Die schockierenden Bilder vom Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris, der sich am 15. April zum ersten Mal jährt, haben den Wunsch ausgelöst, Photographien dieses so überaus symbolträchtigen Bauwerks von der Erfindung der Photographie im 19. Jahrhundert bis heute zusammenzutragen, die Bilder der Feuersbrunst mit eingeschlossen. Unsere Sammlung, die Photographien von Édouard Baldus, Charles Marville, Charles Nègre, Eugène Atget bis zu André Kertész und Thomas Struth enthält, führt den Betrachter von allen Seiten an Notre-Dame heran, weiter aufs Dach mit seinen grandiosen Ausblicken auf die Stadt und in die seltsame Welt der Gargoyle-Figuren, jener Wasserspeier, die der Architekt Viollet-le-Duc der Kathedrale erst im 19. Jahrhundert als seine persönliche Vorstellung vom Mittelalter hinzugefügt hat. Den dramatischen Schlusspunkt setzen die Bilder des großen Feuers in jener Aprilnacht des Jahres 2019, die um die Welt gingen. Mit Texten des amerikanischen Mediävisten Danny Smith undder ehemaligen Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2020Notre-Dame ist unser aller Herzenssache
Lothar Schirmers prachtvoll zusammengestellter Band mit historischen Ansichten der Kathedrale von Paris
Heute vor einem Jahr blickten wir auf das, was aus Notre-Dame geworden war. Die Pariser Feuerwehr hatte mit rund sechshundert Leuten die Nacht hindurch pausenlos gelöscht, nachdem während einer Messfeier am frühen Abend des 15. April 2019 ein Feuer auf dem Dachboden der Kathedrale entdeckt worden war, das mutmaßlich in kurz zuvor beendeten Bauarbeiten seine Ursache hatte und nun rasch auf große Teile des Dachstuhls übergriff. Kurz vor 20 Uhr stürzte der markante, lichterloh brennende Vierungsturm in sich zusammen und zerschlug das Mittelschiff des längst geräumten Gotteshauses. Danach konnte die Feuerwehr sich nur noch darum bemühen, den Brand auf die aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert stammende Dachkonstruktion zu beschränken. Sie wurde völlig zerstört. Um fünf Uhr morgens am 16. April meldete der Einsatzleiter das Feuer endlich als gelöscht.
Das, was wir dann sahen, glich erstaunlicherweise der ältesten Fotografie, die von Notre-Dame überliefert ist: einer Aufnahme der Westfassade mit den beiden markanten Türmen, die William Henry Fox Talbot 1846 aufgenommen hat. Es war eine der letzten Möglichkeiten, einen Zustand der Kathedrale zu dokumentieren, der der einer früheren Zerstörung war: durch die Französische Revolution, als die zahlreichen biblischen Herrscherskulpturen, die in der Säulengalerie über den Portalen gestanden hatten, zerschlagen worden waren. Auf Talbots Bild ist die Königsgalerie noch leer, in den Folgejahren aber wurden dort wieder nachgeschaffene Figuren aufgestellt. Vom Beginn der damaligen großen Renovierung von Notre-Dame kündet bei Talbot schon der Bauzaun unten vor der Fassade. Heute ist der ganze, seitdem viel größer gewordene Vorplatz, die Place Jean-Paul-II, eingezäunt, um die aktuelle Rekonstruktion zu ermöglichen.
Die Pläne für die Renovierung im neunzehnten Jahrhundert sind untrennbar mit dem Architekten Eugène Viollet-le-Duc verbunden, dem französischen Wiederentdecker der Gotik. Doch die Pläne zum Umbau von Notre-Dame entstanden gemeinsam mit seinem Kollegen Jean-Baptiste Lassus, der schon 1857 starb, sieben Jahre vor Abschluss der Arbeiten, die der Kathedrale das Gesicht einer idealisierten Gotik gaben. Der Vierungsturm etwa, das danach höchste Element des ganzen Gebäudes, hatte einen Vorläufer, der bis zum Einsturz im achtzehnten Jahrhundert viel niedriger gewesen war. Die umgebaute Notre-Dame wurde ihrer Prominenz wegen zum prägenden Vorbild der Neogotik.
Und mehr als jemals zuvor wurde sie zum Wahrzeichen von Paris - eines, das selbst vom späteren Bau des Eiffelturms und Sacré-Coeurs in seiner Bedeutung unberührt blieb. Das Interesse der ganzen Welt am Jahrestag des Brandes hat diese Faszination noch einmal bewiesen. Aus Deutschland sind zwei Beiträge hervorzuheben: In der ARD gab es am Ostermontag die großartige Dokumentation "Die Retter von Notre-Dame" (in der Mediathek des Senders noch drei Monate lang einzusehen). Und der Fotobuchverleger Lothar Schirmer hat einen Prachtband mit historischen Ansichten, darunter auch Talbots Aufnahme, sowie Bildern vom Brand und den Tagen danach zusammengestellt. In bei Schirmer/Mosel gewohnt brillanter Druckqualität und mit klugen Erläuterungen ist er ein Requiem auf die alte Notre-Dame geworden. Und eine Hymne auf ihre Wiederauferstehung.
apl.
"Notre-Dame de Paris". Bilder einer Kathedrale. Hrsg. von Lothar Schirmer. Verlag Schirmer/Mosel, München 2020. 173 S., 99 Abb., geb., 39,80 [Euro]. Der Band ist unter sales@schirmer-mosel.com bestellbar und wird dann von Buchhandlungen ausgeliefert.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lothar Schirmers prachtvoll zusammengestellter Band mit historischen Ansichten der Kathedrale von Paris
Heute vor einem Jahr blickten wir auf das, was aus Notre-Dame geworden war. Die Pariser Feuerwehr hatte mit rund sechshundert Leuten die Nacht hindurch pausenlos gelöscht, nachdem während einer Messfeier am frühen Abend des 15. April 2019 ein Feuer auf dem Dachboden der Kathedrale entdeckt worden war, das mutmaßlich in kurz zuvor beendeten Bauarbeiten seine Ursache hatte und nun rasch auf große Teile des Dachstuhls übergriff. Kurz vor 20 Uhr stürzte der markante, lichterloh brennende Vierungsturm in sich zusammen und zerschlug das Mittelschiff des längst geräumten Gotteshauses. Danach konnte die Feuerwehr sich nur noch darum bemühen, den Brand auf die aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert stammende Dachkonstruktion zu beschränken. Sie wurde völlig zerstört. Um fünf Uhr morgens am 16. April meldete der Einsatzleiter das Feuer endlich als gelöscht.
Das, was wir dann sahen, glich erstaunlicherweise der ältesten Fotografie, die von Notre-Dame überliefert ist: einer Aufnahme der Westfassade mit den beiden markanten Türmen, die William Henry Fox Talbot 1846 aufgenommen hat. Es war eine der letzten Möglichkeiten, einen Zustand der Kathedrale zu dokumentieren, der der einer früheren Zerstörung war: durch die Französische Revolution, als die zahlreichen biblischen Herrscherskulpturen, die in der Säulengalerie über den Portalen gestanden hatten, zerschlagen worden waren. Auf Talbots Bild ist die Königsgalerie noch leer, in den Folgejahren aber wurden dort wieder nachgeschaffene Figuren aufgestellt. Vom Beginn der damaligen großen Renovierung von Notre-Dame kündet bei Talbot schon der Bauzaun unten vor der Fassade. Heute ist der ganze, seitdem viel größer gewordene Vorplatz, die Place Jean-Paul-II, eingezäunt, um die aktuelle Rekonstruktion zu ermöglichen.
Die Pläne für die Renovierung im neunzehnten Jahrhundert sind untrennbar mit dem Architekten Eugène Viollet-le-Duc verbunden, dem französischen Wiederentdecker der Gotik. Doch die Pläne zum Umbau von Notre-Dame entstanden gemeinsam mit seinem Kollegen Jean-Baptiste Lassus, der schon 1857 starb, sieben Jahre vor Abschluss der Arbeiten, die der Kathedrale das Gesicht einer idealisierten Gotik gaben. Der Vierungsturm etwa, das danach höchste Element des ganzen Gebäudes, hatte einen Vorläufer, der bis zum Einsturz im achtzehnten Jahrhundert viel niedriger gewesen war. Die umgebaute Notre-Dame wurde ihrer Prominenz wegen zum prägenden Vorbild der Neogotik.
Und mehr als jemals zuvor wurde sie zum Wahrzeichen von Paris - eines, das selbst vom späteren Bau des Eiffelturms und Sacré-Coeurs in seiner Bedeutung unberührt blieb. Das Interesse der ganzen Welt am Jahrestag des Brandes hat diese Faszination noch einmal bewiesen. Aus Deutschland sind zwei Beiträge hervorzuheben: In der ARD gab es am Ostermontag die großartige Dokumentation "Die Retter von Notre-Dame" (in der Mediathek des Senders noch drei Monate lang einzusehen). Und der Fotobuchverleger Lothar Schirmer hat einen Prachtband mit historischen Ansichten, darunter auch Talbots Aufnahme, sowie Bildern vom Brand und den Tagen danach zusammengestellt. In bei Schirmer/Mosel gewohnt brillanter Druckqualität und mit klugen Erläuterungen ist er ein Requiem auf die alte Notre-Dame geworden. Und eine Hymne auf ihre Wiederauferstehung.
apl.
"Notre-Dame de Paris". Bilder einer Kathedrale. Hrsg. von Lothar Schirmer. Verlag Schirmer/Mosel, München 2020. 173 S., 99 Abb., geb., 39,80 [Euro]. Der Band ist unter sales@schirmer-mosel.com bestellbar und wird dann von Buchhandlungen ausgeliefert.
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