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Eine der häufigsten Fragen an Holocaust-Überlebende ist, warum die Juden sich nicht stärker gewehrt haben. Die Erinnerungen des polnischen Juden Thomas Toivi Blatt zeigen, warum diese Frage von falschen Voraussetzungen ausgeht. Er selbst wurde als 15jähriger gemeinsam mit seiner Familie in das Vernichtungslager Sobibór gebracht. Dort mußte er mitansehen, wie Mutter, Vater und Bruder in die Gaskammern geschickt wurden. Thomas hingegen wurde zunächst als "Friseur" und später zum Sortieren der Kleider eingeteilt. Mit wachsender Verzweiflung und schwindender Hoffnung planten einige Häftlinge einen…mehr

Produktbeschreibung
Eine der häufigsten Fragen an Holocaust-Überlebende ist, warum die Juden sich nicht stärker gewehrt haben. Die Erinnerungen des polnischen Juden Thomas Toivi Blatt zeigen, warum diese Frage von falschen Voraussetzungen ausgeht. Er selbst wurde als 15jähriger gemeinsam mit seiner Familie in das Vernichtungslager Sobibór gebracht. Dort mußte er mitansehen, wie Mutter, Vater und Bruder in die Gaskammern geschickt wurden. Thomas hingegen wurde zunächst als "Friseur" und später zum Sortieren der Kleider eingeteilt. Mit wachsender Verzweiflung und schwindender Hoffnung planten einige Häftlinge einen Aufstand. Blatt war daran maßgeblich beteiligt. Die Flucht gelang, zahlreiche SS-Männer wurden getötet, mehr als 300 Insassen des Lagers konnten entkommen. Aber der Kampf ums Überleben ging weiter. Der Junge fand in Verstecken Unterschlupf, aber keine Sicherheit. Einer seiner vermeintlichen Beschützer versuchte sogar, ihn umzubringen. Mit einer schweren Schußverletzung mußte er nach einer neuen Zuflucht suchen. Kurz vor Ende des Krieges schloß er sich einer Partisanengruppe an, um weiterzukämpfen - einen Kampf für Gerechtigkeit, für Menschlichkeit und um das einfache Überleben, der sein ganzes Leben anhalten sollte. Thomas Blatt schildert diese Erlebnisse in einer nüchternen Sprache, die weder die Opfer heroisiert noch die Täter dämonisiert. Seine Geschichte ist ein erschütterndes Dokument, das zeigt, warum Freundschaft und Haß, Menschlichkeit und Grausamkeit, Trauer und Teilnahmslosigkeit in extremen Situationen keine Gegensätze mehr sein können.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 25.04.2000

Wie einer das Kämpfen lernte
Flucht aus Sobibór: Thomas Toivi Blatts Überlebensbericht
THOMAS TOIVI BLATT: Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór, Aufbau-Verlag, Berlin, 2000. 335 Seiten, 39,90 Mark.
Sobibór war das kleinste der Vernichtungslager der Nazis – jenes, das die Mörder mit hübschen Blumenrabatten und bunten geschnitzten Wegweisern ausstaffierten und dessen makellos geharkten Weg zu den Todeskammern die SS-Männer „Himmelfahrtsstraße” nannten. 250 000 Menschen wurden hier zwischen Mai 1942 und Oktober 1943 ermordet, 62 überlebten das Lager: neun, die schon vorher aus dem so genannten Waldkommando geflohen waren, und 53 Teilnehmer des Aufstands vom 14. Oktober 1943.
Und sie wehrten sich doch
Thomas Toivi Blatt, der am 28.  April 1943, als 15-jähriger, aus dem Ghetto Izbica nach Sobibór deportiert wurde, ist einer der Überlebenden; einer, der auch Einblick hatte in den geplanten Verlauf des Aufstands. Es war ein Aufstand, der sich als Massenflucht schon im Minenfeld, der das Lager umgab, totlief, spätestens aber in den Wäldern: Von den 400 Lagerinsassen, die sich am Kampf beteiligten, entkamen 320; in den folgenden zwei Wochen verschärfter Fahndung wurden 170 gefangen und exekutiert.
Von den übrigen 150 kamen nur 53 durch; die anderen wurden im Lauf der nächsten Monate aufgegriffen, meist mit Hilfe der polnischen Bevölkerung. Immerhin – und darauf ist der Autor noch heute stolz – war es ein wirklicher Aufstand, bei dem zehn Deutsche und zwei Volksdeutsche getötet wurden. Die SS reagierte mit einem Großeinsatz: Bis zu 500 Mann SS, dazu ukrainische Hilfstruppen, 150 Soldaten der Wehrmacht, 100 Mann berittene Polizei und ein Flugzeug machten Tag und Nacht Hatz auf die Entflohenen.
Wenn auch die Literatur über Sobibór nicht sehr umfangreich ist: Die Fakten sind bekannt – aber so, wie sie hier geschildert werden, mit geradezu gnadenloser Genauigkeit, hat man diese Geschichte von einer nahezu aussichtslosen Flucht ins Leben noch nicht gelesen. Blatt ist als Zeuge im Hagener Prozess aufgetreten, Auszüge aus den Prozessunterlagen und aus seinen Erinnerungen wurden immer wieder zitiert und auch für den Dokumentarfilm „Escape from Sobibór” verwendet. Vollständig aber liegt diese „Geschichte eines jüdischen Teenagers, der unbedingt am Leben bleiben wollte” erst seit drei Jahren vor – und jetzt auch in deutscher Übersetzung. Es ist ein Buch, das man nicht aus der Hand legen kann – großartig geschrieben, rücksichtslos ehrlich, in beklemmender Sachlichkeit, die ein wenig auch vom Absterben jedes Gefühls in einem Lager wiedergibt, dessen Insassen ausnahmslos zum Tode bestimmt waren. Denn auch wer überlebte, lebte nicht mehr. Man kann nicht anders: Man muss dieses den Atem abschnürende Zeugnis der Flucht durch ein feindliches Land, das nicht mehr Heimat ist, in einem Stück bis zum Ende lesen. Dass da noch nichts zu Ende war, dass zwei der Geflüchteten, die die zwölf Monate bis zum Einmarsch der Roten Armee durchkamen, dann 1945/46 von antisemitischen Polen erschlagen wurden, ist eine andere Geschichte.
In Polen erschien Blatts Bericht, der sich auch auf Tagebuchnotizen stützt, an denen dieser schmale, zähe Junge selbst noch im Lager und danach im engen Versteck einer dunklen Scheune festhielt, 1953 nur in Auszügen. Aber auch als er 1958 nach Israel emigrierte, konnte er seinen Text nicht veröffentlichen. Man glaubte ihm nicht.
Es ist tatsächlich eine unglaubliche Geschichte, die hier erzählt wird als eine Kette von Unwahrscheinlichkeiten, von beinahe grotesken Zufällen, von instinktiv richtiger Einschätzung eines tödlichen Moments, von Vorsicht und geradezu tollkühnem Zutrauen zu Menschen. Sehr verschiedene Menschen treten in dieser Überlebensgeschichte auf: Tadek zum Beispiel, ein Volksdeutscher in Izbica, in dessen Werkstatt Toivi arbeitet und wo er sich bei den „Aktionen” verkriecht, während Tadek selbst auf Judenjagd geht. Oder Pan Paszkowski, ein polnischer Angestellter, der ihm für die (gescheiterte) Flucht nach Ungarn Ariernachweis und Kruzifix besorgt. Oder bei der Ankunft in Sobibor der SS-Mann, dessen Blick er kreuzt, dem er auffällt – was ihn vorläufig rettet. Oder der Bauer Bojarski, bei dem er, nachdem er und seine zwei Kameraden ausgehungert und sterbensmüde in den Wäldern um das Vernichtungslager geirrt sind, Unterschlupf findet. Gegen Geld und Diamanten aus dem Besitz der vergasten Juden, nicht aus christlicher Barmherzigkeit.
Seine beiden Kameraden wird Toivi verlieren – und er wird fast vergehen aus Angst; nicht aus Angst vor der Gefahr, sondern aus Angst vor der Einsamkeit. Und von allen Geschichten, die Thomas Toivi Blatt erzählt, ist diese, die von der Verzweiflung und Einsamkeit eines jüdischen Jungen, die bewegendste.
ELISABETH BAUSCHMID
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.11.2000

Gerettete und Untergegangene
Holocaust-Überlebende berichten: Erlittene Geschichte statt abstrakter Zahlen von Millionen Toten

Thomas Tiovi Blatt: Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór. Aus dem Amerikanischen von Monika Schmalz. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 335 Seiten, 39,90 Mark.

Elena Lappin: Der Mann mit zwei Köpfen. Aus dem Englischen von Maria Buchwald und Monika Bucheli. Chronos Verlag, Zürich 2000. 120 Seiten, 29,- Mark.

David Faber mit James D. Kitchen: Romeks Bruder. Erinnerungen eines Holocaust-Überlebenden. Aus dem Englischen von Gabriele Ackermann. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000. 224 Seiten, 22,50 Mark.

Timothy W. Ryback: Der letzte Überlebende. Auf der Suche nach Alfred Zahlenfeldt. Aus dem Englischen von Christian Wiese. Siedler Verlag, Berlin 2000. 224 Seiten, 39,90 Mark.

"Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen", schrieb der italienische Schriftsteller Primo Levi vor fast 15 Jahren in der Essaysammlung "Die Untergegangenen und die Geretteten". Die eigentlichen Zeugen, deren Aussagen eine allgemeine Bedeutung gehabt hätten, sind Levi zufolge die Untergegangenen, das eigentliche Symbol für den Holocaust nicht Auschwitz, sondern Belzec, Treblinka oder Sobibór.

Zu den wenigen, die von dort zurückkehren konnten und ihre Sprache nicht verloren hatten, gehört Thomas Tiovi Blatt, dem im Herbst 1943 bei einem organisierten Aufstand im Vernichtungslager Sobibór die Flucht gelang. Bei diesem bis heute wenig bekannten Widerstandsakt wurde ein großer Teil der SS-Lagerleitung getötet, etwa dreihundert sogenannte "Arbeitsjuden" konnten ausbrechen, von denen mehr als fünfzig das Kriegsende überlebten. Nach dem Aufstand wurde das Lager von der SS geschlossen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren in Sobibór bereits mehr als eine Viertelmillion Juden aus Polen und anderen europäischen Ländern ermordet worden.

Angesichts der makabren Perfektion, mit der die Opfer des Genozids getäuscht und dessen Spuren verwischt wurden, kommt dieser Dokumentation eine besondere Bedeutung zu, die Blatt sehr wohl bewußt ist. Mit einer auch sich selbst gegenüber schonungslosen Offenheit beschreibt er die mörderische Routine des Lagers, in das er im Alter von 15 Jahren mit seiner Familie aus Izbica, einem Stetl in der Nähe von Lublin, im April 1943 deportiert wurde. In seinem Bericht ist die Suche nach dem Dialog zu spüren, nach der gedanklichen und emotionalen Verbindung zu den anderen Gefangenen, den Geretteten wie den Zurückgelassenen, deren gemeinsamer Anstrengung er sein Leben verdankt.

Wie viele andere, die als Überlebende zugleich Augenzeugen eines Verbrechens waren, dessen Ausmaß die Vorstellungskraft der Außenwelt überstieg, blieb auch Blatt nach der Befreiung mit seiner Erinnerung und seiner Zeugenschaft allein. Im Polen der Nachkriegszeit stimmte sein Bericht nicht mit der offiziellen Geschichtsschreibung überein. In Israel, wohin er 1958 emigriert war, glaubte man ihm seine Geschichte nicht. Der Hagener Prozeß gegen einige Lagerkommandanten von Sobibór, in dem er 1966 aussagte, wurde von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Erst nach dem ersten Generationswechsel Ende der siebziger Jahre - Blatt lebte inzwischen in den Vereinigten Staaten - konnte er Teile seiner Tagebuchnotizen publizieren. An dem nun vorliegenden Gesamtbericht hat er mit Unterbrechungen vierzig Jahre lang gearbeitet.

Die unvermindert zahlreich erscheinenden Berichte von Überlebenden des Holocaust, die manch einer als Schoah-Busineß oder Pädagogen-Keule abqualifizieren mag, lassen sich auch als Abschied, als Vermächtnis derjenigen lesen, die das Wort ergreifen, bevor sie es nicht mehr können. Es ist nahezu selbstverständlich, daß dabei der eine Bericht mehr und manch anderer weniger aufschlußreich zu lesen und nicht jede Veröffentlichung zwingend ist. Ein vor vier Jahren erschienenes Buch wurde zum Skandal, als herauskam, daß dessen Autor Bruno Doesseker sich unter dem Namen Binjamin Wilkomirski aus den Bruchstücken von Überlebensgeschichten anderer eine jüdische Identität als Holocaust-Opfer zurechtgeschneidert und angeeignet hatte.

Mann mit zwei Köpfen

Die britische Schriftstellerin Elena Lappin, die an einer Preisverleihung für den Autor Wilkomirski beteiligt gewesen war, vollzieht den Prozeß der eigenen Täuschung nochmals nach. Sie will die Wahrheit einer Geschichte herausfinden, an die sie zunächst trotz einiger Unstimmigkeiten geglaubt hatte. In ihrer persönlich gehaltenen, zwischen widerstreitenden Gefühlen und kühler Kriminalistik balancierenden Recherche nach dem "Mann mit zwei Köpfen" entdeckt sie eine Kette von Beweisen dafür, daß Doessekers Buch eine Fiktion ist. Das Ergebnis beurteilt sie milde: Die beschriebenen Qualen seien authentisch, nur rührten sie eben keineswegs aus Auschwitz oder Majdanek, sondern aus der Verletztheit eines ungeliebten Pflegekinds im Schweizer Adelboden, das Mitleid verdiene.

Doesseker hat sich auf seine Weise erfolgreich Mitleid verschafft, indem er mit seiner angemaßten Identität, die er auch in Dokumentarfilmen "verkörperte", im Namen derjenigen auftrat, die lebenslänglich von ihrer Erinnerung verfolgt wurden und diese oft nur aus der Pflicht zur Überlieferung heraus aufzuzeichnen vermochten. Daß deren Zeugnis nun womöglich von enttäuschten Lesern mit Skepsis aufgenommen werden könnte, ist eine Gefahr, auf die Elena Lappin anspielt, wenn sie nach einem Gespräch mit Steven Spielberg über dessen Video-Archiv feststellt: "Unser Vertrauen in diese Erinnerungen zu zerstören, wäre schrecklich; ihre Richtigkeit in Frage zu stellen, ebenfalls."

Nun hatte die "Richtigkeit" von Erinnerungen auch zuvor schon ihre Grenzen, denn alle Erinnerung ist subjektiv und gibt eine individuell erlebte und erlittene Geschichte wieder - gerade darin liegt ja ihr Wert, daß sie vorstellbar macht, was in den abstrakten Zahlen von Millionen Toten ein einzelnes Leben bedeutet. Und gerade weil das jüdische Volk und dessen Geschichte in der Schoa ausgelöscht werden sollte, sind neben der genauen Rekonstruktion im Großen wie im Kleinen die erzählten "Existenzbeweise" (so der Titel eines Buchs der polnischen Autorin Hanna Krall) oft die einzigen Hinweise auf das, was jüdisches Leben einmal bedeutet hat.

Daß die historische Wahrheit sich nicht allein aus den Erinnerungen von Zeugen, sondern aus einer Vielzahl von Quellen und Dokumenten und dem Abgleich verschiedener Aussagen zusammensetzt, ist eine schlichte Tatsache, die eigentlich nicht erwähnt werden müßte. Warum also sollte man nach dem Wilkomirski-Skandal den Erinnerungen von Überlebenden des Holocaust nicht mehr trauen, wo doch das, wovon sie berichten, seit langem bekannt und vielfach dokumentiert ist? Die Konsequenz ist nicht geringeres Vertrauen, sondern eine geringere Gedankenlosigkeit, eine größere Aufmerksamkeit und Genauigkeit im Umgang mit solchen Erinnerungen.

Es ist deshalb zu einfach, diese in Klappentexten vorab als fiktiv zu bezeichnen, wie es mit der Überlebensgeschichte von David Faber aus Kattowitz geschieht, die dieser seinem Bruder Romek, einem jüdischen Widerstandskämpfer, gewidmet hat. Angesichts mancher offenbleibender Fragen erscheint zwar der Hinweis darauf, daß Realität, Fiktion und später erworbene Informationen sich in der Erzählung vermischen, nicht ganz unberechtigt. Aber kann man einen Bericht, in dem zahlreiche Schilderungen von sadistischen Gewalttaten dominieren, noch als "erschütterndes Zeugnis gegen das Vergessen" lesen, wenn ihm im Satz zuvor bescheinigt wurde, daß er in Teilen fiktiv sei? Damit wird in vorauseilender Absicherung nicht nur auf die Subjektivität der Erinnerung verwiesen, sondern auch gleich noch die Authentizität der Zeugenschaft aufgegeben, was jede Nachfrage zum Text von vornherein obsolet werden läßt.

Ob es aber um die Authentizität der Zeugenschaft überhaupt geht und worauf sie sich gründet - diese Frage stellt der amerikanische Journalist Timothy W. Ryback. In seiner subtil beobachtenden Reportage über den Umgang mit der Vergangenheit im Dachau der neunziger Jahre wendet er den Zweifel an der Glaubwürdigkeit eines schillernden Zeitzeugen zum Zweifel an der Relevanz von Fakten und Akten. Jener skurrile Überlebende, in der deutschen Fassung Alfred Zahlenfeldt genannt, treibt im Krematorium des ehemaligen Lagers sein Unwesen, wo er, der sanktionierten Historie widersprechend, behauptet, daß in Dachau doch Vergasungen stattgefunden hätten.

Zahlenfeldts Identität, deren Spuren Ryback bis ins polnische Hinterland verfolgt, bleibt ebenso lückenhaft wie seine Erinnerung. Als er schließlich preisgibt, daß seine Frau und seine Tochter von judenfeindlichen Polen umgebracht worden seien, glaubt Ryback den Schlüssel zu Zahlenfeldts Geheimnis gefunden zu haben. Dieser sei in den "unwiderstehlichen Sog einer weit tiefer liegenden emotionalen Kraft" geraten, einer jenseits der Tatsachen der Geschichte wirkenden Kraft, der gegenüber Aktennachweise und Statistiken nur noch als blasse Behauptungen zu erscheinen vermögen. Aber wenn es für Alfred Zahlenfeldt, den der faszinierte Autor zum "letzten Überlebenden" überhöht, auf die historische Wirklichkeit vielleicht nicht mehr ankommt, so müssen doch diejenigen, denen gegenüber er als Zeuge auftritt, das anders sehen. Denn so unscharf und gefühlsbestimmt die Erinnerung auch sein mag - wo sie Zeugenschaft beansprucht, kann die Identität des Zeugen nicht unklar bleiben, heiße er nun Wilkomirski oder Zahlenfeldt.

SABINE FRÖHLICH

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