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Die drei im Titel genannten Begriffe, "Norm", "Person" und "Gesellschaft", stehen nur äußerlich in einer Reihe, als würden aus dem ersten Begriff die folgenden entwickelt; sachlich bedingen sie sich gegenseitig. Daß einige Begriffe fehlen, die man in Vorüberlegungen zu einer Rechtsphilosophie gleichfalls erwarten mag, etwa "Konsens", "Diskurs", "Intersubjektivität" oder "Menschenwürde", darf durchaus als Programm verstanden werden.
Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage
"Hier verficht jemand in voller Kenntnis der Philosophiegeschichte und der derzeitigen erkenntnistheoretischen Diskussion
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Produktbeschreibung
Die drei im Titel genannten Begriffe, "Norm", "Person" und "Gesellschaft", stehen nur äußerlich in einer Reihe, als würden aus dem ersten Begriff die folgenden entwickelt; sachlich bedingen sie sich gegenseitig. Daß einige Begriffe fehlen, die man in Vorüberlegungen zu einer Rechtsphilosophie gleichfalls erwarten mag, etwa "Konsens", "Diskurs", "Intersubjektivität" oder "Menschenwürde", darf durchaus als Programm verstanden werden.

Aus dem Vorwort zur zweiten Auflage

"Hier verficht jemand in voller Kenntnis der Philosophiegeschichte und der derzeitigen erkenntnistheoretischen Diskussion das Recht als Recht. Hier schreibt ein Mitmacher, nicht ein ausenstehender Beobachter. Aber warum 'Vorüberlegungen'? Die Schrift ist Rechtsphilosophie pur." Gerd Roellecke, in: FAZ, 4.9.1997

Inhaltsverzeichnis:
I. Ein isoliertes menschliches Individuum - II. Zwei Individuen nebeneinander - III. Koordination einer Gruppe durch Gewalt - IV. Person, Subjekt, Gesellschaft - V. Wirklichkeit der Norm - VI. Grenzen der Person und des Subjekts - VII. Gesellschaft als normative Verständigung - VIII. Innerlichkeit - IX. Reaktion auf Störungen - X. Wirtschaft als Gesellschaft - XI. Universalisierung? - XII. Thesen - Literaturverzeichnis
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.09.1997

Staat gewordene Begierden
Günther Jakobs begründet das Recht halb von oben, halb von unten

Der außenstehende Beobachter untergräbt die Philosophie, einschließlich der Rechtsphilosophie. Er ist kein Skeptiker, sieht sogar mehr als die Philosophie, nämlich, wie die Gesellschaft im ganzen funktioniert. Er ist ein Statistiker, der der verlassenen Frau erzählt, sie teile das Schicksal von Hunderttausenden. Das tröstet sie sogar, aber nur bis zum Abend, bis sie sehen muß, daß der Platz neben ihr leer bleibt. Die Philosophie möchte der Frau auch dann noch etwas zuflüstern, und sei es eine bittere Wahrheit. Aber der außenstehende Beobachter erklärt ihr, sie könne den einzelnen in seiner Einzelheit nicht erreichen; außerdem finde die Frau vielleicht morgen schon einen neuen Gefährten. Darauf fragt sich die Philosophie, ob das stimmt (es stimmt), und vergißt darüber die Frau. Hegel hat das Problem gesehen und unterlaufen. Er sagt, gewiß, wir können nur Allgemeinheiten reden, aber laßt uns sehen, wieweit wir damit einander näherkommen.

Der Bonner Strafrechtler und Rechtsphilosoph Günther Jakobs kennt das Problem auch, obwohl er klugerweise kein Wort darüber verliert. Aber der erste Satz verrät es. Er entwaffnet den außenstehenden Beobachter, weil er offen spekuliert: "Gedacht sei ein einsam lebender Mensch, ohne jedes Wissen von anderen Menschen." Ein Modell also, das sich der Wirklichkeit aussetzen will. Die biblische Schöpfungsgeschichte läßt uns ahnen, wie es weitergeht. Dem Menschen wird ein weiterer hinzugesellt, dann viele, dann gibt es Streit und so weiter. So kommt es auch. Nur, Jakobs' einsamer Mensch unterscheidet sich radikal von Adam inklusive Eva. Ihm hat niemand verboten, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Er lebt ausschließlich seiner Lust und Unlust und versteht deshalb nichts, nicht einmal durch Beobachtung seiner eigenen Lebensäußerungen. "Ein fressendes Tier, das sieht, wie es frißt, ist ein fressendes Tier, das sieht, wie es frißt - mehr nicht."

Prinzipiell ändert sich daran nichts, wenn der einsame Mensch auf einen zweiten stößt. Das Leben wird nur etwas komplizierter, weil auch der zweite nach Lust und Unlust unterscheidet. Erst wenn viele hinzutreten und eine Gruppe bilden, sichert nur eine Koordination der Individuen das Überleben. Da jedermann nach Lust und Unlust unterscheidet, kann allein eine tatsächlich effektive Gewalt die Individuen koordinieren. Auf Zustimmung oder gar allgemeinen Konsens kommt es überhaupt nicht an. Dieses streng individualistisch-utilitaristische Modell ist für Jakobs aber nur die halbe Welt, die es freilich gibt und die nicht vergessen werden darf.

Grundlage der anderen Hälfte ist die Sorge des Gewalthabers um den Erhalt der Gruppe. "Der Gewalthaber muß der Welt der nur eigene Präferenzen maximierenden Wesen das Muster einer Welt gruppentauglicher Wesen aufprägen", was natürlich mißlingen kann. Gruppentaugliche Wesen sind "Personen", die Stetigkeit ihrer Rollen ist das "Sollen", dessen Gegenbegriff also nicht Sein, sondern Lust ist, und Subjektivität ist das Bewußtsein der Differenz von Sollen und Lust. So sieht es allerdings der Gewalthaber. Aus der Sicht der Individuen geht es um Anerkennung. Jakobs will Hegels Erzählung vom Kampf zweier Individuen um Anerkennung ergänzen. Bei Hegel endet der Kampf mit der Unterscheidung zwischen Herrschaft und Knechtschaft. Letztlich erweist sich aber der Knecht als überlegen, weil er sich den Sachen zuwendet und arbeitet. Jakobs versteht Arbeit nun als "Befriedigung der Begierden eines . . . Herrn" und meint, das führe "nicht aus der Natur hinaus". Deshalb müsse der Herr die Anerkennung der Arbeit durch eine Verfassung institutionalisieren. An diesem Punkt wäre zu streiten. Hegel hat in der Zuwendung zu den Sachen eine Abwendung vom Herrn, eine Befreiung gesehen: "Arbeit ist gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, oder sie bildet." Deshalb ist sie Grundlage jeder Anerkennung, Normativität und Institutionalisierung.

Aber der Bericht muß hier abbrechen. Die drei letzten Abschnitte "Störungen" (Strafen), "Wirtschaft" und "Universalisierung" wirken nicht mehr ganz so zwingend, weil Jakobs die Folgen vernachlässigt, die eine formale Zusammenfassung von Gruppen in "Staaten" für die Gruppen hat. Das ist indessen nur ein weiterer möglicher Streitpunkt und rechtfertigt allein die Aufforderung: Selbst lesen! Der Rezensent hat sich der Unerbittlichkeit der Beweisführung, der Strenge der Begriffe und dem Denken in Alternativen nicht entziehen können. Auch nicht der Sprache. Lakonisch, mit einem Hauch von spröder Ironie. Viele Beispiele, wenig Bilder. Manchmal taucht eine Wendung aus Anwaltsschriftsätzen auf und signalisiert: Hier verficht jemand in voller Kenntnis der Philosophiegeschichte und der derzeitigen erkenntnistheoretischen Diskussion das Recht als Recht. Hier schreibt ein Mitmacher, nicht ein außenstehender Beobachter. Aber warum "Vorüberlegungen"? Die Schrift ist Rechtsphilosophie pur. GERD ROELLECKE

Günther Jakobs: "Norm, Person, Gesellschaft". Vorüberlegungen zu einer Rechtsphilosophie. Duncker und Humblot, Berlin 1997. 131 S., br., 48,- DM.

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