Einladung zur 10-Minuten-Ins-Bett-Geh-Tour Gespannt warten der kleine Junge und sein kleiner Hamster auf Papas Startschuss: "Noch 10 Minuten, dann ab ins Bett." Da rücken die Hamster auch schon an: zuerst eine Familie und dann immer mehr. Ganz wie ein Touristenführer, ausgestattet mit einer Flüstertüte, lädt der kleine Hamster alle zu einer Tour durchs Haus ein. In der Küche gibt's erst mal einen Imbiss, im Bad wird die Zahnpasta begutachtet und im Kinderzimmer lauschen sie andächtig dem Vorleser. Schon tönt es wieder aus dem Wohnzimmer: "Noch 5 Minuten, dann ab ins Bett." Inzwischen treffen Busladungen voll Hamster ein und ruckzuck verwandelt sich das Badezimmer in ein überfülltes Freibad, mit allem, was dazugehört. Erst ein gellendes "Noch 1 Minute, dann ab ins Bett" schreckt alle aus dem schönen Traum. In Rekordzeit erledigt der Junge das gesamte Ins-Bett-geh-Programm und die Hamster sammeln sich zum Aufbruch. Ein höchst amüsantes, hervorragend gezeichnetes Bilderbuch, das das Ins-Bett-Gehen zum reinsten Vergnügen macht.
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
"Hervorragend gezeichnet, spannend und unterhaltsam" findet Christine Jenny das Buch der amerikanischen Autorin und Illustratorin Peggy Rathmann. Zwischen der Ankündigung "Noch 10 Minuten, und dann ab ins Bett!" und der ultimativen Aufforderung "Ab ins Bett!" entfalte das Buch zwei "facettenreiche" Erzählstränge: Für 10 Minuten öffnet sich nicht nur für ein Kind ein phantasierreicher Spielraum, sondern es rüstet sich auch eine Hamsterfamilie für die abendliche Zeremonie, erklärt die Rezensentin und lobt die "großzügige, klare Darstellungsweise" des Buches.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2004Die zentralen zehn Minuten
Was kein Hamster verpassen sollte: Die Ab-ins-Bett-Tour
Es gibt viele große und kleine Zeit-Geschichten: James Joyce beschreibt in "Ulysses" einen einzigen Tag, Laurence Sterne in "Tristram Shandy" nur die Stunde seiner Geburt. Die amerikanische Künstlerin Peggy Rathmann beschränkt sich in ihrem Bilderbuch auf die für Eltern und Kinder zentralen zehn Minuten vor dem Zubettgehen. Im Unterschied zu Joyce und Sterne benötigt sie dafür nur 52 Seiten - aber auf denen entfaltet sich ein ganzer kindlicher Kosmos. Sein Schöpfer ist ein etwa fünfjähriger kleiner Kerl mit schwarzem Strubbelhaar, der schon im Schlafanzug im Wohnzimmer steht. Der Vater hat es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und sieht aus wie der personifizierte Feierabend. In diese friedvolle Stimmung, in der man die Wohnzimmeruhr zu ticken hören meint, ertönt ein unheilvoller Ruf: "Noch 10 Minuten, dann ab ins Bett!" Als überdimensionierte Sprechblase schwebt die Anweisung über dem eben noch so friedlichen Ensemble. Aber folgt man dem Blick des Jungen aus dem Fenster, erkennt man unter dem Lichtkegel der fernen Straßenlaterne bereits ein Gewusel. Es würde wohl kaum auffallen, gäbe es nicht den Hamster, der im Wohnzimmer auf einer Leiter steht und per Megaphon verkündet: "Sie kommen." - Fanal für eine witzige, schnelle Geschichte.
Sprechblasen verkünden die verbleibenden Minuten, zählen auf den folgenden Seiten den Countdown des Ins-Bett-Gehens unerbittlich ab. Parallel dazu entwickelt sich eine ausufernde, komplett gegenläufige Kinderzimmerhandlung. Dabei wird der einsame Vorgang des Ins-Bett-Müssens konterkariert von einem Heer der Hamster-Touristen, das in das Reihenhaus einfällt wie in eine berühmte Kathedrale. Die Horden kommen als fahrendes Volk, mit Bussen, Campingwagen, auf Motorrad, Mountainbike oder im Golftrolly. Die Wagenkolonne schiebt sich an das Einfamilienhaus heran, als wäre eine ganze Autobahn zu (Hamster-)Ferienbeginn dorthin umgeleitet worden. Und während das wilde Geschehen an dem Vater vorbeizieht, der hinter seiner Zeitung verschanzt nichts von alledem bemerkt, lenkt der Sohn verdutzt und begeistert die Ausflügler ins eigene Reich. Dort wird jeder Vorsprung als Sitzplatz okkupiert, kaum ein Platz, der noch hamsterfrei wäre. Ganz abendlich und kindgemäß ertönt der fordernde Hamsterruf nach "Vorlesen!" Denn - das sieht man erst jetzt und auch nur ganz kurz - die Hamstertouristen sind selbst Gegenstand eines Bilderbuches.
Peggy Rathmann entwickelt hier ein ganzes Panorama an Hamsterwitz. Man kommt kaum hinterher, auf den Bildern die vielen raffinierten Feinheiten zu entdecken und sich darüber königlich zu amüsieren. Mit schnellem Bleistiftstrich sind die Gesichter cartoonhaft skizziert. Das Flüchtig-Ungelenke erinnert an die wunderbaren Pu-Bär-Illustrationen, die hier aber mit kräftigen, zum Teil stark bonbonartigen Farben gefüllt sind, die gegeneinander krachen und keinesfalls das künstlerisch geschmackvolle Bilderbuch repräsentieren. Rathmann vereint eine grandiose Phantasieszenerie mit authentischer Kinderwelt. Der elterliche Ruf nach Ordnung wird konterkariert mit dem kindlichen Aufbegehren und dem Blick in diese spielerische Erlebniswelt.
Die Spannung durch die unerbittlich ablaufende Zeit treibt den Betrachter durch das Buch, während er doch jede der großen, seitenfüllenden Inszenierungen eigentlich in Ruhe genießen und auskosten möchte. Aber die Uhr tickt und gibt das Tempo vor. Schließlich kommt es zu einem symbolischen Sieg der väterlichen Anweisung. Wer die 10-Minuten-dann-ab-ins-Bett-Tour aber mitgemacht hat, weiß jedoch, wie es wirklich war. Und wer genau hingesehen hat, sah eine andere Karawane vor das Nachbarhaus ziehen: lauter wilde Tiere.
CAROLINE ROEDER
Peggy Rathmann: "Noch 10 Minuten, dann ab ins Bett". Aus dem Englischen übersetzt von Nicola T. Stuart. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2003. 52 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 4 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was kein Hamster verpassen sollte: Die Ab-ins-Bett-Tour
Es gibt viele große und kleine Zeit-Geschichten: James Joyce beschreibt in "Ulysses" einen einzigen Tag, Laurence Sterne in "Tristram Shandy" nur die Stunde seiner Geburt. Die amerikanische Künstlerin Peggy Rathmann beschränkt sich in ihrem Bilderbuch auf die für Eltern und Kinder zentralen zehn Minuten vor dem Zubettgehen. Im Unterschied zu Joyce und Sterne benötigt sie dafür nur 52 Seiten - aber auf denen entfaltet sich ein ganzer kindlicher Kosmos. Sein Schöpfer ist ein etwa fünfjähriger kleiner Kerl mit schwarzem Strubbelhaar, der schon im Schlafanzug im Wohnzimmer steht. Der Vater hat es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht und sieht aus wie der personifizierte Feierabend. In diese friedvolle Stimmung, in der man die Wohnzimmeruhr zu ticken hören meint, ertönt ein unheilvoller Ruf: "Noch 10 Minuten, dann ab ins Bett!" Als überdimensionierte Sprechblase schwebt die Anweisung über dem eben noch so friedlichen Ensemble. Aber folgt man dem Blick des Jungen aus dem Fenster, erkennt man unter dem Lichtkegel der fernen Straßenlaterne bereits ein Gewusel. Es würde wohl kaum auffallen, gäbe es nicht den Hamster, der im Wohnzimmer auf einer Leiter steht und per Megaphon verkündet: "Sie kommen." - Fanal für eine witzige, schnelle Geschichte.
Sprechblasen verkünden die verbleibenden Minuten, zählen auf den folgenden Seiten den Countdown des Ins-Bett-Gehens unerbittlich ab. Parallel dazu entwickelt sich eine ausufernde, komplett gegenläufige Kinderzimmerhandlung. Dabei wird der einsame Vorgang des Ins-Bett-Müssens konterkariert von einem Heer der Hamster-Touristen, das in das Reihenhaus einfällt wie in eine berühmte Kathedrale. Die Horden kommen als fahrendes Volk, mit Bussen, Campingwagen, auf Motorrad, Mountainbike oder im Golftrolly. Die Wagenkolonne schiebt sich an das Einfamilienhaus heran, als wäre eine ganze Autobahn zu (Hamster-)Ferienbeginn dorthin umgeleitet worden. Und während das wilde Geschehen an dem Vater vorbeizieht, der hinter seiner Zeitung verschanzt nichts von alledem bemerkt, lenkt der Sohn verdutzt und begeistert die Ausflügler ins eigene Reich. Dort wird jeder Vorsprung als Sitzplatz okkupiert, kaum ein Platz, der noch hamsterfrei wäre. Ganz abendlich und kindgemäß ertönt der fordernde Hamsterruf nach "Vorlesen!" Denn - das sieht man erst jetzt und auch nur ganz kurz - die Hamstertouristen sind selbst Gegenstand eines Bilderbuches.
Peggy Rathmann entwickelt hier ein ganzes Panorama an Hamsterwitz. Man kommt kaum hinterher, auf den Bildern die vielen raffinierten Feinheiten zu entdecken und sich darüber königlich zu amüsieren. Mit schnellem Bleistiftstrich sind die Gesichter cartoonhaft skizziert. Das Flüchtig-Ungelenke erinnert an die wunderbaren Pu-Bär-Illustrationen, die hier aber mit kräftigen, zum Teil stark bonbonartigen Farben gefüllt sind, die gegeneinander krachen und keinesfalls das künstlerisch geschmackvolle Bilderbuch repräsentieren. Rathmann vereint eine grandiose Phantasieszenerie mit authentischer Kinderwelt. Der elterliche Ruf nach Ordnung wird konterkariert mit dem kindlichen Aufbegehren und dem Blick in diese spielerische Erlebniswelt.
Die Spannung durch die unerbittlich ablaufende Zeit treibt den Betrachter durch das Buch, während er doch jede der großen, seitenfüllenden Inszenierungen eigentlich in Ruhe genießen und auskosten möchte. Aber die Uhr tickt und gibt das Tempo vor. Schließlich kommt es zu einem symbolischen Sieg der väterlichen Anweisung. Wer die 10-Minuten-dann-ab-ins-Bett-Tour aber mitgemacht hat, weiß jedoch, wie es wirklich war. Und wer genau hingesehen hat, sah eine andere Karawane vor das Nachbarhaus ziehen: lauter wilde Tiere.
CAROLINE ROEDER
Peggy Rathmann: "Noch 10 Minuten, dann ab ins Bett". Aus dem Englischen übersetzt von Nicola T. Stuart. Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2003. 52 S., geb., 12,90 [Euro]. Ab 4 J.
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