Als Notschek in die Mansarde zieht, kommt Unruhe in das abgelegene Vorstadthaus, in dem der Ich-Erzähler mit seiner Frau Maria lebt. Eigentlich soll Notschek nur vorübergehend Unterschlupf finden, aber sein Aufenthalt zieht sich in die Länge. Der nervöse Bohemien spielt sich als Rechthaber auf, er politisiert, verschlingt Zeitungen und sitzt in Wirtshäusern herum. Er scheint jedoch als Einziger eine beunruhigende Entwicklung zu verstehen: Kontingentierung lässt die Lebensmittel knapp werden, die Zeitungen werden verboten und eine Ausgangssperre wird verhängt. Das Leben verengt sich auf das Vorstadthaus und die Dreiecksbeziehung der Bewohner, die sich zunehmend mit sinnlosen Verrichtungen beschäftigen: Notschek ordnet einen Nachlass, Maria zeichnet Wäsche und der Ich-Erzähler patrouilliert durch Haus und Garten. Von einem Nachbarn erhält er eine Warnung - kurz darauf ist dieser verschwunden.Jonas-Philipp Dallmann spannt den Leser gekonnt auf die Folter. Seine Sprache und der unerwartete Handlungsverlauf entfachen einen geradezu klaus-trophobischen Sog. Das scheinbar harmlose Kammerspiel um einen schrulligen Wichtigtuer und dessen grüblerischen Beobachter entpuppt sich als kafkaesk-orwellsche Gesellschaftsvision, in der die politischen Utopien und Wahnideen des 20. Jahrhunderts bruchstückhaft aufscheinen.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.05.2012KURZKRITIK
Angewandte
Gleichschaltung
Jonas-Philipp Dallmanns
beklemmende Dystopie „Notschek“
Man muss nicht immer gleich „Kafka“ schreien, wenn ein Schriftsteller seine Figuren der absurden Logik eines bedrohlichen, undurchschaubaren Bürokratensystems aussetzt. Bei Jonas-Philipp Dallmanns düster skurrilem Romandebüt „Notschek“ ist das jedoch als vorläufige Einordnung durchaus angemessen. Auch Dallmann versteht es, eine beklemmende Atmosphäre des Unausweichlichen zu kreieren, eine von außen betrachtet völlig abstruse, aber in sich reibungslos funktionierende erzählerische Gesetzmäßigkeit, der man sich beim Lesen unweigerlich unterwirft. Vordergründig passiert nicht viel: Dallmanns Ich-Erzähler schildert in altmodisch umständlicher Sprache seinen häuslichen und ehelichen Alltag, der zunehmend vom dem verschrobenen Dauergast Notschek dominiert wird. Ob Herrn Notscheks wichtigtuerische Geschäftigkeit und sein ständiges Politisieren ihn als Spinner oder als den Einzigen mit Durchblick qualifizieren, bleibt lange unklar. Draußen spitzt sich derweil die Lage zu: Lebensmittelrationierung, Flüchtlingsströme, Ausgangssperre.
Die Lethargie des Erzählers, seine Art, penibel zu beobachten, dann aber exakt an den relevanten Fragen vorbei zu denken, ist ansteckend – die Lektüre wird zur Übung in angewandter Gleichschaltung. Dallmann bleibt an der Oberfläche des Geschehens, verweigert jede psychologische Tiefe. Schier endlos spannt der Autor uns auf die Folter, bis er im letzten Viertel des Romans doch noch einen Einblick in die Abgründe des fiktiven und zugleich unheimlich vertraut wirkenden, alles durchdringenden Systems von Schreibtischtätern gewährt. „Notschek“ wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. In seinem Durchexerzieren autoritärer Denkmuster ist der Roman jedoch äußerst aktuell.
CORNELIA FIEDLE
R
JONAS-PHILIPP DALLMANN. Notschek. Luftschacht Verlag, Wien 2011. 296 Seiten, 21,40 Euro.
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Angewandte
Gleichschaltung
Jonas-Philipp Dallmanns
beklemmende Dystopie „Notschek“
Man muss nicht immer gleich „Kafka“ schreien, wenn ein Schriftsteller seine Figuren der absurden Logik eines bedrohlichen, undurchschaubaren Bürokratensystems aussetzt. Bei Jonas-Philipp Dallmanns düster skurrilem Romandebüt „Notschek“ ist das jedoch als vorläufige Einordnung durchaus angemessen. Auch Dallmann versteht es, eine beklemmende Atmosphäre des Unausweichlichen zu kreieren, eine von außen betrachtet völlig abstruse, aber in sich reibungslos funktionierende erzählerische Gesetzmäßigkeit, der man sich beim Lesen unweigerlich unterwirft. Vordergründig passiert nicht viel: Dallmanns Ich-Erzähler schildert in altmodisch umständlicher Sprache seinen häuslichen und ehelichen Alltag, der zunehmend vom dem verschrobenen Dauergast Notschek dominiert wird. Ob Herrn Notscheks wichtigtuerische Geschäftigkeit und sein ständiges Politisieren ihn als Spinner oder als den Einzigen mit Durchblick qualifizieren, bleibt lange unklar. Draußen spitzt sich derweil die Lage zu: Lebensmittelrationierung, Flüchtlingsströme, Ausgangssperre.
Die Lethargie des Erzählers, seine Art, penibel zu beobachten, dann aber exakt an den relevanten Fragen vorbei zu denken, ist ansteckend – die Lektüre wird zur Übung in angewandter Gleichschaltung. Dallmann bleibt an der Oberfläche des Geschehens, verweigert jede psychologische Tiefe. Schier endlos spannt der Autor uns auf die Folter, bis er im letzten Viertel des Romans doch noch einen Einblick in die Abgründe des fiktiven und zugleich unheimlich vertraut wirkenden, alles durchdringenden Systems von Schreibtischtätern gewährt. „Notschek“ wirkt seltsam aus der Zeit gefallen. In seinem Durchexerzieren autoritärer Denkmuster ist der Roman jedoch äußerst aktuell.
CORNELIA FIEDLE
R
JONAS-PHILIPP DALLMANN. Notschek. Luftschacht Verlag, Wien 2011. 296 Seiten, 21,40 Euro.
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