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Hier kann man einem großen Schriftsteller bei der Arbeit über die Schulter schauen: das Notizbuch, ein buntes, humorvolles, kluges Buch eine Fundgrube für alle, die sich verführen und in den Kosmos W. Somerset Maughams ziehen lassen wollen.

Produktbeschreibung
Hier kann man einem großen Schriftsteller bei der Arbeit über die Schulter schauen: das Notizbuch, ein buntes, humorvolles, kluges Buch eine Fundgrube für alle, die sich verführen und in den Kosmos W. Somerset Maughams ziehen lassen wollen.
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Autorenporträt
W. Somerset Maugham, geboren 1874, war früh von der Literatur angezogen. Er studierte zunächst Medizin, übte den Arztberuf aber nicht aus. Als Bühnenautor hatte er bald großen Erfolg, seinen literarischen Ruhm erlangte er jedoch als Romancier und Geschichtenerzähler. Zeitweise war er als britischer Geheimagent tätig. Er bereiste zahlreiche Länder, vor allem im Fernen Osten, dem Schauplatz vieler seiner Erzählungen, und starb 1965 in Cap Ferrat an der französischen Riviera.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2005

Das gibt eine gute Suppe
Ordnung und frühes Leid: Somerset Maugham in seinen Notizen

Die Nächte des Vielgereisten waren nicht immer ruhig. Nehmen wir den Abend in den frühen vierziger Jahren, als er in einem kleinen texanischen Ort in einem vollbelegten Hotel absteigt. Der Schriftsteller geht früh zu Bett. Um zehn Uhr bestellt eine Dame ein Telefongespräch nach Washington; in dem hellhörigen Haus ist jedes Wort zu verstehen. Sie verlangt einen Major Tompkins im Kriegsministerium, weiß jedoch seine Nummer nicht. Das Telefonfräulein bedauert höflich; die Dame herrscht sie an, Mr. Tompkins sei in ganz Washington bekannt und sie müsse unbedingt mit ihm sprechen. Die Verbindung wird abgebrochen, die Dame versucht es jede Viertelstunde von neuem. Sie beschimpft die Telefonistin und wird immer lauter, niemand kann schlafen. Empörte Gäste müssen vom Nachtportier beruhigt werden; nichts hilft, die Dame läutet und schreit. Zornentbrannte Herren in Morgenröcken trommeln an ihre Tür und werden zur Hölle gewünscht. Der Hoteldirektor holt den Sheriff, nach dem Sheriff kommt ein Arzt, beide sind machtlos, und immer noch telefoniert die Dame weiter und schreit, es ginge um Leben und Tod. Schließlich, es ist vier Uhr morgens, erreicht sie ihn; im Hotel hat niemand ein Auge zugetan. Sie fragt das Telefonfräulein: "Haben Sie die Verbindung mit Major Tompkins? Ist er am Apparat?" Dann sagt sie mit konzentrierter Wut, indem sie jedes Wort einzeln betont: "Sagen - Sie - Major - Tompkins - daß - ich - nicht - mit - ihm - zu - sprechen - wünsche." Damit wirft sie den Hörer auf die Gabel.

Der große englische Geschichtenerzähler Somerset Maugham führte von 1892 bis 1944 Notizbuch. Fünf Jahre später traf er eine Auswahl aus diesen Notizen, die jetzt erstmals vollständig und hervorragend übersetzt wurde; gründlich eingeleitet dazu. Die Sammlung enthält Anekdoten, Porträts und Szenen wie die des triumphierenden texanischen Telefonats in Fülle - alles Stoff für spätere Erzählungen und Romane, die nie entstanden. Das Bild des Autors, das diese Sammlung durchscheinen läßt, zeigt dessen autre moi, also seinen wahren geistigen Kern, nicht dessen mit allerlei Mängeln und Lastern behafteten empirischen Träger. Es ist ein überaus sympathisches Bild.

Der empirische Somerset Maugham, der die Lebensdaten mit dem befreundeten Winston Churchill teilte (1874 bis 1965), war vielleicht nicht immer der einnehmendste Mensch; zumindest im Alter, als er reich und zurückgezogen in einer Villa an der Côte d'Azur lebte, muß er mitunter schwer erträglich gewesen sein. Die Tochter wollte er enterben, dafür seinen Sekretär und Liebhaber ins Testament einsetzen: Geschichten dieser Art. Es war wohl frühes Leid, das ihn trotz aller äußeren Erfolge spät einholte; schlimmes Leid, für dessen angeblich charakterbildende Kräfte er in seinen Notizen viele treffende, abschätzige Worte findet.

Maughams Mutter starb an Tuberkulose, als er acht Jahre alt war; das Bild von ihr, das sie eine Woche vor ihrem Tod hatte machen lassen, stand lebenslang neben seinem Bett. Zwei Jahre später starb sein Vater an Krebs. Der Waise mußte Frankreich verlassen und wuchs bei seinem Onkel, einem bigotten Landpfarrer, in England auf. In der Schule, der King's School in Canterbury, Kent, wurde der ungeliebte, stark stotternde Junge gehänselt und täglich gedemütigt. Die Erfahrungen dieser Zeit hatte Maugham in seinem frühen Roman "Des Menschen Hörigkeit" verarbeitet. Als er vierzig Jahre später in einem Tonstudio daraus vorlesen sollte, brach er, überwältigt von den Erinnerungen, weinend zusammen.

Falls dieses frühe Leid doch ein Gutes gehabt haben sollte, so war es, daß es Maugham zum Menschenbeobachter und Freidenker machte, der erst einmal gar nichts glaubte, was sich schönrednerisch oder salbungsvoll gab. Der Mensch soll eine von Gott erschaffene Seele haben, rein geistige und unsterbliche Substanz? Seine Seele, schreibt er, wäre aber ganz anders beschaffen, wenn er nicht gestottert hätte oder zehn Zentimeter größer gewesen wäre. Er habe etwas vorstehende Zähne; in seiner Kindheit sei noch nicht bekannt gewesen, daß sich dieser Fehler durch einen Goldreif beheben läßt, solange der Kiefer noch zu formen ist. Hätte man damals diese Maßnahme getroffen, so wäre sein Aussehen verändert worden, das Verhalten der anderen ihm gegenüber wäre anders gewesen und infolgedessen auch sein eigenes Verhalten und seine gesamte Einstellung. "Aber was ist diese Seele für ein Ding, daß sie durch eine Kieferkorrektur verändert werden kann?"

Oder was ist das Gewissen? Ihn drückte das Gewissen nicht, wenn er sich in Männer verliebte, aber die Gesellschaft empfand es als Sünde. Wie unterscheidet sich das Moralgefühl beim Afghanen, Korsen, Engländer und Spanier? Steckt nicht Hedonismus noch in der sublimsten Gottesliebe? Und warum macht den Christen nicht der Gedanke unsicher, daß er Mohammedaner wäre, wenn er in Marokko geboren wäre, oder Buddhist, wenn er in Ceylon auf die Welt gekommen wäre, und daß er dann das Christentum als ebenso unsinnig und offensichtlich unwahr betrachten würde, wie es die Religionen in den Augen der Christen sind?

Maughams Zeitgenossen Gilbert Keith Chesterton hätte es vermutlich geschüttelt, wenn er gelesen hätte, was der Pessimist und Agnostiker 1896 über das Christentum schrieb, das dem Gefühl entspringe und darum auch nicht mit Vernunftgründen zu widerlegen sei: "Einer ist gläubig, ein anderer nicht, und damit hat es vermutlich sein Bewenden: die Argumente beider Seiten sind nur rationalisierte Gefühle." Und obwohl der Verfasser der "Orthodoxy" der ungleich mitreißendere Rhetoriker und originellere Denker ist, so wäre doch noch zu ermitteln, wer am Ende des Tages recht hat; ob nicht doch die triviale Vernunft des Somerset Maugham einen festeren Wahrheitskern birgt als das schöne und erhebende Paradoxenspektakel, mit dem Chesterton seine Leser auf ewig erfreut.

Der Grund dafür, daß auch Maughams Notizensammlung eine wahre Freude ist, liegt aber nicht in den moralphilosophischen Betrachtungen, die über lange Strecken parallel zu den Gedankenbahnen Nietzsches laufen - auf englische, nüchternere Art. Der Grund liegt in Maughams Sinn für die Anekdote, für das komische, grausige, rührende oder groteske Detail. Der Mann hat oft recht, aber wichtiger ist, er hat viel gesehen, gehört und erlebt. Der frühe Erfolg hatte ihm ausgedehnte Reisen erlaubt; Maugham war praktisch überall auf der Welt, und nirgends hielt es ihn lang. Daß Reisen den Horizont verenge, wie Chesterton fand, trifft in seinem Fall nicht ganz zu. Maugham ist ein wunderbarer Ethnologe; seine Bemerkungen über die Russen, die er in geheimdienstlicher Mission besucht, sind so glänzend wie seine Südseeimpressionen oder die knappen Porträts der Kolonialbeamten des Empire.

Einen Straßenbauingenieur besucht er einmal in dessen indisch eingerichtetem Bungalow am Fluß. An den Wänden hängen Schädel von Tieren, die der Ingenieur geschossen hat. Man kommt ins Gespräch über die Jagd. Nie wieder allerdings werde er einen Affen schießen, sagt der Ingenieur dem Besucher beiläufig und erzählt ihm die Geschichte. Er sei dabei gewesen, eine Straße zu bauen, da hätten sämtliche sechshundert Kulis aus Sorge um ihren erkrankten Vorarbeiter gestreikt. Sie blieben höchstens, wenn der Ingenieur einen Affen töten würde; das Blut aus dem Affenherzen könnte den Vorarbeiter heilen. Weil er die Arbeit nicht abbrechen lassen konnte, nahm der Ingenieur sein Gewehr und lief die Straße entlang. Nach einiger Zeit sah er einen schwarzgesichtigen Affen, zielte und feuerte, verletzte ihn aber nur. "Er rannte schutzsuchend auf mich zu und schrie, schrie genau wie ein Kind." Maugham kann es nicht lassen zu fragen, ob der Vorarbeiter gesund wurde. (Er wurde es, und die Straße wurde gebaut.)

Neben dem schutzsuchenden Äffchen, das von ferne an den kleinen Elefanten erinnert, dessen Schmerz um die erschossene Mutter Arthur Schopenhauer verewigt hat - neben solchen anrührenden Miniaturen gibt es in diesen Notizbüchern viel Sinn für die makabre Kleinigkeit. 1914 überliefert Maugham aus einem längeren Gespräch mit einem kosakischen Offiziersburschen das heute nicht mehr sehr bekannte Detail, daß die Senegalesen stets darauf bestanden hätten, den Deutschen den Kopf abzuschneiden. Dann wäre man sicher, daß sie tot sind - "et ça fait une bonne soupe".

Maugham hält sich, wie so oft, mit eigenen Kommentaren zurück. Seine schwarze lakonische Seele nimmt nur auf und bewertet nicht. Diese Notizen sind so trocken und zurückgenommen, wie es das Klischee von den Engländern will. Ein Arbeitskollege aus dem Krankenhaus erzählt Maugham von seinem engsten Freund, mit dem er alle Tage gemeinsam gearbeitet, gegessen, gespielt habe. Achtundvierzig Stunden sind sie getrennt, in dieser Zeit zieht sich der Freund bei einer Autopsie eine Blutvergiftung zu. Als der Zurückgekehrte in den Seziersaal geht, wo er sich mit seinem Freund verabredet hatte, findet er ihn dort nackt und tot auf einem Tisch liegen. ",Das hat mich ziemlich erschreckt', sagte er, als er es mir erzählte."

Kann man es noch gedämpfter ausdrücken? Die Briten sind und bleiben komisch. "Makes you think", sagt der Fisch im Aquarium bei Monty Python, wenn seine Nachbarfische herausgeangelt werden. Somerset Maughams Notizen geben einem auch zu denken, und auch aus ihnen kann man viel herausfischen. Sie werden sogar immer besser, so daß man das "Notizbuch eines Schriftstellers" nach sechshundert Seiten nur äußerst widerwillig zuschlägt; es hätten gerne noch ein paar hundert mehr sein können. Makes you think.

W. Somerset Maugham: "Notizbuch eines Schriftstellers". Aus dem Englischen übersetzt von Irene Muehlon und Simone Stölzel. Herausgegeben und mit einem Essay von Thomas und Simone Stölzel. Diogenes Verlag, Zürich 2004. 600 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Von William Somerset Maugham stammt der schöne Satz, den Rezensent Michael Schmitt zitiert: dass gute Prosa gute Manieren voraussetze. Wie gut er Maughams Prosa findet, lässt Schmitt offen, er charakterisiert den Autor in jedem Fall als jemanden, der etwas gegen Genieästhetik hatte. Stattdessen strebte Maugham nach einer "höheren Gemeinsprache", so der Rezensent, der dieses Bestreben in dem umfangreichen "Notizbuch eines Schriftstellers" gut dokumentiert findet. Als Journal auf die Jahre 1892 bis 1944 angelegt, also über einen langen Zeitraum, spiegele es die produktivsten Jahre Maughams, meint Schmitt, zeige auch seine Wandlung von einem arroganten und unsicheren jungen Mann hin zu einem weltläufigen und abgeklärten Schriftsteller, der Einblick in seine gut aufgeräumte Werkstatt gewähre und in die einen Blick hineinzuwerfen sich deshalb auch absolut lohne. Maugham notierte viele Reiseeindrücke, porträtierte Kolonialbeamte und Zufallsbekanntschaften oder beschrieb seine Arbeit als Mediziner in Lazaretten; wer Maughams Werk nicht so genau kenne, komme aber trotzdem auf seine Kosten, verspricht der Rezensent.

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