Nootebooms Hotel hat viele Zimmer, in denen er auf seinen Reisen um die Welt abgestiegen ist. In allen hat er geschrieben, hat aus den Fenstern gesehen und beobachtet. Was auf den Reisen dieses Schriftstellers geschieht und was er notierend festhält, ist: Blick in die Welt, auf Geschichten, Bilder und Natur, auf Menschen, die, alle auf ihre eigene Weise, bemerkenswerte Gestalten sind; sie finden im Kosmos eines einzigartigen Beobachters Platz und treten durch ihn vor die Augen seiner Leser. Ob Nooteboom von seinen Begegnungen mit Bruce Chatwin, Mary McCarthy und Umberto Eco erzählt, ob er mit einem alten Kahn durch Gambia tuckert, mit Fellini durch Rom geht oder Patres in Peru und Bolivien besucht, ob er über Frida Kahlo oder Vermeer schreibt, über Fotografie und Literatur, oder ob er unterwegs ist nach Piemont, in die Sahara oder, gleich um die Ecke, zum Schloß Groeneveld - immer sind hier, in jeden Text, 40 Jahre Reise-, Seh-, Denk- und Schreibarbeit eines modernen Nomaden eingeflossen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2000Da hilft nicht einmal der Hut
Wenn ein Reisender in einer Europa-Nacht: Landfahrt mit Cees Nooteboom / Von Jörg Magenau
Nicht jeder, der unterwegs ist, ist ein Reisender. Denn Reisen ist eine Kunst, die gelernt sein will. Cees Nooteboom begann in früher Jugend damit, sich an ferne Orte zu begeben. Die Niederlande sind klein, der erste Grenzübertritt ergibt sich daraus zwingend. Und so stand er eines Tages in Belgien an der Autobahn und hielt den Daumen hoch und hat nach eigener Auskunft "seither eigentlich nie mehr damit aufgehört". Nicht deshalb, weil die Welt so schön und die Menschen so freundlich wären. Sondern weil Reisen eine Bewegung ist, die zum Denken führt.
Bei Cees Nooteboom läßt sich nachvollziehen, wie sich dabei allmählich aus dem Journalisten der Schriftsteller, aus dem Schriftsteller der Poet und aus dem Poeten der Philosoph entwickelt hat. Heute überlagern sich in seinem Schreiben all diese Eigenschaften. Sein jüngster Sammelband, "Nootebooms Hotel", mit Texten, die seit den späten sechziger Jahren verstreut in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, legt davon Zeugnis ab. Nooteboom vergleicht das Unterwegssein mit der Gebetsmühle der Tibeter, denn auch dort gehe "die Bewegung dem Gedanken voraus". Er begreift seine Reisen als groß angelegte Meditation, als eine andauernde Suche nach der Stille in der Bewegung und damit als Reise zu sich selbst: "Vielleicht ist es so, daß der wahre Reisende sich stets im Auge des Sturms befindet. Der Sturm ist die Welt, das Auge ist das, womit er die Welt betrachtet."
Im Jahre 1982 fuhr Nooteboom mit dem Orient-Express von Paris nach Venedig. Er hatte das Glück, zwei nebeneinanderliegende Abteile benutzen zu dürfen, weil der Zug nicht ausgebucht war. Die Abteile glichen sich mit ihren grünen Plüschsofas, Spitzendeckchen und polierten Wänden wie zwei Spiegelbilder. Indem er von einem ins andere wechselte, änderte sich für Nooteboom nichts als die Fahrtrichtung. Mal vorwärts, mal rückwärts raste er durch die europäische Nacht. Die Namen der Bahnhöfe, die der Zug passierte, ließen sich im Dunkeln nicht entziffern, aber die Orte hätten wohl auch nicht viel bedeutet. Man muß sich den Reisenden allein und hell erleuchtet neben einer rosa Schirmlampe vorstellen, ein bewegtes Materieteilchen im Raum, und also durchaus melancholisch gestimmt. So sieht er sich selbst dahinfahren und fragt sich: "Wie mag das von draußen für Kaninchen und Wilddiebe aussehen?" In der Wahrnehmung der Welt erkennt der Reisende sich selbst. Die eigene Ortlosigkeit hat ihn herauskatapultiert aus dem "echten" Leben derer, die da draußen morgens um fünf Uhr türenschlagend ihre Autos besteigen, um zur Arbeit aufzubrechen. Um so genauer nimmt der Vorbeifahrende sie wahr.
Cees Nooteboom hat sich vielleicht deshalb das Reisen als Existenzform ausgesucht, weil darin der Gegensatz zwischen Leben und Schreiben verschwindet, an dem er als existentialistisch orientierter junger Mann so sehr gelitten hat. Mit dem Schiff unterwegs auf dem Fluß Gambia notierte er: "Ich bin hier ohne Mission, ausschließlich mit dem Auftrag von mir an mich, hier zu sein. Was aber bedeutet das, irgendwo zu sein? Das gleiche wie immer, nur woanders, und dann mit weit geöffneten Kameras und Recordern, angeschlossen an die leere Vorratskammer, in der aus Bildern und Geräuschen Erinnerungen gemacht werden."
Die Bewegung in der Zeit ist das eigentliche Ziel all der Reisen Nootebooms, weshalb er nicht nur dann von "Zeitreisen" spricht, wenn er wie auf einem Marktplatz in Mali in eine geradezu alttestamentarische Vergangenheit einzutauchen scheint. Da gerät er unvermittelt in eine bunte, wogende Menschenmenge und stürzt "kopfüber in eine andere Zeit, eine andere Wirtschaft, ein anderes Verhalten, ich falle aus meiner Welt und nicht in die ihre, werde zu einer Art schrecklichem outcast, einem wahren Fremden". Das Fremdsein ist eine Angstlust, die der Reisende immer wieder anstrebt. Die Fremdheit ängstigt ihn, weil seine mitteleuropäischen Distinktionen nichts mehr wert sind und seine Fähigkeit, die "feinen Unterschiede" zu entziffern, angesichts einer tausendköpfigen, stampfenden afrikanischen Menschenmenge verfällt. Doch wo wäre der Reisende andererseits mehr bei sich selbst als in den Momenten, in denen ihn nichts mit seiner Umwelt verbindet?
In den früheren Texten in "Nootebooms Hotel", auf seinen Reisen durch Afrika und Südamerika, überwiegt die Faszination am Fremden und die Einübung der reinen Wahrnehmung. Da reiht er die Details akribisch aneinander, als ergäbe Wahrheit sich aus der bloßen Summe einzelner Momente. Liest man die Texte chronologisch, dann rückt jedoch immer stärker das Bewußtsein in den Vordergrund, wie vergeblich die Inventarisierung der Welt ist. Anstatt sie naiv und unverfälscht erfassen zu wollen, dient sie nun als Laboratorium für Experimente mit dem eigenen Ich und dessen Reaktionen mit fremden Stoffen. Nun geht es vor allem um Emotionen, um Zustände, um die Erkundung des Subjekts, ohne das die Welt nicht existieren würde. Nooteboom, auf der Suche nach dem "unzerbrechlichen Jetzt der Zeit", weiß, daß ihm jeder unwiederholbare, einzigartige Augenblick entgleitet und nur als Erinnerung, als Text oder Bild überdauert. "Die Gegenwart ist dazu da, festgehalten zu werden, und ist folglich selbst nichts", notiert er. "In der Zukunft jedoch werde ich all meine alten Koffer öffnen, um zu sehen, wer ich war." Doch wer dieses Ich war, was daran Fiktion, was Wirklichkeit ist, das wird sich nicht mehr ergründen lassen.
So kommt es, daß "Nootebooms Hotel" neben Reiseberichten auch Reflexionen über Kunst, Fotografie und Literatur enthält. Nooteboom schildert Begegnungen mit Mary McCarthy, Umberto Eco und - selbstverständlich - mit dem anderen großen Reisenden, Bruce Chatwin. Seine Lektüren gelten dem Zeitsucher Marcel Proust oder dem holländischen Schriftsteller und Schiffsarzt Slauerhoff. In der Fotografie, die den Moment zur Ewigkeit erstarren läßt und gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf die Bewegung richtet, erkennt Nooteboom die eigene Welterfahrung wieder. Seine Meditation über "die angehaltene Zeit" gehört zu den stärksten Texten des Bandes. Angesichts von alten Bildern unbekannter Paare und Familien auf einem Trödelmarkt reflektiert er über Fotografie als die Kunst, verschiedene Zeitschichten miteinander zu arrangieren. Die Wirklichkeit eines Fotostudios von 1920 wird plötzlich zu unmittelbarer Gegenwart. Diese Gesichtszüge, diese Kleidung können die Fotografierten nie mehr verlassen.
Im Anthropologischen Museum von Mexiko notiert Nooteboom vor dem Modell einer Ausgrabungsstätte: "Die Gerippe liegen durcheinander, verschoben von etwas noch Mächtigerem als dem Tod: der Zeit." Hier erfährt der Reisende die Zeit "in ihrer Erscheinungsform als Geschichte". Er will sie mit Händen greifen und greift doch nur in den Staub. Die Anstrengung, sich mehr noch als im Raum in der Zeit zu bewegen, macht ihn manchmal grenzenlos müde. Doch was macht ein Reisender, wenn er sich erholen möchte? Nooteboom tut dann, was er immer tut: Er fährt in möglichst abgelegene Weltgegenden und versucht dort, nichts zu tun. Das Bildnis des Reisenden, das den Umschlag von "Nootebooms Hotel" schmückt, zeigt einen Mann mit Hut, dessen Gesicht ein Globus mit eingravierten Meridianen ist. Wo der Mund sein müßte, klafft eine kreuzförmige Öffnung, die wie ein Schlüsselloch oder ein Pflaster aussieht. Ein Freund Nootebooms, der Maler Max Neumann, hat diesen Kopf gezeichnet, Nooteboom erkannte sich sofort. So muß ein Weltreisender aussehen, der trotz aller Entdeckungen doch immer sein Geheimnis behält. Doch auch die Assoziation "Kriegsverwundeter" findet Nooteboom passend, "weil sich die Distanz, die jemand seit dem Krieg räumlich und zeitlich zurückgelegt hat, manchmal mit einer solch unerbittlichen Schrift in die Haut eines Gesichtes einschreibt, daß nicht einmal ein Hut mehr hilft". Die Falten und die Narben im Gesicht des Zeitreisenden sind nicht zu übersehen.
Cees Nooteboom: "Nootebooms Hotel". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 512 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn ein Reisender in einer Europa-Nacht: Landfahrt mit Cees Nooteboom / Von Jörg Magenau
Nicht jeder, der unterwegs ist, ist ein Reisender. Denn Reisen ist eine Kunst, die gelernt sein will. Cees Nooteboom begann in früher Jugend damit, sich an ferne Orte zu begeben. Die Niederlande sind klein, der erste Grenzübertritt ergibt sich daraus zwingend. Und so stand er eines Tages in Belgien an der Autobahn und hielt den Daumen hoch und hat nach eigener Auskunft "seither eigentlich nie mehr damit aufgehört". Nicht deshalb, weil die Welt so schön und die Menschen so freundlich wären. Sondern weil Reisen eine Bewegung ist, die zum Denken führt.
Bei Cees Nooteboom läßt sich nachvollziehen, wie sich dabei allmählich aus dem Journalisten der Schriftsteller, aus dem Schriftsteller der Poet und aus dem Poeten der Philosoph entwickelt hat. Heute überlagern sich in seinem Schreiben all diese Eigenschaften. Sein jüngster Sammelband, "Nootebooms Hotel", mit Texten, die seit den späten sechziger Jahren verstreut in Zeitungen und Zeitschriften erschienen, legt davon Zeugnis ab. Nooteboom vergleicht das Unterwegssein mit der Gebetsmühle der Tibeter, denn auch dort gehe "die Bewegung dem Gedanken voraus". Er begreift seine Reisen als groß angelegte Meditation, als eine andauernde Suche nach der Stille in der Bewegung und damit als Reise zu sich selbst: "Vielleicht ist es so, daß der wahre Reisende sich stets im Auge des Sturms befindet. Der Sturm ist die Welt, das Auge ist das, womit er die Welt betrachtet."
Im Jahre 1982 fuhr Nooteboom mit dem Orient-Express von Paris nach Venedig. Er hatte das Glück, zwei nebeneinanderliegende Abteile benutzen zu dürfen, weil der Zug nicht ausgebucht war. Die Abteile glichen sich mit ihren grünen Plüschsofas, Spitzendeckchen und polierten Wänden wie zwei Spiegelbilder. Indem er von einem ins andere wechselte, änderte sich für Nooteboom nichts als die Fahrtrichtung. Mal vorwärts, mal rückwärts raste er durch die europäische Nacht. Die Namen der Bahnhöfe, die der Zug passierte, ließen sich im Dunkeln nicht entziffern, aber die Orte hätten wohl auch nicht viel bedeutet. Man muß sich den Reisenden allein und hell erleuchtet neben einer rosa Schirmlampe vorstellen, ein bewegtes Materieteilchen im Raum, und also durchaus melancholisch gestimmt. So sieht er sich selbst dahinfahren und fragt sich: "Wie mag das von draußen für Kaninchen und Wilddiebe aussehen?" In der Wahrnehmung der Welt erkennt der Reisende sich selbst. Die eigene Ortlosigkeit hat ihn herauskatapultiert aus dem "echten" Leben derer, die da draußen morgens um fünf Uhr türenschlagend ihre Autos besteigen, um zur Arbeit aufzubrechen. Um so genauer nimmt der Vorbeifahrende sie wahr.
Cees Nooteboom hat sich vielleicht deshalb das Reisen als Existenzform ausgesucht, weil darin der Gegensatz zwischen Leben und Schreiben verschwindet, an dem er als existentialistisch orientierter junger Mann so sehr gelitten hat. Mit dem Schiff unterwegs auf dem Fluß Gambia notierte er: "Ich bin hier ohne Mission, ausschließlich mit dem Auftrag von mir an mich, hier zu sein. Was aber bedeutet das, irgendwo zu sein? Das gleiche wie immer, nur woanders, und dann mit weit geöffneten Kameras und Recordern, angeschlossen an die leere Vorratskammer, in der aus Bildern und Geräuschen Erinnerungen gemacht werden."
Die Bewegung in der Zeit ist das eigentliche Ziel all der Reisen Nootebooms, weshalb er nicht nur dann von "Zeitreisen" spricht, wenn er wie auf einem Marktplatz in Mali in eine geradezu alttestamentarische Vergangenheit einzutauchen scheint. Da gerät er unvermittelt in eine bunte, wogende Menschenmenge und stürzt "kopfüber in eine andere Zeit, eine andere Wirtschaft, ein anderes Verhalten, ich falle aus meiner Welt und nicht in die ihre, werde zu einer Art schrecklichem outcast, einem wahren Fremden". Das Fremdsein ist eine Angstlust, die der Reisende immer wieder anstrebt. Die Fremdheit ängstigt ihn, weil seine mitteleuropäischen Distinktionen nichts mehr wert sind und seine Fähigkeit, die "feinen Unterschiede" zu entziffern, angesichts einer tausendköpfigen, stampfenden afrikanischen Menschenmenge verfällt. Doch wo wäre der Reisende andererseits mehr bei sich selbst als in den Momenten, in denen ihn nichts mit seiner Umwelt verbindet?
In den früheren Texten in "Nootebooms Hotel", auf seinen Reisen durch Afrika und Südamerika, überwiegt die Faszination am Fremden und die Einübung der reinen Wahrnehmung. Da reiht er die Details akribisch aneinander, als ergäbe Wahrheit sich aus der bloßen Summe einzelner Momente. Liest man die Texte chronologisch, dann rückt jedoch immer stärker das Bewußtsein in den Vordergrund, wie vergeblich die Inventarisierung der Welt ist. Anstatt sie naiv und unverfälscht erfassen zu wollen, dient sie nun als Laboratorium für Experimente mit dem eigenen Ich und dessen Reaktionen mit fremden Stoffen. Nun geht es vor allem um Emotionen, um Zustände, um die Erkundung des Subjekts, ohne das die Welt nicht existieren würde. Nooteboom, auf der Suche nach dem "unzerbrechlichen Jetzt der Zeit", weiß, daß ihm jeder unwiederholbare, einzigartige Augenblick entgleitet und nur als Erinnerung, als Text oder Bild überdauert. "Die Gegenwart ist dazu da, festgehalten zu werden, und ist folglich selbst nichts", notiert er. "In der Zukunft jedoch werde ich all meine alten Koffer öffnen, um zu sehen, wer ich war." Doch wer dieses Ich war, was daran Fiktion, was Wirklichkeit ist, das wird sich nicht mehr ergründen lassen.
So kommt es, daß "Nootebooms Hotel" neben Reiseberichten auch Reflexionen über Kunst, Fotografie und Literatur enthält. Nooteboom schildert Begegnungen mit Mary McCarthy, Umberto Eco und - selbstverständlich - mit dem anderen großen Reisenden, Bruce Chatwin. Seine Lektüren gelten dem Zeitsucher Marcel Proust oder dem holländischen Schriftsteller und Schiffsarzt Slauerhoff. In der Fotografie, die den Moment zur Ewigkeit erstarren läßt und gerade dadurch die Aufmerksamkeit auf die Bewegung richtet, erkennt Nooteboom die eigene Welterfahrung wieder. Seine Meditation über "die angehaltene Zeit" gehört zu den stärksten Texten des Bandes. Angesichts von alten Bildern unbekannter Paare und Familien auf einem Trödelmarkt reflektiert er über Fotografie als die Kunst, verschiedene Zeitschichten miteinander zu arrangieren. Die Wirklichkeit eines Fotostudios von 1920 wird plötzlich zu unmittelbarer Gegenwart. Diese Gesichtszüge, diese Kleidung können die Fotografierten nie mehr verlassen.
Im Anthropologischen Museum von Mexiko notiert Nooteboom vor dem Modell einer Ausgrabungsstätte: "Die Gerippe liegen durcheinander, verschoben von etwas noch Mächtigerem als dem Tod: der Zeit." Hier erfährt der Reisende die Zeit "in ihrer Erscheinungsform als Geschichte". Er will sie mit Händen greifen und greift doch nur in den Staub. Die Anstrengung, sich mehr noch als im Raum in der Zeit zu bewegen, macht ihn manchmal grenzenlos müde. Doch was macht ein Reisender, wenn er sich erholen möchte? Nooteboom tut dann, was er immer tut: Er fährt in möglichst abgelegene Weltgegenden und versucht dort, nichts zu tun. Das Bildnis des Reisenden, das den Umschlag von "Nootebooms Hotel" schmückt, zeigt einen Mann mit Hut, dessen Gesicht ein Globus mit eingravierten Meridianen ist. Wo der Mund sein müßte, klafft eine kreuzförmige Öffnung, die wie ein Schlüsselloch oder ein Pflaster aussieht. Ein Freund Nootebooms, der Maler Max Neumann, hat diesen Kopf gezeichnet, Nooteboom erkannte sich sofort. So muß ein Weltreisender aussehen, der trotz aller Entdeckungen doch immer sein Geheimnis behält. Doch auch die Assoziation "Kriegsverwundeter" findet Nooteboom passend, "weil sich die Distanz, die jemand seit dem Krieg räumlich und zeitlich zurückgelegt hat, manchmal mit einer solch unerbittlichen Schrift in die Haut eines Gesichtes einschreibt, daß nicht einmal ein Hut mehr hilft". Die Falten und die Narben im Gesicht des Zeitreisenden sind nicht zu übersehen.
Cees Nooteboom: "Nootebooms Hotel". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 512 S., geb., 49,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Man geht in diesem Hotel `von einem Innenraum zum andern`, denn in allen hier versammelten Texten aus mehreren Jahrzehnten ist ein anderes Autoren-Ich zu finden, mal ein jüngeres, mal ein älteres, schreibt Angelika Overath. Die Rezensentin zeigt sich zunächst skeptisch beim Anblick des Sammelbandes, aber dann entdeckt sie `die heimliche Autobiografie` in den Texten, den `Erfahrungshunger` des niederländischen Schriftstellers und seinen Blick, der `die Realität oft überreal` erscheinen lässt. Reportagen gibt es da aus Afrika und Lateinamerika, Beschreibungen von Orten und Menschen, und immer scheint das `Credo eines Schriftstellers` durch, so Overath, der `staunend unterwegs ist`. Und es gefällt ihr am Ende, dass sie an Noteboom denken kann, wenn sie das nächste Mal im Zürcher Zoo ist und zitiert: `Mit dem alten Löwen spreche ich über Arthrose, mit dem Lama über Depressionen...`
© Perlentaucher Medien GmbH
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