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Hinweis:
- 1. Band: 758 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag DM 98,-/öS 715,-/sFr 90,-
ISBN 3-608-95938-6
- Beide Bände zusammen DM 158,-/öS 1153,-/sFr 139,-
ISBN 3-608-91807-8
Dieses Werk ist ein Meilenstein für alle, die sich für die Geschichte der Psychoanalyse interessieren und die ihre Entwicklung bis heute verstehen wollen.
"Wer hätte gedacht, daß 1000 Seiten Archivmaterial so dramatisch sein können?", schreibt Janet Sayers im British Journal of Psychotherapy. "Die ergreifende Kraft des Werkes rührt daher, daß es Fragen behandelt, die noch heute sehr lebendig sind.
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Produktbeschreibung
Hinweis:
- 1. Band: 758 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag DM 98,-/öS 715,-/sFr 90,-
ISBN 3-608-95938-6
- Beide Bände zusammen DM 158,-/öS 1153,-/sFr 139,-
ISBN 3-608-91807-8

Dieses Werk ist ein Meilenstein für alle, die sich für die Geschichte der Psychoanalyse interessieren und die ihre Entwicklung bis heute verstehen wollen.

"Wer hätte gedacht, daß 1000 Seiten Archivmaterial so dramatisch sein können?", schreibt Janet Sayers im British Journal of Psychotherapy. "Die ergreifende Kraft des Werkes rührt daher, daß es Fragen behandelt, die noch heute sehr lebendig sind. Den Herausgebern muß man gratulieren, denn sie haben das Material perfekt aufbereitet."

Die Freud/ Klein-Kontroversen, die zwischen 1941 und 1945 in der Britischen Psychoanalytischen Gesellschaft stattfanden, gehören zu den theoretisch ertragreichsten und für die Entwicklung der Disziplin wirkungsmächtigsten Auseinandersetzungen in der Geschichte der Psychoanalyse. Dieser lange Zeit nur in wissenschaftlichen Journalen ausgetragene Dissens brach bald nach Freuds Tod mit ungeheurer Schärfe auf, als die "Wiener" Gruppe, von den Nazis ins Exil gezwungen, mit den vorwiegend kleinianischen "Londonern" in der Britischen Gesellschaft nun ständig am selben Tisch saßen: auf der einen Seite Anna Freud und ihre Anhänger wie Burlingham und Foulkes, auf der anderen die Gruppe um Melanie Klein mit Paula Heimann und dem jungen Winnicott, dazwischen die unabhängige middle group um Strachey, Balint, Bowlby und andere. Es war eine wissenschaftliche Auseinandersetzung um die "richtige" Konzeptualisierung der frühkindlichen Entwicklung, eine wissenschaftstheoretische um die Methode, wie aus dem klinischen Material theoretische Hypothesen zu gewinnen seien, und eine organisationspolitische, bei der es um die Ausbildungsordnung für künftige Analytiker ging. Die beiden sehr sorgfältig edierten Bände enthalten biographische Notizen über die Hauptbeteiligten, Protokolle der Geschäftssitzungen und der Diskussionen, Vorträge, Arbeitspapiere und Memoranda sowie wertvolle Hintergrundinformationen über den Ablauf der Verhandlungen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.01.2001

Englische Reibflächenbehandlung
Mit wem ging die Phantasie durch? Melanie Klein und Anna Freud entdeckten in der gemeinsamen Emigration, was sie alles trennte

Spaltungen gehören zum Wesen wissenschaftlicher Vereinigungen, sie halten sie jung. Die sogenannten Freud-Klein-Kontroversen lassen sich aber nicht so einfach beschreiben: Sie haben innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft nahezu mythischen Charakter, weil sie die Quadratur des Zirkels versuchten: sich zu spalten und dennoch vereinigt zu bleiben.

Was es mit diesen Kontroversen auf sich hat, ließ sich erst genauer einschätzen, als die Protokolle von Geschäftssitzungen und Diskussionen, Dokumente und Vorträge 1991 veröffentlicht wurden. Eine Entidealisierung, hieß es daraufhin, habe stattgefunden. Die vorhergehende Idealisierung hatte so gelautet: Nur in England mit seiner fabelhaften Streitkultur ist es möglich, Kontroversen wirklich auszutragen und dennoch gemeinsam unter einem Dach zu leben.

In Wahrheit dürften die Verhältnisse wesentlich komplexer gewesen sein. Zudem waren die beiden Protagonistinnen der Kontroversen, Anna Freud und Melanie Klein, immerhin insofern vergleichbar, als sie keine Engländerinnen waren. Anna Freud hatte stets etwas Folkloristisches an sich: Was in Österreich das Dirndl, waren in London die Laura-Ashley-Kleider. Melanie Klein hingegen wirkte so, als wäre sie einem Expressionistenkeller entstiegen. Anna Freuds persönliche und politische Lebenskonstante ist mit dem Stichwort "Widerstand" zu fassen, während Melanie Kleins Existenzmetapher mit "Phantasie" beschrieben ist.

Der Siegeszug der "Phantasie" in den Künsten des Surrealismus fällt mit einer völligen Neubewertung des Phantasie- und Destruktionsvermögens zusammen. Die radikale Destruktivität der Phantasien als Ursprung der Menschwerdung stand im Zentrum der Kontroverse: Melanie Klein sah es so. Aber die Destruktivität war nicht nur für die Anna-Freud-Anhänger, sie war auch für die englische Ideologie unannehmbar.

Melanie Klein war schon in den zwanziger Jahren nach England übersiedelt - ihre revolutionären Ideen zur Kinderanalyse kamen in der dortigen psychoanalytischen Vereinigung gut an. Anna Freud hingegen, auch sie war vor allem Kinderanalytikerin, im Grunde jedoch eher Kinderpädagogin, war erst 1938 gemeinsam mit ihrem Vater aus Wien emigriert. Bis dahin hatte Freud sich aus dem schwelenden Streit zwischen den beiden Frauen herausgehalten. Aber daß der Gründervater der Psychoanalyse nun auch in London war, hatte eine enorme symbolische Wirkung. Der Zwang zur Auseinandersetzung verstärkte sich durch Freuds Tod 1939. Anna fühlte sich verpflichtet, das Erbe ihres Vaters in "seinem Sinne" zu bewahren. Aber was war darunter zu verstehen? Melanie Klein glaubte, diesen Sinn viel besser verstanden zu haben und ihm durch kühne Metamorphosen seiner Theorie besser zu dienen.

Anna Freud und ihre Anhänger reduzierten Freuds Theorie auf ein Bild vom infantilen Seelenleben als Autoerotismus und Wunscherfüllung. Dabei ist es offensichtlich kurios, ausgerechnet dem Säugling, der sich - mit Schleiermacher zu reden - in schlechthinniger Abhängigkeit von seiner Mutter befindet, Autarkie zu unterstellen. Und es spricht von Erfahrungsferne, wenn nicht gar -feindseligkeit.

In diese Arena trat Susan Isaacs mit ihrem Text über Wesen und Funktion der Phantasie, dem wohl wichtigsten Beitrag der Kontroversen. Sie prägte den Begriff der Phantasie anders, als er bei Freud gefaßt war, und tat dies in dem Interesse, die ursprüngliche Einheit von Affekt und kognitivem, imaginären Inhalt, den Freud "Vorstellung" genannt hatte, zusammenzubringen.

Isaacs betont die Aktivität des Seelenlebens schon des kleinsten Kindes, während Anna Freuds Kind im ersten Jahr noch gar keine mentale Tätigkeit kennt. Dieser Streit bleibt empirisch unentscheidbar, weil den empiristischen Kriterien einer Naturwissenschaft beide Seiten nicht genügen können. Zudem zeigt er, wie schwierig es damals war, sich von dem zu lösen, was Habermas Freuds "szientistisches Selbstmißverständnis" nennen wird, das beide Gruppen hochhielten.

Worum es letztlich ging, ist selbst im nachhinein nicht einfach zu sagen. Ging es um die "Wahrheit"? Wahrheit kann, zumindest in institutionellem Rahmen, von Interessen und Macht nicht absehen. Wer sich für Wissenschaftstheorie interessiert, für den dürften die zwei Bände über die Kontroverse eine Fundgrube aller möglichen Irrtümer und Fallen darstellen. Der Wissenschaftstheoretiker Horst Brühmann hat in der Zeitschrift "Luzifer-Amor" (Heft 17, 1996) in einer bewundernswürdigen Abhandlung das Profil dieser Kontroversen genau herausgearbeitet. Er nimmt nicht Partei - macht dann allerdings gerade "Partei nehmend" die klügsten Bemerkungen. So korrigiert er die Kritik der Anna-Freud-Anhänger am analogischen Denken der Kleinianer, die stets Erlebnis und wissenschaftliche Beschreibung verwechselten. Das habe sein Recht, meint Brühmann, denn das Phantasma übe reale Wirkung aus, es mache wirklich krank und dürfe deshalb nicht metapsychologisch pseudodiskursiv besprochen werden. Brühmann nennt eine der Weichenstellungen, die später Psychosenbehandlungen erlauben und die tatsächlich nur durch den Kleinianischen Ansatz ermöglicht werden.

Am Schluß tritt in Brühmanns Szenario ein Deus ex machina auf, der die Kontroversen entscheidet. England, das den Krieg gewinnt, den es als Großmacht verliert, baut ein neues Sozialsystem, in dem selbst die Königin auf Sozialhilfeschein zum Arzt gehen kann. George Orwell bereitet dies System mitten im Bombenkrieg mit dem Essay "Socialism and the English Genius" vor. In der Wüste einer völlig veränderten sozialen Welt, in der es fast keine Privatpatienten mehr gab, wurde die Teilhabe am sozialen Kuchen zur Überlebensfrage für die Analytiker, die sich nicht mehr als kontrovers diskutierende Gruppe präsentieren durften, sondern eine in den grundsätzlichen Behandlungsmethoden geeinte Disziplin darstellen mußten.

Der "Chor" der Kommentatoren, schreibt Brühmann, habe sich nur aus "standespolitischen Imperativen" den Kleinianern zugeneigt. Das ist nicht ganz plausibel. Ebensogut könnte man sagen, die Unparteiischen hätten eben gemerkt, daß die Kleinianer besser integrierbar sind, vorurteilsfreier sind und neue Theoreme entwickeln können.

Brühmanns nietzscheanisch-brechtische Inszenierung übergeht die Folgen, die aus den Kontroversen hervorgegangen sind. Kopfschüttelnd konstatiert er, daß beide Gruppen seitenverkehrt die gleichen Fehler machen und nicht richtig zwischen Theoriebildung und Empirie unterscheiden können. Als Historiker und Erkenntnistheoretiker kann er nichts darüber sagen, ob man sich in dieser Situation als eine solche Parteiung auf eine tiefer gehende wissenschaftstheoretische Kontroverse überhaupt hätte einlassen können. Denn diese hätte natürlich auch nur dann funktioniert, wenn sie von den jeweiligen Interessen hätte absehen können.

CAROLINE NEUBAUR

"Die Freud/Klein-Kontroversen". 1941- 1945. Zwei Bände. Herausgegeben von Pearl King und Riccardo Steiner. Aus dem Englischen von Horst Brühmann. Verlag Klett-Cotta, Stuttgart 2000. 758 u. 492 S., geb., 158,- DM.

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