Tiefe Einblicke in ein verstörendes Land
Nordkorea ist das isolierteste Land der Erde. Wenige Nachrichten dringen aus dem vom Kim-Clan diktatorisch regierten Staat nach außen, und wenn, dann sind es meist Negativschlagzeilen: Nahrungsmittelknappheit, Menschenrechtsverletzungen, brutale Straflager, Atomwaffenversuche, Waffenhandel, Streit mit Südkorea. Die völlige ideologische Gleichschaltung wird von der Bevölkerung augenscheinlich klaglos hingenommen. Rüdiger Frank ist weltweit einer der wenigen Kenner Nordkoreas, seit vielen Jahren besucht er das Land regelmäßig. Er beschreibt die Machtstrukturen und die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Geschichtsverständnis und den Alltag. Aus seiner langen Erfahrung berichtet er aber auch von den Veränderungen, die er in den letzten Jahren beobachten konnte, und versucht eine für uns unbegreifliche Gesellschaft ein wenig begreiflicher zu machen.
Nordkorea ist das isolierteste Land der Erde. Wenige Nachrichten dringen aus dem vom Kim-Clan diktatorisch regierten Staat nach außen, und wenn, dann sind es meist Negativschlagzeilen: Nahrungsmittelknappheit, Menschenrechtsverletzungen, brutale Straflager, Atomwaffenversuche, Waffenhandel, Streit mit Südkorea. Die völlige ideologische Gleichschaltung wird von der Bevölkerung augenscheinlich klaglos hingenommen. Rüdiger Frank ist weltweit einer der wenigen Kenner Nordkoreas, seit vielen Jahren besucht er das Land regelmäßig. Er beschreibt die Machtstrukturen und die wirtschaftlichen Verhältnisse, das Geschichtsverständnis und den Alltag. Aus seiner langen Erfahrung berichtet er aber auch von den Veränderungen, die er in den letzten Jahren beobachten konnte, und versucht eine für uns unbegreifliche Gesellschaft ein wenig begreiflicher zu machen.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Matthias Nass lobt den Ökonomen Rüdiger Frank einerseits für dessen Kenntnisse Nordkoreas, die in Deutschland einmalig seien. Dessen Einschätzung des "Reformpotentials des jungen Führers" Kim Jong Un will er aber nicht vorbehaltlos zustimmen. Es mag ja sein, dass es mehr Autos auf den Straßen, mehr Handys und Kreditkarten gibt als früher, aber der Staat fällt noch immer zu sehr durch Verletzungen der Menschenrechte und eine mangelhafte Grundversorgung mit Nahrungsmitteln auf, kritisiert der Rezensent. Auch auf das Atomprogramm Nordkoreas geht Frank in seinem Buch nicht ein, tadelt Nass, der zwar nachvollziehen kann, dass der Autor der Dämonisierung etwas entgegenhalten will, aber die radikale Aussparung der heiklen Themen auch nicht für eine Lösung hält. Dass für Nord- und Süd-Korea tatsächlich irgendwann eine Wiedervereinigung im Stil von BRD und DDR möglich sein könnte, hält der Rezensent jedenfalls für unwahrscheinlich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.11.2014Es gilt das gesprochene Wort
Nordkorea ist lebensfähiger als die untergegangene DDR
Dieses Buch muss man zunächst schon einmal deshalb ernst nehmen, weil der Verfasser zumindest im deutschsprachigen Raum zu denen gehört, die mit am besten über Nordkorea Bescheid wissen. Außerdem ist Rüdiger Frank ein guter und fesselnder Redner. Flüssiger Stil ist für die Lesbarkeit eines Buches sehr von Vorteil. Dieses allerdings liest sich wie ein knapp 400 Seiten langes Redemanuskript, das teilweise zur Autobiographie eines ehemaligen DDR-Bürgers gerät, der oft in Nordkorea war und über Episoden des eigenen Lebens reflektiert. Das ist, zumal für junge Menschen, die die DDR nur vom Hörensagen kennen, nicht uninteressant. Aber nicht immer ist der Bezug zum Thema auf Anhieb erkennbar. Zum Autobiographischen gehört möglicherweise auch, dass Zeitangaben aus der koreanischen Geschichte "religionsfrei" erscheinen. Frank spricht zum Beispiel vom Jahr 37 "vor unserer Zeitrechnung", nicht etwa "vor Christi Geburt".
Es überwiegt bei diesem Buch freilich eindeutig das Positive. Man lernt nämlich viel über Nordkorea. Und nie erweckt der Autor den Eindruck, als habe er hier die ultimative Weisheit über das weiterhin sehr verschlossene Land zwischen zwei Buchdeckel gepresst. 25 Jahre nach Beginn des großen Umbruchs in der kommunistischen Welt können viele Sachverhalte und Begriffe nicht mehr als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt werden. Deshalb muss zum Beispiel erklärt werden, dass und warum eine strenge Ideologie für ein Staatswesen wie das nordkoreanische überlebensnotwendig ist. Vor allem ist hervorzuheben, dass in Nordkorea eine sehr spezielle Spielart des Systems herrscht, das sich "sozialistisch" nennt. Das meint nicht nur die für Außenstehende grotesken Züge der Führerverherrlichung, die es ähnlich auch in Stalins Sowjetunion gab. In Nordkorea ist vielmehr ein harter Nationalismus untrennbarer Bestandteil der Macht. Das ist auch der schlichten Tatsache geschuldet, dass sich das Regime seit seinem Bestehen - aus seiner Sicht - noch nie auf eine verbündete Großmacht wirklich verlassen konnte. Hinzu kommt etwas, was man "Kleine-Völker-Syndrom" nennen könnte. Wenn mächtige Nachbarn drohende Schatten werfen, ist die Sehnsucht nach einer spezifischen Identität besonders ausgeprägt.
In Nordkorea drückt sich dies in Gestalt der Juche-Ideologie aus. Sie suggeriert, das Land (und das Regime) sei alleiniger Herr über alle Aspekte seines Daseins und werde dies auch für alle Zeiten bleiben. Frank arbeitet das Spezifische an diesem System sehr gut heraus. Nachdem man dann gelernt hat, was alles (nämlich so gut wie alles) am Sozialismus in Nordkorea anders ist als an dem im ehemaligen Ostblock, überrascht der ehemalige DDR-Bürger mit Vergleichen, die doch wieder große Nähe beider Systeme nahelegen. Das könnte irritieren. Aber da Frank mit Recht immer wieder hervorhebt, dass man viele Dinge aus und über Nordkorea so genau nicht weiß, könnten die Vergleiche auch wieder stimmen.
Inhaltliche Klammer der knapp 400 Textseiten ist das Thema Wiedervereinigung, was auch gut begründet werden kann. Nicht nur streben beide Koreas diese offiziell an. Die Regierung im Süden propagiert die Wiedervereinigung seit einigen Monaten verbal sehr offensiv. Deshalb ist der Schluss des Buches besonders hilfreich. Frank behandelt hier die (Nicht-)Vergleichbarkeit der Teilungsgeschichten in Korea und Deutschland. Bahnbrechend Neues steht da zwar nicht. Aber es ist gut, alles einmal kompakt zusammengefasst zu lesen. Unter anderem muss man wohl feststellen, dass das große Problem Nordkoreas, die weitgehende internationale Isolierung, durchaus auch zu einer Stärke werden kann. Wer jahrzehntelang geübt hat, mehr oder weniger allein zu überleben, der ist lebensfähiger als etwa die DDR, die eben auch sehr von politischen und wirtschaftlichen Strukturen im Ostblock abhängig war und ohne Wiedervereinigung wohl nicht überlebt hätte.
Das Buch behält auch in den analytischen Teilen ein sehr aktuelles "Aroma". Das ist Stärke und Schwäche zugleich, denn selbst in Nordkorea bleibt die Zeit nicht stehen. Somit ist wohl der Boden für eine aktualisierte Neuauflage schon bereitet.
PETER STURM
Rüdiger Frank. Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014. 428 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nordkorea ist lebensfähiger als die untergegangene DDR
Dieses Buch muss man zunächst schon einmal deshalb ernst nehmen, weil der Verfasser zumindest im deutschsprachigen Raum zu denen gehört, die mit am besten über Nordkorea Bescheid wissen. Außerdem ist Rüdiger Frank ein guter und fesselnder Redner. Flüssiger Stil ist für die Lesbarkeit eines Buches sehr von Vorteil. Dieses allerdings liest sich wie ein knapp 400 Seiten langes Redemanuskript, das teilweise zur Autobiographie eines ehemaligen DDR-Bürgers gerät, der oft in Nordkorea war und über Episoden des eigenen Lebens reflektiert. Das ist, zumal für junge Menschen, die die DDR nur vom Hörensagen kennen, nicht uninteressant. Aber nicht immer ist der Bezug zum Thema auf Anhieb erkennbar. Zum Autobiographischen gehört möglicherweise auch, dass Zeitangaben aus der koreanischen Geschichte "religionsfrei" erscheinen. Frank spricht zum Beispiel vom Jahr 37 "vor unserer Zeitrechnung", nicht etwa "vor Christi Geburt".
Es überwiegt bei diesem Buch freilich eindeutig das Positive. Man lernt nämlich viel über Nordkorea. Und nie erweckt der Autor den Eindruck, als habe er hier die ultimative Weisheit über das weiterhin sehr verschlossene Land zwischen zwei Buchdeckel gepresst. 25 Jahre nach Beginn des großen Umbruchs in der kommunistischen Welt können viele Sachverhalte und Begriffe nicht mehr als selbstverständlich bekannt vorausgesetzt werden. Deshalb muss zum Beispiel erklärt werden, dass und warum eine strenge Ideologie für ein Staatswesen wie das nordkoreanische überlebensnotwendig ist. Vor allem ist hervorzuheben, dass in Nordkorea eine sehr spezielle Spielart des Systems herrscht, das sich "sozialistisch" nennt. Das meint nicht nur die für Außenstehende grotesken Züge der Führerverherrlichung, die es ähnlich auch in Stalins Sowjetunion gab. In Nordkorea ist vielmehr ein harter Nationalismus untrennbarer Bestandteil der Macht. Das ist auch der schlichten Tatsache geschuldet, dass sich das Regime seit seinem Bestehen - aus seiner Sicht - noch nie auf eine verbündete Großmacht wirklich verlassen konnte. Hinzu kommt etwas, was man "Kleine-Völker-Syndrom" nennen könnte. Wenn mächtige Nachbarn drohende Schatten werfen, ist die Sehnsucht nach einer spezifischen Identität besonders ausgeprägt.
In Nordkorea drückt sich dies in Gestalt der Juche-Ideologie aus. Sie suggeriert, das Land (und das Regime) sei alleiniger Herr über alle Aspekte seines Daseins und werde dies auch für alle Zeiten bleiben. Frank arbeitet das Spezifische an diesem System sehr gut heraus. Nachdem man dann gelernt hat, was alles (nämlich so gut wie alles) am Sozialismus in Nordkorea anders ist als an dem im ehemaligen Ostblock, überrascht der ehemalige DDR-Bürger mit Vergleichen, die doch wieder große Nähe beider Systeme nahelegen. Das könnte irritieren. Aber da Frank mit Recht immer wieder hervorhebt, dass man viele Dinge aus und über Nordkorea so genau nicht weiß, könnten die Vergleiche auch wieder stimmen.
Inhaltliche Klammer der knapp 400 Textseiten ist das Thema Wiedervereinigung, was auch gut begründet werden kann. Nicht nur streben beide Koreas diese offiziell an. Die Regierung im Süden propagiert die Wiedervereinigung seit einigen Monaten verbal sehr offensiv. Deshalb ist der Schluss des Buches besonders hilfreich. Frank behandelt hier die (Nicht-)Vergleichbarkeit der Teilungsgeschichten in Korea und Deutschland. Bahnbrechend Neues steht da zwar nicht. Aber es ist gut, alles einmal kompakt zusammengefasst zu lesen. Unter anderem muss man wohl feststellen, dass das große Problem Nordkoreas, die weitgehende internationale Isolierung, durchaus auch zu einer Stärke werden kann. Wer jahrzehntelang geübt hat, mehr oder weniger allein zu überleben, der ist lebensfähiger als etwa die DDR, die eben auch sehr von politischen und wirtschaftlichen Strukturen im Ostblock abhängig war und ohne Wiedervereinigung wohl nicht überlebt hätte.
Das Buch behält auch in den analytischen Teilen ein sehr aktuelles "Aroma". Das ist Stärke und Schwäche zugleich, denn selbst in Nordkorea bleibt die Zeit nicht stehen. Somit ist wohl der Boden für eine aktualisierte Neuauflage schon bereitet.
PETER STURM
Rüdiger Frank. Nordkorea. Innenansichten eines totalen Staates. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2014. 428 S., 19,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.11.2014Das letzte völlig
unbekannte Land
Nordkorea hat sich abgeschottet. Aber Rüdiger Frank,
der dort studiert hat, kennt diesen Staat
VON CHRISTOPH GIESEN
Im September und Oktober war Nordkoreas Diktator Kim Jong Un 40 Tage lang verschwunden, und schon bald meldeten sich die ersten vermeintlichen Experten zu Wort: Kim sei entmachtet worden, meinten manche, ein Putsch habe stattgefunden und Nordkorea, dieser unmögliche, aber doch real existierende Staat, stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Andere Fachleute versuchten sich gar als Teilzeitmediziner und diagnostizierten Gicht oder einen Schlaganfall, angeblich, weil Kim Jong Un so gerne Schweizer Käse isst.
Erst als der junge Kim Mitte Oktober wieder auftauchte, beruhigte sich die Lage. So ist das oft mit Nordkorea. Was wirklich in dem Land passiert, ist kaum zu recherchieren. Kein Staat der Welt ist so abgeschottet. Schnell verbreiten sich Gerüchte, und dazu trägt auch so mancher Fachmann bei.
Einer der sich eigentlich immer wohltuend zurückhält, ist Rüdiger Frank, der an der Universität Wien lehrt. Regelmäßig fährt er ins Land, zuletzt war er im September dort. Nun hat er sein erstes umfassendes Buch über das Land vorgelegt: „Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates“. Es hat das Potenzial zum Standardwerk. Mit Sicherheit ist es das bisher beste Nordkorea-Buch, das auf Deutsch erschienen ist. Es liefert einen gut lesbaren Überblick zur Geschichte des Landes und erklärt, wie Nordkorea gelenkt wird, wer welche Posten innehat, was in der Verfassung steht und wie die Arbeiterpartei aufgebaut ist. Ausführlich geht Frank auch auf das ideologische Fundament Nordkoreas ein, das mit dem klassischen Marxismus nichts mehr gemein hat und doch ein wichtiger Anker für den abnormalen Führerkult ist.
Was Frank bei der Analyse hilft, ist zweifelsohne seine eigene Biografie. Geboren und aufgewachsen in der damaligen DDR, lebte er auch einige Jahre in der Sowjetunion. Er weiß, wie sich das Leben im Sozialismus anfühlt. 1991/92 studierte er dann als einer der letzten deutschen Austauschstudenten ein Semester lang in Pjöngjang. Die Mauer war längst gefallen, doch noch immer tauschten die Humboldt-Universität in Berlin und der Kim-Il-Sung-Universität Studenten aus. Seine Professorin gab ihm damals mit auf den Weg: „Wer ein Buch über Nordkorea schreiben will, sollte entweder zwei Wochen ins Land fahren oder sich zwei Jahrzehnte lang damit beschäftigen.“ Bücher der ersten Kategorie gibt es leider etliche. Wie Nordkorea tickt, erfassen sie nicht.
Wer sich wissenschaftlich mit Nordkorea auseinandersetzt, braucht eine „hohe Frustrationstoleranz“, schreibt Frank. Die Forschung ist beschwerlich, man kann oft nur mit Hypothesen arbeiten und Wahrscheinlichkeiten benennen. Handelsstatistiken zum Beispiel, Aufstellungen zur Wirtschaftsleistung, ja selbst den aktuellen Fünfjahresplan, all das veröffentlicht Nordkorea nicht. Und dennoch untersucht Frank die ökonomische Lage des Landes seit Jahren. Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich deshalb vor allem mit der nordkoreanischen Wirtschaft. Das ist seine eigentliche Stärke. In der Gemeinde der Nordkoreaforscher gilt er zu Recht als einer der besten Ökonomen.
Seit ein paar Jahren, vor allem aber seitdem Kim Jong Un die Macht nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il übernommen hat, ist in Pjöngjang erster Wohlstand zu erkennen. Waren vor einigen Jahren Verkehrsunfälle in Nordkorea schon statistisch betrachtet fast unmöglich – zu viel Platz für zu wenige Autos – kommt es dieser Tage in Pjöngjang ab und an sogar zu Staus. Auch etliche Restaurants haben in der Hauptstadt aufgemacht. Nordkoreaner essen plötzlich italienisch oder gehen in ein Café, „mit Wiener Kaffee zu Wiener Preisen“.
Doch wie finanziert das Land all das? „An dieser Stelle murmele ich meist etwas von einer staatlichen Wirtschaft, in der Kosten und Preise nicht wirklich zählen“, schreibt Frank, „oder ich sage etwas über China, den Export von Rohstoffen und Joint Ventures. Aber um ehrlich zu sein, ganz zufriedenstellend finde ich diese Antwort selbst nicht.“ Genau lässt sich das nicht erforschen. Kommt das Geld aus China? Lebt Nordkorea gar auf Pump?
Ähnliches passierte, als Erich Honecker 1971 die Macht in der DDR übernahm. Der Staat borgte sich im Westen Geld. „Am Schluss war die DDR wirtschaftlich bankrott.“ Und bald auch politisch. Der Unterschied zwischen der DDR und Nordkorea, das ist der Unterschied zwischen Moskau und Peking. Die Sowjetunion, der damalige Partner der DDR, war ökonomisch selbst am Ende. China, Nordkoreas Schutzpatron, ist hingegen wirtschaftlich sehr potent.
Häufig zieht Frank Analogien zur DDR, er kennt schließlich beide Systeme gut, und arbeitet die Unterschiede heraus. So zum Beispiel beim Thema Wiedervereinigung, das nicht nur ein deutsches Schicksal ist. Politiker in Südkorea führen die deutsche Einheit oft als ein mahnendes Beispiel an: viel zu teuer. Kann sich Südkorea also eine Wiedervereinigung überhaupt leisten? Das westdeutsche Bruttoinlandsprodukt war zum Zeitpunkt des Mauerfalls etwa dreimal so hoch wie das der DDR. In Korea besteht ein Süd-Nord-Gefälle von etwa 40:1.
Aber genau darin sieht Frank eine Chance. Die deutsche Einheit sei keine Blaupause für Korea. Während in Ostdeutschland sofort ein Anheben der Löhne auf westdeutsches Niveau gefordert wurde, sei das in Korea unmöglich. Die Folge: Die koreanische Industrie würde sich rasch im Norden ansiedeln. Auch die Kosten einer Wiedervereinigung hält Frank für überschaubar. „Etwa 60 bis 65 Prozent aller Ausgaben für die deutsche Vereinigung in den Jahren 1990 bis 2014 wurden für Sozialausgaben aufgewendet.“ Der Großteil davon ging für Renten drauf. Der südkoreanische Staat hat in diesem Jahr nur 0,26 Prozent seines Haushalts für Renten eingeplant. Die maximale Grundrente liegt bei 83 Dollar. „Solange die Sozialausgaben in Südkorea so niedrig sind, wird die Anpassung Nordkoreas an dieses Niveau deutlich billiger kommen, als es das deutsche Beispiel nahelegt“, schreibt Frank.
Die Frage ist nur, wann das geschieht. Als junger Austauschstudent Anfang der Neunzigerjahre glaubte Frank noch selbst: „Nordkorea wird keine sechs Monate überleben.“ So viele andere Fachleute haben schon Dutzende Male den Exodus Nordkoreas vorhergesagt – Frank gibt mittlerweile keine Prognosen mehr ab. Stattdessen bemüht er ein Gleichnis: Selbst Wolfgang Schäuble, der 1989 Kanzleramtsminister war und „mehr über die DDR wusste als alle heutigen Experten über Nordkorea zusammengenommen“ habe im Februar, neun Monate vor dem Mauerfall, danebengelegen, als er sagte: „eine Lösung für die deutsche Frage“ sei „auf absehbare Zeit“ nicht zu erkennen. Das war eine Fehleinschätzung – genau wie so vieles, was über Nordkorea gesagt wird.
Rüdiger Frank: Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates. DVA, 2014. 432 Seiten, 19,99 Euro.
Nichts gibt Nordkorea von sich
preis: nicht einmal
seinen offiziellen Fünfjahresplan
Nordkorea ist vergleichbar
mit der DDR, nur dass es
unendlich viel ärmer ist
Bitterarm ist Nordkorea – und dabei eine Atommacht.
Hier ist zu sehen Kim Jong Il (1941 - 2011), der das zuwege gebracht hat. Sein Sohn, Kim Jong Un, ähnelt dem Vater zumindest im
Hinblick auf die Frisur. Zeichnung: Schopf
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
unbekannte Land
Nordkorea hat sich abgeschottet. Aber Rüdiger Frank,
der dort studiert hat, kennt diesen Staat
VON CHRISTOPH GIESEN
Im September und Oktober war Nordkoreas Diktator Kim Jong Un 40 Tage lang verschwunden, und schon bald meldeten sich die ersten vermeintlichen Experten zu Wort: Kim sei entmachtet worden, meinten manche, ein Putsch habe stattgefunden und Nordkorea, dieser unmögliche, aber doch real existierende Staat, stehe kurz vor dem Zusammenbruch. Andere Fachleute versuchten sich gar als Teilzeitmediziner und diagnostizierten Gicht oder einen Schlaganfall, angeblich, weil Kim Jong Un so gerne Schweizer Käse isst.
Erst als der junge Kim Mitte Oktober wieder auftauchte, beruhigte sich die Lage. So ist das oft mit Nordkorea. Was wirklich in dem Land passiert, ist kaum zu recherchieren. Kein Staat der Welt ist so abgeschottet. Schnell verbreiten sich Gerüchte, und dazu trägt auch so mancher Fachmann bei.
Einer der sich eigentlich immer wohltuend zurückhält, ist Rüdiger Frank, der an der Universität Wien lehrt. Regelmäßig fährt er ins Land, zuletzt war er im September dort. Nun hat er sein erstes umfassendes Buch über das Land vorgelegt: „Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates“. Es hat das Potenzial zum Standardwerk. Mit Sicherheit ist es das bisher beste Nordkorea-Buch, das auf Deutsch erschienen ist. Es liefert einen gut lesbaren Überblick zur Geschichte des Landes und erklärt, wie Nordkorea gelenkt wird, wer welche Posten innehat, was in der Verfassung steht und wie die Arbeiterpartei aufgebaut ist. Ausführlich geht Frank auch auf das ideologische Fundament Nordkoreas ein, das mit dem klassischen Marxismus nichts mehr gemein hat und doch ein wichtiger Anker für den abnormalen Führerkult ist.
Was Frank bei der Analyse hilft, ist zweifelsohne seine eigene Biografie. Geboren und aufgewachsen in der damaligen DDR, lebte er auch einige Jahre in der Sowjetunion. Er weiß, wie sich das Leben im Sozialismus anfühlt. 1991/92 studierte er dann als einer der letzten deutschen Austauschstudenten ein Semester lang in Pjöngjang. Die Mauer war längst gefallen, doch noch immer tauschten die Humboldt-Universität in Berlin und der Kim-Il-Sung-Universität Studenten aus. Seine Professorin gab ihm damals mit auf den Weg: „Wer ein Buch über Nordkorea schreiben will, sollte entweder zwei Wochen ins Land fahren oder sich zwei Jahrzehnte lang damit beschäftigen.“ Bücher der ersten Kategorie gibt es leider etliche. Wie Nordkorea tickt, erfassen sie nicht.
Wer sich wissenschaftlich mit Nordkorea auseinandersetzt, braucht eine „hohe Frustrationstoleranz“, schreibt Frank. Die Forschung ist beschwerlich, man kann oft nur mit Hypothesen arbeiten und Wahrscheinlichkeiten benennen. Handelsstatistiken zum Beispiel, Aufstellungen zur Wirtschaftsleistung, ja selbst den aktuellen Fünfjahresplan, all das veröffentlicht Nordkorea nicht. Und dennoch untersucht Frank die ökonomische Lage des Landes seit Jahren. Im zweiten Teil des Buches beschäftigt er sich deshalb vor allem mit der nordkoreanischen Wirtschaft. Das ist seine eigentliche Stärke. In der Gemeinde der Nordkoreaforscher gilt er zu Recht als einer der besten Ökonomen.
Seit ein paar Jahren, vor allem aber seitdem Kim Jong Un die Macht nach dem Tod seines Vaters Kim Jong Il übernommen hat, ist in Pjöngjang erster Wohlstand zu erkennen. Waren vor einigen Jahren Verkehrsunfälle in Nordkorea schon statistisch betrachtet fast unmöglich – zu viel Platz für zu wenige Autos – kommt es dieser Tage in Pjöngjang ab und an sogar zu Staus. Auch etliche Restaurants haben in der Hauptstadt aufgemacht. Nordkoreaner essen plötzlich italienisch oder gehen in ein Café, „mit Wiener Kaffee zu Wiener Preisen“.
Doch wie finanziert das Land all das? „An dieser Stelle murmele ich meist etwas von einer staatlichen Wirtschaft, in der Kosten und Preise nicht wirklich zählen“, schreibt Frank, „oder ich sage etwas über China, den Export von Rohstoffen und Joint Ventures. Aber um ehrlich zu sein, ganz zufriedenstellend finde ich diese Antwort selbst nicht.“ Genau lässt sich das nicht erforschen. Kommt das Geld aus China? Lebt Nordkorea gar auf Pump?
Ähnliches passierte, als Erich Honecker 1971 die Macht in der DDR übernahm. Der Staat borgte sich im Westen Geld. „Am Schluss war die DDR wirtschaftlich bankrott.“ Und bald auch politisch. Der Unterschied zwischen der DDR und Nordkorea, das ist der Unterschied zwischen Moskau und Peking. Die Sowjetunion, der damalige Partner der DDR, war ökonomisch selbst am Ende. China, Nordkoreas Schutzpatron, ist hingegen wirtschaftlich sehr potent.
Häufig zieht Frank Analogien zur DDR, er kennt schließlich beide Systeme gut, und arbeitet die Unterschiede heraus. So zum Beispiel beim Thema Wiedervereinigung, das nicht nur ein deutsches Schicksal ist. Politiker in Südkorea führen die deutsche Einheit oft als ein mahnendes Beispiel an: viel zu teuer. Kann sich Südkorea also eine Wiedervereinigung überhaupt leisten? Das westdeutsche Bruttoinlandsprodukt war zum Zeitpunkt des Mauerfalls etwa dreimal so hoch wie das der DDR. In Korea besteht ein Süd-Nord-Gefälle von etwa 40:1.
Aber genau darin sieht Frank eine Chance. Die deutsche Einheit sei keine Blaupause für Korea. Während in Ostdeutschland sofort ein Anheben der Löhne auf westdeutsches Niveau gefordert wurde, sei das in Korea unmöglich. Die Folge: Die koreanische Industrie würde sich rasch im Norden ansiedeln. Auch die Kosten einer Wiedervereinigung hält Frank für überschaubar. „Etwa 60 bis 65 Prozent aller Ausgaben für die deutsche Vereinigung in den Jahren 1990 bis 2014 wurden für Sozialausgaben aufgewendet.“ Der Großteil davon ging für Renten drauf. Der südkoreanische Staat hat in diesem Jahr nur 0,26 Prozent seines Haushalts für Renten eingeplant. Die maximale Grundrente liegt bei 83 Dollar. „Solange die Sozialausgaben in Südkorea so niedrig sind, wird die Anpassung Nordkoreas an dieses Niveau deutlich billiger kommen, als es das deutsche Beispiel nahelegt“, schreibt Frank.
Die Frage ist nur, wann das geschieht. Als junger Austauschstudent Anfang der Neunzigerjahre glaubte Frank noch selbst: „Nordkorea wird keine sechs Monate überleben.“ So viele andere Fachleute haben schon Dutzende Male den Exodus Nordkoreas vorhergesagt – Frank gibt mittlerweile keine Prognosen mehr ab. Stattdessen bemüht er ein Gleichnis: Selbst Wolfgang Schäuble, der 1989 Kanzleramtsminister war und „mehr über die DDR wusste als alle heutigen Experten über Nordkorea zusammengenommen“ habe im Februar, neun Monate vor dem Mauerfall, danebengelegen, als er sagte: „eine Lösung für die deutsche Frage“ sei „auf absehbare Zeit“ nicht zu erkennen. Das war eine Fehleinschätzung – genau wie so vieles, was über Nordkorea gesagt wird.
Rüdiger Frank: Nordkorea: Innenansichten eines totalen Staates. DVA, 2014. 432 Seiten, 19,99 Euro.
Nichts gibt Nordkorea von sich
preis: nicht einmal
seinen offiziellen Fünfjahresplan
Nordkorea ist vergleichbar
mit der DDR, nur dass es
unendlich viel ärmer ist
Bitterarm ist Nordkorea – und dabei eine Atommacht.
Hier ist zu sehen Kim Jong Il (1941 - 2011), der das zuwege gebracht hat. Sein Sohn, Kim Jong Un, ähnelt dem Vater zumindest im
Hinblick auf die Frisur. Zeichnung: Schopf
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Es hat das Potenzial zum Standardwerk. Mit Sicherheit ist es das bisher beste Nordkorea-Buch, das auf Deutsch erschienen ist.« Süddeutsche Zeitung, Christoph Giesen, 18.11.2014