Die Ich-Erzählerin Nene liebt ihre Arbeit als Bademeisterin, die Schwimmhalle ist ihre Familie, Marlon der andere Bademeister, oder die freundliche alte Dame, die immer Dienstags kommt und ihre altmodische Schwimmkappe trägt, aber auch die Kassiererin, die immer gut drauf ist, Nele hat sie alle in
ihr Herz geschossen.
Damals als sie im Schwimmverein das Seepferdchen erschwomm, waren es ihre…mehrDie Ich-Erzählerin Nene liebt ihre Arbeit als Bademeisterin, die Schwimmhalle ist ihre Familie, Marlon der andere Bademeister, oder die freundliche alte Dame, die immer Dienstags kommt und ihre altmodische Schwimmkappe trägt, aber auch die Kassiererin, die immer gut drauf ist, Nele hat sie alle in ihr Herz geschossen.
Damals als sie im Schwimmverein das Seepferdchen erschwomm, waren es ihre TrainerInnen, die das Jugendamt informierten.
Geschichten über meinen Vater zu erzählen, über sein Leben, seine Kindheit, seine Jugend, das alles würde sein Verhalten womöglich in ein anderes Licht setzen. Dann könnte man denken: Ah, er tut das, weil dies oder jenes passiert ist. Bullshit. Denn es gibt keine Kausalität, die rechtfertigt, dass man Kinder schlägt, tritt, einsperrt und hungern lässt. Keine. Ich werde keine Geschichte über meinen Vater erzählen. Das hier ist meine Geschichte. S. 69
Und dann steht Er vor ihr. Nicht freundlich, aber bestimmt verlangt er ein Schwimmbrett, dass sie ihm eigentlich gar nicht geben dürfte, weil es der Schwimmschule gehört. Aber seine pechschwarzen Pantheraugen, mit den nassen Wimpern, die verklebt sind wie Fliegenbeine, beschleunigen ihren Herzschlag. Als er Richtung Becken geht sieht sie, dass die Beine nicht zum Rest passen sondern merkwürdig verdreht sind.
Als Boris und Nene miteinander schlafen wollen, sagt sie es ihm. Er sieht sie betroffen an und zum ersten Mal weiß sie, dass es um sie geht, weiß, dass es ihr passiert ist, keiner anderen. Er fragt, ob sie Angst hat. Sie weiß es nicht, horcht in sich hinein und merkt, dass sie dieses Gefühl, das in ihrer Kindheit so eine Übermacht hatte, einfach gelöscht hat.
Wir haben übrigens nicht miteinander geschlafen, nachdem ich ihm von der Vergewaltigung erzählt habe. Wir haben noch häufiger nicht miteinander geschlafen. In der Historie von Pärchen, die miteinander schlafen wollen, sind wir das mit den meisten Fehlversuchen. S. 24
Boris ist zügig außer sich, weil er so viele wunde Stellen hat. Weil die Leute immer auf ihn drauf geschlagen habe. Er hat die “Du-Spasti-Wunde”, die “Quasimodo-Wunde”, die “Das Kannst Du Nicht-Wunde” und er hat Schmerzen, schlimme Schmerzen und auch deswegen lügt er oft.
Die Lügerei ist eine heikle Sache. Sie schützt dich vor Scham und Zurschaustellung, aber sie erzeugt Reue und Schuldgefühle. S.46
Fazit: Was für eine gelungene Geschichte. Annika Büsing erzählt in ihrem Debüt von zwei verletzten Seelen. Wie sehr einem ein junges Leben vermiest werden kann. Die Autorin zeigt mir, mit ihrer wunderbar kohärenten und fesselnden Erzählweise, wie sich Menschen langfristig fühlen, die schon sehr früh Gewalt und Demütigungen erfahren haben. Es geht um Würde, darum, dass “die Würde des Menschen ist unantastbar”, in Wirklichkeit eine hohle Phrase ist, weil die Würde des Menschen ja eben doch, weltweit ständig, sekündlich angetastet wird und sich doch die Wenigsten dafür interessieren. Und es ist eine Geschichte über Wut, die es uns daran hindert, optimistisch nach vorne zu blicken. Meine absolute Leseempfehlung!