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Produktdetails
  • Verlag: Import / Pocket Books
  • Seitenzahl: 259
  • Englisch
  • Abmessung: 180mm
  • Gewicht: 156g
  • ISBN-13: 9780671017927
  • Artikelnr.: 25179348
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.1999

Rückkehr nach Coney Island
Ein blitzblankes Leben: Joseph Heller ist mit sich im reinen

Von Coney Island nach New York kommt man ganz gut mit der S-Bahn, und auch zwischen "einst" und "jetzt" ist bei Joseph Heller der Weg nicht weit. Dieser Mann, denkt man am Ende einer auf unterhaltsame Art unbefriedigenden Lektüre, war jederzeit mit sich selbst nicht nur identisch, sondern auch vollkommen einverstanden. Nicht die Zeit und keine Psychotherapie können, so meint Heller, einen Charakter ernsthaft verändern. Seit gut fünfundsiebzig Jahren kann sich der Autor von "Catch 22", "Gut wie Gold" und "Was geschah mit Slocum" auf seinen Haarwuchs und einen gesegneten Appetit verlassen. Er verfügt verläßlich über eine "hervorragende Verdauung", liebt noch immer seine Frau, hat viele Freunde und wohl auch in Zukunft "genügend Besitz und Einkünfte, um weiterhin so gut leben zu können, wie ich möchte". Der Mann verfügt über eine effektive "Strategie gegen die Korpulenz" und kennt kaum einen größeren Genuß als "die Ankunft unerwarteter Geldsummen". Im Schulzeugnis, erinnert sich Heller, bekam er regelmäßig eine Eins in Mitarbeit und eine Zwei plus in Betragen.

War oder ist Joseph Heller ein Streber, ein geständiger, wenngleich nicht reumütiger Angeber? Nein, denn der Rest der Welt, wie Heller sie sah, war kaum weniger strebsam. Man schwänzte die Schule nicht, man log und faulenzte nicht im Coney Island der dreißiger Jahre, erst recht nicht in Hellers Familie, in der eine energische Mutter über Joseph und zwei ältere Halbgeschwister wachte. Im jüdischen Einwanderermilieu wurde man gedrillt, der Welt das Beste abzugewinnen. Über den frühen Tod des Vaters bewahrte die Familie diszipliniertes Schweigen. Selbst wenn man sich mit den Kumpels im größten Vergnügungspark der Welt herumtrieb, ging man irgendwie in die Schule, in die Schule des Lebens.

"Einst" war Joseph Heller ein "vaterloses Coney-Island-Kind", das wegen guter Noten zu den schönsten Hoffnungen berechtigte. "Jetzt" ist Joseph Heller ein ziemlich berühmter Name in der amerikanischen Literatur, und er weiß das. Nicht nur sein Appetit ist ungezügelt, sondern auch seine Ruhmsucht. Was hat Gore Vidal schon wieder geschrieben? Was Norman Mailer? Wer brüllt am besten von den alten Löwen? Das sind Fragen, die den bei aller Abgeklärtheit ungebrochen eitlen Autor nicht ruhen lassen.

Auf die Struktur seines Erinnerungsbuches hat das eher bedenkliche Auswirkungen. Wir finden einesteils subtile Meditationen über Speiseeis und andere, liebevoll ausgepinselte Reminiszenzen an das Coney Island der dreißiger Jahre, anderenteils recht belanglose Nachrichten aus dem Leben eines alternden Schriftstellers, der vor allem mit der Verwaltung seines Ruhms beschäftigt scheint. Im einen Teil kommt Hellers Buch allzu beschaulich daher, im andern übermäßig amtlich. Statt Ironie und Ambivalenz bekommt der Leser ewige Selbstzufriedenheit geboten. Dieser lebensgesunde Bursche, der Marihuana nur seinen Freunde zuliebe inhalierte und Angebote von Prostituierten wegen der geringen Halbwertzeit sexueller Lust ausschlug, war und ist die Zuverlässigkeit in Person. Man glaubt Heller sofort, daß er im Zweiten Weltkrieg ein tüchtiger Bomberpilot war. Nicht weniger zielsicher nimmt er nach Kriegsende die literarische Karriere in Angriff.

Heller ist andererseits nicht vorzuwerfen, daß er die trüben Abschnitte seines Lebens dem Leser vorenthielte. Er liefert, gänzlich unprätentiös, seine Version einer literarischen Selbstanalyse. Das neunte von zehn Kapiteln trägt den Titel "Psychoanalytisches". Im Jahr 1979, mehr als fünfzig Jahre nach dem Tod des Vaters und kurz nach der Trennung von seiner Frau, mit der er fünfunddreißig Jahre verheiratet war, sucht Heller einen Psychoanalytiker auf. Der eigentliche Grund bleibt unklar: Depressionen vielleicht oder "aggressive Verwicklungen zu Hause"? Solange er denken kann, erzählt Heller dem Analytiker, habe ihn der gleiche Albtraum heimgesucht: Ein Mann mit verschattetem Gesicht tritt durch die Schlafzimmertür an sein Bett heran und löst beim Träumenden panisches Entsetzen aus.

Auf der Couch fällt Heller auf, daß er diesen Traum nicht mehr träumt, seit er zum Analytiker geht. "Sie brauchen diesen Traum nicht mehr", bemerkt der Analytiker, "Sie haben jetzt mich hier." Und alsbald verwandelt sich das vaterlose Coney-Island-Kind in den Vorzugsschüler des Psychoanalytikers, dem zuliebe er die symptomatischsten Träume träumt, um schließlich zu erkennen, "daß die wirksame Therapie die unaufhörliche Konzentration eines intelligenten, klar denkenden, von keinerlei verwirrenden Ablenkungen heimgesuchten Patienten erfordert, der sie dann allerdings auch nicht benötigt". Patienten, die sich über die Psychoanalyse mokieren, sind den Analytikern stets die liebsten. Hellers trotz Ehescheidung und Gesichtslähmung fröhliche Nicht-Ambivalenz läßt den Seelenarzt unweigerlich auf heftige Ambivalenzen schließen. Zeit für den Autor, den Steuerberater und Analytiker zu wechseln. Auch mit seinen Halbgeschwistern, den Kindern des verstorbenen Vaters aus erster Ehe, spricht Heller lieber nicht über den Vater. Und auch die eigene Rede wird stockend, wenn die Sprache auf den Vater kommt. "Ich habe mich nie besonders eifrig mit der Idee auseinandergesetzt", haspelt Heller, "ich könnte eigentlich mehr über ihn in Erfahrung bringen. Ich möchte lieber nicht. Immer noch nicht. Und wüßte ich mehr, wäre auch das jetzt kein Unterschied. Ich kenne ihn durch seine Abwesenheit."

So zieht sich durch Hellers Buch bei aller demonstrativen Selbstsicherheit das leise Nachbeben eines nur notdürftig verkleideten Unglücks. Das hat Auswirkungen auf den Stil: Er wirkt in seiner Sicherheit unsicher, in seiner allzu dröhnenden Ehrlichkeit zerbrechlich. Es ist irgendwie auch rührend, wenn ein Erfolgsschriftsteller noch am Lebensende mit seinen Heldentaten auf dem Schulhof renommieren will. Die deutsche Übersetzung von Joachim Kalka schafft es, diese Doppelbödigkeit der Hellerschen Memoiren zu erhalten. Die Übersetzung ist stets ein wenig ungelenk, wechselt abrupt die Register und gibt Hellers Lebensweisheiten so wieder, daß sie mitunter hölzern und hohl klingen - und uns den Autor ebendeshalb nahe bringen. Also wünschen wir dem sympathischen Aufschneider aus Coney Island auch weiterhin gesegneten Appetit.

CHRISTOPH BARTMANN

Joseph Heller: "Einst und jetzt. Von Coney Island nach New York". Aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Kalka. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1999. 316 S., geb., 48,- DM.

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