Aus einer scheinbar banalen Begebenheit entwickelt sich eine packende Erzählung über Liebe, Sex und die verschiedenen Auffassungen von Ehe, Erziehung und Freundschaft. Die Ohrfeige zwingt alle Beteiligten dazu, ihr eigenes Familienleben, all ihre Erwartungen, Überzeugungen und Wünsche infrage zu stellen. Aus acht Perspektiven schildert Tsiolkas eindrücklich das innere Erleben der Gäste.
Ein großer Gesellschaftsroman - ein Roman über die moderne Familie.
- Monatelang auf den Bestsellerlisten in Großbritannien und Australien
- Ausgezeichnet mit dem »Commonwealth Writers' Prize«
- Nominiert für den »Man Booker Prize«
- Verfilmt als Fernsehserie
Ein großer Gesellschaftsroman - ein Roman über die moderne Familie.
- Monatelang auf den Bestsellerlisten in Großbritannien und Australien
- Ausgezeichnet mit dem »Commonwealth Writers' Prize«
- Nominiert für den »Man Booker Prize«
- Verfilmt als Fernsehserie
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Das Panorama ist dann doch etwas zu weit geraten, mutmaßt Claudia Kramatschek angesichts des Romans von Christos Tsiolkas, der sich mit seinem Roman vornimmt, die australische Mittelschicht zu desavouieren und dabei gleich das ganze 21. Jahrhundert mit abhakt: die heikle Balance zwischen Arbeit und Privatleben, Liebe, Identität, 9/11. Wäre nicht nötig gewesen, meint Kramatschek. Die Kreise, die der Autor zieht, von der Familie hin zu gesamtgesellschaftlichen Phänomenen, von der vermeintlichen liberalen Aufgeklärtheit hin zur Bigotterie und schreienden Einsamkeit, hätten ihr wohl gereicht. Auch wenn der Autor, der einigen seiner Figuren die Möglichkeit zur Läuterung mit auf den Weg gibt, nicht die Schärfe eines Tom Wolfe erlangt, wie die Rezensentin etwas enttäuscht feststellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2012Unterirdisches Australien
Christos Tsiolkas zeigt die Abgründe einer Familie
Wieder ein neuer Franzen! Diesmal soll ihn der Greco-Australier Christos Tsiolkas geschrieben, ach was, übertroffen haben. Das Cover prahlt mit der "Los Angeles Times". Die will noch eine Prise Philip Roth und ein Quentchen Tom Wolfe hineingeschmeckt haben. Soll damit etwa der ausgiebig furzende und dabei an den "Duft" junger weiblicher Geschlechtsteile denkende Hector gemeint sein?
Eines Sonntagmorgens hat er doch glatt mit seiner indischstämmigen Ehefrau Aisha "wunderbar entspannten Sex", obwohl er sie gelegentlich auch gern härter rannimmt. Und eines anderen warmen Morgens raucht er einfach "ganz entspannt" seine Zigarette, obwohl Aisha das nicht gut findet. Er wirft ihr dann kleinbürgerliches Moralpredigertum vor und sie ihm schwächliches Phlegma. Aber insgesamt sind die beiden ziemlich locker, auch im Umgang mit ihren beiden Kindern Melissa und Adam. Auf ihrem Grillfest im Kreise der griechischen Sippe und einiger Freunde werden Neneh-Cherry-CDs aufgelegt. Christos Tsiolkas stapelt "knusprige Lammkoteletts und saftige Filetsteaks" auf dem Grilltisch, gibt "Auberginen-Tomaten-Eintopf" hinzu und vergisst auch nicht Aishas "kardamongetränktes Curry mit Lamm" zu erwähnen - es ist eine bunte Truppe und ihre lustige Fusion-Küche soll migrantische Weltläufigkeit im Sinne einer "big fat greek wedding" zum Ausdruck bringen. Man wäre gerne dabei gewesen, wirklich, am besten zusammen mit Franzen, Roth und Wolfe selbst. Denn die hätten ganz sicher die Unterstellung ihrer wie auch immer zu verstehenden künstlerischen Patenschaft mit einem Schuss literarischen Spiritus auf das Grillgut quittiert.
"Nur eine Ohrfeige" kreist jenseits solch vermessener Vergleiche um ein unerhörtes Ereignis. Hectors Cousin Harry, der seiner liebenden Ehefrau Sandi schon mal ein paar Zähne aus dem Kiefer geschlagen hat, rutscht auf besagtem Grillfest die Hand aus. Er ohrfeigt den unsympathischen kleinen Sohn eines befreundeten Ehepaars. Gewalt gegen wehrlose Kinder, das ist natürlich ein Skandal, das darf und muss in einer aufgeklärten postmigrantischen Gesellschaft geahndet werden - und zwar gerichtlich. Doch das Ereignis stellt jede bisher so gut abgegrillte Gewissheit auf den Kopf. Ist man der Familie gegenüber loyal oder dem Gesetz? Deckt man den gewalttätigen Cousin, oder würde man am liebsten der eigenen Ehefrau auch noch eine pfeffern, weil sie sich weigert, das Haus des Schlägers wieder zu betreten? Das sind so Fragen, die sich natürlich auch vor Gericht nicht klären lassen. Eine grundsätzlich gute, weil Yasmina-Reza-hafte, persönliche Lebenslügen und gesellschaftliche Missstände denunzierende Idee. Doch leider wird sie talentfrei heruntergeplappert.
Sprachlich reizlos mäandert die aus der Perspektive unterschiedlicher Grillfestgäste erzählte Handlung dahin. Als die Jüdin Anouk ankündigt, ihren Job beim australischen Fernsehen zugunsten einer Autorenkarriere aufgeben zu wollen, kreischen ihre Freundinnen los wie Sextanerinnen: "Sie freuten sich total für sie." Das geht dem Leser nicht unbedingt so, aber die Episode versandet schneller, als man sie gelesen hat. Das gilt fast für das gesamte restliche Themenspektrum des Romans: Homosexualität, Missbrauch, Drogen, Gewalt, Aids, Krebs, Rassismus, Stillen. Alles wird angetriggert, aber hinterher so inkonsequent "diskutiert", dass man kaum nachvollziehen kann, wer auf welcher Seite steht und weshalb. Mal ist Hector der brutale Rammler, dann wieder der Romantiker an der Seite einer starken Frau. Mal ist Gary der feinsinnige Intellektuelle, dann wieder ein rülpsender Prolet im Unterhemd.
Halbwegs interessant wird es in der Episode, die aus der Perspektive von Manoli, Hectors Vater, beschrieben wird. Doch alles, was man über griechische Auswanderer wissen könnte, hat Jeffery Eugenides bereits in "Middelsex" erzählt. Man kann dem Roman letztlich also nur seine offene Haltung zur Pornographie gutschreiben. Frauen werden grundsätzlich "gevögelt" oder wünschen, dass selbiges mit ihnen gemacht werde. Und auf jeder dritten Seite paradieren Körperteile ohne handlungsrelevanten Zusammenhang. Der Leser sitzt derweil mit der Frage auf Holzkohlen, ob sich diese vulgäre Ausdrucksweise mit zu viel rotem Fleisch einschleicht - oder vielleicht doch von einer ordentlich plazierten und unbedingt nachvollziehbaren Backpfeife herrührt.
KATHARINA TEUTSCH
Christos Tsiolkas: "Nur eine Ohrfeige". Roman.
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012. 510 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christos Tsiolkas zeigt die Abgründe einer Familie
Wieder ein neuer Franzen! Diesmal soll ihn der Greco-Australier Christos Tsiolkas geschrieben, ach was, übertroffen haben. Das Cover prahlt mit der "Los Angeles Times". Die will noch eine Prise Philip Roth und ein Quentchen Tom Wolfe hineingeschmeckt haben. Soll damit etwa der ausgiebig furzende und dabei an den "Duft" junger weiblicher Geschlechtsteile denkende Hector gemeint sein?
Eines Sonntagmorgens hat er doch glatt mit seiner indischstämmigen Ehefrau Aisha "wunderbar entspannten Sex", obwohl er sie gelegentlich auch gern härter rannimmt. Und eines anderen warmen Morgens raucht er einfach "ganz entspannt" seine Zigarette, obwohl Aisha das nicht gut findet. Er wirft ihr dann kleinbürgerliches Moralpredigertum vor und sie ihm schwächliches Phlegma. Aber insgesamt sind die beiden ziemlich locker, auch im Umgang mit ihren beiden Kindern Melissa und Adam. Auf ihrem Grillfest im Kreise der griechischen Sippe und einiger Freunde werden Neneh-Cherry-CDs aufgelegt. Christos Tsiolkas stapelt "knusprige Lammkoteletts und saftige Filetsteaks" auf dem Grilltisch, gibt "Auberginen-Tomaten-Eintopf" hinzu und vergisst auch nicht Aishas "kardamongetränktes Curry mit Lamm" zu erwähnen - es ist eine bunte Truppe und ihre lustige Fusion-Küche soll migrantische Weltläufigkeit im Sinne einer "big fat greek wedding" zum Ausdruck bringen. Man wäre gerne dabei gewesen, wirklich, am besten zusammen mit Franzen, Roth und Wolfe selbst. Denn die hätten ganz sicher die Unterstellung ihrer wie auch immer zu verstehenden künstlerischen Patenschaft mit einem Schuss literarischen Spiritus auf das Grillgut quittiert.
"Nur eine Ohrfeige" kreist jenseits solch vermessener Vergleiche um ein unerhörtes Ereignis. Hectors Cousin Harry, der seiner liebenden Ehefrau Sandi schon mal ein paar Zähne aus dem Kiefer geschlagen hat, rutscht auf besagtem Grillfest die Hand aus. Er ohrfeigt den unsympathischen kleinen Sohn eines befreundeten Ehepaars. Gewalt gegen wehrlose Kinder, das ist natürlich ein Skandal, das darf und muss in einer aufgeklärten postmigrantischen Gesellschaft geahndet werden - und zwar gerichtlich. Doch das Ereignis stellt jede bisher so gut abgegrillte Gewissheit auf den Kopf. Ist man der Familie gegenüber loyal oder dem Gesetz? Deckt man den gewalttätigen Cousin, oder würde man am liebsten der eigenen Ehefrau auch noch eine pfeffern, weil sie sich weigert, das Haus des Schlägers wieder zu betreten? Das sind so Fragen, die sich natürlich auch vor Gericht nicht klären lassen. Eine grundsätzlich gute, weil Yasmina-Reza-hafte, persönliche Lebenslügen und gesellschaftliche Missstände denunzierende Idee. Doch leider wird sie talentfrei heruntergeplappert.
Sprachlich reizlos mäandert die aus der Perspektive unterschiedlicher Grillfestgäste erzählte Handlung dahin. Als die Jüdin Anouk ankündigt, ihren Job beim australischen Fernsehen zugunsten einer Autorenkarriere aufgeben zu wollen, kreischen ihre Freundinnen los wie Sextanerinnen: "Sie freuten sich total für sie." Das geht dem Leser nicht unbedingt so, aber die Episode versandet schneller, als man sie gelesen hat. Das gilt fast für das gesamte restliche Themenspektrum des Romans: Homosexualität, Missbrauch, Drogen, Gewalt, Aids, Krebs, Rassismus, Stillen. Alles wird angetriggert, aber hinterher so inkonsequent "diskutiert", dass man kaum nachvollziehen kann, wer auf welcher Seite steht und weshalb. Mal ist Hector der brutale Rammler, dann wieder der Romantiker an der Seite einer starken Frau. Mal ist Gary der feinsinnige Intellektuelle, dann wieder ein rülpsender Prolet im Unterhemd.
Halbwegs interessant wird es in der Episode, die aus der Perspektive von Manoli, Hectors Vater, beschrieben wird. Doch alles, was man über griechische Auswanderer wissen könnte, hat Jeffery Eugenides bereits in "Middelsex" erzählt. Man kann dem Roman letztlich also nur seine offene Haltung zur Pornographie gutschreiben. Frauen werden grundsätzlich "gevögelt" oder wünschen, dass selbiges mit ihnen gemacht werde. Und auf jeder dritten Seite paradieren Körperteile ohne handlungsrelevanten Zusammenhang. Der Leser sitzt derweil mit der Frage auf Holzkohlen, ob sich diese vulgäre Ausdrucksweise mit zu viel rotem Fleisch einschleicht - oder vielleicht doch von einer ordentlich plazierten und unbedingt nachvollziehbaren Backpfeife herrührt.
KATHARINA TEUTSCH
Christos Tsiolkas: "Nur eine Ohrfeige". Roman.
Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2012. 510 S., geb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.06.2012Nur nichts anbrennen lassen
Christos Tsiolkas’ australischer Gesellschaftsroman „Nur eine Ohrfeige“ setzt vor allem auf Knalleffekte
Eine Grillparty in Melbourne, ein unausstehliches Kleinkind und eine Ohrfeige, die der Cousin des Gastgebers dem dreijährigen Hugo verpasst – das ist die Achse, um die sich der Reigen dieses australischen Gesellschaftsromans dreht. Hugos Eltern, Rosie und Gary, sind empört. Der Hausherr Hector und auch sein Vater Manolis aber schlagen sich schon aus familiärer Loyalität auf die Seite seines Verwandten Harry, während Hectors indischstämmige Frau Aisha sich mit ihrer Freundin Rosie solidarisiert. Was die erfolgreiche Tierärztin Aisha ebenso wenig ahnt wie ihre und Rosies gemeinsame Freundin Anouk ist, dass Hector ein Verhältnis mit ihrer 17-jährigen Praktikantin Connie hat, deren homosexueller Freund Richie derweil eine fatale Leidenschaft für den ebenfalls ahnungslosen Hector entwickelt.
Das Wort „Nur“ im deutschen Titel „Nur eine Ohrfeige“ des in Australien schon 2008 erschienenen Romans „The Slap“ stapelt also etwas tief, denn der dort 1965 als Sohn griechischer Einwanderer geborene Christos Tsiolkas mobilisiert durch diese Ohrfeige genug Energie und Verwicklungen, um eine ganze Staffel von Daily-Soaps anzutreiben: „Ihr war klar“, heißt es über Anouk, die für eine solche TV-Serie schreibt, „dass das, was sie schrieb, stumpfsinnig und infantil war.“ Lieber würde Anouk deshalb endlich ihren Roman fertig schreiben, doch man muss befürchten, dass auch der nicht anders ausfallen würde als dieser, in dem sie selbst eine Figur ist: Als eine Mesalliance von John Updike und „Sex and the City“, das Gruppenporträt einer Infantilgesellschaft – oversexed, aber so erotisch wie eine Partydroge.
„Nur eine Ohrfeige“ ist eines jener Bücher, in denen ständig Bierflaschen und Dosen geleert werden, aber nie jemand Bier kauft oder Leergut wegbringt. Ob Dialog, ob Handlung – alles läuft hier an einer kurzen Lunte auf den nächsten Knalleffekt zu. Dabei steckt in diesem Buch das Potenzial für jenen großen Roman, den manche englischsprachigen Kritiker allzu voreilig darin schon erblickt haben wollten. Es hätte die Geschichte dreier Generationen griechischer Einwanderer werden können, vor allem die der Eltern, die wie Manolis erkennen müssen, dass sie ihre Kinder, ihre Enkel, ja auch sich selbst an eine oberflächliche Gegenwart preisgegeben haben: „Warum haben wir uns aus den Augen verloren?“, fragen sich da einige alte Freunde, die eine Beerdigung nach Jahrzehnten erstmals wieder zusammengebracht hat. Fern der Heimat, aber auch fern voneinander hat man hier gelebt. Aber was ist dieses Hier? Wenn Rosie in Melbourne manchmal an ihre Heimatstadt Perth am anderen Ende des Landes – am Indischen Ozean, nicht am Pazifik – denkt, gewinnt der fünfte Kontinent plötzlich Konturen, was in der australischen Literatur erstaunlich selten vorkommt. Doch bleibt das Episode in einer Episode, so als würde verdrängt, dass man hier Down Under sehr weit weg vom Rest der Welt lebt.
Auch wenn die als minderjährige Vollwaise aus England eingewanderte Connie an das Schicksal ihrer bisexuellen Eltern denkt und an deren tragischen Aidstod, böte das den Ansatz zu einem größeren Roman. Doch gerade dieser Ansatz verbleibt im Anekdotischen und wird auf erzählerisch billigste Weise abgehandelt – mittels eines Abschiedsbriefes, in dem Connies sterbender Vater diese Tragödie auf gut vier Seiten zusammengefasst hatte.
Dass Christos Tsiolkas für Theater und Fernsehen geschrieben hat und in seiner Danksagung auch das Verständnis seiner „Kollegen in der Tierarztpraxis“ hervorhebt, spricht für seine praktischen Fähigkeiten. Doch effektvolles szenisches Erzählen erzeugt noch keine große Epik und eine Aneinanderreihung von Figurenperspektiven keine Vielschichtigkeit. Nachdem Tsiolkas Aisha über Hunderte Seiten als kontrollierte Persönlichkeit aufgebaut hat, erscheint ihr Gedankenblitz „Oh Gott, Flirten war einfach zu schön“ dann doch zu einfach.
Eher mag man schon glauben, dass der selbstgefällige Macho Hector auf dem Bett eines balinesischen Hotels sitzt und kleinkindhaft quengelt: „Mit ist langweilig!“ Doch warum bricht er wenig später am Restauranttisch in hemmungsloses Schluchzen aus? Weil ihm plötzlich klar geworden ist, welche schlechte Figur er trotz seines perfekten Männerkörpers abgibt? Nachdem Tsiolkas die Unfähigkeit seiner Gestalten, erwachsen zu werden, ausführlich beschrieben hat, darf man sich über solche Implosionen nicht wundern. Ihnen fehlt es an Substanz, um einen kompletten Roman, und einen großen gar, zu tragen. Hier wird mit einem Höchstmaß an Aufregung und Bewegung ein Minimum an Entwicklung erzeugt. Am Ende stirbt dann ein Alter und ein paar Junge ziehen um.
Wenn am Schluss eine neue Generation in den Ernst des Lebens entlassen wird, hat sie nichts aus dem Schicksal ihrer Eltern gelernt, die ihre Adoleszenzprobleme gerade in ihr fünftes Lebensjahrzehnt verschleppt haben. Als Richies Mutter ihn fragt, ob er auf der Feier seines Schulabschlusses auch Drogen nehmen werde, antwortet der, Speed und vielleicht Ecstasy, worauf sie zwar „Ach Schatz“ seufzt, aber Verständnis zeigt: „Ich muss mich wohl damit abfinden, dass du jetzt erwachsen bist“. – Eben nicht.
ULRICH BARON
CHRISTOS TSIOLKAS: Nur eine Ohrfeige. Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 510 Seiten, 24,95 Euro.
Die Geschichte dreier
Generationen von griechischen
Einwanderern bleibt anekdotisch
Als ein Kind geohrfeigt wird, setzt das die Energie frei, um die Konflikte der Erwachsenen aufbrechen zu lassen. Foto: Martin Parr/Magnum/Ag.Focus
Als gelernter TV-Autor versteht sich Christos Tsiolkas auf schnelle Pointen. Foto: Zoe Ali
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Christos Tsiolkas’ australischer Gesellschaftsroman „Nur eine Ohrfeige“ setzt vor allem auf Knalleffekte
Eine Grillparty in Melbourne, ein unausstehliches Kleinkind und eine Ohrfeige, die der Cousin des Gastgebers dem dreijährigen Hugo verpasst – das ist die Achse, um die sich der Reigen dieses australischen Gesellschaftsromans dreht. Hugos Eltern, Rosie und Gary, sind empört. Der Hausherr Hector und auch sein Vater Manolis aber schlagen sich schon aus familiärer Loyalität auf die Seite seines Verwandten Harry, während Hectors indischstämmige Frau Aisha sich mit ihrer Freundin Rosie solidarisiert. Was die erfolgreiche Tierärztin Aisha ebenso wenig ahnt wie ihre und Rosies gemeinsame Freundin Anouk ist, dass Hector ein Verhältnis mit ihrer 17-jährigen Praktikantin Connie hat, deren homosexueller Freund Richie derweil eine fatale Leidenschaft für den ebenfalls ahnungslosen Hector entwickelt.
Das Wort „Nur“ im deutschen Titel „Nur eine Ohrfeige“ des in Australien schon 2008 erschienenen Romans „The Slap“ stapelt also etwas tief, denn der dort 1965 als Sohn griechischer Einwanderer geborene Christos Tsiolkas mobilisiert durch diese Ohrfeige genug Energie und Verwicklungen, um eine ganze Staffel von Daily-Soaps anzutreiben: „Ihr war klar“, heißt es über Anouk, die für eine solche TV-Serie schreibt, „dass das, was sie schrieb, stumpfsinnig und infantil war.“ Lieber würde Anouk deshalb endlich ihren Roman fertig schreiben, doch man muss befürchten, dass auch der nicht anders ausfallen würde als dieser, in dem sie selbst eine Figur ist: Als eine Mesalliance von John Updike und „Sex and the City“, das Gruppenporträt einer Infantilgesellschaft – oversexed, aber so erotisch wie eine Partydroge.
„Nur eine Ohrfeige“ ist eines jener Bücher, in denen ständig Bierflaschen und Dosen geleert werden, aber nie jemand Bier kauft oder Leergut wegbringt. Ob Dialog, ob Handlung – alles läuft hier an einer kurzen Lunte auf den nächsten Knalleffekt zu. Dabei steckt in diesem Buch das Potenzial für jenen großen Roman, den manche englischsprachigen Kritiker allzu voreilig darin schon erblickt haben wollten. Es hätte die Geschichte dreier Generationen griechischer Einwanderer werden können, vor allem die der Eltern, die wie Manolis erkennen müssen, dass sie ihre Kinder, ihre Enkel, ja auch sich selbst an eine oberflächliche Gegenwart preisgegeben haben: „Warum haben wir uns aus den Augen verloren?“, fragen sich da einige alte Freunde, die eine Beerdigung nach Jahrzehnten erstmals wieder zusammengebracht hat. Fern der Heimat, aber auch fern voneinander hat man hier gelebt. Aber was ist dieses Hier? Wenn Rosie in Melbourne manchmal an ihre Heimatstadt Perth am anderen Ende des Landes – am Indischen Ozean, nicht am Pazifik – denkt, gewinnt der fünfte Kontinent plötzlich Konturen, was in der australischen Literatur erstaunlich selten vorkommt. Doch bleibt das Episode in einer Episode, so als würde verdrängt, dass man hier Down Under sehr weit weg vom Rest der Welt lebt.
Auch wenn die als minderjährige Vollwaise aus England eingewanderte Connie an das Schicksal ihrer bisexuellen Eltern denkt und an deren tragischen Aidstod, böte das den Ansatz zu einem größeren Roman. Doch gerade dieser Ansatz verbleibt im Anekdotischen und wird auf erzählerisch billigste Weise abgehandelt – mittels eines Abschiedsbriefes, in dem Connies sterbender Vater diese Tragödie auf gut vier Seiten zusammengefasst hatte.
Dass Christos Tsiolkas für Theater und Fernsehen geschrieben hat und in seiner Danksagung auch das Verständnis seiner „Kollegen in der Tierarztpraxis“ hervorhebt, spricht für seine praktischen Fähigkeiten. Doch effektvolles szenisches Erzählen erzeugt noch keine große Epik und eine Aneinanderreihung von Figurenperspektiven keine Vielschichtigkeit. Nachdem Tsiolkas Aisha über Hunderte Seiten als kontrollierte Persönlichkeit aufgebaut hat, erscheint ihr Gedankenblitz „Oh Gott, Flirten war einfach zu schön“ dann doch zu einfach.
Eher mag man schon glauben, dass der selbstgefällige Macho Hector auf dem Bett eines balinesischen Hotels sitzt und kleinkindhaft quengelt: „Mit ist langweilig!“ Doch warum bricht er wenig später am Restauranttisch in hemmungsloses Schluchzen aus? Weil ihm plötzlich klar geworden ist, welche schlechte Figur er trotz seines perfekten Männerkörpers abgibt? Nachdem Tsiolkas die Unfähigkeit seiner Gestalten, erwachsen zu werden, ausführlich beschrieben hat, darf man sich über solche Implosionen nicht wundern. Ihnen fehlt es an Substanz, um einen kompletten Roman, und einen großen gar, zu tragen. Hier wird mit einem Höchstmaß an Aufregung und Bewegung ein Minimum an Entwicklung erzeugt. Am Ende stirbt dann ein Alter und ein paar Junge ziehen um.
Wenn am Schluss eine neue Generation in den Ernst des Lebens entlassen wird, hat sie nichts aus dem Schicksal ihrer Eltern gelernt, die ihre Adoleszenzprobleme gerade in ihr fünftes Lebensjahrzehnt verschleppt haben. Als Richies Mutter ihn fragt, ob er auf der Feier seines Schulabschlusses auch Drogen nehmen werde, antwortet der, Speed und vielleicht Ecstasy, worauf sie zwar „Ach Schatz“ seufzt, aber Verständnis zeigt: „Ich muss mich wohl damit abfinden, dass du jetzt erwachsen bist“. – Eben nicht.
ULRICH BARON
CHRISTOS TSIOLKAS: Nur eine Ohrfeige. Aus dem Englischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Klett-Cotta, Stuttgart 2012. 510 Seiten, 24,95 Euro.
Die Geschichte dreier
Generationen von griechischen
Einwanderern bleibt anekdotisch
Als ein Kind geohrfeigt wird, setzt das die Energie frei, um die Konflikte der Erwachsenen aufbrechen zu lassen. Foto: Martin Parr/Magnum/Ag.Focus
Als gelernter TV-Autor versteht sich Christos Tsiolkas auf schnelle Pointen. Foto: Zoe Ali
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