Nürnberg vor dem Krieg, nach der Zerstörung und in den Jahren des Wiederaufbaus: Neben unwiederbringlichen Stadtansichten, Kleinoden aus der Altstadt und den Stadtteilen zeigen die Autoren seltene Aufnahmen der Reichsparteitage, der Kriegsverbrecherprozesse, werfen einen Blick auf das Leben der Menschen zwischen den Trümmern des Krieges und auf die rasanten Veränderungen und Modernisierungen ab den 1950er-Jahren.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2017Nürnberg in Farbe
Private Aufnahmen aus vier Jahrzehnten zeigen die Sehenswürdigkeiten der Stadt ebenso wie Alltagsszenen. Und sie dokumentieren die Zerstörung
im Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau. Mitarbeiter des Stadtarchivs haben diesen Schatz nun gehoben und ein Buch daraus gemacht
VON CLAUDIA HENZLER
Nürnberg – Die Körbe auf den Tischen der Marktfrauen waren auch 1938 schon prall gefüllt, die Äpfel leuchtend rot, das Angebot war nicht auf Regionales wie Blumenkohl und Rhabarber beschränkt. Auf einem Farbbild, das damals auf dem Nürnberger Hauptmarkt entstand, kann man sehen, wie über den Köpfen der Besucher verführerisch Bananen baumeln. Die Aufnahme ist Teil einer privaten Diasammlung, die im Stadtarchiv Nürnberg gelandet ist und dort aufbewahrt wird. Einen Teil dieses Erinnerungsschatzes haben Ruth Bach-Damaskinos, die Leiterin des Bildarchivs, und ihr Kollege Thomas Dütsch jetzt gehoben und in einem Buch aufbereitet. Der Bildband zeigt ausschließlich Farbaufnahmen, die in den Jahren 1935 bis 1975 in Nürnberg gemacht wurden, und bietet damit eine seltene Entdeckungsreise in eine oft als schwarz-weiß empfundene Vergangenheit.
Schon 1936 schlug die Geburtsstunde der modernen Farbfotografie. Damals brachten die Firmen Kodak und Agfa fast zeitgleich erste massentaugliche Farbdia-Filme heraus. Amateurfotografen, die sich die neue Technik leisten konnten, verhielten sich wenig anders als heutige Touristen: Sie fotografierten Nürnbergs Sehenswürdigkeiten wie die Burg und malerische Gassen, Straßen und Plätze der mittelalterlich geprägten Altstadt, waren fasziniert vom farbenfrohen Angebot unter den rot-weiß gestreiften Marktschirmen auf Nürnbergs zentralem Platz. Ganz nebenbei hielten sie aber auch das Leben fest, das sich unter dem Burgberg und den Türmen der Lorenzkirche abspielte. So lässt sich auf vielen Bildern dieser Zeit, die eigentlich das Stadtbild dokumentieren sollten, auch ein Stück Alltag entdecken. Da ist am Bildrand etwa ein junger Mann zu sehen, der lässig an sein Fahrrad gelehnt mit einer jungen Frau spricht. Und ein Bild vom Schönen Brunnen zeigt auch, wie Männer in brauner Uniform mit Hakenkreuzbinde am Wunschring drehen. Diese Farbbilder aus der Zeit vor 1945, die das erste Kapitel des Buches ausmachen, sind größtenteils unveröffentlichte Dias aus Privatbeständen, die als Schenkungen ans Stadtarchiv gelangten. Nicht alle Fotografen sind dabei namentlich bekannt.
So sehr gerade die Bilder aus der Zeit vor den Bombennächten 1945 faszinieren, in denen die Altstadt weitgehend zerstört wurde: Auch die folgenden Kapitel sind sehenswert, insbesondere die hochwertigen Aufnahmen des amerikanischen Fotografen Ray D’Addario, der die Trümmerjahre und die Nürnberger Prozesse dokumentierte. Er war einer der offiziellen Bildreporter der US-Armee bei den Nürnberger Prozessen und fotografierte auch in seiner Freizeit, bei vielen Streifzügen durch das zerstörte Nürnberg. 1995 hat das Stadtarchiv seinen fotografischen Nachlass aus diesen Jahren – Negative, Originalabzüge und Kleinbilddias – aufgekauft.
Im Kapitel Wiederaufbau und Wirtschaftswunder wiederum werden vor allem Fotografien der städtischen Bauverwaltung gezeigt. Die Behörden hielten die Entwicklung des Stadtbilds schon seit Anfang der 1890er-Jahre systematisch fest, indem sie Bilder von Denkmälern, wichtigen Gebäuden der Altstadt und öffentlichen Bauten anfertigen. Doch erst in den 1950er-Jahren fotografierten die städtischen Mitarbeiter – später auch beauftragte Fotografen – teilweise in Farbe. Bilder mit Brachflächen und Gerüsten erinnern daran, dass sich der Wiederaufbau bis weit in die Sechzigerjahre zog, an einigen Stellen der Stadt noch darüber hinaus. Sie zeigen auch, wie man beim Versuch, eine alte Stadt mit den Ansprüchen der Moderne zu kombinieren, dem Autoverkehr vielerorts Vorrang eingeräumt und so manche Bausünde begangen hat. Gleichzeitig laden Stadtansichten wie Wimmelbilder zum Entdecken ein. Den Abschluss bildet schließlich ein Kapitel über Feste und Feiern, das zeigt, wie Nürnbergs Altstadt in den 1970er-Jahren zu einem Veranstaltungsort und Treffpunkt wurde.
180 Bilder umfasst die Reise durch Nürnbergs Vergangenheit, die damit nicht zu Ende ist: Das Stadtarchiv hat zwar fast zwei Millionen Fotos im Archiv, ist aber auch an weiteren Privatsammlungen interessiert.
Ruth Bach-Damaskinos und Thomas Dütsch: „Nürnberg in Farbe 1935 bis 1975“, Sutton Verlag, 30 Euro
Der amerikanische Fotograf
Ray D’Addario dokumentierte
die Nürnberger Prozesse
Fotografische Raritäten
(im Uhrzeigersinn): Fahrt mit einem historischen
Straßenbahnwagen 1975 vor moderner Kaufhausfassade, Blick in die Obere Wörthstraße 1953, Fußgängertunnel am
Hauptbahnhof 1960, Treiben auf dem Hauptmarkt 1942,
wo ein Teil der Frauenkirche (rechts im Bild) zum Schutz
vor Bombensplittern
ummantelt wurde.
Fotos: Stadtarchiv Nürnberg
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Private Aufnahmen aus vier Jahrzehnten zeigen die Sehenswürdigkeiten der Stadt ebenso wie Alltagsszenen. Und sie dokumentieren die Zerstörung
im Zweiten Weltkrieg und den Wiederaufbau. Mitarbeiter des Stadtarchivs haben diesen Schatz nun gehoben und ein Buch daraus gemacht
VON CLAUDIA HENZLER
Nürnberg – Die Körbe auf den Tischen der Marktfrauen waren auch 1938 schon prall gefüllt, die Äpfel leuchtend rot, das Angebot war nicht auf Regionales wie Blumenkohl und Rhabarber beschränkt. Auf einem Farbbild, das damals auf dem Nürnberger Hauptmarkt entstand, kann man sehen, wie über den Köpfen der Besucher verführerisch Bananen baumeln. Die Aufnahme ist Teil einer privaten Diasammlung, die im Stadtarchiv Nürnberg gelandet ist und dort aufbewahrt wird. Einen Teil dieses Erinnerungsschatzes haben Ruth Bach-Damaskinos, die Leiterin des Bildarchivs, und ihr Kollege Thomas Dütsch jetzt gehoben und in einem Buch aufbereitet. Der Bildband zeigt ausschließlich Farbaufnahmen, die in den Jahren 1935 bis 1975 in Nürnberg gemacht wurden, und bietet damit eine seltene Entdeckungsreise in eine oft als schwarz-weiß empfundene Vergangenheit.
Schon 1936 schlug die Geburtsstunde der modernen Farbfotografie. Damals brachten die Firmen Kodak und Agfa fast zeitgleich erste massentaugliche Farbdia-Filme heraus. Amateurfotografen, die sich die neue Technik leisten konnten, verhielten sich wenig anders als heutige Touristen: Sie fotografierten Nürnbergs Sehenswürdigkeiten wie die Burg und malerische Gassen, Straßen und Plätze der mittelalterlich geprägten Altstadt, waren fasziniert vom farbenfrohen Angebot unter den rot-weiß gestreiften Marktschirmen auf Nürnbergs zentralem Platz. Ganz nebenbei hielten sie aber auch das Leben fest, das sich unter dem Burgberg und den Türmen der Lorenzkirche abspielte. So lässt sich auf vielen Bildern dieser Zeit, die eigentlich das Stadtbild dokumentieren sollten, auch ein Stück Alltag entdecken. Da ist am Bildrand etwa ein junger Mann zu sehen, der lässig an sein Fahrrad gelehnt mit einer jungen Frau spricht. Und ein Bild vom Schönen Brunnen zeigt auch, wie Männer in brauner Uniform mit Hakenkreuzbinde am Wunschring drehen. Diese Farbbilder aus der Zeit vor 1945, die das erste Kapitel des Buches ausmachen, sind größtenteils unveröffentlichte Dias aus Privatbeständen, die als Schenkungen ans Stadtarchiv gelangten. Nicht alle Fotografen sind dabei namentlich bekannt.
So sehr gerade die Bilder aus der Zeit vor den Bombennächten 1945 faszinieren, in denen die Altstadt weitgehend zerstört wurde: Auch die folgenden Kapitel sind sehenswert, insbesondere die hochwertigen Aufnahmen des amerikanischen Fotografen Ray D’Addario, der die Trümmerjahre und die Nürnberger Prozesse dokumentierte. Er war einer der offiziellen Bildreporter der US-Armee bei den Nürnberger Prozessen und fotografierte auch in seiner Freizeit, bei vielen Streifzügen durch das zerstörte Nürnberg. 1995 hat das Stadtarchiv seinen fotografischen Nachlass aus diesen Jahren – Negative, Originalabzüge und Kleinbilddias – aufgekauft.
Im Kapitel Wiederaufbau und Wirtschaftswunder wiederum werden vor allem Fotografien der städtischen Bauverwaltung gezeigt. Die Behörden hielten die Entwicklung des Stadtbilds schon seit Anfang der 1890er-Jahre systematisch fest, indem sie Bilder von Denkmälern, wichtigen Gebäuden der Altstadt und öffentlichen Bauten anfertigen. Doch erst in den 1950er-Jahren fotografierten die städtischen Mitarbeiter – später auch beauftragte Fotografen – teilweise in Farbe. Bilder mit Brachflächen und Gerüsten erinnern daran, dass sich der Wiederaufbau bis weit in die Sechzigerjahre zog, an einigen Stellen der Stadt noch darüber hinaus. Sie zeigen auch, wie man beim Versuch, eine alte Stadt mit den Ansprüchen der Moderne zu kombinieren, dem Autoverkehr vielerorts Vorrang eingeräumt und so manche Bausünde begangen hat. Gleichzeitig laden Stadtansichten wie Wimmelbilder zum Entdecken ein. Den Abschluss bildet schließlich ein Kapitel über Feste und Feiern, das zeigt, wie Nürnbergs Altstadt in den 1970er-Jahren zu einem Veranstaltungsort und Treffpunkt wurde.
180 Bilder umfasst die Reise durch Nürnbergs Vergangenheit, die damit nicht zu Ende ist: Das Stadtarchiv hat zwar fast zwei Millionen Fotos im Archiv, ist aber auch an weiteren Privatsammlungen interessiert.
Ruth Bach-Damaskinos und Thomas Dütsch: „Nürnberg in Farbe 1935 bis 1975“, Sutton Verlag, 30 Euro
Der amerikanische Fotograf
Ray D’Addario dokumentierte
die Nürnberger Prozesse
Fotografische Raritäten
(im Uhrzeigersinn): Fahrt mit einem historischen
Straßenbahnwagen 1975 vor moderner Kaufhausfassade, Blick in die Obere Wörthstraße 1953, Fußgängertunnel am
Hauptbahnhof 1960, Treiben auf dem Hauptmarkt 1942,
wo ein Teil der Frauenkirche (rechts im Bild) zum Schutz
vor Bombensplittern
ummantelt wurde.
Fotos: Stadtarchiv Nürnberg
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