende Fragen. Wie und wer soll diese Entwicklungen aufhalten? Wie kann verhindert werden, dass zukünftig nur noch genetisch manipulierte Monsterathleten und -athletinnen gegeneinander antreten? Wie soll Gen-Doping verhindert werden, wenn Forschung und Anwendung weltweit in zahllosen unkontrollierbaren kleinen Labors stattfinden? Warum sollte ausgerechnet der Sport vor der Anwendung dieser Möglichkeiten haltmachen, wo er doch schon bisher in allen führenden Sportnationen an die Grenzen und darüber hinausging? Springstein - der dopende Erfolgstrainer in der deutschen Leichtathletik - ist für Geipel eine Symbolfigur für diese Haltung im modernen kommerzialisierten Spitzensport, bei dem es um sehr viel Geld geht, bei dem auch viel investiert wird, für Erfolge und Geld. Dabei wird auf den neuesten Stand von Forschung und Entwicklung gesetzt. Es geht darum, schneller zu sein als die Konkurrenz und die Anti-Doping-Agenturen der Welt.
Am Ende des Buches ist man ziemlich desillusioniert, wenn man es nicht schon vorher war. Als Freund des Sports vermisst man das Hoffnungmachende, die Forderungen an den Sport, die Politik und die Gesellschaft. Überhaupt fällt auf, dass der von Politik und Sport nur halbherzig geführte Kampf gegen Doping selten ins kritische Visier genommen wurde. Schade eigentlich, aber vielleicht hat Ines Geipel da keine Illusionen mehr, wo der Sportpolitiker noch von der Hoffnung zehrt.
Ines Geipel: No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft. Klett Cotta Verlag, 182 Seiten, 17,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Gesellschaft ohne Grenzen, eine Autorin ohne Illusionen: Ines Geipel stellt in ihrem Buch "No Limit" bohrende Fragen. Wer will Monsterathleten?
Von Winfried Hermann
Mit dem Titel des Buches präsentiert Ines Geipel zugleich ihre Kernthese zu Doping: Alles, was geht und was Leistungssteigerung verspricht, wird auch gemacht. Nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Bereichen der Gesellschaft. Die Kennerin der Doping-Problematik und heutige Literaturprofessorin hat kein trockenes Sachbuch zum Doping im Sport vorgelegt, sie nimmt ihre Leserinnen und Leser erzählend und in Interviewform mit in die Realität des Dopings, der künstlichen Leistungssteigerung und der Manipulationsbereitschaft. Ein Spiel ohne Grenzen und mit hohem Risiko. Als ehemalige Leistungssportlerin, die in der DDR ohne ihr Wissen gedopt wurde und deshalb unlängst ihre Meistertitel dem Deutschen Leichtathletik-Verband zurückgegeben hat, weiß sie aus eigener Erfahrung, wie skrupellos Staaten, Funktionäre sowie Trainerinnen und Trainer sein können, wenn es im unbedingten Interesse des Systems ist zu gewinnen.
Ines Geipel weiß auch: Sportlerinnen und Sportler sind nicht nur Opfer. Sie sind anfällig für Versuchungen und suchen nach Möglichkeiten, mit künstlichen Mitteln mehr aus sich herauszuholen, letztlich um zu gewinnen. In modernen Gesellschaften hat sich eine Bereitschaft zu Manipulation und künstlicher Unterstützung breitgemacht. Die Grenzen der eigenen Natur werden ignoriert und übersprungen. Für "Schönheit", muskulöse Körperform und Leistungssteigerung ist nichts mehr tabu.
Im ersten Teil des Buches - "Die Metamorphose hat begonnen" - arbeitet die Autorin ihre (eigene) DDR-Doping-Geschichte auf und verfolgt deren Fortsetzung nach 1990. Ehemalige DDR-Trainerinnen und -Trainer konnten ungestört weiterarbeiten und ihr Doping-Know- how in viele Länder der Welt exportieren. Mit dem zweiten und dritten Teil stößt sie bis in die allerneuesten Entwicklungen des Gen-Dopings in Russland und China vor. Das ausführliche Interview mit dem früheren Chef der russischen Anti-Doping-Agentur lässt erahnen, wie fahrlässig Russland mit der Doping-Problematik umgeht.
Das Buch ist historisch und brandaktuell. Es endet mit den Erfahrungen und Erkenntnissen von Ines Geipels jüngster China-Reise im Vorfeld der Olympischen Spiele. Die Ankündigung der chinesischen Sportführung, "Wir werden die saubersten Spiele machen", wird grundlegend erschüttert. Geipel schildert schonungslos den "Kulissenumbau des chinesischen Sportsystems" und Kulissenaufbau im Vorfeld der Spiele, zur Täuschung der Weltöffentlichkeit. Sie formuliert scharf und analytisch. Die Sprache der Literatin ist ein Genuss, gerade auch dann, wenn die zu beschreibende Sache, das Dopen, eher ekelt: "Wenn die Muskeln einen Wunsch frei hätten."
Der Untertitel des rund 180-seitigen Buches signalisiert, dass Ines Geipel Fragen stellt. Viele Fragen, auch sehr grundsätzliche: Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft? Und meint dies im doppelten Sinne, wie viel Doping-Sport und wie viel Doping im Alltag der Nichtsportler(innen) ist verkraftbar, zulässig, verantwortbar? Welches Welt- und Menschenbild steht hinter der Praxis von Doping? Welches Denken und welche Kultur befördert den Gebrauch leistungssteigernder Mittel? Geipel macht deutlich, dass das Doping-Problem des Sports nicht allein ein Problem des Sports ist, sondern der modernen Hochleistungsgesellschaft insgesamt ist ("hormongesteuerter amerikanischer Alltag") - eine Gesellschaft, die schon lange nicht mehr die Grenzen der Natur des Menschen re-spektiert. Der Sport allein wird das Problem nicht lösen können. Ethische Fragen müssen an Medizin und Wissenschaft genauso wie an Verantwortliche in Politik und Sport gestellt werden.
Der zweite Teil des Buches wird den neuesten Entwicklungen der Genforschung und des Gen-Dopings gewidmet: "Der Mensch ist auf dem Weg zum neuen Menschen." Ines Geipel erklärt verständlich, wie die verschiedenen gentechnischen Eingriffe und Methoden funktionieren, und geht insbesondere dem vermeintlichen Wundermittel ("Wo ist Repoxygen?") nach, das im Springstein-Doping-Prozess aktenkundig wurde und offenbar die Doping-Szene faszinierte. Und immer wieder stellt die Autorin bohrende Fragen. Wie und wer soll diese Entwicklungen aufhalten? Wie kann verhindert werden, dass zukünftig nur noch genetisch manipulierte Monsterathleten und -athletinnen gegeneinander antreten? Wie soll Gen-Doping verhindert werden, wenn Forschung und Anwendung weltweit in zahllosen unkontrollierbaren kleinen Labors stattfinden? Warum sollte ausgerechnet der Sport vor der Anwendung dieser Möglichkeiten haltmachen, wo er doch schon bisher in allen führenden Sportnationen an die Grenzen und darüber hinausging? Springstein - der dopende Erfolgstrainer in der deutschen Leichtathletik - ist für Geipel eine Symbolfigur für diese Haltung im modernen kommerzialisierten Spitzensport, bei dem es um sehr viel Geld geht, bei dem auch viel investiert wird, für Erfolge und Geld. Dabei wird auf den neuesten Stand von Forschung und Entwicklung gesetzt. Es geht darum, schneller zu sein als die Konkurrenz und die Anti-Doping-Agenturen der Welt.
Am Ende des Buches ist man ziemlich desillusioniert, wenn man es nicht schon vorher war. Als Freund des Sports vermisst man das Hoffnungmachende, die Forderungen an den Sport, die Politik und die Gesellschaft. Überhaupt fällt auf, dass der von Politik und Sport nur halbherzig geführte Kampf gegen Doping selten ins kritische Visier genommen wurde. Schade eigentlich, aber vielleicht hat Ines Geipel da keine Illusionen mehr, wo der Sportpolitiker noch von der Hoffnung zehrt.
Ines Geipel: No Limit - Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft. Klett Cotta Verlag, 182 Seiten, 17,90 Euro.
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