»Nosig« sagen die Fliegermeteorologen und meinen: »No significant change«. Der Held der Erzählung kündigt seinen Traumjob und verabschiedet sich von einer quälenden Kindheit. Er hat Lena getroffen, Norwegisch gelernt, um in ihrer Muttersprache mit ihr zu schweigen, und wird ihr schließlich nach Skandinavien folgen. Nosig ist ein Roman der Befreiung. Florian Bergmeier erzählt in einer klaren Sprache den Abschied eines Mannes von einem Leben, das sich plötzlich überholt hat.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.03.2000Die Faust im Kopf
Florian Bergmeier reist fjordwärts
Beim Vater war das nix mit den Frauen, jedenfalls nicht mit der Frau, bei der die Geschwisterkinder seinen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht beobachten konnten. "Eure Mutter ist eine wehleidige, geldgierige faule Schlampe", erklärt er der verstörten Brut auf den Autorücksitzen, nachdem er zuvor die Mutter vor ihren Augen zusammengeschlagen hat, als sie darum bat, wegen krankheitsbedingter zeitweiliger Schwäche auf die Zubereitung des Mittagsessens verzichten zu dürfen. In Uniform hätte der Vater gut den Bilderbuchnazi in einem englischen Spielfilm mit pointiert deutschkritischer Tendenz geben können. Vielleicht hat er ja auch mal Uniform getragen, aber als Sohn, Tochter und Frau unter ihm litten, verdiente er mit einer nicht näher gekennzeichneten Tätigkeit im "Palmenland", das irgendwo in Asien liegen dürfte, ausreichend Geld für eine großbürgerliche Existenz.
Der Sohn, der uns das alles erzählt, ist nun wohl so um die dreißig und lebt in unseren Tagen in Hamburg. Das allerdings nur am Wochenende, die Werktage verbringt er vagabundierend in irgendeiner Art besserer Drückerkolonne unter "von Selbstzufriedenheit aufgedunsenen Kollegen", in täglich wechselnden Gruselhotels; "vor dem Fenster liegt der Flughafen von Hannover. Kann es einen elenderen Ausblick geben?"
Auch die Wochenendausblicke sind, bis er auf Lena trifft, nicht gerade berückend. Da war zwar mal was, mit einer Doro, mit einer Anna und E., einer Kollegin, aber alles von recht begrenztem Frohsinn. Nun aber Lena, "ihre Natürlichkeit, dieser ungeschminkte, schöne, klare Kopf. Ihre Ruhe, ihre Geduld". Da würde er sich gern angekommen fühlen. Das ist aber heikel, weil Lena auf dem Sprung ist. Drei Tage nach ihrem ersten Aufeinandertreffen erklärt sie ihm, sie wolle nach mehreren Jahren Büroarbeit in Hamburg nun bald zurück in die - schmerzlich vermisste - Heimat, nach Norwegen, zur Familie und zu den Fjorden. Lohnt unter solchen Umständen weiteres libidinöses Investment überhaupt noch? Ist ihr Weggang nicht auch ein Affront gegen ihn? Wartet im hohen Norden schon der etatmäßige Liebhaber? Fragen über Fragen, die der Sehnende werktags solistisch nicht klären kann und die auch durch Zwölfmarksbiere aus wechselnden Minibars kaum zu beantworten sind. Entspannung kann nur die Wochenendbegegnung mit Lena bringen. Die ist auch wider Erwarten freundlichst zugänglich, aber eben mit immer absehbarerem, genau terminiertem Ende, und je näher das rückt, desto größer werden die lebensreformerischen Entwürfe des Icherzählers: "In meinem Kopf ballt sich eine Faust zusammen. Ich kann dieses Leben nicht länger mitmachen, kann mich nicht mehr von fremdem Willen einsperren lassen." Dreiundfünfzig Seiten später wird nach Lenas Weggang diese Einsicht praktisch: "Kündigen werde ich und zu Lena fahren. Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Versagen kann ich akzeptieren, nicht aber, mein Leben nicht versucht zu haben." Unmittelbar nach Ende der zweimonatigen Kündigungsfrist senkt sich das Flugzeug auf die Landebahn von Trondheim, und Lena fände es schön, wenn er länger bliebe. Wer wollte sich dem nicht anschließen?
Ach, es geht bunt zu in Bergmeiers Textgebäude. Da verknäulen sich Försterroman und Discount-Kulturkritik mit einer bilderlosen Bravo-Foto-Story, und die gut abgehangenen Standardsätze blinzeln irritiert auf ihre noch nie gehörten Halbbrüder, wo Wohnungen reisefertig und Köpfe ungeschminkt sind und Lena sich die verletzenden Erlebnisse nicht abschwatzen lässt. Der Endunterzeichnete schlägt vor, solche Art Literatur künftig unter der Kategorie "nosig" einzuordnen. Dies nun nicht in der Deutung des Klappentextes, wo behauptet wird, der Romantitel sei ein Kürzel der Fliegermeteorologen und stehe für "no significant change". Das ist angesichts der dargestellten Veränderungsdramatik Unsinn. Nein, "Nosig" steht für "no significance". Nur so wird der Titel des Buches zum Hinweis auf den Inhalt.
BURKHARD SCHERER
Florian Bergmeier: "Nosig". Roman. Elfenbein Verlag, Heidelberg 1999. 191 S., geb., 36,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Florian Bergmeier reist fjordwärts
Beim Vater war das nix mit den Frauen, jedenfalls nicht mit der Frau, bei der die Geschwisterkinder seinen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht beobachten konnten. "Eure Mutter ist eine wehleidige, geldgierige faule Schlampe", erklärt er der verstörten Brut auf den Autorücksitzen, nachdem er zuvor die Mutter vor ihren Augen zusammengeschlagen hat, als sie darum bat, wegen krankheitsbedingter zeitweiliger Schwäche auf die Zubereitung des Mittagsessens verzichten zu dürfen. In Uniform hätte der Vater gut den Bilderbuchnazi in einem englischen Spielfilm mit pointiert deutschkritischer Tendenz geben können. Vielleicht hat er ja auch mal Uniform getragen, aber als Sohn, Tochter und Frau unter ihm litten, verdiente er mit einer nicht näher gekennzeichneten Tätigkeit im "Palmenland", das irgendwo in Asien liegen dürfte, ausreichend Geld für eine großbürgerliche Existenz.
Der Sohn, der uns das alles erzählt, ist nun wohl so um die dreißig und lebt in unseren Tagen in Hamburg. Das allerdings nur am Wochenende, die Werktage verbringt er vagabundierend in irgendeiner Art besserer Drückerkolonne unter "von Selbstzufriedenheit aufgedunsenen Kollegen", in täglich wechselnden Gruselhotels; "vor dem Fenster liegt der Flughafen von Hannover. Kann es einen elenderen Ausblick geben?"
Auch die Wochenendausblicke sind, bis er auf Lena trifft, nicht gerade berückend. Da war zwar mal was, mit einer Doro, mit einer Anna und E., einer Kollegin, aber alles von recht begrenztem Frohsinn. Nun aber Lena, "ihre Natürlichkeit, dieser ungeschminkte, schöne, klare Kopf. Ihre Ruhe, ihre Geduld". Da würde er sich gern angekommen fühlen. Das ist aber heikel, weil Lena auf dem Sprung ist. Drei Tage nach ihrem ersten Aufeinandertreffen erklärt sie ihm, sie wolle nach mehreren Jahren Büroarbeit in Hamburg nun bald zurück in die - schmerzlich vermisste - Heimat, nach Norwegen, zur Familie und zu den Fjorden. Lohnt unter solchen Umständen weiteres libidinöses Investment überhaupt noch? Ist ihr Weggang nicht auch ein Affront gegen ihn? Wartet im hohen Norden schon der etatmäßige Liebhaber? Fragen über Fragen, die der Sehnende werktags solistisch nicht klären kann und die auch durch Zwölfmarksbiere aus wechselnden Minibars kaum zu beantworten sind. Entspannung kann nur die Wochenendbegegnung mit Lena bringen. Die ist auch wider Erwarten freundlichst zugänglich, aber eben mit immer absehbarerem, genau terminiertem Ende, und je näher das rückt, desto größer werden die lebensreformerischen Entwürfe des Icherzählers: "In meinem Kopf ballt sich eine Faust zusammen. Ich kann dieses Leben nicht länger mitmachen, kann mich nicht mehr von fremdem Willen einsperren lassen." Dreiundfünfzig Seiten später wird nach Lenas Weggang diese Einsicht praktisch: "Kündigen werde ich und zu Lena fahren. Vielleicht klappt es, vielleicht nicht. Versagen kann ich akzeptieren, nicht aber, mein Leben nicht versucht zu haben." Unmittelbar nach Ende der zweimonatigen Kündigungsfrist senkt sich das Flugzeug auf die Landebahn von Trondheim, und Lena fände es schön, wenn er länger bliebe. Wer wollte sich dem nicht anschließen?
Ach, es geht bunt zu in Bergmeiers Textgebäude. Da verknäulen sich Försterroman und Discount-Kulturkritik mit einer bilderlosen Bravo-Foto-Story, und die gut abgehangenen Standardsätze blinzeln irritiert auf ihre noch nie gehörten Halbbrüder, wo Wohnungen reisefertig und Köpfe ungeschminkt sind und Lena sich die verletzenden Erlebnisse nicht abschwatzen lässt. Der Endunterzeichnete schlägt vor, solche Art Literatur künftig unter der Kategorie "nosig" einzuordnen. Dies nun nicht in der Deutung des Klappentextes, wo behauptet wird, der Romantitel sei ein Kürzel der Fliegermeteorologen und stehe für "no significant change". Das ist angesichts der dargestellten Veränderungsdramatik Unsinn. Nein, "Nosig" steht für "no significance". Nur so wird der Titel des Buches zum Hinweis auf den Inhalt.
BURKHARD SCHERER
Florian Bergmeier: "Nosig". Roman. Elfenbein Verlag, Heidelberg 1999. 191 S., geb., 36,- DM.
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