Rolf Grabower war in leitender Stellung beim Reichsfinanzministerium maßgeblich an der Gestaltung des Umsatzsteuerrechts beteiligt. Als "Dreivierteljude" wurde er vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Anschließend war er zwangsweise als Leiter des jüdischen Arbeitseinsatzes in der Flachsröste Lohhof tätig und wurde im Juni 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. Dort stieg er innerhalb der "Jüdischen Selbstverwaltung" vom Maurergehilfen bis zum Arbeits- und Verwaltungsrichter auf. Über seine Arbeit in der Flachsröste sowie im Ghetto verfasste er Tagesberichte. Die Berichte und einige Urteile des Ghettogerichtes befinden sich in seinem Nachlass. Nachdem er den Holocaust überlebt hatte, befasste sich Grabower mit dem weiterbestehenden Antisemitismus und hierbei auch kritisch mit seinen Zeitgenossen. Dennoch zeigte er sich mit "Persilscheinen" bei den Personen, die ihm während des Hitler-Regimes das Überleben ermöglicht hatten, erkenntlich - unter ihnen auch überzeugte Nationalsozialisten. Dem Leitgedanken Grabowers folgend, analysiert Pauline Arndt sein Handeln.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.03.2023Ein stolzer Deutscher
Grabowers Zeit im Ghetto Theresienstadt
Er wird als "Vater der Umsatzsteuer" und Architekt der Betriebsprüfung bezeichnet. Über Rolf Grabowers Wirken als Richter im Ghetto Theresienstadt ist indes wenig bekannt. Zwar wurde seine Deportation schon 2010 in einem Projekt des Bundesfinanzministeriums aufgearbeitet. Die entsprechenden Websites sind jedoch nicht mehr abrufbar. Zum Glück gibt es nun die hervorragende Untersuchung der Berliner Juristin Pauline Arndt. Dank akribischer Archivrecherchen konnte sie ein kluges und abwägendes Buch über einen stolzen Deutschen schreiben, dem persönliche Eitelkeit zuwider war.
Der christliche Preuße war für die Nationalsozialisten ein "Dreivierteljude". Im Ghetto, das er überlebte, verfasste Grabower zahlreiche Berichte. So schrieb er, dass er "nie so oft einem unverfälschten Hass und Bestreben, dass der andere bestraft wird, begegnet" ist wie in Theresienstadt, er aber auf der anderen Seite auch nie so oft Interventionen pro amico ausgesetzt gewesen sei. Selbst im Lager fühlte er sich als deutscher Beamter, pochte auf Unabhängigkeit, lehnte Geschenke ab. Oberste Priorität hatten Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung. Arndt schreibt, dass Grabower oft die Phrase "wir sitzen alle im selben Boot" nutzte, wenn er mit Vorgeladenen bei Gericht sprach. "Jedoch ist das nicht korrekt. Während Grabower als Prominenter zeitweise sogar ein Zimmer für sich allein beanspruchen konnte und ansonsten mit nur wenigen Personen zusammen in einer der besser instand gehaltenen 'Prominentenhäuser' in Theresienstadt wohnte, mussten die meisten seiner Vorgeladenen teilweise auf dem Boden oder Strohsäcken, zumeist dicht gedrängt in einem kleinen Raum schlafen, in dem es keinerlei Möglichkeit für Privatsphäre oder Ruhe gab."
Nach dem Ende des Krieges verfasste Grabower Aufsätze zur steuerlichen Buchprüfung und Betriebsprüfung. Von 1947 bis 1962 war er Mitherausgeber der Zeitschrift "Steuer und Wirtschaft". Er hielt Vorträge an der Bundesfinanzakademie. Seit einigen Jahren trägt das Hörsaalgebäude der Fachhochschule für Finanzen in Königs Wusterhausen den Namen Grabowers. Der Bundesfinanzhof hat im Rahmen einer Ausstellung zum 100-jährigen Gerichtsjubiläum im Jahr 2018 an Grabower erinnert. Das Ausstellungsmobiliar wurde fest im Dienstgebäude des Bundesfinanzhofs installiert. JOCHEN ZENTHÖFER
Pauline Arndt: Oberfinanzpräsident Rolf Grabower, Mohr Siebeck, Tübingen 2023, 347 Seiten, 89 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Grabowers Zeit im Ghetto Theresienstadt
Er wird als "Vater der Umsatzsteuer" und Architekt der Betriebsprüfung bezeichnet. Über Rolf Grabowers Wirken als Richter im Ghetto Theresienstadt ist indes wenig bekannt. Zwar wurde seine Deportation schon 2010 in einem Projekt des Bundesfinanzministeriums aufgearbeitet. Die entsprechenden Websites sind jedoch nicht mehr abrufbar. Zum Glück gibt es nun die hervorragende Untersuchung der Berliner Juristin Pauline Arndt. Dank akribischer Archivrecherchen konnte sie ein kluges und abwägendes Buch über einen stolzen Deutschen schreiben, dem persönliche Eitelkeit zuwider war.
Der christliche Preuße war für die Nationalsozialisten ein "Dreivierteljude". Im Ghetto, das er überlebte, verfasste Grabower zahlreiche Berichte. So schrieb er, dass er "nie so oft einem unverfälschten Hass und Bestreben, dass der andere bestraft wird, begegnet" ist wie in Theresienstadt, er aber auf der anderen Seite auch nie so oft Interventionen pro amico ausgesetzt gewesen sei. Selbst im Lager fühlte er sich als deutscher Beamter, pochte auf Unabhängigkeit, lehnte Geschenke ab. Oberste Priorität hatten Pünktlichkeit, Fleiß und Ordnung. Arndt schreibt, dass Grabower oft die Phrase "wir sitzen alle im selben Boot" nutzte, wenn er mit Vorgeladenen bei Gericht sprach. "Jedoch ist das nicht korrekt. Während Grabower als Prominenter zeitweise sogar ein Zimmer für sich allein beanspruchen konnte und ansonsten mit nur wenigen Personen zusammen in einer der besser instand gehaltenen 'Prominentenhäuser' in Theresienstadt wohnte, mussten die meisten seiner Vorgeladenen teilweise auf dem Boden oder Strohsäcken, zumeist dicht gedrängt in einem kleinen Raum schlafen, in dem es keinerlei Möglichkeit für Privatsphäre oder Ruhe gab."
Nach dem Ende des Krieges verfasste Grabower Aufsätze zur steuerlichen Buchprüfung und Betriebsprüfung. Von 1947 bis 1962 war er Mitherausgeber der Zeitschrift "Steuer und Wirtschaft". Er hielt Vorträge an der Bundesfinanzakademie. Seit einigen Jahren trägt das Hörsaalgebäude der Fachhochschule für Finanzen in Königs Wusterhausen den Namen Grabowers. Der Bundesfinanzhof hat im Rahmen einer Ausstellung zum 100-jährigen Gerichtsjubiläum im Jahr 2018 an Grabower erinnert. Das Ausstellungsmobiliar wurde fest im Dienstgebäude des Bundesfinanzhofs installiert. JOCHEN ZENTHÖFER
Pauline Arndt: Oberfinanzpräsident Rolf Grabower, Mohr Siebeck, Tübingen 2023, 347 Seiten, 89 Euro.
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