Unterwegs als Nomade im Speck berichtet Wiglaf Droste über merkwürdige Begebenheiten und kulinarische Überraschungen in Regionen der Welt, die er auf seinen Reisen durchstreift. Und Nikolaus Heidelbach presst diesen Geschichten die Quintessenz ab, die er zeichnerisch auf eine Weise umsetzt, die wir ebenso ungläubig wie andächtig bestaunen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Wolfgang Schneider schätzt das lässig plausible an den Abschweifungen und Assoziationen des Wiglaf Droste, in diesem Band wieder einmal kongenial, wie Schneider findet, begleitet vom Zeichner Nikolaus Heidelbach. Dass der Satiriker Droste linke Kampfeslust längst eingetauscht hat gegen Betrachtungen über handgemachte Wurst, stört ihn wenig. Solange Droste seine "kräftig-aromatische" Lebensart derart Gattungs- und Ländergrenzen überschreitend und kreuzend vermittelt, mit Witz und Charme plaudernd Imaginationsräume öffnet und die Kunst des Abschweifens pflegt, ist alles schick, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.05.2016Feierbiester, Wellnessgesichter
Wer mit Robben planscht, muss Bullen fürchten: Wiglaf Droste tischt auf, und Nikolaus Heidelbach sorgt für den Augenschmaus
Der Satiriker - die Bezeichnung haftet ihm nun einmal an - Wiglaf Droste steht beispielhaft für jene ehemaligen oder Irgendwie-immer-noch-Linken, die sich in reiferem Alter auf eine erotisch gewürzte Kulinarik verlegen. Man verabschiedet Utopie und Klassenkampf zugunsten des Küchendampfs, schnallt den Gürtel ein paar Löcher weiter, schreibt Betrachtungen über handgemachte Wurst und die Wechselfälle des Lebens. "Im Traum briet ich Bouletten in Berlin", beginnt mundwässernd einer der Texte des neuesten Droste-Werks "Nomade im Speck": "Die handgekneteten, gut durchmantschten und zu leicht abgeplatteten Rundlingen geformten, gepfefferten und gesalzenen und geeigelbten Bollern bereitete ich in zwei Varianten zu: aus frisch durch den Wolf gedrehtem Lamm mit Minze und aus gehacktem Rindfleisch mit Zwiebeln, Knoblauch, Kapern und Chili."
Mit seiner Liebe zum Deftigen geht Droste auf Abstand zu den protestantisch-asketischen Spielarten des moralingesäuerten Richtig-Essens. Auf Berliner Wochenmärkten stören ihn die Besitzer der "Wir-machen-alles-aber-sowas-von-richtig"-Visagen, diese "guten grüngurkenen Bürger". Überhaupt teilt Droste scharf aus, nur sind es eben nicht mehr linke Schwinger, sondern stil- und gastrokritische Nackenschläge. Sie treffen "unwürdige Jugendgreise in Kapuzenjäckchen", "Geschäftsleute mit Wellnessgesichtern, wie man sie jetzt hat", den "grassierenden Rollkofferismus" und die "lärmenden Feierbiester" und nicht zuletzt den Strickmützenterror der Hipster, die sich "kaffeewärmerartige Gebilde auf ihre dürren Rüben stülpen". Stattdessen schätzt Droste eine gute Bar, wo Miles Davis oder Van Morrison laufen. Und stellt sich den Herausforderungen der kräftig-aromatischen Lebensart, etwa beim Rauchen einer sogenannten "Drei-Männer-Zigarre", die so heißt, "weil man zu ihrem Genuss angeblich drei Männer braucht: einen der raucht und zwei, die ihn stützen".
Die Gundmotive der Texte von "Nomade im Speck" sind das Unterwegssein und Einkehren, das Reisen und Speisen. Weit kommt Wiglaf Droste herum, bis nach Mexiko, wo er irgendwo in der tiefsten Pampa mit der Freundin in einer Cantina sitzt. Sie kann Spanisch und teilt dem Autor mit unauffällig-ungerührtem Gesicht mit, dass die vier zwielichtigen Männer am Nebentisch soeben beschlossen hätten, das Paar aus Deutschland zu ermorden und auszurauben, sie selbst vorher aber noch zu vergewaltigen. Eine beklemmende Situation mit erzählerischem Mehrwert, aus der die beiden haarscharf wie im Thriller entrinnen.
Überhaupt ist das Schöne an diesem Buch, dass Droste die Gattung der Kolumne mit der Kurzgeschichte und Anekdote zu kreuzen versteht. Zur Meinungsmache kommt also genug Erzählsubstanz, um die Buchveröffentlichung der zuerst im "Folio"-Magazin der NZZ erschienenen Beiträge zu rechtfertigen. Droste hat zudem das große Glück, dass ein fabelhafter Zeichner wie Nikolaus Heidelbach mit ihm zusammenarbeitet. Dessen farbige Illustrationen sind ein Augenschmaus; die durch sie veredelten Texte bekommen einen zusätzlichen Imaginationsraum, Bild und Wort steigern aneinander ihre Triftigkeit. Da ist zum Beispiel die bezaubernde Zeichnung einer Seehündin im Bikini. Dazu erzählt Droste, wie er beim Schwimmen vor Helgoland unter Wasser "angetitscht" wurde: "Drei Meter vor mir taucht plötzlich ein Kopf auf; mir bleibt beinahe das Herz stehen. Er ist silbergrau mit dunklen Sprenkeln, und ein lustiges Augenpaar mustert mich neugierig." Die neugierigen Augen gehören einer spielerisch aufgelegten weiblichen Robbe, mit der Droste nun beglückt herumplanscht - bis "der wesentlich größere Kanonenkugelkopf" eines Bullen aus dem Wasser kommt. Auch die Freundin des Erzählers nimmt dessen Enthusiasmus gedämpft auf: "Kein Mann schwärmt einer Frau ungestraft von einer anderen Frau vor." Bewundernswert, mit welch leichthändigem Witz und Charme Droste solche Episoden erzählt.
Zur guten Kolumne gehört die Kunst des Abschweifens und Assoziierens; die Argumentations- und Räsonierlinie hat schlangenförmig zu sein. Wie kommt der Autor auf nur zwei Seiten vom beschaulichen Urlaub in der Normandie zum Herforder Hardcore-Feminismus? So: In Granville wird er vom Vermieter in die Ferienwohnung eingeführt. Dabei stößt Monsieur Duchemin unvermittelt das alte Deutschenhasserwort aus, und Droste denkt: "Der traut sich was, mir hier den ,Boche' reinzudrücken." Aber es ist ein Missverständnis. Monsieur wollte dem Gast aus Deutschland eher schmeicheln, indem er den Markennamen der Waschmaschine nannte. Von Bosch ist es nicht weit zu einer Konkurrenzfirma und deren klassischem Werbeslogan: "Bauknecht weiß, was Frauen wünschen." In jungen Jahren aber hatte Droste als Sänger einer Herforder Soulband namens Aeroblizz einen Song aus diesem Slogan gemacht, in dem "Bauknecht" als Gigolo firmierte. Und bekam es deshalb mit den militanten Feministinnen zu tun.
Solche ebenso lässigen wie plausiblen Plauder-Kurven, wie man sie sonst etwa von Harald Martenstein kennt, lässt man sich gern gefallen. Reisen und essen, beobachten und erinnern und dazu möglichst viele Kalauer als Mitnahmeeffekte prägen dieses Buch vom "Nomaden im Speck", unterwegs zwischen den Mahlzeiten und Merkwürdigkeiten unserer Zeit.
WOLFGANG SCHNEIDER
Wiglaf Droste, Nikolaus Heidelbach: "Nomade im Speck".
Edition Tiamat, Berlin 2016, 192 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wer mit Robben planscht, muss Bullen fürchten: Wiglaf Droste tischt auf, und Nikolaus Heidelbach sorgt für den Augenschmaus
Der Satiriker - die Bezeichnung haftet ihm nun einmal an - Wiglaf Droste steht beispielhaft für jene ehemaligen oder Irgendwie-immer-noch-Linken, die sich in reiferem Alter auf eine erotisch gewürzte Kulinarik verlegen. Man verabschiedet Utopie und Klassenkampf zugunsten des Küchendampfs, schnallt den Gürtel ein paar Löcher weiter, schreibt Betrachtungen über handgemachte Wurst und die Wechselfälle des Lebens. "Im Traum briet ich Bouletten in Berlin", beginnt mundwässernd einer der Texte des neuesten Droste-Werks "Nomade im Speck": "Die handgekneteten, gut durchmantschten und zu leicht abgeplatteten Rundlingen geformten, gepfefferten und gesalzenen und geeigelbten Bollern bereitete ich in zwei Varianten zu: aus frisch durch den Wolf gedrehtem Lamm mit Minze und aus gehacktem Rindfleisch mit Zwiebeln, Knoblauch, Kapern und Chili."
Mit seiner Liebe zum Deftigen geht Droste auf Abstand zu den protestantisch-asketischen Spielarten des moralingesäuerten Richtig-Essens. Auf Berliner Wochenmärkten stören ihn die Besitzer der "Wir-machen-alles-aber-sowas-von-richtig"-Visagen, diese "guten grüngurkenen Bürger". Überhaupt teilt Droste scharf aus, nur sind es eben nicht mehr linke Schwinger, sondern stil- und gastrokritische Nackenschläge. Sie treffen "unwürdige Jugendgreise in Kapuzenjäckchen", "Geschäftsleute mit Wellnessgesichtern, wie man sie jetzt hat", den "grassierenden Rollkofferismus" und die "lärmenden Feierbiester" und nicht zuletzt den Strickmützenterror der Hipster, die sich "kaffeewärmerartige Gebilde auf ihre dürren Rüben stülpen". Stattdessen schätzt Droste eine gute Bar, wo Miles Davis oder Van Morrison laufen. Und stellt sich den Herausforderungen der kräftig-aromatischen Lebensart, etwa beim Rauchen einer sogenannten "Drei-Männer-Zigarre", die so heißt, "weil man zu ihrem Genuss angeblich drei Männer braucht: einen der raucht und zwei, die ihn stützen".
Die Gundmotive der Texte von "Nomade im Speck" sind das Unterwegssein und Einkehren, das Reisen und Speisen. Weit kommt Wiglaf Droste herum, bis nach Mexiko, wo er irgendwo in der tiefsten Pampa mit der Freundin in einer Cantina sitzt. Sie kann Spanisch und teilt dem Autor mit unauffällig-ungerührtem Gesicht mit, dass die vier zwielichtigen Männer am Nebentisch soeben beschlossen hätten, das Paar aus Deutschland zu ermorden und auszurauben, sie selbst vorher aber noch zu vergewaltigen. Eine beklemmende Situation mit erzählerischem Mehrwert, aus der die beiden haarscharf wie im Thriller entrinnen.
Überhaupt ist das Schöne an diesem Buch, dass Droste die Gattung der Kolumne mit der Kurzgeschichte und Anekdote zu kreuzen versteht. Zur Meinungsmache kommt also genug Erzählsubstanz, um die Buchveröffentlichung der zuerst im "Folio"-Magazin der NZZ erschienenen Beiträge zu rechtfertigen. Droste hat zudem das große Glück, dass ein fabelhafter Zeichner wie Nikolaus Heidelbach mit ihm zusammenarbeitet. Dessen farbige Illustrationen sind ein Augenschmaus; die durch sie veredelten Texte bekommen einen zusätzlichen Imaginationsraum, Bild und Wort steigern aneinander ihre Triftigkeit. Da ist zum Beispiel die bezaubernde Zeichnung einer Seehündin im Bikini. Dazu erzählt Droste, wie er beim Schwimmen vor Helgoland unter Wasser "angetitscht" wurde: "Drei Meter vor mir taucht plötzlich ein Kopf auf; mir bleibt beinahe das Herz stehen. Er ist silbergrau mit dunklen Sprenkeln, und ein lustiges Augenpaar mustert mich neugierig." Die neugierigen Augen gehören einer spielerisch aufgelegten weiblichen Robbe, mit der Droste nun beglückt herumplanscht - bis "der wesentlich größere Kanonenkugelkopf" eines Bullen aus dem Wasser kommt. Auch die Freundin des Erzählers nimmt dessen Enthusiasmus gedämpft auf: "Kein Mann schwärmt einer Frau ungestraft von einer anderen Frau vor." Bewundernswert, mit welch leichthändigem Witz und Charme Droste solche Episoden erzählt.
Zur guten Kolumne gehört die Kunst des Abschweifens und Assoziierens; die Argumentations- und Räsonierlinie hat schlangenförmig zu sein. Wie kommt der Autor auf nur zwei Seiten vom beschaulichen Urlaub in der Normandie zum Herforder Hardcore-Feminismus? So: In Granville wird er vom Vermieter in die Ferienwohnung eingeführt. Dabei stößt Monsieur Duchemin unvermittelt das alte Deutschenhasserwort aus, und Droste denkt: "Der traut sich was, mir hier den ,Boche' reinzudrücken." Aber es ist ein Missverständnis. Monsieur wollte dem Gast aus Deutschland eher schmeicheln, indem er den Markennamen der Waschmaschine nannte. Von Bosch ist es nicht weit zu einer Konkurrenzfirma und deren klassischem Werbeslogan: "Bauknecht weiß, was Frauen wünschen." In jungen Jahren aber hatte Droste als Sänger einer Herforder Soulband namens Aeroblizz einen Song aus diesem Slogan gemacht, in dem "Bauknecht" als Gigolo firmierte. Und bekam es deshalb mit den militanten Feministinnen zu tun.
Solche ebenso lässigen wie plausiblen Plauder-Kurven, wie man sie sonst etwa von Harald Martenstein kennt, lässt man sich gern gefallen. Reisen und essen, beobachten und erinnern und dazu möglichst viele Kalauer als Mitnahmeeffekte prägen dieses Buch vom "Nomaden im Speck", unterwegs zwischen den Mahlzeiten und Merkwürdigkeiten unserer Zeit.
WOLFGANG SCHNEIDER
Wiglaf Droste, Nikolaus Heidelbach: "Nomade im Speck".
Edition Tiamat, Berlin 2016, 192 S., br., 18,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main