Marktplatzangebote
3 Angebote ab € 12,00 €
Produktdetails
  • Verlag: Huber, Zürich
  • Seitenzahl: 271
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 434g
  • ISBN-13: 9783719311582
  • Artikelnr.: 27146481
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.09.1999

Reise mit einem Dämon
Schweizer Aussichten: Prosastücke von Guido Looser

In der kleinen Schweiz gibt es viele Berge und wohl ebenso viele Schriftsteller. Nicht weniger als 150 Autoren aus allen eidgenössischen Landesteilen waren vor einem Jahr zur Buchmesse gereist, um dort in ausgewogenem Proporz die Literatur ihres Landes zu repräsentieren. Dass die Zahl der schreibenden Schweizer in Wahrheit noch viel größer sei, versicherten die Daheimgebliebenen, die keine Einladung nach Frankfurt erhalten hatten. All derer aber, die nicht einmal mehr selbst auf sich aufmerksam machen können, nimmt sich seit geraumer Zeit mit unermüdlichem Engagement der Literaturwissenschaftler Charles Linsmayer an. Zu seinen zahlreichen Projekten gehört die Edition von Texten vergessener oder niemals bekannt gewordener Schweizer Autoren. Als vierzehnter Titel dieser "Reprints" ist nun eine Auswahl mit Prosa von Guido Looser erschienen.

Looser, Jahrgang 1892 und Sohn eines Fabrikanten, verbrachte den größten Teil seines Lebens in Zürich. Dort wuchs er auf, besuchte Schule und Universität und unterrichtete an der Handelsschule, solange seine psychische Labilität ihm das erlaubte. Sein "Dämon", wie Looser dieses Leiden mit antiker Würde nannte, wurde allerdings immer stärker: Wiederholt war er Patient verschiedener psychiatrischer Kliniken, wurde wie sein Generationsgenosse Friedrich Glauser von Ludwig Binswanger behandelt und lebte wie der rund zwanzig Jahre ältere Robert Walser eine Zeit lang in der Anstalt von Herisau. Die Ärzte vermochten jedoch nichts auszurichten: Im November 1937 erhängte sich Looser im Krankenheim "Seeblick", noch im Tod den geliebten Zürcher See vor Augen.

Das sind die Eckdaten eines unglücklichen Lebenslaufes, den Charles Linsmayer in seinem ausführlichen biographischen Anhang nachzeichnet. Dabei entsteht das lebendige Bild eines sensiblen Träumers und Außenseiters, der der Enge seiner Heimat auf vielen Reisen zu entfliehen suchte, dennoch zu keiner wirklichen Selbständigkeit fand und noch als Vierzigjähriger bei seiner Mutter lebte. Das Schreiben wurde für Looser schon früh zu einem Versuch der Lebensbewältigung. 1925 erschien ein Band mit Gedichten; den Romanen "Josuas Hingabe" (1929) und "Die Würde" (1934) legte er eigene Erlebnisse zugrunde.

Der existenzielle Ernst dieser Werke ist unverkennbar, und doch entsteht aus psychischem Leiden allein noch keine gute Literatur. Das ist auch das kritische Urteil Linsmayers, der nüchtern die Epigonalität dieser Bücher beschreibt. Umso stärker ist er allerdings von der poetischen Kraft der kurzen Prosatexte Loosers überzeugt, die in den zwanziger und dreißiger Jahren in verschiedenen Zeitungen erschienen. Fünfundzwanzig davon sind in dem vorliegenden Band versammelt; ergänzt werden sie von drei kurzen Auszügen aus den Romanen. Bei dieser Auswahl scheint freilich die Sympathie des Herausgebers für seinen Schützling dann doch das wichtigste Kriterium gewesen zu sein. Uneingeschränkt wird man sich jedenfalls kaum der Zuversicht anschließen mögen, dass hier ein bedeutender Schriftsteller wieder zu entdecken sei.

In den gelungeneren Stücken, vor allem seinen Reisebeschreibungen, kann Looser freilich auch heute noch Leser in seinen Bann ziehen. Sich selbst zum Zuschauer des Lebens stilisierend, erzählt er von verschiedenen Reisen in den Süden, schildert die Überwältigung des Binnenländers beim ersten Anblick des Meeres und fängt in kleinen Momentaufnahmen alltägliche Begegnungen ein. Unspektakuläre Erlebnisse - Zufallsbekanntschaften in einem Zug, das Kommen und Gehen in einem Tanzcafé - sind mit einer leichten Hand skizziert, die an Peter Altenberg erinnert.

Doch leider lässt es Looser oft nicht mit diesen hingetupften Skizzen genug sein und beschwert seine Beobachtungen mit Sentimentalität und Pathos. Der Weg zum Kitsch ist dabei bedenklich kurz. So scheut er sich nicht, ein Kindchen in seinem Bettchen in der Morgenfrühe die kleinen Augen aufschlagen zu lassen; und wenn die Sonne dann in stiller Größe wandert, kann schon einmal "etwas Schicksalmäßiges" geschehen. Zu einer wahren Feier des Diminutivs wird Loosers Erinnerung an frisch geschlüpfte Vögel, deren Schnäbelchen aus einem Nestchen hervorlugten - oder war es doch eher ein Weihnachtskripplein?

Der süßliche Kleister solcher Gefühlsseligkeit überdeckt schnell die wirklich anrührenden Passagen der Sammlung, in denen Looser mit größerer Distanz von den Leiden des Außenseiters oder den Unbeholfenheiten der ersten Liebe erzählt. Aber reicht das aus, einem Schriftsteller dauerhaften Rang zuzusprechen? Die interessanteste Geschichte des Buches bleibt am Ende doch Loosers eigener Fall.

SABINE DOERING

Guido Looser: "Nur nie jemandem sagen, wohin man reist". Prosa. Zusammengestellt, herausgegeben und mit einem biographischen Nachwort versehen von Charles Linsmayer. Huber, Frauenfeld/Stuttgart/Wien 1998. 272 S., geb., 44,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr