»Wenn Du nochmal in unsere Kleinstadt kommst, muss es ein politisches Buch werden.«
Deutschland 2019: Die AfD wird zur Volkspartei im Osten. Die etablierten Parteien sind geschockt. Vor zehn Jahren hatte der Reporter Moritz von Uslar der Kleinstadt Zehdenick in der brandenburgischen Provinz einen Besuch abgestattet. Dann kehrt er zurück, er bleibt vier Monate und - wie schon in »Deutschboden« - lässt er die Geschichte und die Einwohner des Städtchens auf sich zukommen.
Er sitzt in illegalen Kneipen, in Wohnzimmern und in Getränkemärkten. Er notiert mit oder lässt das Aufnahmegerät laufen. Das Urgestein Blocky, der Kneipenmann Heiko Schröder und die tätowierten Punks Raul und Eric tauchen wieder auf, neues Personal tritt nach vorne: die Bäckersfrau Katharina, das Barmädchen Pretty Baby, ein linker Skinhead, der in den 1990er-Jahren vor den rechten Glatzen fliehen musste. Anders als vor zehn Jahren ist der Reporter in der Kleinstadt aber kein Fremder mehr, und sehr schnell wird klar: Das ist hier nicht mehr das Deutschland, das es vor zehn Jahren war. »Wenn du noch mal in unsere Stadt kommst, dann musst du ein politisches Buch schreiben«, hatte Raul, einer der Protagonisten, dem Reporter erklärt.
Deutschland 2019: Die AfD wird zur Volkspartei im Osten. Die etablierten Parteien sind geschockt. Vor zehn Jahren hatte der Reporter Moritz von Uslar der Kleinstadt Zehdenick in der brandenburgischen Provinz einen Besuch abgestattet. Dann kehrt er zurück, er bleibt vier Monate und - wie schon in »Deutschboden« - lässt er die Geschichte und die Einwohner des Städtchens auf sich zukommen.
Er sitzt in illegalen Kneipen, in Wohnzimmern und in Getränkemärkten. Er notiert mit oder lässt das Aufnahmegerät laufen. Das Urgestein Blocky, der Kneipenmann Heiko Schröder und die tätowierten Punks Raul und Eric tauchen wieder auf, neues Personal tritt nach vorne: die Bäckersfrau Katharina, das Barmädchen Pretty Baby, ein linker Skinhead, der in den 1990er-Jahren vor den rechten Glatzen fliehen musste. Anders als vor zehn Jahren ist der Reporter in der Kleinstadt aber kein Fremder mehr, und sehr schnell wird klar: Das ist hier nicht mehr das Deutschland, das es vor zehn Jahren war. »Wenn du noch mal in unsere Stadt kommst, dann musst du ein politisches Buch schreiben«, hatte Raul, einer der Protagonisten, dem Reporter erklärt.
»'Deutschboden' - mit diesem Reportagebuch landete der Journalist Moritz von Uslar 2010 einen Volltreffer. « Anne-Dore Krohn rbb Kultur 20200416
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.04.2020Für immer Hardrockhausen
Zehn Jahre nach "Deutschboden" ist Moritz von Uslar noch mal in die brandenburgische Provinz gereist. Auch sein neues Buch ist besessen von der Männlichkeit.
Von der Härte, der Melancholie, der Kameraderie beim Bierchentrinken.
Im zweiten Drittel seiner Reportage "Nochmal Deutschboden", in der Moritz von Uslar von seiner Rückkehr in die brandenburgische Provinz erzählt, wird eine Bürgersprechstunde mit Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD beim Europawahlkampf 2019, angesetzt. Der Autor hat die Politikerin eingeladen, damit sie in einer ausgewählten Runde den Bürgern der Kleinstadt Zehdenick Rede und Antwort steht. Es ist allerdings Barley selbst, die die entscheidende Frage stellt: "Wo sind denn die Frauen hier?" Die Antwort kommt feixend aus dem hinteren Teil des Raumes: "Moritz hat keine eingeladen." Dann: "Freude im Saal. Applaus."
Was hier, durch eine Pointe auf Kosten des Autors, weggelacht und weggeklatscht werden soll, ist der zentrale Aspekt der beiden Bücher, die Uslar über die brandenburgische Kleinstadt geschrieben hat: "Deutschboden" von 2010, und jetzt, zehn Jahre später, "Nochmal Deutschboden", sind besessen vom Thema Männlichkeit, von der Härte und der Melancholie, die kleinstädtische Männer angeblich auszeichnet. Für alles andere hat der "Reporter", wie der Autor sich immer wieder in der dritten Person nennt, keine Energie und kein Interesse. Das wahre Leben spielt sich, das war schon die Erkenntnis des ersten "Deutschboden", unter Typen in der Kneipe ab, an der langen Theke und beim Spielautomaten. "Dazu Jeansjacken, rote Köpfe, Männerrücken, Männerhälse, Männerbäuche, Qualm, Bier. Yeah." Er sei, stellt der Reporter fest, in die Kleinstadt gekommen, um Männer protzen zu hören. Und man kann sagen, dass er diese ästhetische und journalistische Mission in "Deutschboden" erfüllt hatte - so sehr, dass männliches Protzen als das eigentliche Gestaltungsprinzip dieses Buches erschien.
Nun ist der Reporter für "Nochmal Deutschboden" nach Zehdenick zurückgekehrt. Die Motivation ist eine seltsame Mischung aus Nostalgie und Zweifeln. Zum einen ist da die Sehnsucht des Autors, wieder in seinem "dirty Hardrockhausen" zu leben, nicht mit den netten Menschen zu sein, sondern mit den "Arschgeigen, den Hässlichen, Kaputten". Zum anderen habe die politische Situation in diesem Land es dem Autor nahelegt, die Geschichte noch einmal von vorne zu erzählen. Kein "blödes Fortsetzungsbuch" also, sondern der Versuch, als Reporter "neu klug dumm zu sein". Inzwischen ist viel geschehen. Vor allem wurde durch die Wahlerfolge der AfD das Ausmaß einer politischen Verdunkelung sichtbar gemacht, die im ersten "Deutschboden" noch als ausgestandener Spuk der 1990er Jahre verabschiedet werden sollte. Die "Nazizeiten" der Kleinstadt jedenfalls, das erfuhr der treuherzige Reporter damals von seinen Männerfiguren, sei lange vorbei. Das Thema Rechtsradikalismus selbst wurde vom Reporter im ersten "Deutschboden" als hemmungslos spießig und uncool abgetan, als etwas, das man zwar ansprechen muss, aber eher abhakt.
Dabei entstanden Formulierungen, die bereits jetzt, zehn Jahre später, unangenehm schlecht gealtert aussehen. Sätze wie: "Neonazis interessierten mich nicht" oder "Mich interessierte eigentlich nichts, das war ja das Geile". Nazis fand der Reporter damals "vor allem wahnsinnig langweilig". Diese aggressiv apolitische Haltung folgte, etwas verspätet, dem Programm der Popliteratur. Florian Illies hatte bereits 2001 in "Generation Golf" über die "Latzhosen-Moral der siebziger Jahre" gespottet und im Anschluss an eine identifikatorische Lektüre von Christian Krachts "Faserland" darauf hingewiesen, dass für seine Generation die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke von größerer Bedeutung sei als die zwischen CDU und SPD. Auch der Stil, in dem die "Deutschboden"-Bücher geschrieben sind, ist unmittelbar als Spielart des Popliterarischen wiederzuerkennen: die Mischung aus Ironie und ausgestellter Naivität, die umgangssprachliche Einfärbung und die auf Lesbarkeit getrimmte erzählerische Transparenz.
Es handelt sich um einen Stil, der sich in anderen Fällen durchaus als Gegengewicht gegen das öde Kunstwollen der deutschsprachigen Prosa bewährt hat, hier aber an einem Sujet scheitert, dem er ethisch und ästhetisch nicht gewachsen ist. Das erste "Deutschboden" folgte einem journalistischen Ästhetizismus, der allein an der spannungsvollen Geschichte interessiert war und der sich auf plakative Weise dem nicht mehr ganz taufrischen Erbe des New Journalism verschrieben hatte. Und ähnlich wie die männlichen Helden dieser Bewegung, Gay Talese, Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson, hatte Uslar in seiner ersten "teilnehmenden Beobachtung" viel zu viel teilgenommen und viel zu wenig beobachtet.
Das wurde besonders deutlich, als die Autorin Manja Präkels, die in Zehdenick aufwuchs, 2017 im "Spiegel" den Vorwurf erhob, Uslar habe zur "Wiedergutwerdung" ehemaliger Gewalttäter beigetragen - wogegen sich der Autor in einer empörten Erwiderung in der "Zeit" zur Wehr setzte. Präkels kritisierte Uslar unter anderem dafür, dass er nicht genau genug hingeschaut habe. "Die Betroffenen", schrieb sie, "leben in Angstzonen, die für all jene unsichtbar sind, die nichts zu befürchten haben." Uslar beharrte darauf: "Von Verharmlosung kann in ,Deutschboden' keine Rede sein."
Man könnte also davon ausgehen, dass es sich bei "Nochmal Deutschboden" um eine Art Abbitte handelt, um eine Korrektur der romantischen Verzerrungen des ersten Buches. Problembewusstsein wird ausgestellt. Ihm habe, schreibt Uslar, vor zehn Jahren "schlicht die Phantasie gefehlt, um zu erkennen, dass der Flirt mit rechts kein abklingendes Phänomen der Nachwendezeit und der jüngeren Vergangenheit gewesen war." Dass es sich dennoch nicht um eine Revision des ersten Buches handelt, zeigt sich dann vor allem auf formaler Ebene. In Zehdenick hat sich seit 2010 vielleicht einiges getan, aber als Leser fühlt man sich in "Nochmal Deutschboden" sofort auf eine beklemmende Art heimisch. Denn stilistisch hat sich kaum etwas verändert. Wieder wird man von der popliterarischen Sprache unmittelbar angekumpelt. Wieder sind die Dinge wahlweise "geil", "asozial" oder "geisteskrank". Wieder soll durch sprachliche Überdrehung eine Atmosphäre der Gefahr und Hektik erzeugt werden, die den Reporter als Helden dastehen lässt.
Und auch der breitbeinige Sexismus von "Deutschboden" wird neu aufgelegt. Dabei war dem Autor doch aufgefallen, dass es hier ein Problem gegeben hatte. Zwischen den Frauen und dem Reporter habe es damals "Vorbehalte" gegeben, "es hatte an Zutrauen, an Leichtigkeit, an Swing gefehlt". Das mag zum einen daran liegen, dass der Reporter Frauen offenbar mit "Leichtigkeit" und "Swing" assoziiert, zum anderen daran, dass der Blick auf Frauen im ersten "Deutschboden" sich auf die Frage "schön/hässlich" beschränkte. Da wurde dann darüber phantasiert, ob es bei "der Donnerbusen-Frau Maria" wohl "unten so weiter ging, wie sie oben aussah".
Man nimmt also mit vorsichtigem Optimismus zur Kenntnis, dass der Autor dazugelernt hat und hofft darauf, dass er in "Nochmal Deutschboden" auf Formulierungen wie diese verzichten wird: "Die harte Arbeit hatte aus Frauengesichtern Männergesichter gemacht." Zur Hälfte von "Nochmal Deutschboden" laufen sie allerdings bereits wieder durchs Bild, die "Frauen, die wie Männer aussahen". Auch ansonsten ist der Reporter erneut auf das Äußere von Frauen fixiert, etwa die Schönheit einer Bäckerin, die sich aber zu seinem Leidwesen als Rassistin erweist.
Halbherzig spricht Uslar diesmal zwar etwas ausführlicher mit Frauen und auch mit People of Color, aber sein Herz gehört nach wie vor den "harten Jungs", bei denen er "immer auch das verletzte, nicht oft genug an die warme Mutterbrust gedrückte Menschenkind" erkennt. Dieser moralische Kitsch ist der Höhepunkt dessen, was man von "Nochmal Deutschboden" an ethischer Selbstbefragung erwarten kann. Der Autor will sich die Welt, die er geschaffen hat, und die Figuren darin einfach nicht kaputtmachen lassen. Das führt zu einem weitgehend apologetischen Grundtenor, der sich angesichts des teilweise offensichtlichen Rassismus und Rechtsradikalismus in der Kleinstadt in einer ausgestellten Hilflosigkeit inszeniert: "Aber hey: ja, keine Ahnung. Politische Reporter waren natürlich die anderen. Bestimmte Sätze - die mit dem zu schlauen Klang -, die konnte ich nicht hinschreiben, obwohl sie mir natürlich durch den Kopf gingen. Es gab eine Sperre. Ich wusste es auch nicht."
Was in dieser scheinbaren Bescheidenheit zum Ausdruck kommt, ist deutlicher Hohn über den "zu schlauen Klang" derjenigen, die den Versuch einer tatsächlichen politischen Analyse machen. Und so ist "Nochmal Deutschboden" trotz der Forderung, dass es eine "politische Reportage" werden müsse, wieder ein unpolitisches Buch geworden, das darauf vertraut, dass sich alle Probleme in der ewigen Kameraderie des gemeinsamen Bierchentrinkens auflösen werden.
Das ist nicht nur intellektuell unbefriedigend, sondern auch ästhetisch. Was Uslar den Lesern und Leserinnen auch in "Nochmal Deutschboden" als unverwechselbare Originale verkaufen will, ist nämlich in Wirklichkeit die immer gleiche Figur: der hart trinkende, unmöglich daherschwätzende, aber eigentlich auch lebensweise und liebenswerte Typ. Es ist die immer gleiche Manifestation einer trostlos normierten Männlichkeit, hinter der sich - davon ist auszugehen - die eigentliche, die individuelle Traurigkeit dieser Menschen verbirgt. Uslar kommt aber nie in die Nähe dieser eigentlichen Geschichten, weil er die ausgestellte Traurigkeit des verordneten Männlichkeitsklischees mit der Traurigkeit verwechselt, die dieses Klischee kaschieren soll. So wird er nicht nur den Menschen, mit denen er nie richtig gesprochen hat, nicht gerecht, sondern scheitert auch an denen, die er ausgiebig zu Wort kommen lässt. Auch in "Nochmal Deutschboden" ist der Wille zur Romantisierung das wichtigste Stilprinzip: "Geil, geil, der eiskalte und illusionslose Blick, der Zynismus - in dem Fall der von Raul - konnten so ein wunderbarer, ein erkenntnisreicher Spaß sein."
Man kann sich als Leser allerdings einen wunderbareren Spaß vorstellen, als die ständigen Paraphrasen dessen, was die Protagonisten Raul und Heiko und Blocky und all die anderen Typen den lieben langen Tag in der Anwesenheit eines Aufnahmegerätes absondern. Da hilft auch der sprachliche Aufwand nicht, mit dem der Autor immer wieder versucht, deren lauwarmen Blödsinn in charakteristische Weisheiten umzubiegen. Nur, weil ein Statement "Raul-artig" auf den Punkt gebracht wird, oder von der "Heiko-artigen Chuzpe" und einem "typischen Blocky-Text" die Rede ist, werden die wiedergegebenen Aussagen nicht weniger gleichförmig oder niederträchtig. Sprachliche Manierismen erzeugen keine Originale. Uslar hat auch in "Nochmal Deutschboden" die genießerische Pose des Popliteraten nicht ablegt und damit die Chance auf eine ernsthafte, und das heißt vor allem auf eine ästhetische Revision seines ersten Buches verspielt.
JOHANNES FRANZEN.
Moritz von Uslar: "Nochmal Deutschboden. Meine Rückkehr in die brandenburgische Provinz", Verlag Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zehn Jahre nach "Deutschboden" ist Moritz von Uslar noch mal in die brandenburgische Provinz gereist. Auch sein neues Buch ist besessen von der Männlichkeit.
Von der Härte, der Melancholie, der Kameraderie beim Bierchentrinken.
Im zweiten Drittel seiner Reportage "Nochmal Deutschboden", in der Moritz von Uslar von seiner Rückkehr in die brandenburgische Provinz erzählt, wird eine Bürgersprechstunde mit Katarina Barley, Spitzenkandidatin der SPD beim Europawahlkampf 2019, angesetzt. Der Autor hat die Politikerin eingeladen, damit sie in einer ausgewählten Runde den Bürgern der Kleinstadt Zehdenick Rede und Antwort steht. Es ist allerdings Barley selbst, die die entscheidende Frage stellt: "Wo sind denn die Frauen hier?" Die Antwort kommt feixend aus dem hinteren Teil des Raumes: "Moritz hat keine eingeladen." Dann: "Freude im Saal. Applaus."
Was hier, durch eine Pointe auf Kosten des Autors, weggelacht und weggeklatscht werden soll, ist der zentrale Aspekt der beiden Bücher, die Uslar über die brandenburgische Kleinstadt geschrieben hat: "Deutschboden" von 2010, und jetzt, zehn Jahre später, "Nochmal Deutschboden", sind besessen vom Thema Männlichkeit, von der Härte und der Melancholie, die kleinstädtische Männer angeblich auszeichnet. Für alles andere hat der "Reporter", wie der Autor sich immer wieder in der dritten Person nennt, keine Energie und kein Interesse. Das wahre Leben spielt sich, das war schon die Erkenntnis des ersten "Deutschboden", unter Typen in der Kneipe ab, an der langen Theke und beim Spielautomaten. "Dazu Jeansjacken, rote Köpfe, Männerrücken, Männerhälse, Männerbäuche, Qualm, Bier. Yeah." Er sei, stellt der Reporter fest, in die Kleinstadt gekommen, um Männer protzen zu hören. Und man kann sagen, dass er diese ästhetische und journalistische Mission in "Deutschboden" erfüllt hatte - so sehr, dass männliches Protzen als das eigentliche Gestaltungsprinzip dieses Buches erschien.
Nun ist der Reporter für "Nochmal Deutschboden" nach Zehdenick zurückgekehrt. Die Motivation ist eine seltsame Mischung aus Nostalgie und Zweifeln. Zum einen ist da die Sehnsucht des Autors, wieder in seinem "dirty Hardrockhausen" zu leben, nicht mit den netten Menschen zu sein, sondern mit den "Arschgeigen, den Hässlichen, Kaputten". Zum anderen habe die politische Situation in diesem Land es dem Autor nahelegt, die Geschichte noch einmal von vorne zu erzählen. Kein "blödes Fortsetzungsbuch" also, sondern der Versuch, als Reporter "neu klug dumm zu sein". Inzwischen ist viel geschehen. Vor allem wurde durch die Wahlerfolge der AfD das Ausmaß einer politischen Verdunkelung sichtbar gemacht, die im ersten "Deutschboden" noch als ausgestandener Spuk der 1990er Jahre verabschiedet werden sollte. Die "Nazizeiten" der Kleinstadt jedenfalls, das erfuhr der treuherzige Reporter damals von seinen Männerfiguren, sei lange vorbei. Das Thema Rechtsradikalismus selbst wurde vom Reporter im ersten "Deutschboden" als hemmungslos spießig und uncool abgetan, als etwas, das man zwar ansprechen muss, aber eher abhakt.
Dabei entstanden Formulierungen, die bereits jetzt, zehn Jahre später, unangenehm schlecht gealtert aussehen. Sätze wie: "Neonazis interessierten mich nicht" oder "Mich interessierte eigentlich nichts, das war ja das Geile". Nazis fand der Reporter damals "vor allem wahnsinnig langweilig". Diese aggressiv apolitische Haltung folgte, etwas verspätet, dem Programm der Popliteratur. Florian Illies hatte bereits 2001 in "Generation Golf" über die "Latzhosen-Moral der siebziger Jahre" gespottet und im Anschluss an eine identifikatorische Lektüre von Christian Krachts "Faserland" darauf hingewiesen, dass für seine Generation die Entscheidung zwischen einer grünen und einer blauen Barbour-Jacke von größerer Bedeutung sei als die zwischen CDU und SPD. Auch der Stil, in dem die "Deutschboden"-Bücher geschrieben sind, ist unmittelbar als Spielart des Popliterarischen wiederzuerkennen: die Mischung aus Ironie und ausgestellter Naivität, die umgangssprachliche Einfärbung und die auf Lesbarkeit getrimmte erzählerische Transparenz.
Es handelt sich um einen Stil, der sich in anderen Fällen durchaus als Gegengewicht gegen das öde Kunstwollen der deutschsprachigen Prosa bewährt hat, hier aber an einem Sujet scheitert, dem er ethisch und ästhetisch nicht gewachsen ist. Das erste "Deutschboden" folgte einem journalistischen Ästhetizismus, der allein an der spannungsvollen Geschichte interessiert war und der sich auf plakative Weise dem nicht mehr ganz taufrischen Erbe des New Journalism verschrieben hatte. Und ähnlich wie die männlichen Helden dieser Bewegung, Gay Talese, Tom Wolfe oder Hunter S. Thompson, hatte Uslar in seiner ersten "teilnehmenden Beobachtung" viel zu viel teilgenommen und viel zu wenig beobachtet.
Das wurde besonders deutlich, als die Autorin Manja Präkels, die in Zehdenick aufwuchs, 2017 im "Spiegel" den Vorwurf erhob, Uslar habe zur "Wiedergutwerdung" ehemaliger Gewalttäter beigetragen - wogegen sich der Autor in einer empörten Erwiderung in der "Zeit" zur Wehr setzte. Präkels kritisierte Uslar unter anderem dafür, dass er nicht genau genug hingeschaut habe. "Die Betroffenen", schrieb sie, "leben in Angstzonen, die für all jene unsichtbar sind, die nichts zu befürchten haben." Uslar beharrte darauf: "Von Verharmlosung kann in ,Deutschboden' keine Rede sein."
Man könnte also davon ausgehen, dass es sich bei "Nochmal Deutschboden" um eine Art Abbitte handelt, um eine Korrektur der romantischen Verzerrungen des ersten Buches. Problembewusstsein wird ausgestellt. Ihm habe, schreibt Uslar, vor zehn Jahren "schlicht die Phantasie gefehlt, um zu erkennen, dass der Flirt mit rechts kein abklingendes Phänomen der Nachwendezeit und der jüngeren Vergangenheit gewesen war." Dass es sich dennoch nicht um eine Revision des ersten Buches handelt, zeigt sich dann vor allem auf formaler Ebene. In Zehdenick hat sich seit 2010 vielleicht einiges getan, aber als Leser fühlt man sich in "Nochmal Deutschboden" sofort auf eine beklemmende Art heimisch. Denn stilistisch hat sich kaum etwas verändert. Wieder wird man von der popliterarischen Sprache unmittelbar angekumpelt. Wieder sind die Dinge wahlweise "geil", "asozial" oder "geisteskrank". Wieder soll durch sprachliche Überdrehung eine Atmosphäre der Gefahr und Hektik erzeugt werden, die den Reporter als Helden dastehen lässt.
Und auch der breitbeinige Sexismus von "Deutschboden" wird neu aufgelegt. Dabei war dem Autor doch aufgefallen, dass es hier ein Problem gegeben hatte. Zwischen den Frauen und dem Reporter habe es damals "Vorbehalte" gegeben, "es hatte an Zutrauen, an Leichtigkeit, an Swing gefehlt". Das mag zum einen daran liegen, dass der Reporter Frauen offenbar mit "Leichtigkeit" und "Swing" assoziiert, zum anderen daran, dass der Blick auf Frauen im ersten "Deutschboden" sich auf die Frage "schön/hässlich" beschränkte. Da wurde dann darüber phantasiert, ob es bei "der Donnerbusen-Frau Maria" wohl "unten so weiter ging, wie sie oben aussah".
Man nimmt also mit vorsichtigem Optimismus zur Kenntnis, dass der Autor dazugelernt hat und hofft darauf, dass er in "Nochmal Deutschboden" auf Formulierungen wie diese verzichten wird: "Die harte Arbeit hatte aus Frauengesichtern Männergesichter gemacht." Zur Hälfte von "Nochmal Deutschboden" laufen sie allerdings bereits wieder durchs Bild, die "Frauen, die wie Männer aussahen". Auch ansonsten ist der Reporter erneut auf das Äußere von Frauen fixiert, etwa die Schönheit einer Bäckerin, die sich aber zu seinem Leidwesen als Rassistin erweist.
Halbherzig spricht Uslar diesmal zwar etwas ausführlicher mit Frauen und auch mit People of Color, aber sein Herz gehört nach wie vor den "harten Jungs", bei denen er "immer auch das verletzte, nicht oft genug an die warme Mutterbrust gedrückte Menschenkind" erkennt. Dieser moralische Kitsch ist der Höhepunkt dessen, was man von "Nochmal Deutschboden" an ethischer Selbstbefragung erwarten kann. Der Autor will sich die Welt, die er geschaffen hat, und die Figuren darin einfach nicht kaputtmachen lassen. Das führt zu einem weitgehend apologetischen Grundtenor, der sich angesichts des teilweise offensichtlichen Rassismus und Rechtsradikalismus in der Kleinstadt in einer ausgestellten Hilflosigkeit inszeniert: "Aber hey: ja, keine Ahnung. Politische Reporter waren natürlich die anderen. Bestimmte Sätze - die mit dem zu schlauen Klang -, die konnte ich nicht hinschreiben, obwohl sie mir natürlich durch den Kopf gingen. Es gab eine Sperre. Ich wusste es auch nicht."
Was in dieser scheinbaren Bescheidenheit zum Ausdruck kommt, ist deutlicher Hohn über den "zu schlauen Klang" derjenigen, die den Versuch einer tatsächlichen politischen Analyse machen. Und so ist "Nochmal Deutschboden" trotz der Forderung, dass es eine "politische Reportage" werden müsse, wieder ein unpolitisches Buch geworden, das darauf vertraut, dass sich alle Probleme in der ewigen Kameraderie des gemeinsamen Bierchentrinkens auflösen werden.
Das ist nicht nur intellektuell unbefriedigend, sondern auch ästhetisch. Was Uslar den Lesern und Leserinnen auch in "Nochmal Deutschboden" als unverwechselbare Originale verkaufen will, ist nämlich in Wirklichkeit die immer gleiche Figur: der hart trinkende, unmöglich daherschwätzende, aber eigentlich auch lebensweise und liebenswerte Typ. Es ist die immer gleiche Manifestation einer trostlos normierten Männlichkeit, hinter der sich - davon ist auszugehen - die eigentliche, die individuelle Traurigkeit dieser Menschen verbirgt. Uslar kommt aber nie in die Nähe dieser eigentlichen Geschichten, weil er die ausgestellte Traurigkeit des verordneten Männlichkeitsklischees mit der Traurigkeit verwechselt, die dieses Klischee kaschieren soll. So wird er nicht nur den Menschen, mit denen er nie richtig gesprochen hat, nicht gerecht, sondern scheitert auch an denen, die er ausgiebig zu Wort kommen lässt. Auch in "Nochmal Deutschboden" ist der Wille zur Romantisierung das wichtigste Stilprinzip: "Geil, geil, der eiskalte und illusionslose Blick, der Zynismus - in dem Fall der von Raul - konnten so ein wunderbarer, ein erkenntnisreicher Spaß sein."
Man kann sich als Leser allerdings einen wunderbareren Spaß vorstellen, als die ständigen Paraphrasen dessen, was die Protagonisten Raul und Heiko und Blocky und all die anderen Typen den lieben langen Tag in der Anwesenheit eines Aufnahmegerätes absondern. Da hilft auch der sprachliche Aufwand nicht, mit dem der Autor immer wieder versucht, deren lauwarmen Blödsinn in charakteristische Weisheiten umzubiegen. Nur, weil ein Statement "Raul-artig" auf den Punkt gebracht wird, oder von der "Heiko-artigen Chuzpe" und einem "typischen Blocky-Text" die Rede ist, werden die wiedergegebenen Aussagen nicht weniger gleichförmig oder niederträchtig. Sprachliche Manierismen erzeugen keine Originale. Uslar hat auch in "Nochmal Deutschboden" die genießerische Pose des Popliteraten nicht ablegt und damit die Chance auf eine ernsthafte, und das heißt vor allem auf eine ästhetische Revision seines ersten Buches verspielt.
JOHANNES FRANZEN.
Moritz von Uslar: "Nochmal Deutschboden. Meine Rückkehr in die brandenburgische Provinz", Verlag Kiepenheuer & Witsch, 336 Seiten, 22 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2020Und sonst so?
Geliebt und gehasst für seinen literarischen Reportagestil: Moritz von Uslar kehrt für „Nochmal Deutschboden“
in die brandenburgische Provinz zurück. Ein politisches Buch will er schreiben. Kann er das?
VON CORNELIUS POLLMER
Eine Kampagne der Wochenzeitung Die Zeit zitierte deren Autor Moritz von Uslar vor vielen Jahren mit einem Satz, den man noch immer so stehen lassen kann. Es sei, sagte von Uslar, „oft eine gute Frage, wenn man sie an der richtigen Stelle stellt, zu sagen: Und sonst so?“
Überhaupt ist das Fragen, mal offen, häufiger suggestiv, eine Großkompetenz von Uslars, es hat ihn so bekannt gemacht, wie man als Journalist eben bekannt werden kann, es lässt Popgrößen, Politiker und andere extrem erfahrene Ausweichtiere nicht selten stutzen, manchmal ist es auch nur auf eine sehr unterhaltsame Art rauflustig, woran sich zum Beispiel der Politiker Rezzo Schlauch erinnern dürfte, dem in einer Fernsehsendung von Benjamin von Stuckrad-Barre einmal die durch von Uslar komponierte Frage gestellt wurde, womit er, Rezzo Schlauch, als Kind häufiger gehänselt worden sei, mit seinem Vor- oder seinem Nachnamen.
Und sonst so? Das kann also oft eine gute Frage sein und sie führt auch deswegen die Liste der „großen zehn“ Leitfragen an, mit denen Moritz von Uslar für sein Fortsetzungsprojekt „Nochmal Deutschboden“ wieder ins brandenburgische Zehdenick gereist ist, um dort erneut nach dem und dieses Mal etwas mehr auch nach den Rechten zu sehen, dazu später mehr.
Das Erscheinen von Teil I, „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung“, liegt zehn Jahre zurück, die Versuchsanordnung war damals ganz ähnlich wie jetzt. Es geht um das offensive Zulassen gegenseitiger Fremdheit (Westdeutscher Großstadt-Reporter in ostdeutscher Kleinstadt) und es geht darum, diese Fremdheit nicht bloß mit jener öden Distanzierungsroutiniertheit auszustellen, die bei Twitter genauso ermüdend gepflegt wird wie zum Beispiel beim „Frauentausch“ von RTL II. Es geht darum, die Fremdheit zunächst einmal gut zu finden und dann auf die aus dem Amerikanischen von Gay Talese übernommene Methode des Reporters zu vertrauen, „The fine art of hanging around“, also hinfahren, rumhängen, kucken, was passiert oder eben gerade nicht, oft ist das ja noch spannender.
Den ersten Teil, vielleicht kann man das so zusammenfassen, fanden einige Leute aus teilweise nachvollziehbaren Gründen zum Kotzen, viele mehr hielten ihn für ein Ereignis. So ähnlich wird es sich nun wieder schütteln, aber, bisschen schade, es gibt wie bei vielen Sequels eine dritte mögliche Lesart: schon ganz gut, aber lange nicht so aufregend wie beim ersten Mal.
Von Uslar formuliert selbst die Gefahr einer „Fortsetzungshölle“, wie er überhaupt allen nötigen Metatext wie gewohnt gleich selbst mit ausliefert, die Besprechung des eigenen Buches ist fortlaufend Teil desselben. Man kann diese Fortsetzungshölle wieder sehr toll finden, die Anordnung bleibt einfach gut, wenn einer wie von Uslar mit fast allem, was zu ihm gehört, nach Zehdenick fährt und dort kaum etwas versteckt, nicht seine Schnöselhaftigkeit, nicht seine gelegentliche Verachtung, auch nicht seine Lust auf das Trinken von gerne mehreren Bieren. Das alles bleibt sein Angebot und ein langweiliges ist es nicht.
Man kann diese Versuchsanordnung weiterhin schwierig finden, weil von Uslar alles Liebenswerte der Kleinstadthelden mit den Spezialspitznamen erneut isoliert und in ausführlicher Begeisterung skizziert, weil er ihre privaten Widersprüche und weltanschaulichen Feindseligkeiten jedoch im Vergleich jedoch immer noch knapp oder auch mal gar nicht behandelt. In Summe adelt solche Aufmerksamkeit weit mehr als dass sie tadelt. Das ist nicht zwingend verwerflich, man sollte sich dessen aber sehr genau bewusst sein.
Vor dem Hintergrund gerade dieser Lieben-oder-hassen-Ausgangssituation ist der vom Autor selbst formulierte Auftrag, im Ergebnis des erneuten Besuchs müsse ein dezidiert politisches Buch vorliegen, klug gewählt – allerdings kommt „Nochmal Deutschboden“ in dieser Frage leider nur bedingt voran. Zuweilen scheitert es sogar wie gleich im zweiten Kapitel, wo der Autor den Verdacht nährt, ihm sei beim Abräumen von guten Posen und guten Geschichten alles Faktische im Zweifel nachrangig. Zwar geht von Uslar auch mit diesem Verdacht später offensiv um („Hier musste also – wie hieß das gleich? Ach ja – recherchiert werden“), aber das Zu- und Vertrauen in sein Buch schwächt er eben schon auf Seite 22, wo in einer Bestandsaufnahme vom Fußball (aus einem Länderspiel der A-Nationalmannschaft wird eines der U21) über die Körpergröße des brandenburgischen Ministerpräsidenten (zwei Zentimeter daneben) bis zu Herkunft und Zeitpunkt politischer Umfragedaten unglaublich viel durcheinander geht.
Die Haupterkenntnis von Uslars ist jedenfalls die, dass im Vergleich zu vor zehn Jahren der Ton straffer und die Verachtung gegenüber dem beliebig definierten Fremden teilweise furchteinflößend größer geworden ist. Dass der Autor mit diesem Ergebnis im Jahr 2020 ein bisschen late to the party ist, wäre dabei noch gar kein größeres Problem gewesen. Es wird allerdings dadurch eines, dass er für seine Fortsetzung neben der Frage nach im Grundsatz längst bekannten politischen Verhältnissen nicht viel mehr dabei hatte als die eben an der nicht ganz richtigen Stelle gesetzten Frage – und sonst so?
Natürlich macht, so einem der erste Teil zugesagt hatte, ein Wiedersehen mit dem schlagfertigen und unterschiedlich alkoholabhängigen Personal aus Zehdenick große Freude. Aber dieses Wiedersehen ist dem Titel folgend ziemlich exakt ein noch mal, weniger ein noch mehr, noch einmal anders, noch tiefer. Ein privates Interesse beider Seiten, Autor wie Kleinstadt, an einem solchen Wiedersehen nach zehn Jahren erschließt sich sofort – der Gewinn, als unbeteiligter Dritter davon zu lesen, wird unterschiedlich hoch ausfallen.
Doch gibt es ihn schon, diesen Gewinn. Wenn es „Nochmal Deutschboden“ auch wie seinem Vorgänger etwas an dramaturgischer Ordnung fehlt und wenn es zudem fast zwangsweise an inhaltlich Neuartigem mangelt, so bleibt die Welt dieser Kleinstadt eine erzählenswerte, umso mehr, wenn Moritz von Uslar von ihr erzählt. Beide Bücher sowie die Verfilmung des ersten beweisen, wie gut äußerlich karge Orten und ihr Alltagsgeschehen mit den Mitteln der Kunst zu begreifen sind.
Dabei verliert der Text nie seine Deutschbodenhaftung, das Realgeschehen bildet immer den Kern, was manche Kritik an von Uslars Buch mindestens dem widersinnig erscheinen lässt, der selbst schon mal ein paar Tage in Brandenburg verbracht hat. Dass von Uslar ostdeutschen Alltagsrassismus verschweige, lässt sich auf Grundlage des zweiten Deutschboden-Teils nicht sagen. Sein Entsetzen über das, was man die politischen Verhältnisse nennt, dokumentiert der Autor umfangreich, wenn auch häufig im allgemeinen Sinne und weniger konkret in Bezug auf seine Protagonisten. Den Vorwurf der Autorin Manja Präkels, die von Uslar nach Erscheinen des ersten Teils vorgeworfen hatte, er relativiere die rechtsradikale Vergangenheit dieser Protagonisten, geht von Uslar immerhin nach, ein wenig gibt er ihm sogar nach. Und für die bloße Existenz rechten Denkens kann man den Autor nun nicht verantwortlich machen, wie auch der wolkige Ruf nach mehr Widerspruch aus der Ferne immer arg leicht formuliert ist.
Noch einmal deutlich weniger nachvollziehbar bleiben die beliebten Vorwürfe, Moritz von Uslar erhebe sich über die Menschen in Zehdenick, sein Interesse sei ein eher zoologisches – und er sei, zweitens, ausschließlich fixiert auf Männlichkeitsquatsch, egal wie dumm dessen Ausprägung auch sein mag. Hinter beidem steht nicht selten die falsche Annahme, alle hinter Idealen zurückbleibende Wirklichkeit dürfe in dieser Fehlerhaftigkeit am besten gar nicht erst beschrieben werden, weil schon diese Beschreibung das Fehlerhafte irgendwie legitimiere. Na ja. Mit einer Umdrehung weniger betrachtet, ist „Nochmal Deutschboden“ schlicht ein gutes Dokument unserer Zeit. Davon zu lesen, wie in Kleinstadtkneipen wie dem „Scheißladen“ oder in der Gaststätte Schröder gesprochen, gesoffen, gepöbelt wird, vermittelt jedenfalls ein genaueres Bild als eine bloße Zahl in der eingefärbten Karte mit den Wahlkreisergebnissen das vermöchte.
Moritz v. Uslar: Nochmal Deutschboden. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 336 Seiten, 22 Euro.
Er versteckt weder seine
Schnöselhaftigkeit noch seine
Lust auf gerne mehrere Biere
Die Annahme, alleine die
Beschreibung legitimiere das
Fehlerhafte, ist falsch
Die Kleinstadthelden mit den Spezialspitznamen sind das Recherchegebiet des Autors Moritz von Uslar, geboren 1970. Dabei hat er sich dem Vorwurf ausgesetzt, er verharmlose deren rechtsradikale Vergangenheit.
Foto: Jens Gyarmaty/Visum
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Geliebt und gehasst für seinen literarischen Reportagestil: Moritz von Uslar kehrt für „Nochmal Deutschboden“
in die brandenburgische Provinz zurück. Ein politisches Buch will er schreiben. Kann er das?
VON CORNELIUS POLLMER
Eine Kampagne der Wochenzeitung Die Zeit zitierte deren Autor Moritz von Uslar vor vielen Jahren mit einem Satz, den man noch immer so stehen lassen kann. Es sei, sagte von Uslar, „oft eine gute Frage, wenn man sie an der richtigen Stelle stellt, zu sagen: Und sonst so?“
Überhaupt ist das Fragen, mal offen, häufiger suggestiv, eine Großkompetenz von Uslars, es hat ihn so bekannt gemacht, wie man als Journalist eben bekannt werden kann, es lässt Popgrößen, Politiker und andere extrem erfahrene Ausweichtiere nicht selten stutzen, manchmal ist es auch nur auf eine sehr unterhaltsame Art rauflustig, woran sich zum Beispiel der Politiker Rezzo Schlauch erinnern dürfte, dem in einer Fernsehsendung von Benjamin von Stuckrad-Barre einmal die durch von Uslar komponierte Frage gestellt wurde, womit er, Rezzo Schlauch, als Kind häufiger gehänselt worden sei, mit seinem Vor- oder seinem Nachnamen.
Und sonst so? Das kann also oft eine gute Frage sein und sie führt auch deswegen die Liste der „großen zehn“ Leitfragen an, mit denen Moritz von Uslar für sein Fortsetzungsprojekt „Nochmal Deutschboden“ wieder ins brandenburgische Zehdenick gereist ist, um dort erneut nach dem und dieses Mal etwas mehr auch nach den Rechten zu sehen, dazu später mehr.
Das Erscheinen von Teil I, „Deutschboden. Eine teilnehmende Beobachtung“, liegt zehn Jahre zurück, die Versuchsanordnung war damals ganz ähnlich wie jetzt. Es geht um das offensive Zulassen gegenseitiger Fremdheit (Westdeutscher Großstadt-Reporter in ostdeutscher Kleinstadt) und es geht darum, diese Fremdheit nicht bloß mit jener öden Distanzierungsroutiniertheit auszustellen, die bei Twitter genauso ermüdend gepflegt wird wie zum Beispiel beim „Frauentausch“ von RTL II. Es geht darum, die Fremdheit zunächst einmal gut zu finden und dann auf die aus dem Amerikanischen von Gay Talese übernommene Methode des Reporters zu vertrauen, „The fine art of hanging around“, also hinfahren, rumhängen, kucken, was passiert oder eben gerade nicht, oft ist das ja noch spannender.
Den ersten Teil, vielleicht kann man das so zusammenfassen, fanden einige Leute aus teilweise nachvollziehbaren Gründen zum Kotzen, viele mehr hielten ihn für ein Ereignis. So ähnlich wird es sich nun wieder schütteln, aber, bisschen schade, es gibt wie bei vielen Sequels eine dritte mögliche Lesart: schon ganz gut, aber lange nicht so aufregend wie beim ersten Mal.
Von Uslar formuliert selbst die Gefahr einer „Fortsetzungshölle“, wie er überhaupt allen nötigen Metatext wie gewohnt gleich selbst mit ausliefert, die Besprechung des eigenen Buches ist fortlaufend Teil desselben. Man kann diese Fortsetzungshölle wieder sehr toll finden, die Anordnung bleibt einfach gut, wenn einer wie von Uslar mit fast allem, was zu ihm gehört, nach Zehdenick fährt und dort kaum etwas versteckt, nicht seine Schnöselhaftigkeit, nicht seine gelegentliche Verachtung, auch nicht seine Lust auf das Trinken von gerne mehreren Bieren. Das alles bleibt sein Angebot und ein langweiliges ist es nicht.
Man kann diese Versuchsanordnung weiterhin schwierig finden, weil von Uslar alles Liebenswerte der Kleinstadthelden mit den Spezialspitznamen erneut isoliert und in ausführlicher Begeisterung skizziert, weil er ihre privaten Widersprüche und weltanschaulichen Feindseligkeiten jedoch im Vergleich jedoch immer noch knapp oder auch mal gar nicht behandelt. In Summe adelt solche Aufmerksamkeit weit mehr als dass sie tadelt. Das ist nicht zwingend verwerflich, man sollte sich dessen aber sehr genau bewusst sein.
Vor dem Hintergrund gerade dieser Lieben-oder-hassen-Ausgangssituation ist der vom Autor selbst formulierte Auftrag, im Ergebnis des erneuten Besuchs müsse ein dezidiert politisches Buch vorliegen, klug gewählt – allerdings kommt „Nochmal Deutschboden“ in dieser Frage leider nur bedingt voran. Zuweilen scheitert es sogar wie gleich im zweiten Kapitel, wo der Autor den Verdacht nährt, ihm sei beim Abräumen von guten Posen und guten Geschichten alles Faktische im Zweifel nachrangig. Zwar geht von Uslar auch mit diesem Verdacht später offensiv um („Hier musste also – wie hieß das gleich? Ach ja – recherchiert werden“), aber das Zu- und Vertrauen in sein Buch schwächt er eben schon auf Seite 22, wo in einer Bestandsaufnahme vom Fußball (aus einem Länderspiel der A-Nationalmannschaft wird eines der U21) über die Körpergröße des brandenburgischen Ministerpräsidenten (zwei Zentimeter daneben) bis zu Herkunft und Zeitpunkt politischer Umfragedaten unglaublich viel durcheinander geht.
Die Haupterkenntnis von Uslars ist jedenfalls die, dass im Vergleich zu vor zehn Jahren der Ton straffer und die Verachtung gegenüber dem beliebig definierten Fremden teilweise furchteinflößend größer geworden ist. Dass der Autor mit diesem Ergebnis im Jahr 2020 ein bisschen late to the party ist, wäre dabei noch gar kein größeres Problem gewesen. Es wird allerdings dadurch eines, dass er für seine Fortsetzung neben der Frage nach im Grundsatz längst bekannten politischen Verhältnissen nicht viel mehr dabei hatte als die eben an der nicht ganz richtigen Stelle gesetzten Frage – und sonst so?
Natürlich macht, so einem der erste Teil zugesagt hatte, ein Wiedersehen mit dem schlagfertigen und unterschiedlich alkoholabhängigen Personal aus Zehdenick große Freude. Aber dieses Wiedersehen ist dem Titel folgend ziemlich exakt ein noch mal, weniger ein noch mehr, noch einmal anders, noch tiefer. Ein privates Interesse beider Seiten, Autor wie Kleinstadt, an einem solchen Wiedersehen nach zehn Jahren erschließt sich sofort – der Gewinn, als unbeteiligter Dritter davon zu lesen, wird unterschiedlich hoch ausfallen.
Doch gibt es ihn schon, diesen Gewinn. Wenn es „Nochmal Deutschboden“ auch wie seinem Vorgänger etwas an dramaturgischer Ordnung fehlt und wenn es zudem fast zwangsweise an inhaltlich Neuartigem mangelt, so bleibt die Welt dieser Kleinstadt eine erzählenswerte, umso mehr, wenn Moritz von Uslar von ihr erzählt. Beide Bücher sowie die Verfilmung des ersten beweisen, wie gut äußerlich karge Orten und ihr Alltagsgeschehen mit den Mitteln der Kunst zu begreifen sind.
Dabei verliert der Text nie seine Deutschbodenhaftung, das Realgeschehen bildet immer den Kern, was manche Kritik an von Uslars Buch mindestens dem widersinnig erscheinen lässt, der selbst schon mal ein paar Tage in Brandenburg verbracht hat. Dass von Uslar ostdeutschen Alltagsrassismus verschweige, lässt sich auf Grundlage des zweiten Deutschboden-Teils nicht sagen. Sein Entsetzen über das, was man die politischen Verhältnisse nennt, dokumentiert der Autor umfangreich, wenn auch häufig im allgemeinen Sinne und weniger konkret in Bezug auf seine Protagonisten. Den Vorwurf der Autorin Manja Präkels, die von Uslar nach Erscheinen des ersten Teils vorgeworfen hatte, er relativiere die rechtsradikale Vergangenheit dieser Protagonisten, geht von Uslar immerhin nach, ein wenig gibt er ihm sogar nach. Und für die bloße Existenz rechten Denkens kann man den Autor nun nicht verantwortlich machen, wie auch der wolkige Ruf nach mehr Widerspruch aus der Ferne immer arg leicht formuliert ist.
Noch einmal deutlich weniger nachvollziehbar bleiben die beliebten Vorwürfe, Moritz von Uslar erhebe sich über die Menschen in Zehdenick, sein Interesse sei ein eher zoologisches – und er sei, zweitens, ausschließlich fixiert auf Männlichkeitsquatsch, egal wie dumm dessen Ausprägung auch sein mag. Hinter beidem steht nicht selten die falsche Annahme, alle hinter Idealen zurückbleibende Wirklichkeit dürfe in dieser Fehlerhaftigkeit am besten gar nicht erst beschrieben werden, weil schon diese Beschreibung das Fehlerhafte irgendwie legitimiere. Na ja. Mit einer Umdrehung weniger betrachtet, ist „Nochmal Deutschboden“ schlicht ein gutes Dokument unserer Zeit. Davon zu lesen, wie in Kleinstadtkneipen wie dem „Scheißladen“ oder in der Gaststätte Schröder gesprochen, gesoffen, gepöbelt wird, vermittelt jedenfalls ein genaueres Bild als eine bloße Zahl in der eingefärbten Karte mit den Wahlkreisergebnissen das vermöchte.
Moritz v. Uslar: Nochmal Deutschboden. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2020. 336 Seiten, 22 Euro.
Er versteckt weder seine
Schnöselhaftigkeit noch seine
Lust auf gerne mehrere Biere
Die Annahme, alleine die
Beschreibung legitimiere das
Fehlerhafte, ist falsch
Die Kleinstadthelden mit den Spezialspitznamen sind das Recherchegebiet des Autors Moritz von Uslar, geboren 1970. Dabei hat er sich dem Vorwurf ausgesetzt, er verharmlose deren rechtsradikale Vergangenheit.
Foto: Jens Gyarmaty/Visum
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»Ich bewundere (von) Uslars Mut, der uns Einblicke ermöglicht, die wir sonst nie hätten.« Thomas Ostermeier Salon 20200604