Seit der globalen Finanzkrise von 2008 ist die Welt nicht mehr die alte - eine neue Logik hat sich der internationalen Politik bemächtigt. Die Globalisierung gilt nicht länger als Verheißung, von der alle Länder gleichermaßen profitieren. Aus einer Welt, wo alle Staaten Gewinner waren, ist eine geworden, die vom Nullsummendenken dominiert wird. Das "optimistische Zeitalter", das mit dem Fall der Berliner Mauer begann, ist vorbei, ein neues "Zeitalter der Angst" zieht herauf. Europa und die Vereinigten Staaten werden immer stärker von China und anderen aufstrebenden Mächten wie Indien oder Brasilien herausgefordert. Das neue Denken, wonach der Machtzuwachs eines Landes den Machtverlust des anderen darstellt, verhinderte zuletzt internationale Einigungen beim Klimaschutz und der Weltwirtschaftspolitik. Mit Nullsummenwelt legt Gideon Rachman nicht nur eine ebenso brillante wie unterhaltend geschriebene Überblicksanalyse jüngster Weltgeschichte vor, sondern zeigt auch Lösungen auf, wie diese neue Logik zu überwinden ist - schon jetzt ein Klassiker der Weltpolitik.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Neugerig auf die Ordnung, die Gideon Rachman, der außenpolitische Kommentator der Financial Times, wohl in den finanzpolitischen Scherbenhaufen bringt, arbeitet sich Elmar Altvater, Urgestein der politische Ökonomie, durch die vom Autor zur Orientierung aufgestellten Epochen von 1978 bis heute: Zeitalter der Transformation, des Optimismus, der Angst. Altvater stellt fest, dass Rachmans weitgehend von angenehm kritischer Distanz geprägtes Buch zwar vom Ende des Optimismus titelt, der Autor seinen Text aber durchaus optimistisch endet, nämlich mit einer binären Freund-Feind-Logik. Die wieder findet der Rezensent problematisch, primitiv geradezu, da ihm diese Nullsummenwelt nicht geeignet scheint, alle, wirklich alle prosperieren zu lassen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.06.2012Im Welttheater gehen die Lichter aus
Früher glaubte der Journalist Gideon Rachman an die Selbstheilungskräfte der Märkte – heute sieht er Politik und Wirtschaft als ein globales Nullsummenspiel
In seinem neuen Buch mit dem bemerkenswerten Titel „Nullsummenwelt“ versucht der außenpolitische Kommentator der britischen Financial Times, Gideon Rachman, Ordnung in den finanzpolitischen Scherbenhaufen zu bringen, den die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte hinterlassen hat. Zur besseren Orientierung teilt er die Zeit in Epochen ein: „Das Zeitalter der Transformation 1978 -91; das Zeitalter des Optimismus 1991-2008; das Zeitalter der Angst“.
Da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, lautet der letzte Satz vor dem „Nachwort zur deutschen Ausgabe“: „80 Jahre nach der Großen Depression bleibt ein starkes, erfolgreiches und selbstbewusstes Amerika die beste Hoffnung auf eine stabile und wohlhabende Welt.“ Dabei ist das Chaos, das die Angst auslöst, wohl auch eine Folge der Kriege gegen den Terrorismus, mit denen die Ordnungsmacht USA die Welt überzogen hat.
Das Buch über die Nullsummenwelt endet optimistisch, obwohl es im Untertitel irritierend vom „Ende des Optimismus“ kündet. Kann man das als Zweifel des Autors am Erfolg und Selbstbewusstsein des Hoffnungsträgers USA deuten? Ist die Unentschiedenheit Ausdruck der wirtschaftlichen und finanziellen Krisen, der beschädigten Natur, der sozialen Widersprüche und politischen Konflikte in den etwa vier Jahrzehnten, die der Autor Revue passieren lässt?
In die Zeitspanne seit den 1970er Jahren fallen so markante Ereignisse wie der Zusammenbruch des Weltwährungssystems fixierter Wechselkurse und die seitdem mit ungestümem Tempo betriebene Liberalisierung der globalen Finanzmärkte. Von einschneidender Bedeutung ist der triumphale „Sieg im Kalten Krieg“, als die Berliner Mauer 1989 aus dem martialischen „antifaschistischen Schutzwall“ in ein marodes Bauwerk zerfiel und schließlich bis auf denkmalsgepflegte Reste verschwand, und sich zwei Jahre später die supermächtige Sowjetunion in eine „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ zerlegte.
Jedenfalls war mit dem Kollaps des real existierenden Sozialismus das „Ende der Geschichte“ erreicht. So hatte es der US-amerikanische politische Philosoph Francis Fukuyama Anfang der 90er-Jahre verkündet, auf den sich Rachman in seinem Buch immer wieder bezieht. Gesellschaftlicher Pluralismus, politische Demokratie und freier Markt: Das war die Idee der Stunde. „There is no alternative“ – eine andere Möglichkeit gibt es nicht – wurde von Margaret Thatcher als neoliberale Weltformel propagiert, die millionenfach nachgesprochen wurde, auch von der Financial Times .
Doch dann erfolgte am 11. September 2001 der Anschlag auf Symbole der US-amerikanischen Hegemonie, auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington. Das waren nicht zu übersehende Signale des Übergangs in die von Rachman sogenannte Nullsummenwelt, in der nicht mehr alle – wenn auch in unterschiedlicher Größenordnung – einen Gewinn einstreichen können.
Viele müssen nun auch Verluste tragen. Dass sie dies nicht freudig, sondern murrend tun, ist wohl verständlich. Noch deutlicher aber drängt sich der Epochenwechsel, so schreibt Rachman, im Jahr 2008 auf, als die Welt des „finanzgetriebenen“ Kapitalismus aus den Fugen gerät. Die Bank Lehman Brothers bricht am 15. September zusammen. Der Boom der globalen Finanzmärkte ist zu Ende, den der US-Notenbankchef Alan Greenspan nach 2001 mit seiner Politik des später euphemistisch sogenannten monetary easing angeheizt hatte: Geld kann man ja drucken.
Rachman schreibt über Greenspan, er sei „ein Liberalist“ gewesen, der „wie kein Zweiter die wirtschaftlichen Ideen des Zeitalters des Optimismus“ verkörperte – und das nach dem 11. September. Der mächtige Greenspan war von „instinktivem Misstrauen gegen staatliche Einmischung beseelt“ und davon, „dass man sich den Kräften des Marktes nicht entgegenstellen kann“.
Doch das änderte sich nach der Lehman-Pleite und wegen des drohenden Kollapses des globalen Finanzsystems. Nun mussten die Staaten mit Billionensummen in die Märkte eingreifen. Vielleicht war es aber auch so, dass sich die Finanzinstitute der öffentlichen Gelder bedienten, um sich mit ihrer Hilfe aus dem Krisensumpf ziehen zu können.
Für Rachman markiert das Jahr 2008
– deutlicher als der 11. September 2001 – die Scheide zwischen dem „Zeitalter des Optimismus“ und dem „Zeitalter der Angst“. Nun geraten die schwerste Finanzkrise seit acht Jahrzehnten, Klimawandel, Terrorismus, Ungleichgewichte der Weltwirtschaft, der Mangel an globaler Governance, der Aufstieg „autoritärer Mächte“ – damit sind in erster Linie China und Russland gemeint – und die Vielzahl der „gescheiterten Staaten“ auf die Tagesordnung der Weltpolitik.
Erstaunlicherweise versucht Rachman diese Chimären des Zeitalters der Angst mit der Medizin des „Zeitalters des Optimismus“ zu vertreiben, vor allem mit der üblichen Medizin: „schnelles Wachstum“. Die Frage, wie schnelles oder gar beschleunigtes Wachstum in einer „Nullsummenwelt“ möglich sein kann, bringt Rachman jedoch nicht zur Sprache.
Die Regeln der bipolaren Welt sind seit 1989 passé, die Positivsummen-Welt der Globalisierung ist unter den Trümmern der Finanzkrise begraben. Diese hat sich längst zur Staatsschuldenkrise, zur Währungskrise generell und zur Euro-Krise speziell zugespitzt – und Wachstum kann nicht herbeigezaubert werden.
Wird die Weltgesellschaft nun nach europäischem Muster eine „globale Staatlichkeit“ von Vereinbarungen zwischen Regierungen und supranationalen Institutionen hervorbringen? Gideon Rachman ist skeptisch. Denn die Europäische Union, „die von Anhängern der ‚Weltregierung‘ so oft als Vorbild hochgehalten wird, gibt ein sehr entmutigendes Beispiel ab“. Die Gruppe der 20 wichtigsten Staaten, die G 20, ist zu klein, um in einer Welt von mehr als 200 Staaten als legitim akzeptiert zu werden. Und sie ist zu groß, um effizient handeln zu können.
Die Idee einer „G 2“, bestehend aus den USA und China findet der Autor „in gewisser Weise attraktiv“. Doch welche Rolle kann dann Europa spielen, was bleibt dann von den UN? Ist der „Krebs im System“, den der Autor sich von einem „hochrangigen UN-Offiziellen“ diagnostizieren lässt, noch heilbar?
Es könnte sein, dass „die Achse des Autoritarismus“ in der krisengeschüttelten und schwer regierbaren Welt stärker wird, und diese wird nach Auffassung des Autors vor allem von Russland und China angetrieben. Auch Venezuela, Iran, die Hisbollah in Libanon und die Hamas im Gaza-Streifen drehen an der Achse, wie Rachman vermerkt. Der Georgienkrieg vom August 2008 dient ihm als Beispiel, welches allerdings nicht besonders überzeugend gewählt ist. Denn hat nicht Georgien, ermuntert von der Bush-Regierung, Südossetien angegriffen und so die russische Reaktion provoziert? Die kritische Distanz, die die Lektüre des Buches insgesamt angenehm macht, wird durch neokonservative und neoliberale Stichwortgeber reduziert, die Rachman hier soufflieren lässt.
Besonders schlimm findet es der Autor, dass eine „stärker autokratische Weltordnung es den USA und ihren Verbündeten viel schwerer machen würde, im Ausland zu intervenieren“. Sie könnten ihre „Schutzverantwortung“ nicht mehr wie in Irak, Afghanistan, Libyen, Timor, Somalia wahrnehmen. Das könnte zum Scheitern weiterer Staaten beitragen, darunter möglicherweise auch die von Schwergewichten wie Ägypten oder Mexiko. Die Interventionen, an denen ja auch die Bundeswehr beteiligt ist, dienen nach Lesart des Autors der Verteidigung der Freiheit und der Abwehr autoritärer Tendenzen.
Die Katze ist aus dem Sack. Das ist ein Denkmuster, das im Präsidentschaftswahlkampf der USA heute auch noch funktioniert: Hier die „Allianz“ oder die „Liga der Demokratien“, dort sind die autoritären Staaten. Das ist eine binäre Freund-Feind-Logik, die primitiver ist als die Unterscheidung der einstigen UN-Botschafterin der USA aus Reagans Zeiten: Jeane Kirkpatrick unterschied nämlich zwischen autoritären und totalitären Regimen. Totalitär war nach ihrer Interpretation Kuba, weil es die Freiheit des Marktes und des Eigentums einschränkte. Autoritäre Staaten, das waren in den 1980er-Jahren vor allem die lateinamerikanischen Militärdiktaturen.
Rachman beruft sich mehrfach auf den amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset. Der ging Mitte des 20. Jahrhunderts davon aus, dass eine Demokratie umso gefestigter sei, je wohlhabender das Land ist. 6000 US-Dollar pro Kopf, so rechnet Rachman vor: und eine Demokratie wird nicht scheitern.
China könnte diese Marke erreichen und dann dem Autoritarismus entsagen. Viele Nationen aber bleiben zurück in der Nullsummenwelt, zumal sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Dann gibt es keine Hoffnung mehr auf eine Welt, in der alle prosperieren, in der alle „gewinnen“. Man wird sich in der Nullsummenwelt einrichten müssen. Angela Merkel hat die Parole schon ausgegeben: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“
ELMAR ALTVATER
GIDEON RACHMAN: Nullsummenwelt. Das Ende des Optimismus und die neue globale Ordnung. Aus dem Englischen von Alexandra Steffes und Henning Hoff. Edition Weltkiosk, London und Berlin 2012. 320 Seiten, 19, 90 Euro.
Der Berliner Politikwissenschaftler Elmar Altvater wurde 2004 emeritiert. Er engagiert sich unter anderem bei Attac.
Auf das „Zeitalter
des Optimismus“ folgte das
„Zeitalter der Angst“.
Die Idee einer „G 2“, bestehend
aus den USA und China, findet
Gideon Rachman „attraktiv“.
Die Finanzkrise hat erstaunliche Allianzen bewirkt. Viele Linke und Konservative sind sich einig: So wie bisher geht es nicht weiter. Anderenfalls droht der Welt der freie Fall. Zeichnung: Haderer
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Früher glaubte der Journalist Gideon Rachman an die Selbstheilungskräfte der Märkte – heute sieht er Politik und Wirtschaft als ein globales Nullsummenspiel
In seinem neuen Buch mit dem bemerkenswerten Titel „Nullsummenwelt“ versucht der außenpolitische Kommentator der britischen Financial Times, Gideon Rachman, Ordnung in den finanzpolitischen Scherbenhaufen zu bringen, den die Geschichte der vergangenen Jahrzehnte hinterlassen hat. Zur besseren Orientierung teilt er die Zeit in Epochen ein: „Das Zeitalter der Transformation 1978 -91; das Zeitalter des Optimismus 1991-2008; das Zeitalter der Angst“.
Da die Hoffnung bekanntlich zuletzt stirbt, lautet der letzte Satz vor dem „Nachwort zur deutschen Ausgabe“: „80 Jahre nach der Großen Depression bleibt ein starkes, erfolgreiches und selbstbewusstes Amerika die beste Hoffnung auf eine stabile und wohlhabende Welt.“ Dabei ist das Chaos, das die Angst auslöst, wohl auch eine Folge der Kriege gegen den Terrorismus, mit denen die Ordnungsmacht USA die Welt überzogen hat.
Das Buch über die Nullsummenwelt endet optimistisch, obwohl es im Untertitel irritierend vom „Ende des Optimismus“ kündet. Kann man das als Zweifel des Autors am Erfolg und Selbstbewusstsein des Hoffnungsträgers USA deuten? Ist die Unentschiedenheit Ausdruck der wirtschaftlichen und finanziellen Krisen, der beschädigten Natur, der sozialen Widersprüche und politischen Konflikte in den etwa vier Jahrzehnten, die der Autor Revue passieren lässt?
In die Zeitspanne seit den 1970er Jahren fallen so markante Ereignisse wie der Zusammenbruch des Weltwährungssystems fixierter Wechselkurse und die seitdem mit ungestümem Tempo betriebene Liberalisierung der globalen Finanzmärkte. Von einschneidender Bedeutung ist der triumphale „Sieg im Kalten Krieg“, als die Berliner Mauer 1989 aus dem martialischen „antifaschistischen Schutzwall“ in ein marodes Bauwerk zerfiel und schließlich bis auf denkmalsgepflegte Reste verschwand, und sich zwei Jahre später die supermächtige Sowjetunion in eine „Gemeinschaft unabhängiger Staaten“ zerlegte.
Jedenfalls war mit dem Kollaps des real existierenden Sozialismus das „Ende der Geschichte“ erreicht. So hatte es der US-amerikanische politische Philosoph Francis Fukuyama Anfang der 90er-Jahre verkündet, auf den sich Rachman in seinem Buch immer wieder bezieht. Gesellschaftlicher Pluralismus, politische Demokratie und freier Markt: Das war die Idee der Stunde. „There is no alternative“ – eine andere Möglichkeit gibt es nicht – wurde von Margaret Thatcher als neoliberale Weltformel propagiert, die millionenfach nachgesprochen wurde, auch von der Financial Times .
Doch dann erfolgte am 11. September 2001 der Anschlag auf Symbole der US-amerikanischen Hegemonie, auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon in Washington. Das waren nicht zu übersehende Signale des Übergangs in die von Rachman sogenannte Nullsummenwelt, in der nicht mehr alle – wenn auch in unterschiedlicher Größenordnung – einen Gewinn einstreichen können.
Viele müssen nun auch Verluste tragen. Dass sie dies nicht freudig, sondern murrend tun, ist wohl verständlich. Noch deutlicher aber drängt sich der Epochenwechsel, so schreibt Rachman, im Jahr 2008 auf, als die Welt des „finanzgetriebenen“ Kapitalismus aus den Fugen gerät. Die Bank Lehman Brothers bricht am 15. September zusammen. Der Boom der globalen Finanzmärkte ist zu Ende, den der US-Notenbankchef Alan Greenspan nach 2001 mit seiner Politik des später euphemistisch sogenannten monetary easing angeheizt hatte: Geld kann man ja drucken.
Rachman schreibt über Greenspan, er sei „ein Liberalist“ gewesen, der „wie kein Zweiter die wirtschaftlichen Ideen des Zeitalters des Optimismus“ verkörperte – und das nach dem 11. September. Der mächtige Greenspan war von „instinktivem Misstrauen gegen staatliche Einmischung beseelt“ und davon, „dass man sich den Kräften des Marktes nicht entgegenstellen kann“.
Doch das änderte sich nach der Lehman-Pleite und wegen des drohenden Kollapses des globalen Finanzsystems. Nun mussten die Staaten mit Billionensummen in die Märkte eingreifen. Vielleicht war es aber auch so, dass sich die Finanzinstitute der öffentlichen Gelder bedienten, um sich mit ihrer Hilfe aus dem Krisensumpf ziehen zu können.
Für Rachman markiert das Jahr 2008
– deutlicher als der 11. September 2001 – die Scheide zwischen dem „Zeitalter des Optimismus“ und dem „Zeitalter der Angst“. Nun geraten die schwerste Finanzkrise seit acht Jahrzehnten, Klimawandel, Terrorismus, Ungleichgewichte der Weltwirtschaft, der Mangel an globaler Governance, der Aufstieg „autoritärer Mächte“ – damit sind in erster Linie China und Russland gemeint – und die Vielzahl der „gescheiterten Staaten“ auf die Tagesordnung der Weltpolitik.
Erstaunlicherweise versucht Rachman diese Chimären des Zeitalters der Angst mit der Medizin des „Zeitalters des Optimismus“ zu vertreiben, vor allem mit der üblichen Medizin: „schnelles Wachstum“. Die Frage, wie schnelles oder gar beschleunigtes Wachstum in einer „Nullsummenwelt“ möglich sein kann, bringt Rachman jedoch nicht zur Sprache.
Die Regeln der bipolaren Welt sind seit 1989 passé, die Positivsummen-Welt der Globalisierung ist unter den Trümmern der Finanzkrise begraben. Diese hat sich längst zur Staatsschuldenkrise, zur Währungskrise generell und zur Euro-Krise speziell zugespitzt – und Wachstum kann nicht herbeigezaubert werden.
Wird die Weltgesellschaft nun nach europäischem Muster eine „globale Staatlichkeit“ von Vereinbarungen zwischen Regierungen und supranationalen Institutionen hervorbringen? Gideon Rachman ist skeptisch. Denn die Europäische Union, „die von Anhängern der ‚Weltregierung‘ so oft als Vorbild hochgehalten wird, gibt ein sehr entmutigendes Beispiel ab“. Die Gruppe der 20 wichtigsten Staaten, die G 20, ist zu klein, um in einer Welt von mehr als 200 Staaten als legitim akzeptiert zu werden. Und sie ist zu groß, um effizient handeln zu können.
Die Idee einer „G 2“, bestehend aus den USA und China findet der Autor „in gewisser Weise attraktiv“. Doch welche Rolle kann dann Europa spielen, was bleibt dann von den UN? Ist der „Krebs im System“, den der Autor sich von einem „hochrangigen UN-Offiziellen“ diagnostizieren lässt, noch heilbar?
Es könnte sein, dass „die Achse des Autoritarismus“ in der krisengeschüttelten und schwer regierbaren Welt stärker wird, und diese wird nach Auffassung des Autors vor allem von Russland und China angetrieben. Auch Venezuela, Iran, die Hisbollah in Libanon und die Hamas im Gaza-Streifen drehen an der Achse, wie Rachman vermerkt. Der Georgienkrieg vom August 2008 dient ihm als Beispiel, welches allerdings nicht besonders überzeugend gewählt ist. Denn hat nicht Georgien, ermuntert von der Bush-Regierung, Südossetien angegriffen und so die russische Reaktion provoziert? Die kritische Distanz, die die Lektüre des Buches insgesamt angenehm macht, wird durch neokonservative und neoliberale Stichwortgeber reduziert, die Rachman hier soufflieren lässt.
Besonders schlimm findet es der Autor, dass eine „stärker autokratische Weltordnung es den USA und ihren Verbündeten viel schwerer machen würde, im Ausland zu intervenieren“. Sie könnten ihre „Schutzverantwortung“ nicht mehr wie in Irak, Afghanistan, Libyen, Timor, Somalia wahrnehmen. Das könnte zum Scheitern weiterer Staaten beitragen, darunter möglicherweise auch die von Schwergewichten wie Ägypten oder Mexiko. Die Interventionen, an denen ja auch die Bundeswehr beteiligt ist, dienen nach Lesart des Autors der Verteidigung der Freiheit und der Abwehr autoritärer Tendenzen.
Die Katze ist aus dem Sack. Das ist ein Denkmuster, das im Präsidentschaftswahlkampf der USA heute auch noch funktioniert: Hier die „Allianz“ oder die „Liga der Demokratien“, dort sind die autoritären Staaten. Das ist eine binäre Freund-Feind-Logik, die primitiver ist als die Unterscheidung der einstigen UN-Botschafterin der USA aus Reagans Zeiten: Jeane Kirkpatrick unterschied nämlich zwischen autoritären und totalitären Regimen. Totalitär war nach ihrer Interpretation Kuba, weil es die Freiheit des Marktes und des Eigentums einschränkte. Autoritäre Staaten, das waren in den 1980er-Jahren vor allem die lateinamerikanischen Militärdiktaturen.
Rachman beruft sich mehrfach auf den amerikanischen Soziologen Seymour Martin Lipset. Der ging Mitte des 20. Jahrhunderts davon aus, dass eine Demokratie umso gefestigter sei, je wohlhabender das Land ist. 6000 US-Dollar pro Kopf, so rechnet Rachman vor: und eine Demokratie wird nicht scheitern.
China könnte diese Marke erreichen und dann dem Autoritarismus entsagen. Viele Nationen aber bleiben zurück in der Nullsummenwelt, zumal sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt. Dann gibt es keine Hoffnung mehr auf eine Welt, in der alle prosperieren, in der alle „gewinnen“. Man wird sich in der Nullsummenwelt einrichten müssen. Angela Merkel hat die Parole schon ausgegeben: „Ohne Wachstum ist alles nichts.“
ELMAR ALTVATER
GIDEON RACHMAN: Nullsummenwelt. Das Ende des Optimismus und die neue globale Ordnung. Aus dem Englischen von Alexandra Steffes und Henning Hoff. Edition Weltkiosk, London und Berlin 2012. 320 Seiten, 19, 90 Euro.
Der Berliner Politikwissenschaftler Elmar Altvater wurde 2004 emeritiert. Er engagiert sich unter anderem bei Attac.
Auf das „Zeitalter
des Optimismus“ folgte das
„Zeitalter der Angst“.
Die Idee einer „G 2“, bestehend
aus den USA und China, findet
Gideon Rachman „attraktiv“.
Die Finanzkrise hat erstaunliche Allianzen bewirkt. Viele Linke und Konservative sind sich einig: So wie bisher geht es nicht weiter. Anderenfalls droht der Welt der freie Fall. Zeichnung: Haderer
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