Some of the most controversial and consequential debates about the legacy of the ancients are raging not in universities but online, where alt-right men's groups deploy ancient sources to justify misogyny and a return of antifeminist masculinity. Donna Zuckerberg dives deep to take a look at this unexpected reanimation of the Classical tradition.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2019Die Modernisierung der Antike
Der Streit um politisch korrekte Deutung hat die Altertumswissenschaften ergriffen. Soll man die antike Welt am Maßstab der Gegenwart messen?
Die Veränderung ist klein, aber in ihr verdichtet sich eine Entwicklung, die in den amerikanischen Altertumswissenschaften immer wichtiger geworden ist: Auf dem Titelblatt der Herbst-Ausgabe des American Journal of Philology, einer der international angesehensten Zeitschriften in der Klassischen Philologie, steht nicht mehr "begründet von Basil Lanneau Gildersleeve, 1880". Über Jahrzehnte hinweg Ausdruck des Stolzes auf eine für amerikanische Verhältnisse lange Tradition, ist der Verweis auf einen der ersten namhaften amerikanischen Philologen politisch nicht mehr opportun. Denn Gildersleeve, so die Herausgeber in einer kurzen Erklärung, war ein Rassist und Unterstützer der Südstaaten-Konföderation im Amerikanischen Bürgerkrieg.
Eine drastischere Maßnahme im Kampf gegen Rassismus, diesmal in der Gegenwart, ergriff jüngst die aufwendig produzierte Online-Zeitschrift Eidolon, beliebt vor allem unter jüngeren Altertumswissenschaftlern für ihre Brückenschläge zwischen Antike und Gegenwart. Wie die Herausgeberin, Donna Zuckerberg, in einem Editorial mitteilt, sollen von nun an die Essays zu siebzig Prozent von Frauen und zu zwanzig Prozent von "people of color" verfasst werden. Mit dieser als "wirklich ziemlich bescheiden" eingeführten Verpflichtung seien beide Gruppen überrepräsentiert, aber das sei genau das Anliegen: historisch Unterprivilegierten eine Stimme zu geben. Dabei zeigt sich, dass Sensibilitäten für Identitätspolitik und Datenschutz nicht notwendigerweise koinzidieren. So erhebt Eidolon die für die Durchsetzung der Quote notwendigen Daten mit einem Formular von Google (Donna Zuckerberg ist die Schwester des Facebook-Vorsitzenden).
Wie explosiv das Thema Rassismus gegenwärtig in den amerikanischen Altertumswissenschaften ist, führte ein Eklat bei der diesjährigen Tagung der amerikanischen Society for Classical Studies in San Diego vor Augen. Nach einer Sektion zur "Zukunft der Altertumswissenschaften" wurde eine Teilnehmerin, Mary Frances Williams, von der Konferenz ausgeschlossen, da sie zu einem der Referenten, Dan-el Padilla Peralta, gesagt habe, er verdanke seine Professur in Princeton seiner schwarzen Hautfarbe. Auch als eine Handy-Aufnahme der Diskussion zeigte, dass Williams dies insinuiert, aber nicht behauptet hatte ("you may have got your job because you're black, but I would prefer to think you got your job because of merit"), hielten das Präsidium und das Ethik-Komitee der Society for Classical Studies an der Entscheidung fest.
Peralta bemerkte im Anschluss, seine Herkunft hätte in der Tat der Grund für seine Einstellung in Princeton sein sollen, denn seine persönlichen Erfahrungen als gebürtiger Dominikaner und Immigrant führten zu neuen Einsichten in einem traditionell weißen Fach.
Nicht nur die ungeminderte Virulenz des Rassismus in den Vereinigten Staaten und die unter Trumps Präsidentschaft weiter fortschreitende Polarisierung tragen zur Brisanz gesellschaftspolitischer Themen in den traditionell eher unpolitischen Altertumswissenschaften bei. In Deutschland neigt die Neue Rechte vor allem nationalistischen Positionen zu und beruft sich, wenn sie sich einen intellektuellen Anstrich geben möchte, auf Denker der Weimarer Republik wie Carl Schmitt und, blickt sie über Deutschland hinaus, auf Julius Evola und andere Modernekritiker.
In den Vereinigten Staaten dagegen erhebt ein weites Spektrum rechter Intellektueller Anspruch auf das Erbe der Antike. Thukydides gilt Vertretern des Politischen Realismus als Gewährsmann für eine Machtpolitik, die auf dem Recht des Stärkeren gründet. Steve Bannon bezeichnete sich als großen Fan seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Vor allem aber ziehen Suprematisten die antike Literatur und Philosophie als Beleg für die Überlegenheit "weißer Kultur" heran. Nicht zuletzt dieser Vereinnahmung der Antike durch die Rechte widersetzen sich liberale Altertumswissenschaftler, die den Kampf um das antike Erbe aufnehmen.
In ihrem vielbeachteten Buch "Not All Dead White Men: Classics and Misogyny in the Digital Age" (2018) untersucht Donna Zuckerberg eingehend Texte, die nicht nur misogyne, sondern auch rassistische Ideologien mit Material aus der Antike zu zementieren versuchen. Ihre Zeitschrift Eidolon ist auch der Versuch, andere Zugänge zur griechischen und römischen Literatur zu verbreiten und damit die liberale Deutungshoheit zu behaupten. Wo die rechten Interpreten, viele von ihnen ohne universitäre Verankerung, nach einer Bestätigung "abendländischer Werte" suchen, finden ihre institutionell oft etablierten Opponenten Polyphonie und Diversität.
Die starke Präsenz gesellschaftspolitischer Themen an amerikanischen Universitäten hat zu einem Auseinanderdriften der amerikanischen und europäischen Altertumswissenschaften geführt. Die dabei entstehende Kluft wurde sichtbar in einer Diskussion, welche die Ankündigung einer Konferenz auf der Liverpool Classics List Ende 2017 auslöste. Doktoranden eines Wuppertaler Graduiertenkollegs warben für ihre Konferenz mit dem Titel "(un)documented - Was bleibt vom Dokument in der Edition?". Andrew Feldherr, Professor in Princeton und international angesehener Gelehrter auf dem Gebiet der römischen Dichtung und Historiographie, forderte in einer Nachricht über die Liverpool Classics List die Organisatoren auf, den Titel zu ändern. Mit "undocumented", so Feldherr, nutzten sie einen Begriff, hinter dem sich zahllose Tragödien von Immigranten ohne Einreisegenehmigung in die Vereinigten Staaten verbärgen, um Aufmerksamkeit für eine Konferenz zu einem ganz anderen Thema zu erzeugen.
Die darauffolgenden Kommentare erhellten, dass amerikanische und europäische Altertumswissenschaftler verschiedene Sprachen zu sprechen scheinen. Feldherrs Forderung wurde von amerikanischen Philologen unterstützt, die den Zynismus der Ankündigung anprangerten. Die Konferenzorganisatoren wiederum beteuerten, ihnen sei die politische Signifikanz des Begriffs "undocumented" nicht bewusst gewesen. Andere europäische Kollegen fügten hinzu, es sei nicht ersichtlich, warum man bei einer Tagung in Deutschland Rücksicht auf spezifisch amerikanische Sensibilitäten nehmen müsse. Ebenso wie die Forderungen nach Namensänderungen oder Entfernung von Monumenten es oft versäumten, die inkriminierten Männer im Kontext ihrer eigenen Zeit zu betrachten, vergäßen die amerikanischen Kollegen in diesem Fall, dass es eine Welt jenseits der Vereinigten Staaten gebe. Von dieser Warte aus betrachtet, wäre das Bemühen um politische Korrektheit ein Akt des Kulturimperialismus, der amerikanische Probleme und Standards auf Europa projiziert.
Beendet wurde die Debatte von Nick Lowe, dem Verantwortlichen der Liverpool Classics List: Ebenso wie ein internationales Forum "lokale Korruptionen des Diskurses" berücksichtigen müsse, meinte er, sei auf politische und institutionelle Asymmetrien zu achten. Einige Kollegen, so Lowe, sprächen sogar von einem "shaming", das hier ein Professor mit hoher Seniorität über Doktoranden verhängt habe. Dieser abschließende Kommentar macht deutlich, dass sich die Forderungen der Identitätspolitik auch über die Analyse von Machtverhältnissen, traditionell ein zentrales Anliegen linker Ideologiekritik, hinwegzusetzen vermögen. Auch in der Diskussion um die Auseinandersetzung zwischen Peralta und Williams spielte keine Rolle, dass hier ein Professor an einer Ivy League School einer Frau ohne feste universitäre Anstellung entgegentrat.
Gewähren uns die gegenwärtigen Diskussionen in Amerika einen Einblick in die Zukunft der deutschen Altertumswissenschaften? Die Konjunktur der politischen Korrektheit scheint der spezifischen Situation in den Vereinigten Staaten geschuldet zu sein, den neuen politischen Rahmenbedingungen und dem Rückgriff rechter Ideologen auf antike Literatur und Philosophie. Zugleich haben für andere Disziplinen in Deutschland politische Fragen bereits an Bedeutung gewonnen, wie etwa die Resolution des Historikertages 2018 in Münster zum Rechtspopulismus zeigt. Bislang wurden jedoch noch keine Forderungen erhoben, der Mommsen-Gesellschaft, dem Verband der deutschen Altertumswissenschaftler, einen neuen Namen zu geben. Mommsen macht es den Anwälten der politischen Korrektheit auch nicht leicht, kritisierte er doch anders als viele seiner Zeitgenossen Imperialismus und Antisemitismus ausdrücklich.
Ist der Bruno-Snell-Preis, mit dem die Mommsen-Gesellschaft alle zwei Jahre herausragende Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern auszeichnet, anfälliger? Snell war ein Gegner des Nationalsozialismus, aber würden seine Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen einer postkolonialistischen Kritik standhalten? Wäre eine solche Kritik aber nicht eine Kolonialisierung der Vergangenheit mit den Maßstäben der Gegenwart?
JONAS GRETHLEIN
Der Verfasser ist Professor für Altphilologie an der Universität Heidelberg.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Der Streit um politisch korrekte Deutung hat die Altertumswissenschaften ergriffen. Soll man die antike Welt am Maßstab der Gegenwart messen?
Die Veränderung ist klein, aber in ihr verdichtet sich eine Entwicklung, die in den amerikanischen Altertumswissenschaften immer wichtiger geworden ist: Auf dem Titelblatt der Herbst-Ausgabe des American Journal of Philology, einer der international angesehensten Zeitschriften in der Klassischen Philologie, steht nicht mehr "begründet von Basil Lanneau Gildersleeve, 1880". Über Jahrzehnte hinweg Ausdruck des Stolzes auf eine für amerikanische Verhältnisse lange Tradition, ist der Verweis auf einen der ersten namhaften amerikanischen Philologen politisch nicht mehr opportun. Denn Gildersleeve, so die Herausgeber in einer kurzen Erklärung, war ein Rassist und Unterstützer der Südstaaten-Konföderation im Amerikanischen Bürgerkrieg.
Eine drastischere Maßnahme im Kampf gegen Rassismus, diesmal in der Gegenwart, ergriff jüngst die aufwendig produzierte Online-Zeitschrift Eidolon, beliebt vor allem unter jüngeren Altertumswissenschaftlern für ihre Brückenschläge zwischen Antike und Gegenwart. Wie die Herausgeberin, Donna Zuckerberg, in einem Editorial mitteilt, sollen von nun an die Essays zu siebzig Prozent von Frauen und zu zwanzig Prozent von "people of color" verfasst werden. Mit dieser als "wirklich ziemlich bescheiden" eingeführten Verpflichtung seien beide Gruppen überrepräsentiert, aber das sei genau das Anliegen: historisch Unterprivilegierten eine Stimme zu geben. Dabei zeigt sich, dass Sensibilitäten für Identitätspolitik und Datenschutz nicht notwendigerweise koinzidieren. So erhebt Eidolon die für die Durchsetzung der Quote notwendigen Daten mit einem Formular von Google (Donna Zuckerberg ist die Schwester des Facebook-Vorsitzenden).
Wie explosiv das Thema Rassismus gegenwärtig in den amerikanischen Altertumswissenschaften ist, führte ein Eklat bei der diesjährigen Tagung der amerikanischen Society for Classical Studies in San Diego vor Augen. Nach einer Sektion zur "Zukunft der Altertumswissenschaften" wurde eine Teilnehmerin, Mary Frances Williams, von der Konferenz ausgeschlossen, da sie zu einem der Referenten, Dan-el Padilla Peralta, gesagt habe, er verdanke seine Professur in Princeton seiner schwarzen Hautfarbe. Auch als eine Handy-Aufnahme der Diskussion zeigte, dass Williams dies insinuiert, aber nicht behauptet hatte ("you may have got your job because you're black, but I would prefer to think you got your job because of merit"), hielten das Präsidium und das Ethik-Komitee der Society for Classical Studies an der Entscheidung fest.
Peralta bemerkte im Anschluss, seine Herkunft hätte in der Tat der Grund für seine Einstellung in Princeton sein sollen, denn seine persönlichen Erfahrungen als gebürtiger Dominikaner und Immigrant führten zu neuen Einsichten in einem traditionell weißen Fach.
Nicht nur die ungeminderte Virulenz des Rassismus in den Vereinigten Staaten und die unter Trumps Präsidentschaft weiter fortschreitende Polarisierung tragen zur Brisanz gesellschaftspolitischer Themen in den traditionell eher unpolitischen Altertumswissenschaften bei. In Deutschland neigt die Neue Rechte vor allem nationalistischen Positionen zu und beruft sich, wenn sie sich einen intellektuellen Anstrich geben möchte, auf Denker der Weimarer Republik wie Carl Schmitt und, blickt sie über Deutschland hinaus, auf Julius Evola und andere Modernekritiker.
In den Vereinigten Staaten dagegen erhebt ein weites Spektrum rechter Intellektueller Anspruch auf das Erbe der Antike. Thukydides gilt Vertretern des Politischen Realismus als Gewährsmann für eine Machtpolitik, die auf dem Recht des Stärkeren gründet. Steve Bannon bezeichnete sich als großen Fan seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges. Vor allem aber ziehen Suprematisten die antike Literatur und Philosophie als Beleg für die Überlegenheit "weißer Kultur" heran. Nicht zuletzt dieser Vereinnahmung der Antike durch die Rechte widersetzen sich liberale Altertumswissenschaftler, die den Kampf um das antike Erbe aufnehmen.
In ihrem vielbeachteten Buch "Not All Dead White Men: Classics and Misogyny in the Digital Age" (2018) untersucht Donna Zuckerberg eingehend Texte, die nicht nur misogyne, sondern auch rassistische Ideologien mit Material aus der Antike zu zementieren versuchen. Ihre Zeitschrift Eidolon ist auch der Versuch, andere Zugänge zur griechischen und römischen Literatur zu verbreiten und damit die liberale Deutungshoheit zu behaupten. Wo die rechten Interpreten, viele von ihnen ohne universitäre Verankerung, nach einer Bestätigung "abendländischer Werte" suchen, finden ihre institutionell oft etablierten Opponenten Polyphonie und Diversität.
Die starke Präsenz gesellschaftspolitischer Themen an amerikanischen Universitäten hat zu einem Auseinanderdriften der amerikanischen und europäischen Altertumswissenschaften geführt. Die dabei entstehende Kluft wurde sichtbar in einer Diskussion, welche die Ankündigung einer Konferenz auf der Liverpool Classics List Ende 2017 auslöste. Doktoranden eines Wuppertaler Graduiertenkollegs warben für ihre Konferenz mit dem Titel "(un)documented - Was bleibt vom Dokument in der Edition?". Andrew Feldherr, Professor in Princeton und international angesehener Gelehrter auf dem Gebiet der römischen Dichtung und Historiographie, forderte in einer Nachricht über die Liverpool Classics List die Organisatoren auf, den Titel zu ändern. Mit "undocumented", so Feldherr, nutzten sie einen Begriff, hinter dem sich zahllose Tragödien von Immigranten ohne Einreisegenehmigung in die Vereinigten Staaten verbärgen, um Aufmerksamkeit für eine Konferenz zu einem ganz anderen Thema zu erzeugen.
Die darauffolgenden Kommentare erhellten, dass amerikanische und europäische Altertumswissenschaftler verschiedene Sprachen zu sprechen scheinen. Feldherrs Forderung wurde von amerikanischen Philologen unterstützt, die den Zynismus der Ankündigung anprangerten. Die Konferenzorganisatoren wiederum beteuerten, ihnen sei die politische Signifikanz des Begriffs "undocumented" nicht bewusst gewesen. Andere europäische Kollegen fügten hinzu, es sei nicht ersichtlich, warum man bei einer Tagung in Deutschland Rücksicht auf spezifisch amerikanische Sensibilitäten nehmen müsse. Ebenso wie die Forderungen nach Namensänderungen oder Entfernung von Monumenten es oft versäumten, die inkriminierten Männer im Kontext ihrer eigenen Zeit zu betrachten, vergäßen die amerikanischen Kollegen in diesem Fall, dass es eine Welt jenseits der Vereinigten Staaten gebe. Von dieser Warte aus betrachtet, wäre das Bemühen um politische Korrektheit ein Akt des Kulturimperialismus, der amerikanische Probleme und Standards auf Europa projiziert.
Beendet wurde die Debatte von Nick Lowe, dem Verantwortlichen der Liverpool Classics List: Ebenso wie ein internationales Forum "lokale Korruptionen des Diskurses" berücksichtigen müsse, meinte er, sei auf politische und institutionelle Asymmetrien zu achten. Einige Kollegen, so Lowe, sprächen sogar von einem "shaming", das hier ein Professor mit hoher Seniorität über Doktoranden verhängt habe. Dieser abschließende Kommentar macht deutlich, dass sich die Forderungen der Identitätspolitik auch über die Analyse von Machtverhältnissen, traditionell ein zentrales Anliegen linker Ideologiekritik, hinwegzusetzen vermögen. Auch in der Diskussion um die Auseinandersetzung zwischen Peralta und Williams spielte keine Rolle, dass hier ein Professor an einer Ivy League School einer Frau ohne feste universitäre Anstellung entgegentrat.
Gewähren uns die gegenwärtigen Diskussionen in Amerika einen Einblick in die Zukunft der deutschen Altertumswissenschaften? Die Konjunktur der politischen Korrektheit scheint der spezifischen Situation in den Vereinigten Staaten geschuldet zu sein, den neuen politischen Rahmenbedingungen und dem Rückgriff rechter Ideologen auf antike Literatur und Philosophie. Zugleich haben für andere Disziplinen in Deutschland politische Fragen bereits an Bedeutung gewonnen, wie etwa die Resolution des Historikertages 2018 in Münster zum Rechtspopulismus zeigt. Bislang wurden jedoch noch keine Forderungen erhoben, der Mommsen-Gesellschaft, dem Verband der deutschen Altertumswissenschaftler, einen neuen Namen zu geben. Mommsen macht es den Anwälten der politischen Korrektheit auch nicht leicht, kritisierte er doch anders als viele seiner Zeitgenossen Imperialismus und Antisemitismus ausdrücklich.
Ist der Bruno-Snell-Preis, mit dem die Mommsen-Gesellschaft alle zwei Jahre herausragende Arbeiten von Nachwuchswissenschaftlern auszeichnet, anfälliger? Snell war ein Gegner des Nationalsozialismus, aber würden seine Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen einer postkolonialistischen Kritik standhalten? Wäre eine solche Kritik aber nicht eine Kolonialisierung der Vergangenheit mit den Maßstäben der Gegenwart?
JONAS GRETHLEIN
Der Verfasser ist Professor für Altphilologie an der Universität Heidelberg.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main