Auguste Rodins Marmorskulpturen markieren eine Schwelle von der geschlossenen Formensprache des 19. Jahrhunderts hin zur fragmentarischen, offenen Form der Moderne. Ihrem hybriden Charakter zwischen Vorläufigem und Finalem, klassischem Material und skizzenhafter Ausführung wird ein traditioneller, auf Endgültigkeit ausgerichteter Werkbegriff nicht mehr gerecht. Rodin etabliert das Non-finito als ästhetische Kategorie. Als sei der Werkprozess unterbrochen worden, entsteht der Eindruck des Auftauchens oder Zurücksinkens der artikulierten Form in den grob bossierten Block. Undefinierte Flächen werden zu Platzhaltern für neu zu bestimmende Inhalte, die eine traditionelle Ikonographie kompensieren. Diesen vermeintlich peripheren Zonen widmet sich die Studie, die erstmals Entstehungsbedingungen, kunsttheoretische und künstlerische Rezeption des Non-finito diskutiert.