Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.05.2008Hier betrunken, dort ertrunken
"Das Meer betrachten heißt das Leben betrachten" steht auf der Gedenktafel am "Hôtel des Roches Noires" in Trouville. Der Satz stammt von Marguerite Duras, die im ehemaligen Grandhotel eine Eigentumswohnung erworben hatte, nachdem der schlossartige Bau von 1866 in seiner ursprünglichen Nutzung nicht mehr rentabel war. Marguerite Duras kam nach Trouville, um zu schreiben und, natürlich, um zu trinken - ihr Alkoholismus war im normannischen Badeörtchen kein Geheimnis. Ein Foto im Taschenbuch zeigt die Schriftstellerin mit dem Rücken zur Kamera, an ein Fenster des "Hôtel des Roches Noires" gelehnt, das mehr als zweimal so hoch wie sie selbst ist, mit Blick auf den Strand und die Unendlichkeit des Meers. Auch die deutsche Schriftstellerin Undine Gruenter zog es nach Trouville. Sie kam bevorzugt im Winter. Entstanden ist dabei der Erzählband "Sommergäste in Trouville". Die Normandie und die Schriftsteller sind mehr als ein Kapitel für sich. Davon kündet das minutiös recherchierte Taschenbuch, dessen elf prall mit Zitaten, Ortsbeschreibungen und Hintergrundinformationen gefüllte Kapitel sich wie eine kleine Literaturgeschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts lesen. Man erkundet die normannische Hauptstadt Rouen mit Gustave Flaubert, wankt noch einmal mit der liebestrunkenen Emma Bovary durch die Kathedrale, und rätselt mit Julian Barnes über die wahre Identität von "Flauberts Papagei" - so der Titel einer Geschichte, die der britische Schriftsteller verfasst hat. Natürlich dürfen Proust und das "Grand Hôtel" von Cabourg auf der Suche nach den Orten schriftstellerischen Schöpfens in der Normandie nicht fehlen. Gern schaut man auch noch einmal beim Manoir du Breuil über die Hecke, um zu ermessen, in welcher Einsamkeit Françoise Sagan in dem Herrenhaus oberhalb der Côte de Grâce lebte. Mit ihrem Jaguar XK 140, den sie sich nach dem Erfolg von "Bonjour Tristesse" leisten konnte, floh Sagan regelmäßig an die trubelige Côte d'Azur. Geschrieben hat sie jedoch auf dem "Manoir du Breuil", gestorben ist sie 2004 im nahen Honfleur. Die spannenderen, weil weniger von Literaturkritik und Hochglanzmagazinen ausgeloteten Geschichten gibt es freilich etwa um den Wegbereiter des Nouveau Roman, Alain Robbe-Grillet, auf seinem Château Le Meslin-au-Grain in der Feld-Wald-und-Wiesen-Normandie des Bocage zu erzählen. Oder um Victor Hugo, dem in Villequier ein Museum gewidmet ist. Hugos Lieblingstochter Léopoldine ertrank 1843 bei einem Bootsunglück unweit von Villequier. Der Schriftsteller kam drei Jahre später ans Grab. Mit welchen Versen er seine Gefühle in Worte fasste, steht in Kapitel zwei.
ksi
"Normandie. Ein Reisebegleiter" von Sabine Grimkowski. Insel Verlag, Frankfurt 2007. 206 Seiten, zahlreiche Fotos und Pläne. Broschiert, 10 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Das Meer betrachten heißt das Leben betrachten" steht auf der Gedenktafel am "Hôtel des Roches Noires" in Trouville. Der Satz stammt von Marguerite Duras, die im ehemaligen Grandhotel eine Eigentumswohnung erworben hatte, nachdem der schlossartige Bau von 1866 in seiner ursprünglichen Nutzung nicht mehr rentabel war. Marguerite Duras kam nach Trouville, um zu schreiben und, natürlich, um zu trinken - ihr Alkoholismus war im normannischen Badeörtchen kein Geheimnis. Ein Foto im Taschenbuch zeigt die Schriftstellerin mit dem Rücken zur Kamera, an ein Fenster des "Hôtel des Roches Noires" gelehnt, das mehr als zweimal so hoch wie sie selbst ist, mit Blick auf den Strand und die Unendlichkeit des Meers. Auch die deutsche Schriftstellerin Undine Gruenter zog es nach Trouville. Sie kam bevorzugt im Winter. Entstanden ist dabei der Erzählband "Sommergäste in Trouville". Die Normandie und die Schriftsteller sind mehr als ein Kapitel für sich. Davon kündet das minutiös recherchierte Taschenbuch, dessen elf prall mit Zitaten, Ortsbeschreibungen und Hintergrundinformationen gefüllte Kapitel sich wie eine kleine Literaturgeschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts lesen. Man erkundet die normannische Hauptstadt Rouen mit Gustave Flaubert, wankt noch einmal mit der liebestrunkenen Emma Bovary durch die Kathedrale, und rätselt mit Julian Barnes über die wahre Identität von "Flauberts Papagei" - so der Titel einer Geschichte, die der britische Schriftsteller verfasst hat. Natürlich dürfen Proust und das "Grand Hôtel" von Cabourg auf der Suche nach den Orten schriftstellerischen Schöpfens in der Normandie nicht fehlen. Gern schaut man auch noch einmal beim Manoir du Breuil über die Hecke, um zu ermessen, in welcher Einsamkeit Françoise Sagan in dem Herrenhaus oberhalb der Côte de Grâce lebte. Mit ihrem Jaguar XK 140, den sie sich nach dem Erfolg von "Bonjour Tristesse" leisten konnte, floh Sagan regelmäßig an die trubelige Côte d'Azur. Geschrieben hat sie jedoch auf dem "Manoir du Breuil", gestorben ist sie 2004 im nahen Honfleur. Die spannenderen, weil weniger von Literaturkritik und Hochglanzmagazinen ausgeloteten Geschichten gibt es freilich etwa um den Wegbereiter des Nouveau Roman, Alain Robbe-Grillet, auf seinem Château Le Meslin-au-Grain in der Feld-Wald-und-Wiesen-Normandie des Bocage zu erzählen. Oder um Victor Hugo, dem in Villequier ein Museum gewidmet ist. Hugos Lieblingstochter Léopoldine ertrank 1843 bei einem Bootsunglück unweit von Villequier. Der Schriftsteller kam drei Jahre später ans Grab. Mit welchen Versen er seine Gefühle in Worte fasste, steht in Kapitel zwei.
ksi
"Normandie. Ein Reisebegleiter" von Sabine Grimkowski. Insel Verlag, Frankfurt 2007. 206 Seiten, zahlreiche Fotos und Pläne. Broschiert, 10 Euro.
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