Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 9,50 €
  • Gebundenes Buch

Der Leser begleitet die beiden ungleichen Verbündeten durch den finnischen Sommer und versteht angesichts ihrer abenteuerlichen Mißgeschicke bald, warum der Onkel immer wieder mit seiner merkwürdigen Lebensmaxime kommt:"Siegen macht dumm". Köpf erzählt bewundernswert diskret, was Numi und seinen Neffen weit jenseits der Welt meßbarer Erfolge aneinander festhalten läßt: Nachsicht und Freundschaft. Und das ein Leben lang.

Produktbeschreibung
Der Leser begleitet die beiden ungleichen Verbündeten durch den finnischen Sommer und versteht angesichts ihrer abenteuerlichen Mißgeschicke bald, warum der Onkel immer wieder mit seiner merkwürdigen Lebensmaxime kommt:"Siegen macht dumm". Köpf erzählt bewundernswert diskret, was Numi und seinen Neffen weit jenseits der Welt meßbarer Erfolge aneinander festhalten läßt: Nachsicht und Freundschaft. Und das ein Leben lang.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.09.1996

Fleisch willig, Koch schwach
Hommage an den Onkel: Gerhard Köpf besucht Finnland

Die Widmung ist englisch, das Motto italienisch, die Geschichte aber spielt in Finnland. Voilà. Sie ist aber nicht auf finnisch aufgeschrieben, sondern auf deutsch, denn, so weiß es die Hauptfigur: "Nicht einmal Gott kann Finnisch." Onkel Nurmi, der standesamtlich eigentlich Irenäus heißt, folglich auch nicht, genausowenig wie sein Neffe, der Erzähler. Die beiden fahren im Sommer 1973 in Finnland herum, grundsätzlich nur auf Nebenstraßen, auf der Suche nach Fischgründen und Abenteuern. "Wir spielen in unserem Film", gibt der Onkel als Maxime aus. Ein ungleiches Paar, der Onkel ist dreiundsiebzig, Gynäkologe, Professor und Angelexperte, sein Neffe siebzehn, Schüler und schwer vom Leben gebeutelt, denn seine Mitschülerin Sis hat ihn treulos verlassen und sich dem - obendrein pickelgesichtigen - Klassenkameraden Robert zugewandt. "Ich hatte genau gesehen, wie sie ihn von ihrem Pausenbrot zuerst abbeißen ließ." Und der Onkel hatte den Neffen mitgenommen, ihn von dieser Niederlage zu kurieren und gleichzeitig in die Geheimnisse des Lebens einzuweihen in all ihrer Mannigfaltigkeit. Den Kellner eines nicht sehr flotten Restaurants kann man etwa mit der Bemerkung "Das Fleisch ist willig, aber der Koch ist schwach!" abkanzeln (vorausgesetzt, es wurde Fleisch bestellt), die Furcht, falsch abzubiegen, kann genommen werden durch den Leitsatz: "Der Irrweg ist der Königsweg der Erkenntnis!", und was das andere Geschlecht, Sis also eingeschlossen, angeht, weiß der Gynäkologe: "Frauen können nicht denken."

Der Junge nimmt dies alles dankbar an, denn er verehrt den leicht verkauzten Älteren schon länger und betrachtet ihn als den geeigneten Ersatz für seinen früher oft und inzwischen scheidungsbedingt gänzlich abwesenden Vater. Und Onkel Nurmi lädt auch zur Identifikation ein, schließlich ist er so etwas wie ein Weltbürger: Zu Beginn des Finnland-Abenteuers holt er sich eben noch einen Ehrendoktorhut der Universität Helsinki ab, die Zeit von 1938 bis 1955 verbrachte er in Austin, Texas, sein fast zärtlich geliebtes Auto ist ein Volvo, und wenn er nicht an der Pfeife saugt, dann präferiert er ein Schweizer Zigarillo. Obendrein war er erfolgreicher Langstreckenläufer, jedenfalls bis zu einer zwar erwartbaren, aber doch als schmachvoll erfahrenen Niederlage gegen das finnische Läufer-As Paavo Nurmi am 19. September 1921 in Lugano.

Das brachte ihm zwar den Namen "Nurmi" ein, er betrat aber die Aschenbahn danach nie wieder und sprach auch nicht mehr über diesen Teil seiner Vergangenheit bis zu diesem Sommer 1973. Und ähnlich abrupt wie die Läuferkarriere beendete er wohl auch seine Beziehungen zum anderen Geschlecht nach einer "Geschichte in Dresden", die zu erzählen er dem Neffen zwar in Aussicht stellt, zu Lebzeiten aber nicht mehr dazu kommt.

Statt dessen singt er, dem Jüngeren zur Pein, dauernd Sinatras "My way", und an den Scheiben des Volvo zieht eine Landschaft vorbei, die auf Dauer immer mehr langweilt, "Sumpf, Wasser, Felsen, Birken", stöhnt er in Rondo-Form und fragt den Onkel schließlich erbittert: "Kannst du mir verraten, warum wir eigentlich in diesem Scheiß-Finnland herumkurven?" Der antwortet nur vage, dem Leser aber drängt sich der Verdacht auf: damit der Erzähler was zu erzählen hat über seine Finnland- und Sinatra-Antipathie und seine Liebe zum Onkel, die dem postum in der Erzählung nachgetragen wird. Und dazu gibt es anrührende Ansätze, die aber allesamt durch die windige Konstruktion der ganzen Geschichte rüde zerschreddert werden: So liegen zum Beispiel zwischen der Niederlage des Onkels gegen Nurmi und dem Sommer der Finnland-Fahrt zweiundfünfzig Jahre, in denen ihm zwar selbst der Spitzname "Nurmi" hartnäckig anhaftet, er aber nie ein Wort über dessen Genese gesagt haben will, und selbstverständlich sprechen sämtliche handlungswichtigen Personen in Finnland wundersamerweise ausgezeichnet Deutsch, selbst das Mädchen Kaari, das zu den beiden Reisenden ins Auto steigt, obwohl es gar nicht weg will, und das sich dann eher unaufgefordert für den Erzähler auszieht (und ihn damit fluchtartig in die Wälder treibt).

Onkel Nurmis "Dresdner Geschichte" mit den Frauen klärt sich nach Springteufelmanier. Der Erzähler ist nämlich inzwischen im Besitz des Nachlasses des Onkels und kann deshalb anhand von Originalpapieren ab Seite 163 erklären, dabei habe es sich um des Onkels gescheiterte Liebe zu Margarete Ilse Köhler gehandelt, die sich 1934 von ihm ab- und einem gewissen Karl Koch zugewandt habe, damals schon SS-Sturmbannführer, was ihr dann die Möglichkeit gab, als dessen Frau Ilse Koch zur berüchtigten "Kommandeuse von Buchenwald" zu werden. Das gibt dann dem Erzähler Gelegenheit zu Fragen nach der Zufälligkeit von Biographie, denn es hätte ja quasi die Möglichkeit bestanden, daß die Nurmi-Köhler-Beziehung gehalten hätte und Nurmi dann an ihrer Seite eher zu einem wie Mengele geworden wäre. Oder sie an seiner Seite eine zweite Florence Nightingale. So etwa philosophiert sich's dann zum Eichmann in uns allen, und an dieser Stelle fährt die Erzählung endgültig vor die Wand, da nützt dann auch der Schwedenstahl von Onkel Nurmis Volvo nichts mehr, denn die Diskrepanz zwischen der Geschichte Buchenwalds und dem daraus geschöpften Kalenderblattflachsinn reicht durchaus ins Obszöne.

Bleibt die Frage, wie Gerhard Köpf das passieren konnte. Nun, der Erzähler ist nach eigenem Bekunden heute "einfacher, ledig gebliebener Notar" und schon von daher nicht mit Köpf identisch und obendrein und nach Adam Riese auch sieben Jahre jünger als der Germanistikprofessor. Mag ja sein, daß der nur als Strohmann agierte, um das Notarmanuskript unter seinem etablierten Namen bei einem renommierten Verlag unterzubringen. Das würde manches erklären. Aber längst nicht alles. BURKHARD SCHERER

Gerhard Köpf: "Nurmi oder Die Reise zu den Forellen". Erzählung. Luchterhand Literaturverlag, München 1996. 182 S., geb., 32,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr