Das Biographische Handbuch 'Nordrhein Westfalen - Land und Leute 1946-2006' enthält 640 Lebensbeschreibungen solcher Persönlichkeiten, die, gleich welcher landsmannschaftlichen Herkunft, in den vergangenen sechzig Jahren in Nordrhein Westfalen gelebt und Akzente gesetzt haben. Damit unterscheidet sich dieser Band wesentlich von den gerade das regionale Herkommen in den Vordergrund rückenden biographischen Lexika. Die Bandbreite umfasst nahezu alle Berufe und Tätigkeiten, Politiker, Theologen, Unternehmer, Künstler aller Art, Sportler, Wissenschaftler, Ingenieure, Architekten und nicht zuletzt auch Karnevalisten. Die großen und prägenden Persönlichkeiten Nordrhein-Westfalens, Karl Arnold und Johannes Rau, Josef Frings und Joseph Höffner, Rudolf von Bennigsen-Foerder und Friedel Neuber, Josef Beuys und Heinrich Böll, Liselott Diem und Lore Lorentz oder Reinhard Libuda und Helmut Rahn, sind rasch genannt. Trotzdem haben alle hier aufgeführten 640 Frauen und Männer auf ihre Weise dasLand mitgeprägt und gestaltet, die einen im Lichte der Öffentlichkeit, die anderen abseits des Rampenlichts. Wer etwas über Konrad Adenauer wissen möchte, wird auch hier ausreichend informiert, aber wer sich vor allem über jene Personen informieren möchte, die nicht unbedingt in der ersten Reihe standen, wird hier auf seine Kosten kommen. Dabei handelt es sich vorwiegend um jene Persönlichkeiten, die aufgrund ihres beruflichen Wirkens, und sei dieses im Einzelfall noch so bedeutend, kaum Eingang in einschlägige Nachschlagewerke finden würden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.2006Akzentsetzer
60 Jahre Nordrhein-Westfalen
Das biographische Handbuch erfaßt 640 verstorbene Persönlichkeiten, "die, gleich welcher landsmannschaftlichen Herkunft, in den vergangenen sechzig Jahren in Nordrhein-Westfalen gelebt und Akzente gesetzt haben". Berücksichtigt sind Politiker, Theologen, Unternehmer, Künstler, Sportler (mit einer Vorliebe für Reiter), Wissenschaftler (vor allem Mediziner und Historiker), Ingenieure und Architekten sowie Karnevalisten. Unter diesen stach der Kölner Jupp Schmitz als "leiser, feinsinniger und hintergründiger Unterhalter" hervor, nachdem er zuvor mit Liedern wie "Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld" (1948) und "Es ist noch Suppe da" (1968) bekannt geworden war. Hart ins Gericht geht Bernd Haunfelder mit dem Unternehmer Friedrich Flick, der in "auffallend schamloser Weise den Einsatz von etwa 40 000 Zwangsarbeitern, deren Arbeitsbedingungen selbst NS-Behörden auf den Plan gerufen haben sollen", genutzt und dafür bis zu seinem Tode 1972 "jedwede Verantwortung geleugnet" hätte: Er "war selbst viele Jahre nach dem Krieg nicht bereit, etwa 1300 jüdische Zwangsarbeiter mit vergleichsweise geringen Summen zu entschädigen". In dem Beitrag über die Kabarettistin Lore Lorentz wird daran erinnert, daß Verteidigungsminister Franz Josef Strauß 1959 ein einjähriges Fernsehverbot gegen das Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" erwirkte.
Breiten Raum nimmt der mit spürbarer Bewunderung geschriebene Artikel über Johannes Rau ein, den Ministerpräsidenten von 1978 bis 1998, der 1985 den Landtagswahlkampf mit dem Slogan "Wir in NRW" führte. Als Bundespräsident von 1999 bis 2004 habe "der letzte große Repräsentant der ,Bonner Republik' Erscheinungsformen der ,Berliner Republik'" kritisiert. Das gehaltvolle, wenn auch von winzigen Fehlern nicht ganz freie Nachschlagewerk (Willy Eichler soll von 1982 bis 1989 Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD gewesen sein, obwohl er doch bereits 1971 verstarb; Erich Kordt war im "Wilhelmstraßenprozeß" 1948/49 nicht "Zeuge der Anklage", sondern der Verteidigung) endet ausgerechnet mit einem Eintrag über Karl Zuhorn, einst Oberstadtdirektor von Münster. Er plädierte in den fünfziger Jahren im Rahmen der damals geführten Diskussion über eine Neuordnung der Länder für eine Auflösung von NRW zugunsten einer Selbständigkeit Westfalens, weil dessen Identität in Verbindung mit dem Rheinland angeblich nicht gewahrt bliebe.
RAINER BLASIUS
Bernd Haunfelder: Nordrhein-Westfalen - Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch. Aschendorff Verlag, Münster 2006. 502 S., 29,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
60 Jahre Nordrhein-Westfalen
Das biographische Handbuch erfaßt 640 verstorbene Persönlichkeiten, "die, gleich welcher landsmannschaftlichen Herkunft, in den vergangenen sechzig Jahren in Nordrhein-Westfalen gelebt und Akzente gesetzt haben". Berücksichtigt sind Politiker, Theologen, Unternehmer, Künstler, Sportler (mit einer Vorliebe für Reiter), Wissenschaftler (vor allem Mediziner und Historiker), Ingenieure und Architekten sowie Karnevalisten. Unter diesen stach der Kölner Jupp Schmitz als "leiser, feinsinniger und hintergründiger Unterhalter" hervor, nachdem er zuvor mit Liedern wie "Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld" (1948) und "Es ist noch Suppe da" (1968) bekannt geworden war. Hart ins Gericht geht Bernd Haunfelder mit dem Unternehmer Friedrich Flick, der in "auffallend schamloser Weise den Einsatz von etwa 40 000 Zwangsarbeitern, deren Arbeitsbedingungen selbst NS-Behörden auf den Plan gerufen haben sollen", genutzt und dafür bis zu seinem Tode 1972 "jedwede Verantwortung geleugnet" hätte: Er "war selbst viele Jahre nach dem Krieg nicht bereit, etwa 1300 jüdische Zwangsarbeiter mit vergleichsweise geringen Summen zu entschädigen". In dem Beitrag über die Kabarettistin Lore Lorentz wird daran erinnert, daß Verteidigungsminister Franz Josef Strauß 1959 ein einjähriges Fernsehverbot gegen das Düsseldorfer "Kom(m)ödchen" erwirkte.
Breiten Raum nimmt der mit spürbarer Bewunderung geschriebene Artikel über Johannes Rau ein, den Ministerpräsidenten von 1978 bis 1998, der 1985 den Landtagswahlkampf mit dem Slogan "Wir in NRW" führte. Als Bundespräsident von 1999 bis 2004 habe "der letzte große Repräsentant der ,Bonner Republik' Erscheinungsformen der ,Berliner Republik'" kritisiert. Das gehaltvolle, wenn auch von winzigen Fehlern nicht ganz freie Nachschlagewerk (Willy Eichler soll von 1982 bis 1989 Vorsitzender der Historischen Kommission beim Parteivorstand der SPD gewesen sein, obwohl er doch bereits 1971 verstarb; Erich Kordt war im "Wilhelmstraßenprozeß" 1948/49 nicht "Zeuge der Anklage", sondern der Verteidigung) endet ausgerechnet mit einem Eintrag über Karl Zuhorn, einst Oberstadtdirektor von Münster. Er plädierte in den fünfziger Jahren im Rahmen der damals geführten Diskussion über eine Neuordnung der Länder für eine Auflösung von NRW zugunsten einer Selbständigkeit Westfalens, weil dessen Identität in Verbindung mit dem Rheinland angeblich nicht gewahrt bliebe.
RAINER BLASIUS
Bernd Haunfelder: Nordrhein-Westfalen - Land und Leute 1946-2006. Ein biographisches Handbuch. Aschendorff Verlag, Münster 2006. 502 S., 29,50 [Euro].
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