Produktdetails
- Verlag: Francke
- Seitenzahl: 235
- Deutsch, Dänisch, Norwegisch, Schwedisch, Isländisch
- Abmessung: 235mm
- Gewicht: 492g
- ISBN-13: 9783772027338
- Artikelnr.: 27614360
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.10.1999Eisgekühlte Bierbäuche
Im Elchtest: Eine Anthologie nordischer Barockdichtung
Ob der Barockbegriff für die Literatur des siebzehnten Jahrhunderts sinnvoll ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Jedenfalls werden unter diesem Titel hier vier herausragende Dichter Skandinaviens vorgestellt: Georg Stiernhielm in Schweden, Hallgrimur Pétursson in Island, Petter Dass in Norwegen und Thomas Kingo in Dänemark. Was sie einigt, ist die phasenverschobene Aufnahme des westeuropäischen Formenkanons, zugleich die Einbindung des poetischen Geschäfts in den Zweckzusammenhang religiöser Erbaulichkeit. Das Luthertum war mittlerweile gefestigt und im Reformationsjubiläum von 1617 abgefeiert. Im Bewusstsein der Rechtsgläubigkeit fanden auch Ursprungsmythen einer nordischen Eigenständigkeit Platz, in der die alten Goten als Urahnen des gewünschten kulturellen Aufschwungs bemüht wurden.
Freilich war es mit dieser Originalität zunächst nicht weit her. Denn auf breiter Front machten sich die Poeten zunächst daran, ihre Sprache durch Übersetzungen an die Standards westeuropäischer Eleganz zu gewöhnen. Französische, niederländische, vor allem aber deutsche Werke wurden zunächst über Dänemark in Nachdichtungen verbreitet: Opitz' Lehrdichtung zum Beispiel, auch die frommen oder geselligen Lieder eines Johann Gerhardt, eines Rist, Voigtländer oder Greflinger, selbst noch die Guarini-Übersetzungen eines Hoffmannswaldau. Nicht vergessen war das lateinische Erbe des Humanismus, wenngleich der Herausgeber darauf kaum zu sprechen kommt, auch die kulturelle Interferenz zwischen dem dänischen Kernland und der Provinz Schleswig im Dunkeln bleibt. Dabei erreichte bis in die Zeit Klopstocks hinein die deutsch-dänische Kooperation eine später kaum mehr eingeholte Intensität. Fragen der neueren Literaturwissenschaft haben den Herausgeber offenbar nur am Rande interessiert. Dafür entschädigen manch reizvolle Gedichte, bisweilen zu Lehrpoemen ausgebaut. Die Gegenüberstellung der fremdsprachigen Texte und der deutschen Übersetzungen, dazu der solide Kommentar im Anhang des Bandes ermöglichen ungezwungene Lektüre.
Stiernhielm, der "Vater der schwedischen Dichtkunst", glänzt zu Beginn mit einem allegorisierenden Lehrgedicht über die alte Figur des "Herkules am Scheidewege". Was als Tugenddidaxe und Lasterschelte gemeint war, dürfte allerdings schon die Zeitgenossen durch die virtuose, die gleichsam ,mimetische' Schilderung aller Weltfreuden begeistert haben. Der geile Liebhaber, der mondäne Spieler, der Raucher, aber auch der Biertrinker kommen auf ihre Kosten. Literarische Trinkorgien nach Art eines Weckherlin oder Fischart werden von Stiernhielm um eine deutsch-skandinavische Getränkekarte bereichert: "Braunschweiger Mumme, Possnäll, Garley und Halberstädter Bräu, / Zerbster und Rostocker Bier, Fünscher Met und westgötisches Gemisch, / Knijsnak und Rumeldois; doch fort mit Kuckuck und Rastum. / Wenn nun Alarm geblasen wird, und Trommeln und Pauken ertönen, / Die Losung gegeben wird: Hola, Runda-runda-dadinella; / Heben zur Brust gleichzeitig Gott-ahr-Bruder und Sauf-du-rein-aus-Hans."
Dass nach pfälzischer Manier ("more palatino") gesoffen wird, mag die Liebhaber der intereuropäischen ,Imagologie' beschäftigen. Sie werden feststellen, dass Vanitas-Rufe, Todes-Meditationen, lyrische Bibelparaphrasen, fromme Versgebete und gewandte Andachtslyrik dafür sorgten, dass dem Leser in Skandinavien wie weiter südlich die Weltfreuden wenigstens für den Moment vertrieben wurden. Wer sich Island als Ort unverfälschter Sittlichkeit der Altvorderen vorstellt, muss sich von Pétursson eines Besseren belehren lassen. Sein "Zeitgeist"-Gedicht, in Langversen, archaische Muster aufgreifend, malt nostalgisch intakte soziale Strukturen, um auf diesem Hintergrund Ungerechtigkeit und Habgier zu beklagen. Ausläufer der A-la-mode-Kultur hatten sich offenbar selbst in nördlichster Ferne bemerkbar gemacht.
Demgegenüber bläst Petter Dass in "Die Trompete des Nordlandes". Hier waltet noch das "züchtige Gemüt" im "bescheidenen Haus". Nicht Höfisches wird verherrlicht, sondern die Existenz von Bauern und Kätnern, das frugale Mahl, die Tonne Hering. Auf den "nordischen" Merian übertragen, bewähren sich älteste Darstellungsschemata der Idyllendichtung, freilich grundiert von einem Ton, der humanistisches "Heidentum" abweist und den Autor in den Hafen des Glaubens geleitet. Wenn gerade der fromme Dass in "Lage des Nordlandes" wiederum klassizistische Formen der poetischen Landesbeschreibung bemüht, wirken solche Bekundungen fast ironisch. Lieber als seine frommen Andachtsverse liest man jedenfalls ein strophisches Glückwunschgedicht auf den Wiederaufbau der Stadt Bergen, wo sich, seliger Hansezeiten eingedenk, auch "Bremer, Stralsunder und Lübsche" einfanden. Dass' Klage-Lied über sein sechsjähriges Siechtum kann es in biografischer Unmittelbarkeit mit manchen Gedichten Johann Christian Günthers aufnehmen.
Komplizierte Strophenformen kennt schon Thomas Kingo, dessen Lieder noch heute in den Gesangbüchern der skandinavischen Kirchen zu finden sind. Geistliche Tagzeitenlyrik oder eine poetische "Reise-Andacht" bildet den Kontrast zu literarischer Erotik. In die Realitäten der auf die Brosamen der Mächtigen angewiesenen Existenz führt ein ausladendes Poem, in dem Kingo den König um milde Gaben für das Hospital von Odense bittet. Hier waltet keine "Morgue"-Melancholie. Vielmehr hört man das Schreien derer, die an Brustfellentzündung und Krebs zugrunde gehen, sterben an der Seite von Verrückten, die wie ein Hahn krähen und dabei ihre Lungen ausspucken. Der appellative Verismus der Elendsschilderung, eingebunden in die Topik der untertänigen Bittschrift, wirkt auch heute erschütternd.
Schon in früheren Darstellungen hat sich der Herausgeber als vorzüglicher Kenner der frühneuzeitlichen "nordischen" Dichtung bewährt. Diese Kenntnis kommt der sorgfältigen und farbigen Komposition des Bandes zugute. Der historische Hintergrund der Texte, damit auch ihre externen und internen sozialen Bedeutungen werden von dem Herausgeber oft nur angedeutet, jedoch bietet der Anmerkungsapparat mit Kurzporträts der Autoren und einem Literaturnachweis dazu willkommene Anhaltspunkte. Auch wer die skandinavischen Sprachen nicht beherrscht, kann sich auf eine Lektürereise bis zum barocken Polarkreis begeben.
WILHELM KÜHLMANN
"Nordische Barocklyrik". Hrsg. von Wilhelm Friese. A. Francke Verlag, Tübingen und Basel 1999. 235 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Im Elchtest: Eine Anthologie nordischer Barockdichtung
Ob der Barockbegriff für die Literatur des siebzehnten Jahrhunderts sinnvoll ist, darüber lässt sich trefflich streiten. Jedenfalls werden unter diesem Titel hier vier herausragende Dichter Skandinaviens vorgestellt: Georg Stiernhielm in Schweden, Hallgrimur Pétursson in Island, Petter Dass in Norwegen und Thomas Kingo in Dänemark. Was sie einigt, ist die phasenverschobene Aufnahme des westeuropäischen Formenkanons, zugleich die Einbindung des poetischen Geschäfts in den Zweckzusammenhang religiöser Erbaulichkeit. Das Luthertum war mittlerweile gefestigt und im Reformationsjubiläum von 1617 abgefeiert. Im Bewusstsein der Rechtsgläubigkeit fanden auch Ursprungsmythen einer nordischen Eigenständigkeit Platz, in der die alten Goten als Urahnen des gewünschten kulturellen Aufschwungs bemüht wurden.
Freilich war es mit dieser Originalität zunächst nicht weit her. Denn auf breiter Front machten sich die Poeten zunächst daran, ihre Sprache durch Übersetzungen an die Standards westeuropäischer Eleganz zu gewöhnen. Französische, niederländische, vor allem aber deutsche Werke wurden zunächst über Dänemark in Nachdichtungen verbreitet: Opitz' Lehrdichtung zum Beispiel, auch die frommen oder geselligen Lieder eines Johann Gerhardt, eines Rist, Voigtländer oder Greflinger, selbst noch die Guarini-Übersetzungen eines Hoffmannswaldau. Nicht vergessen war das lateinische Erbe des Humanismus, wenngleich der Herausgeber darauf kaum zu sprechen kommt, auch die kulturelle Interferenz zwischen dem dänischen Kernland und der Provinz Schleswig im Dunkeln bleibt. Dabei erreichte bis in die Zeit Klopstocks hinein die deutsch-dänische Kooperation eine später kaum mehr eingeholte Intensität. Fragen der neueren Literaturwissenschaft haben den Herausgeber offenbar nur am Rande interessiert. Dafür entschädigen manch reizvolle Gedichte, bisweilen zu Lehrpoemen ausgebaut. Die Gegenüberstellung der fremdsprachigen Texte und der deutschen Übersetzungen, dazu der solide Kommentar im Anhang des Bandes ermöglichen ungezwungene Lektüre.
Stiernhielm, der "Vater der schwedischen Dichtkunst", glänzt zu Beginn mit einem allegorisierenden Lehrgedicht über die alte Figur des "Herkules am Scheidewege". Was als Tugenddidaxe und Lasterschelte gemeint war, dürfte allerdings schon die Zeitgenossen durch die virtuose, die gleichsam ,mimetische' Schilderung aller Weltfreuden begeistert haben. Der geile Liebhaber, der mondäne Spieler, der Raucher, aber auch der Biertrinker kommen auf ihre Kosten. Literarische Trinkorgien nach Art eines Weckherlin oder Fischart werden von Stiernhielm um eine deutsch-skandinavische Getränkekarte bereichert: "Braunschweiger Mumme, Possnäll, Garley und Halberstädter Bräu, / Zerbster und Rostocker Bier, Fünscher Met und westgötisches Gemisch, / Knijsnak und Rumeldois; doch fort mit Kuckuck und Rastum. / Wenn nun Alarm geblasen wird, und Trommeln und Pauken ertönen, / Die Losung gegeben wird: Hola, Runda-runda-dadinella; / Heben zur Brust gleichzeitig Gott-ahr-Bruder und Sauf-du-rein-aus-Hans."
Dass nach pfälzischer Manier ("more palatino") gesoffen wird, mag die Liebhaber der intereuropäischen ,Imagologie' beschäftigen. Sie werden feststellen, dass Vanitas-Rufe, Todes-Meditationen, lyrische Bibelparaphrasen, fromme Versgebete und gewandte Andachtslyrik dafür sorgten, dass dem Leser in Skandinavien wie weiter südlich die Weltfreuden wenigstens für den Moment vertrieben wurden. Wer sich Island als Ort unverfälschter Sittlichkeit der Altvorderen vorstellt, muss sich von Pétursson eines Besseren belehren lassen. Sein "Zeitgeist"-Gedicht, in Langversen, archaische Muster aufgreifend, malt nostalgisch intakte soziale Strukturen, um auf diesem Hintergrund Ungerechtigkeit und Habgier zu beklagen. Ausläufer der A-la-mode-Kultur hatten sich offenbar selbst in nördlichster Ferne bemerkbar gemacht.
Demgegenüber bläst Petter Dass in "Die Trompete des Nordlandes". Hier waltet noch das "züchtige Gemüt" im "bescheidenen Haus". Nicht Höfisches wird verherrlicht, sondern die Existenz von Bauern und Kätnern, das frugale Mahl, die Tonne Hering. Auf den "nordischen" Merian übertragen, bewähren sich älteste Darstellungsschemata der Idyllendichtung, freilich grundiert von einem Ton, der humanistisches "Heidentum" abweist und den Autor in den Hafen des Glaubens geleitet. Wenn gerade der fromme Dass in "Lage des Nordlandes" wiederum klassizistische Formen der poetischen Landesbeschreibung bemüht, wirken solche Bekundungen fast ironisch. Lieber als seine frommen Andachtsverse liest man jedenfalls ein strophisches Glückwunschgedicht auf den Wiederaufbau der Stadt Bergen, wo sich, seliger Hansezeiten eingedenk, auch "Bremer, Stralsunder und Lübsche" einfanden. Dass' Klage-Lied über sein sechsjähriges Siechtum kann es in biografischer Unmittelbarkeit mit manchen Gedichten Johann Christian Günthers aufnehmen.
Komplizierte Strophenformen kennt schon Thomas Kingo, dessen Lieder noch heute in den Gesangbüchern der skandinavischen Kirchen zu finden sind. Geistliche Tagzeitenlyrik oder eine poetische "Reise-Andacht" bildet den Kontrast zu literarischer Erotik. In die Realitäten der auf die Brosamen der Mächtigen angewiesenen Existenz führt ein ausladendes Poem, in dem Kingo den König um milde Gaben für das Hospital von Odense bittet. Hier waltet keine "Morgue"-Melancholie. Vielmehr hört man das Schreien derer, die an Brustfellentzündung und Krebs zugrunde gehen, sterben an der Seite von Verrückten, die wie ein Hahn krähen und dabei ihre Lungen ausspucken. Der appellative Verismus der Elendsschilderung, eingebunden in die Topik der untertänigen Bittschrift, wirkt auch heute erschütternd.
Schon in früheren Darstellungen hat sich der Herausgeber als vorzüglicher Kenner der frühneuzeitlichen "nordischen" Dichtung bewährt. Diese Kenntnis kommt der sorgfältigen und farbigen Komposition des Bandes zugute. Der historische Hintergrund der Texte, damit auch ihre externen und internen sozialen Bedeutungen werden von dem Herausgeber oft nur angedeutet, jedoch bietet der Anmerkungsapparat mit Kurzporträts der Autoren und einem Literaturnachweis dazu willkommene Anhaltspunkte. Auch wer die skandinavischen Sprachen nicht beherrscht, kann sich auf eine Lektürereise bis zum barocken Polarkreis begeben.
WILHELM KÜHLMANN
"Nordische Barocklyrik". Hrsg. von Wilhelm Friese. A. Francke Verlag, Tübingen und Basel 1999. 235 S., geb., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main