Einer Ärztin versagen die Kräfte: Die Arbeit in der Klinik macht ihr zu schaffen, und von der Liebe zu ihrem Ehemann ist nicht mehr viel geblieben. Sie entschließt sich, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und nach Norwegen zu gehen. Dort begegnet sie einer Frau in ihrem Alter, und eine große Freundschaft beginnt ...
Manchmal ist es an der Zeit, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Dies begreift eine Ärztin, als ihr die tägliche Arbeit in der Klinik von Tag zu Tag schwerer fällt und sie erleben muss, wie sich ihr Mann immer mehr in seine Arbeit, die Auflösung seiner Firma, zurückzieht. Eines Abends hält sie die Spannungen nicht mehr aus und verlässt, einem spontanen Impuls folgend, die gemeinsame Wohnung. Monate später, nachdem sich ihr Mann bereits einer anderen Frau zugewandt hat, entschließt sie sich zu einem noch radikaleren Schritt: Sie lässt alles hinter sich und fährt für einige Zeit nach Norwegen, um dort die dunkle Jahreszeit zu verbringen.
Auf den Lofoten versucht sie aber nicht nur Abstand zu ihrem früheren Leben zu finden. In ihrem Gepäck hat sie auch die Notizbücher ihres Vaters bei sich, die dieser als Soldat während des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Der Vater war zeitweise auf den Lofoten stationiert gewesen, und die Ärztin versucht dessen Spur aufzunehmen. Dabei lernt sie eine Norwegerin kennen, die ebenfalls alleine lebt. Eine intensive Freundschaft zwischen den beiden Frauen beginnt.
Melitta Breznik hat nach kürzeren Prosabänden ihren ersten umfangreichen Roman geschrieben. Weibliche Biographien und jüngere Geschichte kreuzen sich in diesem Roman über einen Aufbruch aus einem erstarrten Leben auf kunstvolle Weise.
Manchmal ist es an der Zeit, sein altes Leben hinter sich zu lassen. Dies begreift eine Ärztin, als ihr die tägliche Arbeit in der Klinik von Tag zu Tag schwerer fällt und sie erleben muss, wie sich ihr Mann immer mehr in seine Arbeit, die Auflösung seiner Firma, zurückzieht. Eines Abends hält sie die Spannungen nicht mehr aus und verlässt, einem spontanen Impuls folgend, die gemeinsame Wohnung. Monate später, nachdem sich ihr Mann bereits einer anderen Frau zugewandt hat, entschließt sie sich zu einem noch radikaleren Schritt: Sie lässt alles hinter sich und fährt für einige Zeit nach Norwegen, um dort die dunkle Jahreszeit zu verbringen.
Auf den Lofoten versucht sie aber nicht nur Abstand zu ihrem früheren Leben zu finden. In ihrem Gepäck hat sie auch die Notizbücher ihres Vaters bei sich, die dieser als Soldat während des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Der Vater war zeitweise auf den Lofoten stationiert gewesen, und die Ärztin versucht dessen Spur aufzunehmen. Dabei lernt sie eine Norwegerin kennen, die ebenfalls alleine lebt. Eine intensive Freundschaft zwischen den beiden Frauen beginnt.
Melitta Breznik hat nach kürzeren Prosabänden ihren ersten umfangreichen Roman geschrieben. Weibliche Biographien und jüngere Geschichte kreuzen sich in diesem Roman über einen Aufbruch aus einem erstarrten Leben auf kunstvolle Weise.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.08.2009Die Spur des Vaters
Melitta Brezniks "Nordlicht" ist der Selbstfindungsroman einer Zürcher Ärztin, der als Milieustudie in die norwegisch-deutsche Kriegsvergangenheit führt.
Dieser Roman ist das Dokument einer Umkehr, einer Verwandlung und eines Neuentwurfs. Melitta Brezniks Heldin Anna, wie die Autorin aus der Steiermark stammend und in der Schweiz als Psychiaterin arbeitend, fasst auf dem Höhepunkt ihrer Krise einen radikalen Entschluss. Nachdem sie ihren selbstsüchtigen Mann und die erstarrte Ehe abgeschüttelt hat, zieht sie sich während der düsteren Wintermonate in eine Hütte auf den Lofoten zurück - eine Art therapeutische Versuchsanlage mit dem Ziel der Selbstfindung. Es ist, wie wenn die radikalste Steigerung der Einsamkeit, mehr noch: das obsessive Einlullen in die Dunkelheit erst die Voraussetzung zur Lösung des Konflikts schaffen sollte.
Die Frau hatte sich gleich auf mehreren Ebenen in einer desaströsen Sackgasse festgefahren. Die Beziehung zu ihrem in kindlicher Bewunderungs- und Bestätigungssucht gefangenen Mann hatte sich wortlos erledigt. Die Arbeit in der Klinik kam ihr als sinnloser Aktivismus in einer immer absurder rotierenden Maschinerie vor, in der die Patienten zu Störenfrieden und die Ärzte zu Finanzbeamten mutierten. Das Schlimmste aber war, dass die Psychiaterin nach diffusen Wahrnehmungsstörungen von der Angst umgetrieben wurde, wie ihre Großmutter an Schizophrenie zu erkranken.
Im Gepäck hat Anna vier Notizbücher ihres Vaters aus der Kriegszeit. Er war als Soldat im Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1944 auf den Lofoten stationiert. Eine Kindheit lang erschien er ihr unnahbar, ein verschwommener Schemen, undurchschaubar. Seine grundlos aufzuckenden Wutanfälle verstörten die Tochter, mit sechzehn gab sie es auf, sich um ihn zu bemühen. Über die Kriegsvergangenheit schwieg er hartnäckig, auch die Mutter wusste nicht, was der Vater erlebt hatte. Tagebücher und alte Fotografien fand Anna eines Tages zufällig in einer vergessenen Holzschatulle, dazwischen ein paar Skizzen mit Plänen von Hafenanlagen, Gehöften und Landschaften.
In Norwegen nimmt Anna die Spuren des Vaters auf und macht sich in der dröhnenden Abgeschiedenheit auf zu Streifzügen. Sie sucht nach Häusern, die Vaters Tagebuchskizzen entsprechen könnten. Auf einem dieser abenteuerlichen Ausflüge lernt sie Giske kennen, eine Frau mit rotblondem Haar wie sie selbst. Mit den altmodischen Kleidern und der geflochtenen Haartracht erinnert sie Anna an längst vergangene Zeiten. Ihr spontanes Zugehen auf die Fremde verblüfft sie, die Freundschaft, die sich zwischen den beiden Frauen entspinnt, scheint so selbstverständlich wie unerklärlich.
Die Stärken der Schriftstellerin Melitta Breznik zeigten sich seit ihrem beeindruckenden Erstling "Nachtdienst" (1995) im Stil des kommentarlosen, emotionslosen Protokollierens. Mit dieser schnörkellosen Technik arbeitete sie schon immer die Physiognomien ihrer Figuren umso plastischer heraus. Das gelingt ihr auch im Roman "Nordlicht" meisterhaft, vor allem im zweiten Teil, in dem sie das Leben Giskes, eines von den Norwegern verstoßenen "Deutschenbalgs" immer schärfer in den Blick nimmt. Diese Genauigkeit wird anderseits in den Kindheitspassagen dann doch mit einer Überfülle von Details untergraben. Es gibt kaum eine Technik von Kindesmisshandlung - von den ungerechten Schlägen des Pastors bis zum Einsperren und psychischen Quälereien - die hier nicht zur Anschauung käme. Mit immer drastischeren, immer grelleren Details malt Melitta Breznik das miserable Schicksal des "Deutschenbalgs" aus und nimmt ihm gerade dadurch die Brisanz.
Als uneheliches Kind eines deutschen Soldaten, der nach ein paar Jahren spurlos verschwindet und einer kollaborierenden Mutter, die von ihren Landsleuten geächtet wird und im Wahnsinn endet, muss Giske für die verbotene Verstrickung der Eltern büßen. Sie wird zum Symbol des nationalen Sündenfalls - ein Deutschenbastard. Man schiebt das Kind von Fürsorgeheimen in Waisenhäuser. Warum es grundlos misshandelt wird, ist ihm so wenig einsichtig wie es nicht versteht, warum es nicht bei der Mutter bleiben kann.
An der Schnittstelle der beiden sich überkreuzenden Frauenbiographien zeigen sich die Schwächen und die Stärken von Melitta Brezniks Roman "Nordlicht". Die Komposition gerät je länger desto deutlicher in Schieflage. Was als Ehe- und Selbstfindungsroman einer Zürcher Ärztin begonnen hatte, kippt unvermittelt in eine Milieustudie der norwegisch-deutschen Kriegsvergangenheit sowie der Illustration eines exemplarischen Opfer-Fallbeispiels und endet mit einem sentimentalen, allzu absehbaren Ende.
Auf der letzten Seite des Buches entdecken die beiden Frauen, was der Leser längst ahnt: dass sie Schwestern sind. Das ist dann doch zu gradlinig auf ein Konzept der Darstellung der dramatischen Kollateralschäden im Schicksal des Einzelnen hin geschrieben. Die Struktur der Tagebuchnotizen in zwei Stimmen - ein kompositorischer Trick, um das Ensemble unterschiedlicher Lebensläufe in den Griff zu bekommen - tut das ihre zu einer gewissen Schwerfälligkeit. Anna fällt nach etwa einem Viertel des Romans in eine untergeordnete Statistenrolle zurück und wird mehr oder weniger unmotiviert von der Giske-Geschichte zugedeckt. Trotzdem gelingt es Melitta Breznik, ein verschwiegenes und schmerzhaftes Kapitel deutsch-norwegischer Kriegsvergangenheit zu erhellen und die Verwüstungen bloßzulegen, deren Spuren auch Jahrzehnte nach Kriegsende in den Biographien von Opfern und Tätern ablesbar werden.
PIA REINACHER
Melitta Breznik: "Nordlicht". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2009. 256 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Melitta Brezniks "Nordlicht" ist der Selbstfindungsroman einer Zürcher Ärztin, der als Milieustudie in die norwegisch-deutsche Kriegsvergangenheit führt.
Dieser Roman ist das Dokument einer Umkehr, einer Verwandlung und eines Neuentwurfs. Melitta Brezniks Heldin Anna, wie die Autorin aus der Steiermark stammend und in der Schweiz als Psychiaterin arbeitend, fasst auf dem Höhepunkt ihrer Krise einen radikalen Entschluss. Nachdem sie ihren selbstsüchtigen Mann und die erstarrte Ehe abgeschüttelt hat, zieht sie sich während der düsteren Wintermonate in eine Hütte auf den Lofoten zurück - eine Art therapeutische Versuchsanlage mit dem Ziel der Selbstfindung. Es ist, wie wenn die radikalste Steigerung der Einsamkeit, mehr noch: das obsessive Einlullen in die Dunkelheit erst die Voraussetzung zur Lösung des Konflikts schaffen sollte.
Die Frau hatte sich gleich auf mehreren Ebenen in einer desaströsen Sackgasse festgefahren. Die Beziehung zu ihrem in kindlicher Bewunderungs- und Bestätigungssucht gefangenen Mann hatte sich wortlos erledigt. Die Arbeit in der Klinik kam ihr als sinnloser Aktivismus in einer immer absurder rotierenden Maschinerie vor, in der die Patienten zu Störenfrieden und die Ärzte zu Finanzbeamten mutierten. Das Schlimmste aber war, dass die Psychiaterin nach diffusen Wahrnehmungsstörungen von der Angst umgetrieben wurde, wie ihre Großmutter an Schizophrenie zu erkranken.
Im Gepäck hat Anna vier Notizbücher ihres Vaters aus der Kriegszeit. Er war als Soldat im Zweiten Weltkrieg von 1941 bis 1944 auf den Lofoten stationiert. Eine Kindheit lang erschien er ihr unnahbar, ein verschwommener Schemen, undurchschaubar. Seine grundlos aufzuckenden Wutanfälle verstörten die Tochter, mit sechzehn gab sie es auf, sich um ihn zu bemühen. Über die Kriegsvergangenheit schwieg er hartnäckig, auch die Mutter wusste nicht, was der Vater erlebt hatte. Tagebücher und alte Fotografien fand Anna eines Tages zufällig in einer vergessenen Holzschatulle, dazwischen ein paar Skizzen mit Plänen von Hafenanlagen, Gehöften und Landschaften.
In Norwegen nimmt Anna die Spuren des Vaters auf und macht sich in der dröhnenden Abgeschiedenheit auf zu Streifzügen. Sie sucht nach Häusern, die Vaters Tagebuchskizzen entsprechen könnten. Auf einem dieser abenteuerlichen Ausflüge lernt sie Giske kennen, eine Frau mit rotblondem Haar wie sie selbst. Mit den altmodischen Kleidern und der geflochtenen Haartracht erinnert sie Anna an längst vergangene Zeiten. Ihr spontanes Zugehen auf die Fremde verblüfft sie, die Freundschaft, die sich zwischen den beiden Frauen entspinnt, scheint so selbstverständlich wie unerklärlich.
Die Stärken der Schriftstellerin Melitta Breznik zeigten sich seit ihrem beeindruckenden Erstling "Nachtdienst" (1995) im Stil des kommentarlosen, emotionslosen Protokollierens. Mit dieser schnörkellosen Technik arbeitete sie schon immer die Physiognomien ihrer Figuren umso plastischer heraus. Das gelingt ihr auch im Roman "Nordlicht" meisterhaft, vor allem im zweiten Teil, in dem sie das Leben Giskes, eines von den Norwegern verstoßenen "Deutschenbalgs" immer schärfer in den Blick nimmt. Diese Genauigkeit wird anderseits in den Kindheitspassagen dann doch mit einer Überfülle von Details untergraben. Es gibt kaum eine Technik von Kindesmisshandlung - von den ungerechten Schlägen des Pastors bis zum Einsperren und psychischen Quälereien - die hier nicht zur Anschauung käme. Mit immer drastischeren, immer grelleren Details malt Melitta Breznik das miserable Schicksal des "Deutschenbalgs" aus und nimmt ihm gerade dadurch die Brisanz.
Als uneheliches Kind eines deutschen Soldaten, der nach ein paar Jahren spurlos verschwindet und einer kollaborierenden Mutter, die von ihren Landsleuten geächtet wird und im Wahnsinn endet, muss Giske für die verbotene Verstrickung der Eltern büßen. Sie wird zum Symbol des nationalen Sündenfalls - ein Deutschenbastard. Man schiebt das Kind von Fürsorgeheimen in Waisenhäuser. Warum es grundlos misshandelt wird, ist ihm so wenig einsichtig wie es nicht versteht, warum es nicht bei der Mutter bleiben kann.
An der Schnittstelle der beiden sich überkreuzenden Frauenbiographien zeigen sich die Schwächen und die Stärken von Melitta Brezniks Roman "Nordlicht". Die Komposition gerät je länger desto deutlicher in Schieflage. Was als Ehe- und Selbstfindungsroman einer Zürcher Ärztin begonnen hatte, kippt unvermittelt in eine Milieustudie der norwegisch-deutschen Kriegsvergangenheit sowie der Illustration eines exemplarischen Opfer-Fallbeispiels und endet mit einem sentimentalen, allzu absehbaren Ende.
Auf der letzten Seite des Buches entdecken die beiden Frauen, was der Leser längst ahnt: dass sie Schwestern sind. Das ist dann doch zu gradlinig auf ein Konzept der Darstellung der dramatischen Kollateralschäden im Schicksal des Einzelnen hin geschrieben. Die Struktur der Tagebuchnotizen in zwei Stimmen - ein kompositorischer Trick, um das Ensemble unterschiedlicher Lebensläufe in den Griff zu bekommen - tut das ihre zu einer gewissen Schwerfälligkeit. Anna fällt nach etwa einem Viertel des Romans in eine untergeordnete Statistenrolle zurück und wird mehr oder weniger unmotiviert von der Giske-Geschichte zugedeckt. Trotzdem gelingt es Melitta Breznik, ein verschwiegenes und schmerzhaftes Kapitel deutsch-norwegischer Kriegsvergangenheit zu erhellen und die Verwüstungen bloßzulegen, deren Spuren auch Jahrzehnte nach Kriegsende in den Biographien von Opfern und Tätern ablesbar werden.
PIA REINACHER
Melitta Breznik: "Nordlicht". Roman. Luchterhand Literaturverlag, München 2009. 256 S., geb., 17,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Pia Reinacher versucht sehr gewissenhaft, diesem Roman gerecht zu werden. Die von Melitta Breznik erzählte Geschichte liest sie zunächst als Versuch einer Selbstfindung der Heldin nach ehelicher und beruflicher Enttäuschung. Die Hauptfigur verschlägt es nach Norwegen, dort kommt es zur Begegnung mit der unbekannten, als "Deutschenbalg" aufgewachsenen Schwester. So weit, so gut. Wenn Breznik vermittels nüchterner, zweistimmiger Tagebuchaufzeichnungen die beiden Charaktere scharf umreißt, gerät der Text laut Reinacher allerdings bald in Schieflage und wird zur Milieuschilderung der norwegisch-deutschen Kriegsvergangenheit und zur Opfer-Fallstudie mit einem, wie die Rezensentin findet, allzu vorhersehbaren Ende.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Brezniks erster Roman "Nordlicht" ist spannend, überraschend und - was das beste an ihm ist - er ist unheimlich." NDR-Kultur