Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.07.2017Findest du mich nicht auch?
Catherine Morland aus "Northanger Abbey" zeigt: Einen Heiratsmarkt gibt es, aber keinen Liebesmarkt
Wie war die Mutter des Geliebten zu Tode gekommen? Catherine Morland war sich ganz sicher: Das grauenhafte Geheimnis, das die Abtei von Northanger hütete, stand in verblasster Tinte auf einer Papierrolle. Bei Kerzenschein hatte die Romanheldin das Schriftstück heimlich und voller Angst aus den Schubladen eines verschlossenen Sekretärs gezogen. Doch die Kerze erlosch nachts jäh. Anderntags gelesen, war der Zettel - eine Wäscheliste.
Jane Austens erster Roman, "Northanger Abbey", parodiert nicht nur die damaligen Bestseller, jene "gotischen" Schauergeschichten mit ihren Findelkindern, die sich als Thronerben herausstellen, Nonnen, die einst ehebrecherische Schlossfräulein waren, und haufenweise teuflischen Italienern. Catherine Morlands Glück scheitert fast daran, dass sie solchen sentimentalen Romanen Macht über ihr Herz einräumt. Das Buch, das erst 1818 nach Austens Tod erschien, ist auch eine Komödie der Selbsttäuschung. Denn die Wirklichkeit des Schauerschlosses liegt ebenso in der Wäscheliste, wie die Wirklichkeit der Bälle des Seebades Bath, auf denen Morland debütiert, im Heiratsmarkt liegt, die Wirklichkeit des Heiratsmarktes aber im Streben nach sozialer Besserstellung. Mit Glück und Verstand, gibt Austen zu verstehen, hat das alles nur ausnahmsweise zu tun. Morlands Liebesglück scheitert darum auch fast daran, dass falsche Meinungen über ihren Wohlstand und ihre Absichten kursieren, weil sie mal als äußerst lohnende Beute, mal als Mädchen erscheint, das nur darauf aus ist, einen großen Fisch zu angeln.
"Northanger Abbey" handelt davon, dass Gefühle nicht Mittel zum Zweck sein sollten. An keiner Figur des Romans wird das deutlicher als an Isabella Thorpe. An ihr, der allerbesten Freundin von Catherine Morland in Bath, ist alles gespielter Enthusiasmus, Übertreibung, Eigenwerbung. Unausdenkbar, unaussprechlich, unglaublich, unmöglich - das ist ihr Vokabular. Wenn sie fünf Minuten warten muss, war es "eine halbe Ewigkeit" und bestimmt schon eine halbe Stunde. Wenn andere hingegen auf sie warten müssen, geschieht es ihnen recht. Sie muss der Freundin tausend Dinge sagen, das Gespräch betrifft dann Hüte.
Wo Catherine ein hübsches Mädchen sieht, hat Isabella "noch nie etwas auch nur halb so Schönes" gesehen. In einem Satz spricht sie vom einzigen Mann, den sie je geliebt hat, im nächsten von der fürchterlichen Frühjahrsmode. Für ihre Freundinnen tut sie einfach alles, meint aber genau umgekehrt, dass diese alles für sie tun müssen. Wenn die allerbeste Freundin sich dem widersetzt, was sie will, wird sie eisig. Kaum verlobt - und anderes als das Ja seiner Eltern wäre "ihr Tod" gewesen -, hält sie nach Besserem Ausschau. Wen sie gerade erst getroffen hat, kennt sie ganz genau. Auch die Männer kennt sie, die ihr die eitelsten Geschöpfe sind, auf deren Blicke sie nichts gibt, um kurz darauf zu finden, der eine sehe doch ausgesprochen gut aus. Wen sie umgekehrt unbedingt kennenlernen will, für den interessiert sie sich Minuten später kein bisschen mehr. "Das Allerwiderwärtigste" ist für sie aber natürlich "die Unbeständigkeit".
So schwatzt sie dahin - ganz Schwester ihres noch phrasenhafteren Bruders John, der hinter Catherine her ist -, und Austen notiert lakonisch: "Ihre eigenen Gefühle beanspruchten sie völlig." Wenn darum Catherine Morlands Bruder James, der in Isabella Thorpe verliebt ist, ihr viel gesunden Menschenverstand attestiert und dass sie "durch und durch aufrichtig und liebenswürdig" sei, demonstriert das, wie blind Liebe macht.
Noch blinder aber, teilt der Roman mit, macht Selbstliebe aus innerer Schwäche und Engherzigkeit, weil dieses Blindsein nicht geheilt werden kann. An Isabella Thorpe wird demonstriert, wie die Unfähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, zum Unglück disponiert. Wie war ich, war ich nicht gut, findest du nicht auch, du weißt ja, wie ich bin - zum Kampf zwischen Einsicht und Ego kommt es bei ihr nie, nur zu schamloser Reklame des eigenen Werts.
Der Verstand hat so bei ihr immer schon gegen den Willen verloren. Den einzigen Mann, der sie lieben könnte, verliert sie, weil sie ihn für ein Affärchen wegwirft. Die Welt schuldet ihr Bestätigung und die Heirat eines Vermögens. Da sie sich über das Vermögen des Verlobten getäuscht hat und er auch ein wenig fad ist, fühlt sie sich berechtigt, ihm versuchsweise den Rücken zuzuwenden. Doch das Gegenüber ihrer Affäre denkt seinerseits keine Sekunde daran, ihr etwas zu geben. Isabella Thorpe wiederum hat, selbst als sie mit leeren Händen dasteht, nichts über sich gelernt, sondern macht einfach nur weiter in ihrer selbstgerechten Einfalt, die sie für Schläue hält.
So kommen die Welt der Einbildungskraft und die Welt der Ökonomie hier zueinander. Catherine Morland lernt in "Northanger Abbey", dass Romane Romane sind, und sie beobachtet an Isabella Thorpe, wie Liebe keinesfalls gelingen kann: als Mittel. Weder das Lesen noch das Verkaufen führt zum Glück. Isabella Thorpe verkörpert die Haltung, dass Gefühle für eine Frau nur Techniken sind, um dahin zu kommen, wohin sie will: Kosmetika, Kleider, Werbemittel. So benutzen die Autoren der Kitschromane, über die sich Austen lustig macht, die Gefühle. Sie streichen ihre Figuren und Situationen mit ihnen farbig an.
So aber benutzt sie auch Isabella Thorpe. Würde sie über Millionen verfügen und über die Welt, sagt sie an einer Stelle, fiele ihre Wahl auf Catherines Bruder. Die Anglistin Susan Zlotnick hat in einem klugen Kommentar dazu bemerkt, Isabella Thorpe verfüge aber nur über ihre Person und ihre Wahl könne nur auf James Morland fallen, weil der sie seinerseits gewählt habe. Es mag einen Heiratsmarkt geben, heißt das, einen Liebesmarkt gibt es nicht. Das letzte Wort über die in ihrem trostlosen Selbstbetrug eingesperrte Miss Thorpe hat Catherine Morland: "Sie schämte sich Isabellas und schämte sich, sie je geliebt zu haben."
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Catherine Morland aus "Northanger Abbey" zeigt: Einen Heiratsmarkt gibt es, aber keinen Liebesmarkt
Wie war die Mutter des Geliebten zu Tode gekommen? Catherine Morland war sich ganz sicher: Das grauenhafte Geheimnis, das die Abtei von Northanger hütete, stand in verblasster Tinte auf einer Papierrolle. Bei Kerzenschein hatte die Romanheldin das Schriftstück heimlich und voller Angst aus den Schubladen eines verschlossenen Sekretärs gezogen. Doch die Kerze erlosch nachts jäh. Anderntags gelesen, war der Zettel - eine Wäscheliste.
Jane Austens erster Roman, "Northanger Abbey", parodiert nicht nur die damaligen Bestseller, jene "gotischen" Schauergeschichten mit ihren Findelkindern, die sich als Thronerben herausstellen, Nonnen, die einst ehebrecherische Schlossfräulein waren, und haufenweise teuflischen Italienern. Catherine Morlands Glück scheitert fast daran, dass sie solchen sentimentalen Romanen Macht über ihr Herz einräumt. Das Buch, das erst 1818 nach Austens Tod erschien, ist auch eine Komödie der Selbsttäuschung. Denn die Wirklichkeit des Schauerschlosses liegt ebenso in der Wäscheliste, wie die Wirklichkeit der Bälle des Seebades Bath, auf denen Morland debütiert, im Heiratsmarkt liegt, die Wirklichkeit des Heiratsmarktes aber im Streben nach sozialer Besserstellung. Mit Glück und Verstand, gibt Austen zu verstehen, hat das alles nur ausnahmsweise zu tun. Morlands Liebesglück scheitert darum auch fast daran, dass falsche Meinungen über ihren Wohlstand und ihre Absichten kursieren, weil sie mal als äußerst lohnende Beute, mal als Mädchen erscheint, das nur darauf aus ist, einen großen Fisch zu angeln.
"Northanger Abbey" handelt davon, dass Gefühle nicht Mittel zum Zweck sein sollten. An keiner Figur des Romans wird das deutlicher als an Isabella Thorpe. An ihr, der allerbesten Freundin von Catherine Morland in Bath, ist alles gespielter Enthusiasmus, Übertreibung, Eigenwerbung. Unausdenkbar, unaussprechlich, unglaublich, unmöglich - das ist ihr Vokabular. Wenn sie fünf Minuten warten muss, war es "eine halbe Ewigkeit" und bestimmt schon eine halbe Stunde. Wenn andere hingegen auf sie warten müssen, geschieht es ihnen recht. Sie muss der Freundin tausend Dinge sagen, das Gespräch betrifft dann Hüte.
Wo Catherine ein hübsches Mädchen sieht, hat Isabella "noch nie etwas auch nur halb so Schönes" gesehen. In einem Satz spricht sie vom einzigen Mann, den sie je geliebt hat, im nächsten von der fürchterlichen Frühjahrsmode. Für ihre Freundinnen tut sie einfach alles, meint aber genau umgekehrt, dass diese alles für sie tun müssen. Wenn die allerbeste Freundin sich dem widersetzt, was sie will, wird sie eisig. Kaum verlobt - und anderes als das Ja seiner Eltern wäre "ihr Tod" gewesen -, hält sie nach Besserem Ausschau. Wen sie gerade erst getroffen hat, kennt sie ganz genau. Auch die Männer kennt sie, die ihr die eitelsten Geschöpfe sind, auf deren Blicke sie nichts gibt, um kurz darauf zu finden, der eine sehe doch ausgesprochen gut aus. Wen sie umgekehrt unbedingt kennenlernen will, für den interessiert sie sich Minuten später kein bisschen mehr. "Das Allerwiderwärtigste" ist für sie aber natürlich "die Unbeständigkeit".
So schwatzt sie dahin - ganz Schwester ihres noch phrasenhafteren Bruders John, der hinter Catherine her ist -, und Austen notiert lakonisch: "Ihre eigenen Gefühle beanspruchten sie völlig." Wenn darum Catherine Morlands Bruder James, der in Isabella Thorpe verliebt ist, ihr viel gesunden Menschenverstand attestiert und dass sie "durch und durch aufrichtig und liebenswürdig" sei, demonstriert das, wie blind Liebe macht.
Noch blinder aber, teilt der Roman mit, macht Selbstliebe aus innerer Schwäche und Engherzigkeit, weil dieses Blindsein nicht geheilt werden kann. An Isabella Thorpe wird demonstriert, wie die Unfähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen, zum Unglück disponiert. Wie war ich, war ich nicht gut, findest du nicht auch, du weißt ja, wie ich bin - zum Kampf zwischen Einsicht und Ego kommt es bei ihr nie, nur zu schamloser Reklame des eigenen Werts.
Der Verstand hat so bei ihr immer schon gegen den Willen verloren. Den einzigen Mann, der sie lieben könnte, verliert sie, weil sie ihn für ein Affärchen wegwirft. Die Welt schuldet ihr Bestätigung und die Heirat eines Vermögens. Da sie sich über das Vermögen des Verlobten getäuscht hat und er auch ein wenig fad ist, fühlt sie sich berechtigt, ihm versuchsweise den Rücken zuzuwenden. Doch das Gegenüber ihrer Affäre denkt seinerseits keine Sekunde daran, ihr etwas zu geben. Isabella Thorpe wiederum hat, selbst als sie mit leeren Händen dasteht, nichts über sich gelernt, sondern macht einfach nur weiter in ihrer selbstgerechten Einfalt, die sie für Schläue hält.
So kommen die Welt der Einbildungskraft und die Welt der Ökonomie hier zueinander. Catherine Morland lernt in "Northanger Abbey", dass Romane Romane sind, und sie beobachtet an Isabella Thorpe, wie Liebe keinesfalls gelingen kann: als Mittel. Weder das Lesen noch das Verkaufen führt zum Glück. Isabella Thorpe verkörpert die Haltung, dass Gefühle für eine Frau nur Techniken sind, um dahin zu kommen, wohin sie will: Kosmetika, Kleider, Werbemittel. So benutzen die Autoren der Kitschromane, über die sich Austen lustig macht, die Gefühle. Sie streichen ihre Figuren und Situationen mit ihnen farbig an.
So aber benutzt sie auch Isabella Thorpe. Würde sie über Millionen verfügen und über die Welt, sagt sie an einer Stelle, fiele ihre Wahl auf Catherines Bruder. Die Anglistin Susan Zlotnick hat in einem klugen Kommentar dazu bemerkt, Isabella Thorpe verfüge aber nur über ihre Person und ihre Wahl könne nur auf James Morland fallen, weil der sie seinerseits gewählt habe. Es mag einen Heiratsmarkt geben, heißt das, einen Liebesmarkt gibt es nicht. Das letzte Wort über die in ihrem trostlosen Selbstbetrug eingesperrte Miss Thorpe hat Catherine Morland: "Sie schämte sich Isabellas und schämte sich, sie je geliebt zu haben."
JÜRGEN KAUBE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2019Die Schuld geringeren Reichtums
Glänzt durch seine Schauspieler: Ein Hörspiel nach Jane Austens frühem Roman „Northanger Abbey“
Dass die siebzehnjährige Pfarrerstochter Catherine Morland nach Lektüre zahlreicher Schauerromane dazu neigt, die Wirklichkeit mit diesen zu verwechseln, und aus dem nächtlichen Seufzen des Windes auf ein schreckliches Familiengeheimnis schließt, gefährdet ihr Lebensglück gewiss weniger als der naive Glaube, unterschiedliche Vermögensverhältnisse würden in Herzensdingen nicht viel bedeuten. Verglichen mit der Hartherzigkeit einiger Bessergestellter ist der Spuk hinter Tapetentüren meist harmlos.
Neben der Vorliebe für Gothic Novels und romantische Bindungen hat Jane Austen der Heldin ihres frühen Romans „Northanger Abbey“ auch ein frisches Selbstbewusstsein mitgegeben, eine gewisse Unbekümmertheit, die sittenstrengen Beobachtern unschicklich erscheinen muss. An der Seite gut gestellter Freunde der Familie reist Catherine Morland für einige Wochen nach Bath. Sie muss unter die Leute, die „Gesellschaft“ kennenlernen, was vor allem heißt: einen Mann kennenzulernen, der sie heiratet. Und siehe da, kaum hat sie den jungen Henry Tilney getroffen, will sie ihn wieder und wieder sehen. Mühsam nur gelingt es, die Spannung zwischen der Forschheit des Herzens und den Erwartungen ihres Umfelds auszubalancieren. Den Konventionen muss gehorcht werden.
Der Roman ist erst 1818, nach Jane Austens Tod, erschienen, geschrieben hat sie ihn wie andere frühe Werke zur Unterhaltung der Familie. Für den Hessischen Rundfunk hat Silke Hildebrandt den Roman gekürzt und bearbeitet. Ihr Hörspiel besticht vor allem durch die Schauspieler. Anna Drexler trifft den spannungsreichen Gefühlsmix der Catherine Morland genau, das Schwanken zwischen Überschwang und Schüchternheit, zwischen der Freude, Welt und Menschen kennenzulernen, und der nicht ausbleibenden Enttäuschung darüber, wie diese sind. Max Bretschneider spricht Henry Tilney so, dass man dem jungen Mann die Überheblichkeit nicht übel nimmt, mit der er seine neue Bekannte auf Fehler im Wortgebrauch hinweist. Er scheint es nicht böse zu meinen, und schließlich hat auch er eine Schwäche für Anne Radcliffe und „Die Geheimnisse Udolphos“. Auf dem Familiensitz der Tilneys führt die von Romanen in die Irre geleitete Einbildungskraft Catherine Morland in peinliche Situationen. Aber nicht deswegen muss sie Northanger Abbey verlassen.
Es ist ein Gute-Laune-Hörspiel geworden, inszeniert mit hörbarer Freude am gehobenen Milieu, an Konversation, kleinen Spitzen und Bösartigkeiten. Die satirischen Momente des Romans, der manche literarische Konvention parodiert, kommen dabei etwas zu kurz. Getragen vom Schwung der Musik Jakob Diehls reiht sich Szene an Szene.
Vor allem Ulrich Noethen sorgt als Erzähler für dramatische Akzente. So jung, fast verspielt noch, die Protagonisten auch scheinen, es geht ums Ganze, um Lebensglück, den Ruf der Familie. Da ist ein glückliches Ende wenig wahrscheinlich. In der Tat will General Tilney die Heirat seines Sohnes mit Catherine Morland nicht gestatten. Ihre Schuld? Der General wirft ihr vor, dass er Opfer einer Täuschung geworden sei, die er ihr nicht vergeben könne: „Ihre Schuld bestand einzig darin, dass sie weniger reich war, als er angenommen hatte.“
Da hilft auch Aufklärung nicht, wie es zur Täuschung kam. Henry Tilney entzweit sich deswegen mit seinem Vater. Erst als seine Schwester einen wohlhabenden Mann heiratet, führt der „Zugewinn an Ansehen“ beim General zu einem „Ausbruch an Gutmütigkeit“. Er gestattet die Hochzeit der Liebenden. Der Heiratsmarkt scheint doch schauriger als alle Romane Anne Radcliffes.
JENS BISKY
Jane Austen: Northanger Abbey. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Hörspielbearbeitung und Regie: Silke Hildebrandt. Mit Ulrich Noethen, Anna Drexler, Anne Müller u. v .m. Der Hörverlag, München 2019. 2 CDs, 150 Minuten, 20 Euro.
Weil die Schwester eine gute
Partie macht, darf endlich auch
Henry seine Catherine ehelichen
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Glänzt durch seine Schauspieler: Ein Hörspiel nach Jane Austens frühem Roman „Northanger Abbey“
Dass die siebzehnjährige Pfarrerstochter Catherine Morland nach Lektüre zahlreicher Schauerromane dazu neigt, die Wirklichkeit mit diesen zu verwechseln, und aus dem nächtlichen Seufzen des Windes auf ein schreckliches Familiengeheimnis schließt, gefährdet ihr Lebensglück gewiss weniger als der naive Glaube, unterschiedliche Vermögensverhältnisse würden in Herzensdingen nicht viel bedeuten. Verglichen mit der Hartherzigkeit einiger Bessergestellter ist der Spuk hinter Tapetentüren meist harmlos.
Neben der Vorliebe für Gothic Novels und romantische Bindungen hat Jane Austen der Heldin ihres frühen Romans „Northanger Abbey“ auch ein frisches Selbstbewusstsein mitgegeben, eine gewisse Unbekümmertheit, die sittenstrengen Beobachtern unschicklich erscheinen muss. An der Seite gut gestellter Freunde der Familie reist Catherine Morland für einige Wochen nach Bath. Sie muss unter die Leute, die „Gesellschaft“ kennenlernen, was vor allem heißt: einen Mann kennenzulernen, der sie heiratet. Und siehe da, kaum hat sie den jungen Henry Tilney getroffen, will sie ihn wieder und wieder sehen. Mühsam nur gelingt es, die Spannung zwischen der Forschheit des Herzens und den Erwartungen ihres Umfelds auszubalancieren. Den Konventionen muss gehorcht werden.
Der Roman ist erst 1818, nach Jane Austens Tod, erschienen, geschrieben hat sie ihn wie andere frühe Werke zur Unterhaltung der Familie. Für den Hessischen Rundfunk hat Silke Hildebrandt den Roman gekürzt und bearbeitet. Ihr Hörspiel besticht vor allem durch die Schauspieler. Anna Drexler trifft den spannungsreichen Gefühlsmix der Catherine Morland genau, das Schwanken zwischen Überschwang und Schüchternheit, zwischen der Freude, Welt und Menschen kennenzulernen, und der nicht ausbleibenden Enttäuschung darüber, wie diese sind. Max Bretschneider spricht Henry Tilney so, dass man dem jungen Mann die Überheblichkeit nicht übel nimmt, mit der er seine neue Bekannte auf Fehler im Wortgebrauch hinweist. Er scheint es nicht böse zu meinen, und schließlich hat auch er eine Schwäche für Anne Radcliffe und „Die Geheimnisse Udolphos“. Auf dem Familiensitz der Tilneys führt die von Romanen in die Irre geleitete Einbildungskraft Catherine Morland in peinliche Situationen. Aber nicht deswegen muss sie Northanger Abbey verlassen.
Es ist ein Gute-Laune-Hörspiel geworden, inszeniert mit hörbarer Freude am gehobenen Milieu, an Konversation, kleinen Spitzen und Bösartigkeiten. Die satirischen Momente des Romans, der manche literarische Konvention parodiert, kommen dabei etwas zu kurz. Getragen vom Schwung der Musik Jakob Diehls reiht sich Szene an Szene.
Vor allem Ulrich Noethen sorgt als Erzähler für dramatische Akzente. So jung, fast verspielt noch, die Protagonisten auch scheinen, es geht ums Ganze, um Lebensglück, den Ruf der Familie. Da ist ein glückliches Ende wenig wahrscheinlich. In der Tat will General Tilney die Heirat seines Sohnes mit Catherine Morland nicht gestatten. Ihre Schuld? Der General wirft ihr vor, dass er Opfer einer Täuschung geworden sei, die er ihr nicht vergeben könne: „Ihre Schuld bestand einzig darin, dass sie weniger reich war, als er angenommen hatte.“
Da hilft auch Aufklärung nicht, wie es zur Täuschung kam. Henry Tilney entzweit sich deswegen mit seinem Vater. Erst als seine Schwester einen wohlhabenden Mann heiratet, führt der „Zugewinn an Ansehen“ beim General zu einem „Ausbruch an Gutmütigkeit“. Er gestattet die Hochzeit der Liebenden. Der Heiratsmarkt scheint doch schauriger als alle Romane Anne Radcliffes.
JENS BISKY
Jane Austen: Northanger Abbey. Aus dem Englischen von Andrea Ott. Hörspielbearbeitung und Regie: Silke Hildebrandt. Mit Ulrich Noethen, Anna Drexler, Anne Müller u. v .m. Der Hörverlag, München 2019. 2 CDs, 150 Minuten, 20 Euro.
Weil die Schwester eine gute
Partie macht, darf endlich auch
Henry seine Catherine ehelichen
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