Raynals Histoire des deux Indes, einer der großen Bucherfolge der Aufklärung, rückt in den letzten Jahren immer mehr ins Zentrum des Forschungsinteresses. Bislang wurde allerdings kaum berücksichtigt, daß Raynal als Bilanz einer umfassenden Schreibtradition zu Amerika exemplarisch für die ambivalente Haltung der Aufklärung gegenüber kolonialen Fragen steht: sein Werk spiegelt das europäische Expansionsinteresse wider, formuliert aber auch scharfe Kritik an der bisherigen Kolonialpraxis. Auf der Basis einer ausführlichen Literaturrecherche wird den Zusammenhängen zwischen Raynals zwiespältiger Schreibintention und seinen damit verbundenen komplexen rhetorischen Überzeugungsstrategien und flexiblen literarischen Erfindungsarbeit nachgegangen und dabei die generelle Doppelbödigkeit des Textes nachgewiesen.