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Jahrhundertelang träumten europäische Seefahrer vergeblich von einer Ostroute durchs sibirische Eismeer: Willem Barents und Vitus Bering erlagen nach ihren »Entdeckungen« Spitzbergens und der Beringstraße den Strapazen ihrer Expeditionen, und selbst der erfolgsverwöhnte James Cook schweiterte an der Suche nach dem östlichen Ausgang aus den Eismassen. Die Sowjetunion erkämpfte sich den Seeweg durch den Einsatz von Eisbrechern, doch noch immer sank aus Hybris so manches Schiff.Ausgerechnet der Klimawandel öffnet nun die lange herbeigesehnte Wasserstraße - und macht sie zugleich zum Gegenstand…mehr

Produktbeschreibung
Jahrhundertelang träumten europäische Seefahrer vergeblich von einer Ostroute durchs sibirische Eismeer: Willem Barents und Vitus Bering erlagen nach ihren »Entdeckungen« Spitzbergens und der Beringstraße den Strapazen ihrer Expeditionen, und selbst der erfolgsverwöhnte James Cook schweiterte an der Suche nach dem östlichen Ausgang aus den Eismassen. Die Sowjetunion erkämpfte sich den Seeweg durch den Einsatz von Eisbrechern, doch noch immer sank aus Hybris so manches Schiff.Ausgerechnet der Klimawandel öffnet nun die lange herbeigesehnte Wasserstraße - und macht sie zugleich zum Gegenstand unterschiedlichster Interessenkonflikte. Wirtschaftsraum für den Export von fossilen Rohstoffen oder Nationalpark im Sinne des Umwelt- und Klimaschutzes? Internationale Transitroute oder russisches Hoheitsgebiet?
Autorenporträt
Andreas Renner ist Historiker und Professor für Russland-Asien-Studien an der LMU München. Er hat zu russischem Nationalismus, zur Medizingeschichte und Fotografie publiziert. Und seit er von Japan aus Russlands Küste im Westen gesehen hat, erforscht er Russland als asiatische und maritime Macht, nicht mehr nur als Teil Osteuropas.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Matthias Hannemann reist mit dem Buch des Historikers Andreas Renner durch die Nordostpassage und lernt allerhand über dänische und niederländische Pioniere, sowjetische Industrialisierung und russische Machtpolitik. Welche Rolle der nördliche Seeweg nach Fernost im geopolitischen Gefüge spielte und spielt, vermittelt der Band dem Rezensenten mit viel Hintergrundwissen, chronologisch und mit der nötigen Verknappung. Die enorme Bedeutung der Arktis und die kommende Auseinandersetzungen um die Nordostpassage erkennt bzw. erahnt Hannemann bei der Lektüre dank Renners Expertise.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.06.2024

Abkürzung durch die Arktis

Zu den vielen liebgewonnenen Formeln, die durch Russlands Annexion der Krim und seinen Krieg gegen die Ukraine auf Eis gelegt werden mussten, gehört der Slogan "High North, Low Tension". Fast immer waren diese Worte zu hören, wenn sich Norweger und Russen trafen und den Kalten Krieg hinter sich zu bringen versuchten, erst recht auf Konferenzen zur Zukunft der Arktis. Und auch wenn es zuweilen beschwörend klang, die Beziehungen waren in Ordnung. Es gab die "Barentskooperation", die Russland seit 1993 mit Norwegen, Schweden und Finnland verband, und im 1996 gegründeten "Arktischen Rat" lief es zumindest nicht schlecht.

Wichtig war diese Stimmung nicht zuletzt für den Traum europäischer Unternehmen, eines Tages die Nordostpassage befahren zu können - bis China. Die Geschichte dieses Traums erzählt der Historiker Andreas Renner in seinem Buch. Er schlägt den Bogen von den ersten Erkundungsversuchen im sechzehnten Jahrhundert bis zum Frachtverkehr der Gegenwart und den geopolitischen Machtansprüchen des Regimes Putin: "Russland definiert sich keineswegs nur im Kontrast zum Westen, sondern auch als wichtigste Macht des Nordens. Die Arktis macht einen wesentlichen, aber erstaunlich wenig erforschten Teil seiner Geschichte aus."

Einige Namen aus dieser Geschichte sind auch hierzulande bekannt. Wer hätte noch nicht von Willem Barents gehört, dem Niederländer, der eine Alternative zum gängigen Seeweg nach Fernost zu finden versuchte, Spitzbergen entdeckte und 1597 bei der Überwinterung auf Nowaja Semlja an Skorbut starb. Oder von Vitus Bering, der als Däne in russischen Diensten stand und im achtzehnten Jahrhundert die nördliche Küste Russlands vermaß. Dass der Finnlandschwede Adolf Erik Nordenskiöld 1878/79 als Erster die komplette Nordostpassage durchfuhr, zählt ebenso zum Allgemeinwissen wie die Fahrt zweier Frachter der Reederei "Beluga Shipping" aus Bremen 2009: "Selten fand ein Schwerguttransport ein größeres Medienecho."

Renner aber blickt als Russlandexperte auf die Geschichte der Nordostpassage und sieht viel mehr. Wenn er die Beluga-Frachter erwähnt, dann nicht ohne den Hinweis, dass es im selbigen Sommer "auch drei russische Passagen" und zuvor "sieben Jahrzehnte sowjetischer Arktisschifffahrt" gegeben hat. Sein Buch ist eine enorme Bereicherung für jeden, der sich schon bei der spektakulären Tauchfahrt russischer Wissenschaftler zum Nordpol 2007 fragte, welche Rolle die Arktis im russischen Selbstverständnis spielt. Es wird nicht zuletzt helfen, die kommenden Jahre zu verstehen, die auch im Norden mit seinen großen Ressourcen an Gas und Öl und Tiefseemineralien schwierig sein dürften. Renner verweist in seiner Einleitung nicht von ungefähr auf die "konfrontative Sprache" der russischen Marinedoktrin 2022.

Aufgeteilt ist das Buch in fünfzehn Kapitel, die den chronologischen Fluss grob strukturieren. Zunächst führt der Autor die Passage aus Sicht eines Beobachters auf einem Tanker und einem Kreuzfahrtschiff vor Augen. Er selbst bereiste sie zwar nur "imaginär", doch das spielt keine Rolle. Hier geht es um eine einleitende Skizze, um einen Blick auf die Karte mit markanten Punkten wie Kap Tscheljuskin, dem nördlichsten Festlandspunkt der Welt. Ersichtlich wird, die Nordostpassage ist nicht mehr so gefährlich wie früher, 2905 zivile Schiffe waren im Jahr 2020 zumindest auf einem Teil von ihr unterwegs, 64 haben sie komplett durchfahren. Wobei die Mehrheit dieser Schiffe Schwergut oder Rohstoffe transportiert oder Sibirien versorgt hat.

Dann der Kontrast, das sechzehnte Jahrhundert. Britische Kaufleute rüsten drei Schiffe aus und lassen sie nach Nordosten fahren: Zwei dieser Schiffe kommen bis zur Kola-Halbinsel, wo bald darauf Fischer auf die tiefgefrorenen Leichen ihrer Besatzungen stoßen. Der Navigator des dritten gelangt über das Weiße Meer bis nach Moskau. Dort trifft er "Iwan den Schrecklichen", der den Briten den Weißmeerhandel gestattet und den Hafen Archangelsk gründet. Auch niederländische und skandinavische Kaufleute suchen in der Folge den nördlichen Seeweg nach China, doch ohne Erfolg.

Die Versuche werden auch durch wertvolle sibirische Pelze und Felle angetrieben - und empfindlich gebremst durch den ersten Romanow-Zar. Michail Fjodorowitsch lässt an der Karasee einen Militärstützpunkt errichten, unterbindet die Weiterfahrt von Schiffen gen Osten und treibt parallel das russische Expansionsprogramm voran: mit der blutigen, noch von "Iwan dem Schrecklichen" begonnenen Eroberung Sibiriens durch die Kosaken. Sie gelangen 1638 über das Land und die Flüsse bis zum Pazifik. Was aber noch wichtiger ist: Einem von ihnen, Semjon Deschnjow, gelingt 1648 sogar die Fahrt von der ostsibirischen See bis kurz vor Kamtschatka. In Europa erfährt man erst viele Jahrzehnte später davon.

Mit Bering geht es dann auf die "Große Nordische Expedition", bei der von 1733 an detaillierte Karten entstanden, man begegnet dem Eisforscher Michail Lomonossow, der von der Zukunft der Nordostpassage als Handelsstraße überzeugt ist, oder auch dem rührigen Hanseaten Wilhelm Brandt, der die Idee in Europa wiederaufleben lässt. Die Pionierfahrt von Nordenskiölds Vega fehlt nicht, so wenig wie die erste Durchquerung der Passage von Ost nach West durch die russischen Eisbrecher Taimyr und Waigatsch 1915 oder die erste Passage ohne Überwinterung durch die Sibirjakow 1932.

Es ist eine lange, Verknappung erfordernde Geschichte. Sie mündet in die sowjetische Industrialisierung mit dem "Nördlichen Seeweg als zentraler Versorgungsachse". Die Nordostpassage ist für Russland schon Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts ein erprobter Weg, um Waren in den Norden Sibiriens zu bekommen. Trotz des Eises sind "jedes Jahr Dutzende und in den 1970er Jahren Hunderte Schiffe zwischen Murmansk und Wladiwostok unterwegs". Erst nach dem Höhepunkt dieser Aktivitäten in den Achtzigerjahren, erklärt Renner, kommt es zum Stillstand.

Der letzte Generalsekretär der KPdSU, Michael Gorbatschow, verkündete vor diesem Hintergrund im Oktober 1987 die Öffnung der Passage für den internationalen Verkehr. In der legendären Rede geht es auch um andere Dinge, die grenzüberschreitende Kooperation ratsam erscheinen lassen, wie Umweltschutz und Abrüstung und die Erschließung von Öl und Gas - die Vorgeschichte des eingangs genannten "Arktischen Rates" und der "Barentskooperation". Aber die Rede leitete auch für die Seefahrt eine neue Zeit ein: Von 1991 an durfte die Passage von westlichen Schiffen befahren werden. Die Frage war nur, ob es rentabel und sicher ist. Westliche Unternehmen beantworteten diese Frage bis 2009 mit einem Nein.

Heute ist das anders: Das Eis schmilzt rapide, dass die Passage im Sommer immer länger befahrbar ist. Dafür ist Russlands Machtpolitik ein unberechenbarer Risikofaktor geworden. Und gerade die Arktis, so Renner, nimmt in den geopolitischen Entwürfen nationalistischer Vordenker einen besonderen Platz ein - nicht nur wegen der Rohstoffe, sondern auch durch die "Mystifizierung des Nordens als kulturelles Erbe von Russen". Andreas Renners Darstellung ist eine wichtige Ergänzung zu den Büchern, die sich wie Michael Pauls "Kampf um den Nordpol" (2022) mit dem Konfliktpotential der Region befassen. MATTHIAS HANNEMANN

Andreas Renner: "Nordostpassage". Geschichte eines Seeweges.

Mare Verlag, Hamburg 2024.

272 S., Abb., geb.,

28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main.
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