Ungewöhnliche Geschichten von ebenso skurrilen wie normalen Menschen, aus einem Irland fern der Postkartenidylle. Der irische Autor Keith Ridgway erzählt von Menschen, die sich alles andere als zielstrebig durch ihren Alltag bewegen, die den Irrungen und Wirrungen der Liebe erliegen, denen Wollust oder religiöse und andere Obsessionen den Sinn vernebeln: eine Frau, die sich von einem bodenständigen Pfarrer ihre religiösen Visionen nicht ausreden läßt, ein männliches Liebespaar, bei dem sich die Sprache als Hindernis erweist, ein Vater, der beinahe sein Kind umbringt, ohne es eigentlich zu bemerken, ein mysteriöser Fremder, der in der Szene der jungen und hippen Dubliner für Angst und Schrecken sorgt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.03.2007Fast wie im keltischen Leben
Der Ire Keith Ridgway erzählt von Leuten, die sich nicht verstehen
Ein Ire spricht zu uns: Keith Ridgway, geboren in Dublin im Jahre 1965. Natürlich erwarten wir, beim Lesen der dargebotenen acht Erzählungen ein bisschen mehr über das keltische Inselvolk zu erfahren, als Geschichtsunterricht und spätere Nachrichten uns gelehrt haben. Hinweise des Verlags stärken diese Erwartung: Ridgway ist ein erfolgreicher Schriftsteller, bekam Preise. Alles bei ihm ist im höchsten Grade irisch - so scheint es uns, bevor wir die Lektüre beginnen. Nachher aber nicht mehr. Es könnten Leute aus jedem Erdenwinkel sein, die Keith Ridgway uns vorführt, auch wenn sie auf irischem Boden wohnen. Das muss für ein Urteil noch nicht maßgebend sein.
Da ist zum Beispiel eine Frau namens Mary Cleary, von Beruf offenbar wissenschaftlich-technische Naturschützerin, die ihre Tage in Labors zwischen Untersuchungsinstrumenten und Computern verbringt. Davon freilich erfahren wir nicht viel, denn die eigentliche Mary, jene, um die die Erzählung sich rankt, lebt zum einen in Träumen von der Jungfrau Maria und deren möglichen Eingriffen in das Leben der Moderne. Zum anderen verzehrt sie sich in endlosen Debatten mit ihrem Pfarrer, dem es ähnlich geht wie dem Leser: Er versteht Mary nicht.
Mit dem Verständnis hapert es auch in den anderen Geschichten, zum Beispiel bei Robert und Karl, der eine Ire, der andere Deutscher, beide durch homosexuelle Spiele verbunden, nicht durch Liebe. Seite für Seite zanken sie miteinander; warum, das bleibt offen. Robert mag den Klang der deutschen Sprache nicht, was natürlich nur eine Hilfsformel ist für etwas, das er nicht begreift, nicht ausdrücken kann. Beziehungen zwischen Männern spielen im Buch auch sonst eine große Rolle. So etwa in der Begegnung zweier alter Herren, von denen einer behauptet, sich vergangener Lustbeziehungen zu erinnern, während der andere diese wider besseres Wissen leugnet. Oder sind die im Leugner aufkeimenden Vergangenheitsbilder nur Wunschträume eines Greises, der wenigstens in der Phantasie ein Vorleben voller Begehren gehabt haben möchte? Schließlich die Liebesgeschichte mit Angelo, erzählt von dessen einstigem Partner, der nicht weiß, wer und was dieser Typ eigentlich war. Wir erfahren nur von den Verstrickungen zweier erhitzter Schwuler und davon, dass Angelo irgendwann verschwand, keine Ahnung, wohin.
Was sonst noch? Ein Vater berichtet, wie er seinen Sohn fast ertrinken ließ. Ein Mann, den keiner kennt noch je kennen wird, flößt den Kids von Dublin rätselhafte Ängste ein. Eine Frau muss operiert werden, die Diagnose - ein Knoten im Gewebe - lässt den Ehemann schwanken zwischen teilnehmender Angst und Wunsch, sich zu verstecken.
Immer geht es um das Gebrodel im Inneren der Menschen und erst dann, wenn überhaupt, um deren Lebenshintergrund, der sie doch wohl beeinflussen, ihre Wesensart und ihre Reaktionen zumindest mitprägen müsste. Ohne Zweifel ist Keith Ridgway ein Meister darin, menschliche Seelen zu entblößen und in ihren jeweiligen Besonderheiten durchschaubar zu machen. Wenn uns seine Figuren dennoch vorwiegend fremd bleiben, so liegt es daran, dass wir zu wenig von ihrem Ambiente erfahren, von der Welt, in der sie zu Hause sein müssten. Sie sind eigentlich nirgends zu Hause als in dem Buch, das vor uns liegt.
SABINE BRANDT
Keith Ridgway: "Normalzeit". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 240 Seiten, geb., 19,50 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Ire Keith Ridgway erzählt von Leuten, die sich nicht verstehen
Ein Ire spricht zu uns: Keith Ridgway, geboren in Dublin im Jahre 1965. Natürlich erwarten wir, beim Lesen der dargebotenen acht Erzählungen ein bisschen mehr über das keltische Inselvolk zu erfahren, als Geschichtsunterricht und spätere Nachrichten uns gelehrt haben. Hinweise des Verlags stärken diese Erwartung: Ridgway ist ein erfolgreicher Schriftsteller, bekam Preise. Alles bei ihm ist im höchsten Grade irisch - so scheint es uns, bevor wir die Lektüre beginnen. Nachher aber nicht mehr. Es könnten Leute aus jedem Erdenwinkel sein, die Keith Ridgway uns vorführt, auch wenn sie auf irischem Boden wohnen. Das muss für ein Urteil noch nicht maßgebend sein.
Da ist zum Beispiel eine Frau namens Mary Cleary, von Beruf offenbar wissenschaftlich-technische Naturschützerin, die ihre Tage in Labors zwischen Untersuchungsinstrumenten und Computern verbringt. Davon freilich erfahren wir nicht viel, denn die eigentliche Mary, jene, um die die Erzählung sich rankt, lebt zum einen in Träumen von der Jungfrau Maria und deren möglichen Eingriffen in das Leben der Moderne. Zum anderen verzehrt sie sich in endlosen Debatten mit ihrem Pfarrer, dem es ähnlich geht wie dem Leser: Er versteht Mary nicht.
Mit dem Verständnis hapert es auch in den anderen Geschichten, zum Beispiel bei Robert und Karl, der eine Ire, der andere Deutscher, beide durch homosexuelle Spiele verbunden, nicht durch Liebe. Seite für Seite zanken sie miteinander; warum, das bleibt offen. Robert mag den Klang der deutschen Sprache nicht, was natürlich nur eine Hilfsformel ist für etwas, das er nicht begreift, nicht ausdrücken kann. Beziehungen zwischen Männern spielen im Buch auch sonst eine große Rolle. So etwa in der Begegnung zweier alter Herren, von denen einer behauptet, sich vergangener Lustbeziehungen zu erinnern, während der andere diese wider besseres Wissen leugnet. Oder sind die im Leugner aufkeimenden Vergangenheitsbilder nur Wunschträume eines Greises, der wenigstens in der Phantasie ein Vorleben voller Begehren gehabt haben möchte? Schließlich die Liebesgeschichte mit Angelo, erzählt von dessen einstigem Partner, der nicht weiß, wer und was dieser Typ eigentlich war. Wir erfahren nur von den Verstrickungen zweier erhitzter Schwuler und davon, dass Angelo irgendwann verschwand, keine Ahnung, wohin.
Was sonst noch? Ein Vater berichtet, wie er seinen Sohn fast ertrinken ließ. Ein Mann, den keiner kennt noch je kennen wird, flößt den Kids von Dublin rätselhafte Ängste ein. Eine Frau muss operiert werden, die Diagnose - ein Knoten im Gewebe - lässt den Ehemann schwanken zwischen teilnehmender Angst und Wunsch, sich zu verstecken.
Immer geht es um das Gebrodel im Inneren der Menschen und erst dann, wenn überhaupt, um deren Lebenshintergrund, der sie doch wohl beeinflussen, ihre Wesensart und ihre Reaktionen zumindest mitprägen müsste. Ohne Zweifel ist Keith Ridgway ein Meister darin, menschliche Seelen zu entblößen und in ihren jeweiligen Besonderheiten durchschaubar zu machen. Wenn uns seine Figuren dennoch vorwiegend fremd bleiben, so liegt es daran, dass wir zu wenig von ihrem Ambiente erfahren, von der Welt, in der sie zu Hause sein müssten. Sie sind eigentlich nirgends zu Hause als in dem Buch, das vor uns liegt.
SABINE BRANDT
Keith Ridgway: "Normalzeit". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007. 240 Seiten, geb., 19,50 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nichts als Pappkameraden sieht Sabine Brandt in den Figuren des Erzählbandes von Keith Ridgway. Dass der Autor Ire ist, macht Brand zunächst neugierig auf die erzählten Lebenswelten, schnell muss sie jedoch einsehen, dass es so etwas in diesem Buch gar nicht gibt. Wie Allerweltsfiguren erscheinen ihr die auftretenden Charaktere, die in den Geschichten vor allem mit dem Verständnis untereinander und ihrer selbst zu kämpfen haben. Wo aber der Lebenshintergrund so stark wie hier in den Hintergrund rückt, findet Brandt, kann Handeln nicht mehr verstanden werden. Die dem Autor zugestandene Meisterschaft, "menschliche Seelen zu entblößen", tritt für die Rezensentin vor diesem Makel zurück.
© Perlentaucher Medien GmbH
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