Somewhere in Northwest London stands Caldwell housing estate, relic of 70s urban planning. Five identical blocks, deliberately named: Hobbes, Smith, Bentham, Locke, and Russell. If you grew up here, the plan was to get out and get on, to something bigger, better. Thirty years later ex-Caldwell kids Leah, Natalie, Felix, and Nathan have all made it out, with varying degrees of succes - whatever that means. Living only streets apart, they occupy separate worlds and navigate an atomized city where few wish to be their neighbor's keeper. Then one April afternoon a stranger comes to Leah's door seeking help, disturbing the peace, and forcing Leah out of her isolation ...
From private houses to public parks, at work and at play, in this delicate, devastating novel of encounters, the main streets hide the back alleys, and taking the high road can sometimes lead to a dead end. Zadie Smith's NW brilliantly depicts the modern urban zone - familiar to city dwellers everywhere - in a tragicomic novel as mercurial as the city itself.
From private houses to public parks, at work and at play, in this delicate, devastating novel of encounters, the main streets hide the back alleys, and taking the high road can sometimes lead to a dead end. Zadie Smith's NW brilliantly depicts the modern urban zone - familiar to city dwellers everywhere - in a tragicomic novel as mercurial as the city itself.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.2012Zum Leben erweckt
Zadie Smith' Roman über das Herz von London
Die "New York Times" hat "NW" gleich zu einem der zehn wichtigsten Romane des Jahres 2012 gekürt.
Für literarische Eigenwilligkeiten, hat die britische Schriftstellerin Zadie Smith in einem ihrer Essays geschrieben, sei dies keine gute Zeit. Von Schriftstellern werde erwartet, dass sie unterhalten und erkennbar seien - alles andere gelte als Missachtung der Leser. Sie meinte damit nicht, dass sie Bücher ablehne, die unterhalten und gefallen, die klar, geschmackvoll und nicht gewollt unklar sind. Überhaupt nicht. Für Zadie Smith allerdings sind all diese Qualitäten keine wesentlichen Merkmale dessen, was Literatur im Kern ausmacht. "Wenn ich schreibe", heißt es in dem Essay "Besser Scheitern", der sich wie ein Entwurf ihrer eigenen Poetologie liest, "versuche ich, mein Dasein in der Welt auszudrücken. Dies ist in erster Linie ein Verdichtungsprozess: Wenn alle leblosen Ausdrücke gestrichen sind, die übernommenen Lehrmeinungen, anderer Leute Wahrheiten, all die Parolen und Motti, die großen Lügen des eigenen Landes, die Mythen der historischen Situation, in der man sich befindet; wenn alles gestrichen ist, was die Erfahrung in eine Form zwingt, die man nicht akzeptiert und an die man nicht glaubt - dann bleibt am Ende etwas übrig, was der Wahrheit der eigenen Wahrnehmung nahe kommt."
Jetzt hat sie wieder gestrichen, verdichtet, das Leblose aus der Sprache verbannt: in ihrem neuen Roman "NW", den die "New York Times" sogleich zu den zehn wichtigsten Romanen des Jahres 2012 gekürt hat und der im kommenden Herbst in der deutschen Übersetzung erscheinen wird. Sie hat sich dabei, vielleicht zum ersten Mal in ihrer so erfolgreichen wie beeindruckenden Karriere als Schriftstellerin, das geleistet, was man stilistische Eigenwilligkeiten nennen könnte. Sie hat so viel gestrichen, dass Sätze oder Dialoge oft fragmentarisch bleiben wie aufgeschnappte Gesprächsfetzen oder unvollständige Gedanken. Das ist neu. Denn "Zähne zeigen", der Roman, mit dem Zadie Smith im Jahr 2000 die literarische Bühne betrat und so berühmt wurde, dass ihr der Hype um ihre eigene Person schnell auf die Nerven ging, war, genauso wie die darauf folgenden Romane "Der Autogrammhändler" und "Von der Schönheit", zwar ein Ideenroman. Die philosophischen Wahrheiten, die er enthielt, transportierte die Autorin allerdings, ohne dabei die Handlung zurückzunehmen. So waren ihre Romane auf eigentümliche Weise akademisch (der Titel "On Beauty", "Von der Schönheit" ist deshalb auch nicht ironisch zu verstehen). Zugleich waren sie in ihrer direkten Sprache leicht zugänglich, jedenfalls nicht experimentell erzählt.
In "NW" ist das jetzt anders - was nicht als Warnung gemeint ist und allein schon deshalb nicht abschrecken sollte, weil Zadie Smith es virtuos versteht, eigenwillig zu sein, ohne dabei ihre Leser zu verscheuchen. "NW", das sind die zwei Buchstaben, die im britischen Postleitzahlencode für "North-West London" stehen. Denn vom Nordwesten der Stadt erzählt der Roman, genauer gesagt von Kilburn, dem Arbeiterstadtteil, in dem die Autorin als Tochter eines englischen Fotografen und einer in Jamaika geborenen Mutter, die 1969 als Model nach London kam, aufgewachsen ist - zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Ben, in Großbritannien inzwischen besser bekannt als der Comedian und Rapper "Doc Brown".
Ein Zurück zu den eigenen Wurzeln bedeutet "NW" deshalb aber nicht. Zadie Smith hat die ganzen letzten Jahre, wenn sie sich nicht gerade in Amerika aufhielt, mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Kilburn gelebt, in einer Doppelhaushälfte, nicht weit von der Tube-Station entfernt. Vor allem die irischstämmige Bevölkerung und Afro-Karibianer sind hier zu Hause, in einer Welt voller kultureller Gegensätze, die Zadie Smith in ihrem Buch zu Londons Herz macht, zum eigentlichen Zentrum der Stadt: "Er sah sich das Liniennetz der Tube an. Es spiegelte seine Wirklichkeit nicht wider. Für ihn war das Zentrum nicht ,Oxford Circus'. Es waren die hellen Lichter der Kilburn High Road."
Vier Charaktere entwirft Smith in "NW", alles junge Menschen aus Kilburn, zwei Jungen und, wichtiger, weil sie viel mehr Raum einnehmen, das ganze Buch im Grunde ihrer Geschichte gehört, zwei Mädchen, die sich kennen, seit sie vier sind; unzertrennliche Freundinnen, die sich, wie das bei unzertrennlichen Freundinnen so ist, phasenweise meiden, dann wiederfinden und zum Zeitpunkt der Erzählung Mitte dreißig sind: Keisha Blake und Leah Hanwell.
Leah, die irischer Herkunft ist, eine Zeitlang viel in Clubs ging, Drogen nahm und dann doch einen Abschluss in Philosophie machte, arbeitet als einzige Weiße unter lauter schwarzen Frauen in einem Büro in der Gegend und wird von ihren Kolleginnen regelmäßig, wenn auch liebevoll, damit aufgezogen, dass ausgerechnet sie ein Schmuckstück in die Finger bekommen hat, das eigentlich zu ihrer Community gehört: Michel, zur einen Hälfte Algerier, zur anderen aus Guadeloupe. Wie erfüllt diese Beziehung mit Michel ist, vom ersten Tag an, an dem sie sich begegnen und sich wie zum Leben erweckt fühlen, das zeichnet Zadie Smith in einem der ersten Kapitel in einer berührenden Passage nach: zwei Menschen, die glücklich weniger mit den anderen, sondern tatsächlich miteinander sind - wenn nur nicht die Kinderfrage wäre. Sie versuchen es, wenn auch nicht gerade generalstabsmäßig. Er will unbedingt, findet irgendwann aber die Antibabypillen in ihrer Schublade, die sie weiter nimmt, ohne es ihm gesagt zu haben. Denn Leah will, wenn sie ehrlich ist, eigentlich gar keine Kinder. Überhaupt gefällt ihr der Gedanke, erwachsen sein zu müssen, auch mit Mitte dreißig noch nicht.
Keisha dagegen, die von karibischen Einwanderern abstammt und, getrieben von dem Wunsch, eine andere zu sein, ihren Vornamen in Natalie geändert hat, als sie zur Uni ging, ist erfolgreiche Anwältin, wohnt zusammen mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann, der einen afrikanischen Prinzen zum Vater hat, wohl situiert in einem viktorianischen Haus und gibt vornehme Dinnerpartys. Wo Leah in Clubs ging, herumhing oder sich eine Weile lang immer neu zu erfinden versuchte, blieb sie vor allem eins: zielstrebig.
Genau diese unterschiedliche Zeiterfahrung, die die beiden Mädchen, später jungen Frauen bei aller Nähe so sehr voneinander trennt - das Abhängen, Sich-Ausprobieren auf der einen und das Nach-Plan-Agieren auf der anderen Seite -, hat Zadie Smith in einer Art Formexperiment sprachlich voneinander abgegrenzt. Das ist die stilistische Eigenwilligkeit dieses Romans: Für Keisha ist das Leben ein fortschreitender Prozess, der auf ein ultimatives Ziel gerichtet ist, das sie "Erfolg" nennt. Also hat Smith den Teil des Buches, der Keisha gewidmet ist, durchnumeriert. In Paragraphen sozusagen, Erzählabschnitte, von 1 bis 185. Nur dass am Ende eben nicht der Erfolg steht, an den sie gedacht hat, sondern ein eigentümliches Gefühl der Leere, das sie, wie aus der Zeit gefallen, in einer Karnevalsnacht allein und ziellos auf den Straßen von Kilburn herumstreunen lässt. In dem Eingangskapitel von "NW" dagegen, das in der dritten Person von Leah erzählt, kommt es vor, dass auf ein Kapitel mit der Nummer 17 eines folgt, das 37 heißt. Alles ist sprunghaft, auf erzählende Passagen folgen Listen, Liedtexte, Gedichte, abgelauschte, auf den ersten Blick unzusammenhängend erscheinende Dialoge.
So hat Zadie Smith für jede ihrer Figuren eine eigene Sprache gefunden. Allerdings in der dritten Person und nicht in verschiedenen Ich-Erzählungen, die die Autorin nicht mag. Sie hat damit die eindrucksvolle Geschichte einer Freundschaft geschrieben, die von Zaubermomenten erzählt, in denen beide Mädchen, zurechtgemacht und mit langen Beinen, sich in der Schönheit der jeweils anderen spiegeln. Ihren eigentlichen Auftritt haben die beiden überhaupt erst gemeinsam. Dabei haben sie immer wieder das Gefühl, niemand auf der Welt könne ihnen etwas anhaben. Und Zadie Smith erzählt auch vom Hass im Blick von Leah, wenn sie auf "Natalies" Dinnerpartys inmitten von Leuten sitzen muss, denen sie sich nicht gewachsen fühlt und die sie mit ihrem ach so perfekten Leben einschüchtern.
Ihre Zuneigung und feste Zusammengehörigkeit, die allein schon darauf beruht, dass sie einander auswendig kennen, ist bei allen Differenzen ohne den Ort nicht denkbar, der ihre Heimat ist: NW - ein Ort der Vermischung und des Aufeinanderpralls verschiedener Kulturen. Es ist eine Gegend, die Zadie Smith nicht gerade romantisch verklärt, wenn sie ihren Roman in einer Raubmordnacht im Karneval grausam enden lässt. Aber es ist das Zuhause, die Herkunft, das Zentrum von London. Erzählerisch hat Zadie Smith sich dabei ziemlich weit vorgewagt und wirkt doch nie aufgesetzt oder bemüht. Man kann sie dafür einfach nur bewundern.
JULIA ENCKE
Zadie Smith: "NW". The Penguin Press, 401 Seiten, 13,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zadie Smith' Roman über das Herz von London
Die "New York Times" hat "NW" gleich zu einem der zehn wichtigsten Romane des Jahres 2012 gekürt.
Für literarische Eigenwilligkeiten, hat die britische Schriftstellerin Zadie Smith in einem ihrer Essays geschrieben, sei dies keine gute Zeit. Von Schriftstellern werde erwartet, dass sie unterhalten und erkennbar seien - alles andere gelte als Missachtung der Leser. Sie meinte damit nicht, dass sie Bücher ablehne, die unterhalten und gefallen, die klar, geschmackvoll und nicht gewollt unklar sind. Überhaupt nicht. Für Zadie Smith allerdings sind all diese Qualitäten keine wesentlichen Merkmale dessen, was Literatur im Kern ausmacht. "Wenn ich schreibe", heißt es in dem Essay "Besser Scheitern", der sich wie ein Entwurf ihrer eigenen Poetologie liest, "versuche ich, mein Dasein in der Welt auszudrücken. Dies ist in erster Linie ein Verdichtungsprozess: Wenn alle leblosen Ausdrücke gestrichen sind, die übernommenen Lehrmeinungen, anderer Leute Wahrheiten, all die Parolen und Motti, die großen Lügen des eigenen Landes, die Mythen der historischen Situation, in der man sich befindet; wenn alles gestrichen ist, was die Erfahrung in eine Form zwingt, die man nicht akzeptiert und an die man nicht glaubt - dann bleibt am Ende etwas übrig, was der Wahrheit der eigenen Wahrnehmung nahe kommt."
Jetzt hat sie wieder gestrichen, verdichtet, das Leblose aus der Sprache verbannt: in ihrem neuen Roman "NW", den die "New York Times" sogleich zu den zehn wichtigsten Romanen des Jahres 2012 gekürt hat und der im kommenden Herbst in der deutschen Übersetzung erscheinen wird. Sie hat sich dabei, vielleicht zum ersten Mal in ihrer so erfolgreichen wie beeindruckenden Karriere als Schriftstellerin, das geleistet, was man stilistische Eigenwilligkeiten nennen könnte. Sie hat so viel gestrichen, dass Sätze oder Dialoge oft fragmentarisch bleiben wie aufgeschnappte Gesprächsfetzen oder unvollständige Gedanken. Das ist neu. Denn "Zähne zeigen", der Roman, mit dem Zadie Smith im Jahr 2000 die literarische Bühne betrat und so berühmt wurde, dass ihr der Hype um ihre eigene Person schnell auf die Nerven ging, war, genauso wie die darauf folgenden Romane "Der Autogrammhändler" und "Von der Schönheit", zwar ein Ideenroman. Die philosophischen Wahrheiten, die er enthielt, transportierte die Autorin allerdings, ohne dabei die Handlung zurückzunehmen. So waren ihre Romane auf eigentümliche Weise akademisch (der Titel "On Beauty", "Von der Schönheit" ist deshalb auch nicht ironisch zu verstehen). Zugleich waren sie in ihrer direkten Sprache leicht zugänglich, jedenfalls nicht experimentell erzählt.
In "NW" ist das jetzt anders - was nicht als Warnung gemeint ist und allein schon deshalb nicht abschrecken sollte, weil Zadie Smith es virtuos versteht, eigenwillig zu sein, ohne dabei ihre Leser zu verscheuchen. "NW", das sind die zwei Buchstaben, die im britischen Postleitzahlencode für "North-West London" stehen. Denn vom Nordwesten der Stadt erzählt der Roman, genauer gesagt von Kilburn, dem Arbeiterstadtteil, in dem die Autorin als Tochter eines englischen Fotografen und einer in Jamaika geborenen Mutter, die 1969 als Model nach London kam, aufgewachsen ist - zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Ben, in Großbritannien inzwischen besser bekannt als der Comedian und Rapper "Doc Brown".
Ein Zurück zu den eigenen Wurzeln bedeutet "NW" deshalb aber nicht. Zadie Smith hat die ganzen letzten Jahre, wenn sie sich nicht gerade in Amerika aufhielt, mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter in Kilburn gelebt, in einer Doppelhaushälfte, nicht weit von der Tube-Station entfernt. Vor allem die irischstämmige Bevölkerung und Afro-Karibianer sind hier zu Hause, in einer Welt voller kultureller Gegensätze, die Zadie Smith in ihrem Buch zu Londons Herz macht, zum eigentlichen Zentrum der Stadt: "Er sah sich das Liniennetz der Tube an. Es spiegelte seine Wirklichkeit nicht wider. Für ihn war das Zentrum nicht ,Oxford Circus'. Es waren die hellen Lichter der Kilburn High Road."
Vier Charaktere entwirft Smith in "NW", alles junge Menschen aus Kilburn, zwei Jungen und, wichtiger, weil sie viel mehr Raum einnehmen, das ganze Buch im Grunde ihrer Geschichte gehört, zwei Mädchen, die sich kennen, seit sie vier sind; unzertrennliche Freundinnen, die sich, wie das bei unzertrennlichen Freundinnen so ist, phasenweise meiden, dann wiederfinden und zum Zeitpunkt der Erzählung Mitte dreißig sind: Keisha Blake und Leah Hanwell.
Leah, die irischer Herkunft ist, eine Zeitlang viel in Clubs ging, Drogen nahm und dann doch einen Abschluss in Philosophie machte, arbeitet als einzige Weiße unter lauter schwarzen Frauen in einem Büro in der Gegend und wird von ihren Kolleginnen regelmäßig, wenn auch liebevoll, damit aufgezogen, dass ausgerechnet sie ein Schmuckstück in die Finger bekommen hat, das eigentlich zu ihrer Community gehört: Michel, zur einen Hälfte Algerier, zur anderen aus Guadeloupe. Wie erfüllt diese Beziehung mit Michel ist, vom ersten Tag an, an dem sie sich begegnen und sich wie zum Leben erweckt fühlen, das zeichnet Zadie Smith in einem der ersten Kapitel in einer berührenden Passage nach: zwei Menschen, die glücklich weniger mit den anderen, sondern tatsächlich miteinander sind - wenn nur nicht die Kinderfrage wäre. Sie versuchen es, wenn auch nicht gerade generalstabsmäßig. Er will unbedingt, findet irgendwann aber die Antibabypillen in ihrer Schublade, die sie weiter nimmt, ohne es ihm gesagt zu haben. Denn Leah will, wenn sie ehrlich ist, eigentlich gar keine Kinder. Überhaupt gefällt ihr der Gedanke, erwachsen sein zu müssen, auch mit Mitte dreißig noch nicht.
Keisha dagegen, die von karibischen Einwanderern abstammt und, getrieben von dem Wunsch, eine andere zu sein, ihren Vornamen in Natalie geändert hat, als sie zur Uni ging, ist erfolgreiche Anwältin, wohnt zusammen mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann, der einen afrikanischen Prinzen zum Vater hat, wohl situiert in einem viktorianischen Haus und gibt vornehme Dinnerpartys. Wo Leah in Clubs ging, herumhing oder sich eine Weile lang immer neu zu erfinden versuchte, blieb sie vor allem eins: zielstrebig.
Genau diese unterschiedliche Zeiterfahrung, die die beiden Mädchen, später jungen Frauen bei aller Nähe so sehr voneinander trennt - das Abhängen, Sich-Ausprobieren auf der einen und das Nach-Plan-Agieren auf der anderen Seite -, hat Zadie Smith in einer Art Formexperiment sprachlich voneinander abgegrenzt. Das ist die stilistische Eigenwilligkeit dieses Romans: Für Keisha ist das Leben ein fortschreitender Prozess, der auf ein ultimatives Ziel gerichtet ist, das sie "Erfolg" nennt. Also hat Smith den Teil des Buches, der Keisha gewidmet ist, durchnumeriert. In Paragraphen sozusagen, Erzählabschnitte, von 1 bis 185. Nur dass am Ende eben nicht der Erfolg steht, an den sie gedacht hat, sondern ein eigentümliches Gefühl der Leere, das sie, wie aus der Zeit gefallen, in einer Karnevalsnacht allein und ziellos auf den Straßen von Kilburn herumstreunen lässt. In dem Eingangskapitel von "NW" dagegen, das in der dritten Person von Leah erzählt, kommt es vor, dass auf ein Kapitel mit der Nummer 17 eines folgt, das 37 heißt. Alles ist sprunghaft, auf erzählende Passagen folgen Listen, Liedtexte, Gedichte, abgelauschte, auf den ersten Blick unzusammenhängend erscheinende Dialoge.
So hat Zadie Smith für jede ihrer Figuren eine eigene Sprache gefunden. Allerdings in der dritten Person und nicht in verschiedenen Ich-Erzählungen, die die Autorin nicht mag. Sie hat damit die eindrucksvolle Geschichte einer Freundschaft geschrieben, die von Zaubermomenten erzählt, in denen beide Mädchen, zurechtgemacht und mit langen Beinen, sich in der Schönheit der jeweils anderen spiegeln. Ihren eigentlichen Auftritt haben die beiden überhaupt erst gemeinsam. Dabei haben sie immer wieder das Gefühl, niemand auf der Welt könne ihnen etwas anhaben. Und Zadie Smith erzählt auch vom Hass im Blick von Leah, wenn sie auf "Natalies" Dinnerpartys inmitten von Leuten sitzen muss, denen sie sich nicht gewachsen fühlt und die sie mit ihrem ach so perfekten Leben einschüchtern.
Ihre Zuneigung und feste Zusammengehörigkeit, die allein schon darauf beruht, dass sie einander auswendig kennen, ist bei allen Differenzen ohne den Ort nicht denkbar, der ihre Heimat ist: NW - ein Ort der Vermischung und des Aufeinanderpralls verschiedener Kulturen. Es ist eine Gegend, die Zadie Smith nicht gerade romantisch verklärt, wenn sie ihren Roman in einer Raubmordnacht im Karneval grausam enden lässt. Aber es ist das Zuhause, die Herkunft, das Zentrum von London. Erzählerisch hat Zadie Smith sich dabei ziemlich weit vorgewagt und wirkt doch nie aufgesetzt oder bemüht. Man kann sie dafür einfach nur bewundern.
JULIA ENCKE
Zadie Smith: "NW". The Penguin Press, 401 Seiten, 13,95 Euro
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