Joseph Conrads Meisterwerk "Nostromo" entführt den Leser in die fiktive südamerikanische Republik Costaguana, wo der unstillbare Drang nach Reichtum und Macht die gesellschaftlichen Strukturen und menschlichen Beziehungen zerfrisst. Durch seine präzise und dichte Prosa erschafft Conrad ein vielschichtiges Bild einer durch Kolonialismus und Kapitalismus geprägten Welt, in der die Figuren - Ende des 19. Jahrhunderts verortet - sowohl Teilnehmer als auch Opfer eines unentrinnbaren Schicksals sind. Der Roman spielt mit dem Konzept von Wert und Materie, während er sich in seinem komplexen Narrative den Themen von Imperialismus, Korruption und der Natur des menschlichen Verlangens widmet. Joseph Conrad, geboren 1857 in Polen, war ein erklärter Kritiker des Imperialismus, dessen eigene Erfahrungen auf See und die Perspektiven der Kolonialpolitik in seinen Werken stark verankert sind. Diese persönlichen sowie politischen Einflüsse spiegeln sich in "Nostromo" wider, wo er nicht nur die moralischen Abgründe der Protagonisten auslotet, sondern auch die Auswirkungen des wirtschaftlichen Ausbeutungsmechanismus auf die Kulturen und Menschen, die ihm ausgeliefert sind. "Nostromo" ist nicht nur ein fesselnder Roman über den Kampf um Macht und Eigentum, sondern auch ein zeitloses Werk, das zum Nachdenken über die ethischen Dimensionen von Gier und Korruption anregt. Leser, die sich für die Wechselwirkungen zwischen Politik, Wirtschaft und menschlichem Verhalten interessieren, werden in diesem profunden Werk wertvolle Einsichten finden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2024In den Häfen
spuken die Geister
In den Abkürzungen steckt die Moderne. Es gibt noch Segelschiffe, aber das Kommando über die Handelsaktivitäten im Hafen von Sulaco führt die OSN, die Oceanic Steam Navigation Company. Die Dampfschiffe werden von Kapitalströmen umspült. In Joseph Conrads „Nostromo“, 1904 erschienen, klingt der Name des Titelhelden nach Magie, die südamerikanische Republik Costaguana wie erfunden (und ist es auch), und in der Silbermine spuken die Geister der Schatzsucherei. Aber nicht die Geister rumoren, sondern die Befreiungsbewegungen der indigenen Bevölkerung. Die politischen Akteure verbünden sich mit dem Pressewesen. Conrad überführt den Abenteuerroman in die industrielle Welt. In der Abgründigkeit der Figuren steckt deren Kritik. „Geschäftsleute sind oft ebenso lebhaft und einfallsreich wie Liebende.“ Das ist ein Schlüsselsatz.
LOTHAR MÜLLER
Joseph Conrad:
Nostromo. Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt von Julian
Haefs und Gisbert
Haefs. Mit einem
Nachwort von Robert
Menasse. Manesse
Verlag, München 2024.
560 Seiten, 38 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
spuken die Geister
In den Abkürzungen steckt die Moderne. Es gibt noch Segelschiffe, aber das Kommando über die Handelsaktivitäten im Hafen von Sulaco führt die OSN, die Oceanic Steam Navigation Company. Die Dampfschiffe werden von Kapitalströmen umspült. In Joseph Conrads „Nostromo“, 1904 erschienen, klingt der Name des Titelhelden nach Magie, die südamerikanische Republik Costaguana wie erfunden (und ist es auch), und in der Silbermine spuken die Geister der Schatzsucherei. Aber nicht die Geister rumoren, sondern die Befreiungsbewegungen der indigenen Bevölkerung. Die politischen Akteure verbünden sich mit dem Pressewesen. Conrad überführt den Abenteuerroman in die industrielle Welt. In der Abgründigkeit der Figuren steckt deren Kritik. „Geschäftsleute sind oft ebenso lebhaft und einfallsreich wie Liebende.“ Das ist ein Schlüsselsatz.
LOTHAR MÜLLER
Joseph Conrad:
Nostromo. Roman.
Aus dem Englischen
übersetzt von Julian
Haefs und Gisbert
Haefs. Mit einem
Nachwort von Robert
Menasse. Manesse
Verlag, München 2024.
560 Seiten, 38 Euro
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Man muss sich bei der Lektüre dieses Romans einfach treiben lassen, empfiehlt Rezensent Paul Ingendaay angesichts der von Gisbert und Julian Haefs neu besorgten Übersetzung von Joseph Conrads "Nostromo", das im fiktiven lateinamerikanischen Land Costaguana angesiedelt ist und dessen "blutige Geschichte" enthüllt. Mit den Erzählbewegungen, die stetig in der Zeit vor und zurück springen, nähert sich Conrad seinen Figuren "wie ein Staubsauger", so Ingendaay, etwa dem unterkühlten Investor Holroyd oder der Familie Gould, die die zentrale Silbermine betreibt. Die Figuren werden mit ausgeklügelter psychologischer Rafinesse in all ihrer Abgründigkeit und Menschlichkeit geschildert, so Ingedaay - also Zeit, diesen großen Roman neu zu entdecken, der zu seinem Erscheinen 1904 ein Misserfolg war, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
»Erstaunlich modern und staunenswert zeitgemäß.« Buchkultur